Europäische Photovoltaik-Produktion muss groß und günstig sein

Teilen

Im Februar haben führende europäische Unternehmen und Unternehmer entlang der Photovoltaik- Wertschöpfungskette eine Stellungnahme mit dem Ziel verfasst, eine europäische Solarindustrie von relevanter Skalierung zu schaffen. Diese Stellungnahme hast Du mitverfasst und dafür mit den Beteiligten gesprochen.  Was ist deine Schlussfolgerung?

Karl-Heinz Remmers
Karl-Heinz Remmers ist Solarunternehmer und Berater. Er war bis Sommer 2015 Herausgeber von pv magazine.

Foto: Remmers Solar

Karl-Heinz Remmers: Dass wir in Europa diese Chancen des globalen und sich verzehnfachenden Marktes noch besser in unsere eigenen Ziele und in unsere eigenen Handlungen übersetzen müssen.

Was muss man noch besser übersetzen?

Man muss sich verinnerlichen, dass und warum wir einen globalen Wachstumsmarkt haben. Er wird sich in den nächsten zehn Jahren verzehnfachen und er wird sich auch deshalb verzehnfachen wird, weil alle Zutaten da sind, die wir für unser neues Energiesystem brauchen. Technologien müssen nicht mehr erst noch entwickelt werden und die Speicherproduktionen werden jetzt sogar noch schneller ausgebaut  als die Erzeugung. Es werden Strommengen gebraucht, die sind viel größer als bisher. Der Markt wird von 270 Gigawatt im letzten Jahr auf 3000 Gigawatt und mehr in den nächsten zehn Jahren wachsen. Wenn man mal annimmt, dass ein Modul irgendwann vielleicht 15 Cent pro Watt kosten wird, ist das ein Modulmarkt von 450 Milliarden Euro. Und mein Petitum ist, dass wir in ganz Europa bitte davon mindestens mal 20 Prozent holen sollten, vielleicht 25 Prozent. Dann sind wir bei mindestens bei 600 Gigawatt Photovoltaik-Produktion, die wir hier brauchen. Das wäre für Europa dann ein Umsatz von 90 Milliarden Euro. Das wäre ein Ziel für vielleicht 2035. Eher 2030, worüber gerade viele reden, denn wir haben weltweit ja schon jetzt 1000 Gigawatt Produktionkapazitäten und einen Ausbau auf 1400 Gigawatt bis 2025. Das Gros davon übrigens Heterojunction und Topcon, also mit den Technologien mit den derzeit höchsten Effizienzen. Diese Produkte schaffen sich ihre Märkte.

Und mein Petitum ist, dass wir in ganz Europa bitte davon mindestens mal 20 Prozent holen sollten, vielleicht 25 Prozent. Dann sind wir bei mindestens bei 600 Gigawatt Photovoltaikproduktion, die wir hier brauchen. Das wäre für Europa dann ein Umsatz von 90 Milliarden Euro.

Die EU plant mit einem Ziel von 40 Prozent Marktanteil in Europa für die eigene Solarzellen und Modulproduktion in 2030, das wären nur 30 bis 40 Gigawatt. Ist das nicht viel zu wenig?

Das ist alles ziemlich klein gedacht. Warum sollte man sich auf dem eigenen Markt mit einem Marktanteil von 40 Prozent zufriedengeben? Das ist die eine Frage. Die zweite Frage ist: Ist diese Größenordnung wirklich adäquat zu dem, was in Europa und weltweit gebraucht wird, also 3000 Gigawatt in 2035? Ich finde es ehrlich gesagt persönlich erschütternd. Ich kenne ja alle Gründer, die in den 90iger Jahren angefangen haben, diese Technologie aus der Garage in die Massenproduktion zu bringen. Damals war das Ziel immer erstens die Massenproduktion und zweitens, dass das Ganze richtig günstig werden muss. Dagegen nehmen sich die EU-Ambitionen klein aus.

Günstig ist Solarenergie heute ja.

Diese Ziele sind heute immer noch sinnvoll. Solarstrom muss im globalen Wettbewerb bestehen. Das heißt, Solarstrom muss zuallererst in der Lage sein, das künftige Energiesystem kostenmäßig vernünftig zu betreiben. Da kann man eben nicht nur auf den Solarstrompreis schauen, sondern den Preis in einem System betrachten, wo auch Speicher mit drin sind, vielleicht eine Kombination mit Windenergie, und das einen Strom abliefert, der 365 Tage und 24 Stunden am Tag läuft. Dann ist man nicht mehr bei drei Cent pro Kiowattstunde, sondern dann hat man etwas höhere Kosten, je nachdem wie das Ganze aufgebaut ist. Deshalb kann man nicht irgendwie so tun, als sei es völlig egal, was Solarstrom kostet, und drüber fabulieren, dass der vielleicht teurer sein müsste, um Produktion in Europa zu unterstützen. Das ist keine Realität, die auf diesem Planeten funktioniert.

