EU-Taxonomie erntet viel Lob und harte Kritik

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Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke gelten künftig in der EU unter gewissen Bedingungen als nachhaltig – die EU-Kommission hat die beiden Technologien jetzt in ihre Taxonomie aufgenommen. So bekommen neue Gaskraftwerke bis 2030 einen grünen Stempel, wenn sie emissionsreichere Anlagen ersetzen und bis 2035 komplett mit klimafreundlicheren Gasen wie strombasierten Wasserstoff betrieben werden. Im Entwurf waren die Vorgaben für Gaskraftwerke noch anspruchsvoller.

Die Reaktionen in Deutschland auf die Entscheidung fallen, wenig verwunderlich, sehr unterschiedlich aus. So lobt der Bundesverband der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft BDEW die EU-Kommission, weil sie richtig erkannt habe, dass Investitionen in wasserstofffähige Gaskraftwerke zwingend notwendig seien für den Übergang in eine vollständig klimaneutrale Energieversorgung in der Europäischen Union. BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae begrüßt unter anderem, dass die Erfordernis einer Treibhausgasminderung um 55 Prozent beim Ersatz von Kohle- durch Gaskraftwerke über die gesamte Lebensdauer der Anlage und nicht wie geplant ab Inbetriebnahme gilt. „Letzteres wäre nur mit dem Einsatz großer Mengen erneuerbarer oder dekarbonisierter Gase erreichbar, die in den benötigten Dimensionen jedoch in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung stehen“, sagt Andreae. Zugleich moniert sie, dass dieser Passung nur für ungekoppelte Kraftwerke und nicht für KWK-Anlagen gilt.

Eine zweite Verbesserung stellt nach Ansicht des BDEW die Streichung der ursprünglich geforderten Wasserstoffanteile für die Jahre 2026 und 2030 dar. Die Anforderungen hält der Verband hier jedoch weiterhin sehr ambitioniert, vor allem der geforderte vollständige Brennstoffwechsel ab 2036 auf erneuerbare und dekarbonisierte Gase.

Zukunft Gas fordert Kapazitätsmechanismus

Der Stadtwerkeverband VKU begrüßt den Kommissionsbeschluss bezogen auf die Gaskraftwerke im Grundsatz. Die konkrete Ausgestaltung erschwere allerdings die Finanzierung neuer Kraftwerke. „Die vorgeschlagenen Nachhaltigkeitskriterien sind trotz aller Nachbesserungen aus kommunalwirtschaftlicher Sicht zu restriktiv und in der Summe nahezu unerfüllbar. Das gilt vor allem für die von der Kommission vorgeschlagenen Emissionsgrenzwerte sowie für die Kapazitätsgrenzen für neue Kraftwerke“, erklärt VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing.

Der Branchenverband Zukunft Gas betont, dass die Kriterien für Gaskraftwerke auch nach Abschwächung der Vorgaben streng sind, aber realistischer zu erfüllen sind. „Nun muss die Bundesregierung einen sinnvollen Investitionsrahmen für Gaskraftwerke schaffen und das Angebot von Wasserstoff entwickeln“, sagt Timm Kehler, Vorstand von Zukunft Gas. „Der nächste konkrete Schritt ist die Umsetzung eines so genannten Kapazitätsmechanismus, der – wie im Koalitionsvertrag festgehalten – den Bau moderner Gaskraftwerke anreizen soll.“

Nach Meinung des  Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) hat die EU-Kommission mit der Taxonomie Rücksicht und Weitsicht bewiesen. „Die Gasinfrastruktur in Deutschland ist Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende im Zusammenhang mit der unverzichtbaren Nutzung von Wasserstoff“, betont DVGW-Vorstandsvorsitzender Gerald Linke.

