Vom Knopf zum Giganten

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Es gibt sie gewickelt oder geschichtet, als Knöpfe, in Zylinder-, Beutel- oder Kastenform. Sie enthalten Flüssigkeiten, Gele, manche sogar ausschließlich Feststoffe. „Lithiumbatterie ist nicht gleich Lithiumbatterie. Die Zahl der möglichen Varianten ist groß“, sagt Martin Winter, Professor an der Universität Münster. Er zählt zu den führenden Wissenschaftlern in Deutschland auf einem Gebiet, das zurzeit weltweit boomt. Die Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu Lithiumbatterien ist in den vergangenen Jahren auf jährlich etwa 2.000 gestiegen. Treiber ist zweifelsohne die Automobilindustrie. Doch immer stärker nehmen Hersteller und Forscher auch den Markt für stationäre Speicher, die Stromschwankungen von Solaranlagen und Windparks kompensieren und zur Netzstabilisierung beitragen können, ins Visier. Die aktuell marktführenden Hersteller kommen traditionsgemäß aus der Unterhaltungselektronik- und Computerindustrie, wo Lithiumbatterien längst zum Standard zählen, darunter AESC, Samsung, LG und Panasonic-Sanyo.

Die Kosten fallen

Im Gegensatz zu Pump-, Druckluft- oder Wasserstoffspeichern bestechen Batterien vor allem durch ihre hohen Wirkungsgrade von mehr als 90 Prozent. Während sich die Anforderungen an die hoch effizienten Stromspeicher im Fall der Elektrofahrzeuge auf Leistungs- und Energiedichte konzentrieren, steht bei stationären Anwendungen vor allem Langlebigkeit im Fokus. „Für das E-Auto würde eine Lebensdauer von zehn Jahren genügen. Ein Speicher für eine Solaranlage sollte dagegen mindestens 20 Jahre halten“, meint Winter. Und natürlich müssen auch die Kosten stimmen. Gerade im stationären Bereich haben Lithiumbatterien Konkurrenz, von der Bleibatterie bis zu Wasserstoff- und Druckluftspeichern.Für die Kosten gilt seit Jahren eine fallende Tendenz. „Heute schlägt eine Lithiumbatterie mit etwa 500 Euro je Kilowattstunde Speicherkapazität zu Buche. Das ist gut ein Drittel weniger als noch vor drei Jahren“, sagt der Batterieexperte. Das sind reine Batteriekosten, ohne das Drumherum, das auch in Photovoltaik-Speichersystemen wichtig ist. In fünf Jahren könnten die Kosten noch einmal um die Hälfte auf 250 Euro sinken. Und für 2030 rechnen die Marktforscher von Bloomberg New Energy Finance mit gut 100 Euro. Dann wäre eine Lithiumbatterie in etwa so teuer wie eine einfache Bleibatterie heute. Allerdings muss die Lithiumvariante deutlich seltener ausgewechselt werden. Sie lässt sich schon jetzt mehr als 7.000 Mal auf- und entladen. Gekoppelt an eine Solaranlage entspricht das etwa einer Lebensdauer von 20 Jahren, wenn die Batterie einmal am Tag ge- und entladen wird. Das Bleipendant bringt es dagegen nur auf eine Lebenserwartung von rund fünf Jahren.

Der Kostenverfall ist vor allem steigenden Stückzahlen geschuldet. Eric Maiser, Geschäftsführer der Plattform Photovoltaik-Produktionsmittel im Investitionsgüterverband VDMA und Leiter Batterieproduktion im VDMA-Forum E-Motive, sagt dazu: „Maschinenbauer haben jahrzehntelange Erfahrungen aus der Halbleiter-, Flachdisplay- und Photovoltaikherstellung, wie sich Herstellkosten mit der Großfertigung senken lassen.“ Bei einer Verdopplung der Produktionszahlen von Computerchips sinken die Kosten beispielsweise um 40 Prozent. Bei Flachbildschirmen sind es 30 und bei Solarmodulen immerhin noch etwa 25 Prozent. „Bei der Herstellung von Lithiumbatterien kommen sehr ähnliche Produktionsverfahren zum Einsatz. Deshalb gehen wir davon aus, dass bei einer Verdopplung der Batterieproduktion die Kosten in gleichem Maß sinken können“, sagt Maiser.

Ziel: automatisierte Produktion

Die Herausforderung: Im Gegensatz zu den kleinen Consumer-Lithiumbatteriezellen, die beispielsweise in Laptops oder Handys stecken, brauchen die größeren Hochleistungs-Lithiumspeicher mehr Automatisierung und Präzision in der Herstellung. „Die Produktion ist heute eine Manufaktur“, so Maiser. „Vor allem ist es schwierig, größere Folien wirklich homogen zu beschichten. Das funktioniert zurzeit noch nicht sehr gut.“ Ein zweites Beispiel für die Herausforderungen bei der Produktion von Lithium-Hochleistungszellen ist die Kontrolle der Schichtdicke, für die die Zellen bisher zerstört werden müssen. Das Ziel muss laut Maiser sein, vollautomatisierte Produktionsstraßen inklusiveQualitätskontrolle zu schaffen und so den Durchsatz zu erhöhen und den Ausschuss zu minimieren.