Unternehmen, die sich jetzt damit beschäftigen, Produktion in Europa aufzubauen, denken nicht so, dass sie im Wettbewerb bestehen müssen?

Nein, das denken sie nicht, beziehungsweise sie werfen sogar den Leuten, die die kostenmäßig günstigsten Solaranlagen bauen vor, dass die nur an billigen Modulen interessiert seien. Als ob der Geschäftszweck wäre, ein billiges Modul zu haben. Aber unser aller Produkt ist grüner Strom. Und der muss eben immer da sein, wenn Menschen den brauchen.

Jetzt hören wir aber auch im Markt, dass es ja durchaus Bereitschaft gibt, 10 bis 30 Prozent mehr für Module aus Europa zu zahlen. Große Unternehmen, die an Nachhaltigkeit interessiert sind, könnten sich das vorstellen. Könnte Solarstrom also nicht ein kleines bisschen teurer sein?

Reden wir mal darüber, wer darüber redet. Das sind ja zum Beispiel Unternehmen wie Ikea und Co., die im eigenen Kerngeschäft kein Problem haben, in China große Mengen billigst zu produzieren und global damit zu arbeiten. Es gibt da viele Gespräche, davon hört man auch, und wir kennen das auch in der Diskussion, bisher ist es aber sehr theoretisch. Selbst Preisdifferenzen von 0,3 Cent pro Kilowattstunde [wie im verlinkten Beitrag beschrieben, die Red.] sind nicht mal eben so zu verhandeln. Gerade jetzt sind wir wieder in einer Marktphase, wo jeder PPA hart verhandelt wird und wo es eben nicht mehr so ist wie im vergangenen Jahr, als plötzlich 12 oder 13 Cent zumindest nominal auf einem Vertrag standen, den dann im Übrigen kaum jemand unterschrieben hat. Jetzt wird wieder rumgezappelt und gesagt: ‚Wir wollen eigentlich nur sechs Cent bezahlen‘. Und das, obwohl die Zinsen gestiegen sind, und das, obwohl Trafos teuer sind und, und, und. Die Marktrealität ist, dass Solarstrom im Wettbewerb bestehen muss mit anderen Möglichkeiten.

Die Marktrealität ist, dass Solarstrom im Wettbewerb bestehen muss mit anderen Möglichkeiten.

Hast Du durch deine Gespräche die Einschätzung gewonnen, dass es möglich wäre, hier so günstig wie in China zu produzieren?

Ja, ich persönlich glaube das auch nach meinen Gesprächen, wenn es uns gelingt, ein neues Ökosystem aufzubauen. Aus meiner Sicht ist das ein Ökosystem, was in Richtung 600 Gigawatt dauerhaft orientiert ist. Es muss natürlich in Zwischenschritten gedacht werden. Es funktioniert eben nicht, wenn in China eine Teilfabrik von zum Beispiel Longi schon fünf Gigawatt groß ist, unsere europäische Produktionszene in sieben Jahren als fünf Teilfabriken der Firma Longi von heute zu planen. Da kann man sich das sofort ausrechnen, dass das nicht geht. Wir haben über 1000 Gigawatt Produktionskapazität jetzt schon global. Und wir haben diese, weil chinesische Unternehmen die meisten Vertriebsleute haben und damit auch die besten Marktkenntnisse. Sie glauben auch an diesen großen Markt. Der Erste aus der Industrie, der davon sprach, dass wir 2030 mehr als ein Terrawatt pro Jahr installieren können, war der CEO von Longi. Das habe ich noch nie von einem Kollegen hier aus Europa gehört, der in einer vergleichbaren Rolle ist.

Aber selbst wenn die Leute hier das Vertrauen haben, dass der Markt so groß ist, haben sie vielleicht nicht das Vertrauen, dass sie so wettbewerbsfähig produzieren können, um 20 oder 25 Prozent des Marktes bekommen können.

Ja, gut, dann sollten sie sich eine Strategie überlegen, irgendwo in einer Nische weiter zu existieren, und nicht Leute verunsichern und sagen, dass im Prinzip Solarstrom einfach teurer sein müsste. Ich bin es leid, dass ich immer wieder Argumente höre, die eigentlich nur darauf basieren, dass man China irgendwie geringschätzt oder ihnen alles Mögliche vorwirft, was sie denn tun – was in Teilbereichen unbenommen passiert – aber es ist eben dort einfach ein Skaleneffekt, und es ist das einzige Land global, das wirklich an diese Technologie glaubt. Jetzt könnte man an der Stelle sagen: Gut, dann können wir alle aufhören. Aber das ist es nicht. Das Mindset der neunziger Jahre und der Gründungsphase zum Beispiel von Q-Cells und den anderen war ein völlig anderes. Es war quasi null da. Und das Mindset war: Wir müssen es einfach sehr sehr groß machen. Und es muss kostengünstig sein. Das Mindset sehe ich momentan nicht in Europa.

Dann sollten sie sich eine Strategie überlegen, irgendwo in einer Nische weiter zu existieren, und nicht Leute verunsichern und sagen, dass im Prinzip Solarstrom einfach teurer sein müsste.

