EU-Kommission bleibt bei Taxonomie hart – Atomkraft und Gas werden nachhaltig

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Die EU-Kommission ist ihrer Linie treu geblieben: Künftig gelten Atomenergie und Gaskraftwerke im Rahmen der Taxonomie als nachhaltig. Damit stellen sich die Politiker gegen die Einschätzung der eigenen Expertengruppe.

Dabei ist die Kommission nicht mal auf die Forderung ihrer Plattform für nachhaltige Finanzen eingegangen, Gaskraftwerke könnten durchaus in die Taxonomie aufgenommen werden – wenn sie einen Grenzwert von 100 Gramm CO2 pro Kilowattstunde einhalten. Dieser Grenzwert gilt für alle anderen Technologien. Das Gremium besteht aus Klimaexperten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen. Atomkraft hatten die Experten prinzipiell als nicht nachhaltig beschrieben. Die EU-Kommission hingegen lockerte nach unbestätigten Medienberichten sogar die Vorgaben für Gaskraftwerke im Vergleich zu ihrem ursprünglichen Entwurf – wohl vor allem auf Drängen Deutschlands.

Demnach gelten neue Gaskraftwerke bis 2030 als nachhaltig, wenn sie Kraftwerke mit einem höheren CO2-Ausstoß ersetzen und bis spätestens 2035 komplett auf klimafreundlichere Brennstoffe wie Wasserstoff umstellen. Im Ursprünglichen Entwurf hatte die EU-Kommission noch das Jahr 2026 als spätesten Zeitpunkt für die Beimischung solcher Gase vorgegeben. Als oberer Grenzwert gilt ein Limit von 270 Gramm CO2 je produzierter Kilowattstunde Strom beziehungsweise darf das Kraftwerk den Wert von 550 Kilogramm pro Kilowatt installierter Leistung im Laufe von 20 Jahren nicht überschreiten.

Nach Angaben eines EU-Sprechers bleiben EU-Parlament und Mitgliedstaaten jetzt vier bis sechs Monate Zeit, die Pläne der Kommission mit den erforderlichen Mehrheiten abzulehnen, was als unwahrscheinlich gilt. Denn im Parlament müssten 353 der 705 Abgeordneten dagegen stimmen. EU-Abgeordnete der Grünen und der SPD kündigten zwar bereits Widerstand an, aber ohne Stimmen aus dem großen konservativen Lager der EVP-Fraktion wird es schwer. Diese hat die Pläne der Kommission bereits begrüßt. Es gibt aber auch in ihren Reihen Kritiker, wie den CSU-Abgeordneten Markus Ferber. „Die Europäische Kommission hat die vielen kritischen Rückmeldungen, die sie auf den ersten Entwurf des delegierten Rechtsakts bekommen hat, allesamt in den Wind geschlagen“, bemängelte dieser. Im EU-Rat könnte nur eine qualifizierte Mehrheit den Plan stoppen. Das wären mindestens 20 Staaten, die gemeinsam mindestens 65 Prozent der Bevölkerung in der Union vertreten.

Klagen angekündigt, Europa uneins

Österreich und Luxemburg hatten bereits angekündigt, den Rechtsweg zu beschreiten. „Atomkraft ist weder ‚grün‘ noch nachhaltig. Ich kann die Entscheidung der EU nicht nachvollziehen“, teilte der österreichische Kanzler Karl Nehammer via Twitter mit. Umweltorganisationen fordern die Bundesregierung seit Wochen dazu auf, ebenfalls zu klagen.

Die Ampelkoalition tut sich damit allerdings schwer und hat bislang diese Forderungen abgelehnt. Allerdings befürwortet Grünen-Chefin Ricarda Lang ein „Nein“ der Bundesregierung und forderte, die Erfolgsaussichten für eine Klage gegen den Rechtsakt zu prüfen. Fielen diese positiv aus, solle sich Deutschland den Klagen anderer EU-Mitgliedsländer anschließen.  Der Koalitionspartner FDP sieht das anders. Ihr energiepolitischer Sprecher Michael Kruse sprach von einem fairen Kompromiss.

Zurückhaltender äußerte sich sein Parteikollege, Finanz-Staatssekretär Florian Toncar, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. „Ich rechne damit, dass der Markt Finanzprodukte entwickeln wird, die im Einklang mit der Taxonomie stehen, dabei aber bewusst auf die Finanzierung von Kernenergie verzichten“, sagte der FDP-Politiker und bezeichnete ein Öko-Label für Atomkraft als nicht gerechtfertigt.

Im Laufe eines Verfahrens könnte auch geklärt werden, ob die EU-Kommission berechtigt ist, so eine Entscheidung quasi im Alleingang per delegiertem Rechtsakt zu fällen, dem ungefähren Pendant zur deutschen Verordnung. Mehrere Experten für EU-Recht hatten das in den vergangenen Wochen angezweifelt und erachteten ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren unter Beteiligung des Parlaments als erforderlich. Anfang der Woche hatten Spanien, Dänemark, die Niederlande und Schweden in einem Brief an die Kommission eine nachhaltige Einstufung von Gas abgelehnt. Gerade die Technologie, die als Geschenk für Deutschland aufgenommen werden soll, da sie hierzulande als Brückentechnologie gilt.

Investoren unglücklich

Kritiker von der Plattform für nachhaltige Finanzen bis hin zu zahlreichen Umweltorganisationen bemängeln, dass es keinen Grund gebe, eine Brückentechnologie als nachhaltig zu bezeichnen. Atomenergie lehnen sie ohnehin ab. Kritik kommt auch aus der Finanzbranche, vor allem aus den Reihen der Nachhaltigkeitsfonds. Das Wort „Greenwashing“ fällt häufig. Eigentlich soll die Taxonomie der Finanzbranche Vorgaben machen, welche Investitionen als nachhaltig bezeichnet werden dürfen. Darauf aufbauend soll in den kommenden Jahren ein EU-Eco-Label für Fonds eingeführt werden. Hans Stegmann, Chefstratege bei Triodos Management, findet klare Worte für die Entscheidung der EU-Kommission zu Atomkraft und Gas: „So tragen wir die Taxonomie zu Grabe.“ (Jochen Bettzieche)

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