Insgesamt ist der Markt sehr unübersichtlich. Die Batterien unterscheiden sich in vielen Details, die unter anderem von der Art der Anwendung abhängen. Doch ganz gleich für welchen Einsatzzweck: Die heute üblichen Lithiumbatterie-Zellen enthalten einen Pluspol, die Kathode, aus einem oft cobalthaltigen Lithiummetalloxid oder -phosphat und einen Minuspol, die Anode, aus Graphit, das wiederum aus Kohlenstoffschichten besteht und zum Beispiel auch in Bleistiftminen steckt. Zwischen den Polfolien befindet sich noch ein Elektrolyt, der in der Regel fluorhaltige Lithiumsalze und ein organisches Lösungsmittel enthält und in dem positiv geladene Lithiumionen zum Ladungsausgleich hin und her wandern. Eine Kunststofffolie im Elektrolyten, der Separator, sorgt zudem dafür, dass die Elektrodenprozesse ungestört voneinander ablaufen, und schützt auf diese Weise vor batterieinternen Kurzschlüssen.

Viel Verbesserungspotenzial

Dieses Batteriekonzept bietet eine Menge Potenzial für Verbesserungen. Denn künftige Batterien sollen noch mehr Energie speichern können und zugleich sicherer, langlebiger und umweltfreundlicher werden. „Diese zum Teil gegenläufigen Ansprüche unter einen Hut zu bekommen ist eine echte Herausforderung“, sagt Peter Bieker, der in Winters Team an mehreren Lithiumbatterie-Projekten arbeitet. Für fast alle Komponenten suchen Hersteller und Forscher deshalb nach Alternativen. An der Kathode etwa hat das bisher übliche cobalthaltige Metalloxid vermutlich bald ausgedient. Cobalt ist nicht nur teuer, sondern auch ein giftiges Schwermetall. „Die Folgegenerationen setzen auf cobaltfreie Materialien wie Lithiumeisenphosphat oder zumindest auf cobaltarme Kathoden aus Metalloxiden, die neben Cobalt auch Mangan und Nickel enthalten können“, berichtet Bieker.

Lithiumeisenphosphat könnte künftig Preisvorteile haben und – das haben Laborversuche der Münsteraner Forscher schon gezeigt – ist zu 99 Prozent recycelbar. Nicht zuletzt macht Eisenphoshpat die Lithiumbatterien auch sicherer. Die Verbindung enthält zwar wie Cobalt- und Manganoxid brandfördernden Sauerstoff, doch dieser ist hier deutlich fester gebunden. Eine Alternative zu Metalloxiden und Phosphat ist Graphit, wie es auch in der Anode steckt. Ein von den Münsteraner Forschern entwickeltes und gerade erst patentiertes Konzept mit Graphit als Kathodenmaterial soll besonders einfach zu bauen und billig sein, steckt aber noch in den Kinderschuhen.

Die Anode der gängigen Lithiumbatterien soll künftig deutlich stabiler werden. Die eigentlich winzigen Lithiumionen, die mitsamt einer voluminösen Hülle aus Elektrolytmolekülen zwischen die hauchdünnen Graphitschichten drängen, strapazieren das Material. Um es zu schonen, werden bei gängigen Zellen zurzeit lediglich 80 Prozent der theoretischen Kapazität ausgeschöpft. Hersteller und Forscher arbeiten deshalb an den unterschiedlichsten Strukturmodifikationen, Beschichtungen und an Zusatzstoffen. Diese sollen dafür sorgen, dass die Lithiumionen ihren Lösungsmittelmantel noch vor dem Graphit abstreifen können. „Auch Siliziumanteile im Graphit können die Aufnahmefähigkeit der Anode verbessern“, sagt Bieker. Noch höhere Speicherkapazitäten können mit hoch reaktivem, metallischem Lithium erreicht werden. Allerdings wird es dann wieder schwieriger, für einen sicheren Betrieb zu sorgen.

Brandgefahr bannen

Ein Knackpunkt aller Konzepte ist der Elektrolyt, in der Regel ein organisches Lösungsmittel und im wahrsten Sinn des Wortes brandgefährlich. Eine sicherere Alternative sind zum Beispiel gelartige oder feste Kunststofffolien. Die Folien bestehen aus langen Molekülketten, die durch Salzzusätze elektrisch leitfähig gemacht werden. Lithiumbatterien mit solchen Elektrolyten heißen Polymerelektrolytzellen. Praktisch gar keine Brandgefahr geht von sogenanntenionischen Flüssigkeiten aus. Das sind Salze, die bei Raumtemperatur flüssig sind und den Strom recht gut leiten können. Einziges Manko: Sie sind zurzeit noch zwei- bis zehnmal so teuer wie gängige Elektrolyte. Bieker ist aber optimistisch. „Die Preise fallen immer weiter, denn ionische Flüssigkeiten werden als ‚grüne‘ Lösungsmittel auch zunehmend in der chemischen Industrie eingesetzt“, erklärt der Elektrochemiker. Polymere und ionische Flüssigkeiten eignen sich zudem für Hochvoltzellen, die mit Zellspannungen von fünf Volt und mehr arbeiten. Die höheren Zellspannungen bringen noch einmal höhere Energiedichten. Neben innovativen Elektrolyten sorgen auch neue Separatoren aus Keramik für mehr Sicherheit.