„Gas- und Atomkraft als Preistreiber“

Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) kritisiert die Aufnahme von Gas- und Atomkraftwerken dagegen vehement. BEE-Präsidentin Simone Peter verweist unter anderem darauf, dass die beiden Technologien die Strompreise zuletzt massiv in die Höhe getrieben haben. „Wenn die letzten Wochen eines gezeigt haben, dann die Preisgünstigkeit Erneuerbarer Energien gegenüber fossilen und atomaren Energiequellen“, so Peter. An Tagen mit starker Sonneneinstrahlung oder Wind seien die Börsenstrompreise erheblich gesunken. „Hier jetzt ein falsches Signal an die Finanzmärkte zu senden, verkennt die Zeichen der Zeit, in klimafreundliche und saubere Technologien zu investieren.“ Die BEE-Präsidentin verweist zudem auf die Energiesicherheit, die Gaskraftwerke gerade nicht gewährleisten können. „Aktuell zeigt der Konflikt mit Russland, dass wir auch geopolitisch und energiewirtschaftlich klug beraten sind, das riesige Potenzial unserer heimischen, bürgernahen Erneuerbaren Energien in allen Sektoren zu nutzen.“

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wertet den vorgelegten delegierten Rechtsakt zur Taxonomie der EU-Kommission als „klimapolitische Bankrotterklärung“. Damit würden die Weichen gestellt, dass Gas- und Atomkraftwerke durch den hunderte Milliarden Euro schweren EU-Wiederaufbaufonds finanziert werden können – denn die Mittelverwendung orientiere sich an der Taxonomie. „Anstatt Finanzströme in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu lenken, lässt die Kommission das Vorzeigeprojekt der EU-Taxonomie zu einem grünen Feigenblatt für Atomkraft und fossiles Gas verkommen“, kritisiert  Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH. „Damit wird das ganze Finanzlabel entwertet, denn bereits geltende Standards für grüne Finanzprodukte schließen diese beiden umweltschädlichen Technologien klar aus.“

Ihre klimapolitische Glaubwürdigkeit kann die neue Bundesregierung nach Ansicht der DUH nur retten, wenn sie im EU-Rat gegen den Kommissionsentwurf stimmt. Falls der Rat den Rechtsakt durchwinkt, muss das Europäische Parlament ihn im Plenum ablehnen und die Kommission zur Neuauflage auffordern. „Notfalls muss die Bundesregierung sich der Klage von Österreich und Luxemburg gegen die Taxonomie anschließen“, fordert Müller-Kraenner.

Nach Ansicht von Germanwatch zeigt die EU-Kommission mit ihrer Entscheidung neben klimapolitischer auch ökonomische und geopolitische Kurzsichtigkeit. „Sie vergibt ein grünes Label an die energiepreistreibenden Brennstoffe Erdgas und Kernkraft, was den Ausbau der preiswerteren Erneuerbaren Energien zu verzögern droht. Und sie stabilisiert längerfristig die Nachfrage nach Erdgas trotz der in diesen Tagen überdeutlichen geopolitischen Brisanz – die dafür spricht, uns von fragwürdigen Regimen energiepolitisch weniger abhängig zu machen“, kommentiert Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch.

330.000 Protest-Unterschriften übergeben

Derweil hat ein Bündnis aus Organisationen wie BUND, Campact, Deutsche Umwelthilfe, Bürgerbewegung Finanzwende, Greenpeace, IPPNW und NABU insgesamt 330.000 Unterschriften gegen die Aufnahme von Gas- und Atomkraftwerken in die EU-Taxonomie an die designierte Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Ricarda Lang übergeben.

„Es ist höchste Zeit, dass die Ampel-Koalition in punkto EU-Taxonomie Farbe bekennt. Gas und Atom sind nicht nachhaltig“, erklärt das Bündnis. „Das gilt es nun so auch klipp und klar zu formulieren. Wir fordern die Regierungsparteien auf, sowohl im EU-Ministerrat gegen den Vorschlag der EU-Kommission zu stimmen und notfalls auch Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einzureichen.“

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