Angesichts der Variantenvielzahl wundert es nicht, dass sich neben den etablierten Batterieproduzenten auch zahlreiche Start-ups gegründet haben, die jeweils ihrem Favoriten zum Durchbruch verhelfen wollen. Ein Beispiel aus Deutschland ist das Unternehmen Dispatch Energy im schleswig-holsteinischen Itzehoe, dessen Batterieidee auf wissenschaftlicher Arbeit der Fraunhofer-Gesellschaft fußt. „Wir produzieren Polymer-Lithiumbatterien mit Keramikelektroden. Die Kapazität unserer Batterien kann zu 100 Prozent genutzt werden“, betont der technische Geschäftsführer und ehemalige Fraunhofer-Forscher Gerold Neumann. Der Kunde müsse dann nicht mehr Kapazität einkaufen, als er braucht.

Mit 55 Wattstunden je Kilogramm ist die Energiedichte dieser Batterie allerdings nur wenig größer als die einer Bleibatterie mit etwa 30 Wattstunden je Kilogramm. Für ein Elektrofahrzeug taugt dieser Akku deshalb nicht. „Unsere Batterie ist für stationäre Anwendungen konzipiert, in denen die Energiedichte nur eine untergeordnete Rolle spielt“, erklärt Neumann. Noch in diesem Sommer will Dispatch mit verschiedenen Photovoltaikanbietern, darunter IBC Solar und der Fachgroßhändler Creativ-Solar, erste Pilotanlagen in der Praxis testen. Wie viel die neuen Stromspeicher dereinst kosten werden, ist aber noch nicht klar.

Solarspeicher aus Laptopbatterien

Ganz gleich welcher Typ von Batteriezellen zum Einsatz kommt und egal ob für ein Auto, eine Solaranlage oder für ganze Stromnetze: Aus den Zellen ein taugliches Speichersystem zu bauen ist eine Herausforderung. Denn schon die Größe der eingesetzten Zellen und Batterien beeinflusst Preis und Performance des Systems. „Man kann natürlich mit kleinen Laptopbatterien arbeiten, wie es zum Beispiel beim Tesla gemacht wurde“, sagt dazu der Batterieforscher Martin Winter. Doch dann ist der Kontrollaufwand riesig. Jede einzelne Zelle muss kontinuierlich auf Temperatur und Funktionstüchtigkeit geprüft werden. Hinzu kommt ein höherer Materialaufwand, wenn kleinere Batterien einzeln gekapselt werden. Systeme aus größeren Batteriezellen hingegen sind zwar billiger und leichter.

Die Komplikationen, wenn mal eine Zelle ausfällt, aber wachsen. Zudem ist die Produktion großer Zellen eine Herausforderung. „Bei sehr breiten Folien wird es enorm schwierig, eine gleichmäßige Schichtdicke und -qualität für die Elektroden herzustellen“, meint Martin Winter.

Deutschlands zurzeit größtes Lithiumbatterie-System steht in einem Überseecontainer im saarländischen Völklingen. Es hat eine Kapazität 700 Kilowattstunden. Hier prüfen Forscher, ob Lithiumspeicher auch zur Netzstabilisierung taugen. Das Projekt heißt LESSY und wird vom Bundesforschungsministerium gefördert. Beteiligt sind unter anderem Evonik Degussa, Li-Tec Battery und die Universität Münster. Das System besteht aus 150 Batterien, die so groß sind wie Ghettoblaster und die jeweils 28 Zellen enthalten.

Dass die Karriere der Lithiumspeicher vom Knopf zum Giganten vielversprechend verläuft, zeigen noch besser zwei Beispiele aus Übersee, beide auf Lithiumeisenphosphat-Basis. Der amerikanische Batteriehersteller A123 testet einen Speicher mit acht Megawatt Leistung und 32 Megawattstunden Speicherkapazität als Puffer für einen kalifornischen Windpark. Und „Weltrekord!“ verkündete kürzlich die chinesische Regierung. Sie hat die nach eigenen Angaben weltweit größte Batterie in einem staatlichen Vorzeigeprojekt in Betrieb genommen, an einem Energiepark aus Solar- und Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 140 Megawatt in Zhangbei in der Provinz Hebei. Die Kapazität des Speichergiganten der Firma BYD laut Regierungsangaben: 36 Megawattstunden.

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