Wer müsste dieses Mindset haben?

Die Leute, die die neuen Fabriken bauen wollen.

Aber die brauchen ja das Geld dafür.

Ja, natürlich. Aber um es zu bekommen braucht erst mal das Mindset: Ich bin ganz klar der Meinung und gehe diesen Weg, was ich auch den Investoren sage und der Politik. Früher haben alle immer über Export geredet. In den Gesprächen, die ich jetzt hier geführt habe, hat niemand über Export geredet. Also man traut es sich offenbar auch nicht mehr zu. Man glaubt nicht daran, dass es auf diesem Planeten Menschen gibt, die vielleicht lieber in der EU einkaufen als in China, mal provokant gesagt. Ich würde mir wünschen, dass Hersteller, Investoren und Politik sagen: Es gibt einen Markt, den wir auch global adressieren, der natürlich irgendwie auf mehrere Quellen setzt, der natürlich darauf setzt, dass man aus verschiedenen Regionen Produkte bekommt. Diese sind vielleicht unterschiedlich akzentuiert und variieren im Preis vielleicht um 10 Prozent, aber nicht um 30 oder 50 Prozent.

Die Politik in Europa muss sich endlich darüber klar werden, ob sie Photovoltaik-Produktionsketten, Batterie-Produktionsketten und weitere Dinge, die im globalen Wettbewerb sind, in der entsprechenden Skalierung haben will oder eben nicht. Und wenn man das weiterhin nicht hat, und ich sehe es nicht, dann klappt es nicht.

Was müsste die Politik im Moment tun?

Die Politik sollte vielleicht sich mal ins Flugzeug setzen und sich von der chinesischen Regierung beraten lassen. Ernsthaft, die Politik in Europa muss sich endlich darüber klar werden, ob sie Photovoltaik-Produktionsketten, Batterie-Produktionsketten und weitere Dinge, die im globalen Wettbewerb sind, in der entsprechenden Skalierung haben will oder eben nicht. Und wenn man das weiterhin nicht hat, und ich sehe es nicht, dann klappt es nicht. Dann man es jetzt so halb und überhaupt nicht wettbewerbsfähig ist, weil man einfach das Ökosystem nicht wieder aufgebaut bekommt.

Nehmen wir mal an, sie fahren nach China und sie kommen wieder zurück, was würden sie denn dann mitbringen?

Was ist denn Chinas Kernkompetenz? Einerseits ist es der Glaube der Regierung an die Technologie, der dort unbestritten ist, der immer größer wird. Andererseits dass sie klar vermittelt, dass sich das jetzt nicht wieder ändern wird. In Deutschland wäre es daher gut, wenn die Regierung die CDU mitnähme. Sie müsste klar sagen: Okay, wir setzen uns jetzt mal hin und überlegen, wo geht der globale Markt wirklich hin? Er wird viel größer. Und dann müssen wir unseren Unternehmen, die jetzt hier aufbauen, sagen: Ihr habt von jetzt an diesen Zugang zu Kapital, den ihr braucht. Den werden wir jetzt absichern.

Wie sollen sie das machen?

Es gibt etliche Ideen, die auf dem Papier angedeutet sind. Zum Beispiel entsprechende großvolumige Bürgschaftsprogramme, wir reden jetzt nicht über fünf Milliarden Euro, sondern wir reden schnell über 100 Milliarden Euro, oder gewisse Förderungen für gewisse Zeiträume.

Man hat ja den Eindruck, dass das gerade passiert, nur eben ausgerichtet auf die 30 Gigawatt.

Genau. Ich weiß ja, wo das herkommt. Das ist ja unter anderem dem geschuldet, dass wir hier in Europa irgendwann mal alle dermaßen verprügelt wurden von der Politik, weil sie uns einfach über Nacht im Stich gelassen hat. Also vornehmlich die deutsche Regierung mit der EEG-Novelle 2012. Die hat damals das Vertrauen in das Ökosystem komplett zerstört hat. Es war die abrupte Entscheidung im Februar 2012, innerhalb von eine Woche alles zu ändern, obwohl es kurz zuvor schon eine Kürzung gab. Das hat ein Signal gesendet. Danach wurden zum Beispiel Hermeskredite gekündigt, weil man gesehen hat: Die deutsche Politik glaubt nicht mehr daran. Das hat letztendlich die Hersteller in Deutschland in die großen Schwierigkeiten gebracht. Wenn wir es jetzt wieder machen wollen, dann brauchen wir das Selbstbewusstsein zu sagen: Das ist ein riesiger Markt und wir gehen in einen Wettbewerb.

Man muss sich immer wieder klar machen: China ist deshalb so stark, weil dort eine Regierung schon immer auf diese Technologie setzt und weil es dort Rahmenbedingungen gibt, bei denen sich die Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich austoben wollen, auch austoben können. Das müssen wir hier verlangen.

Spielte in der Diskussion für die Stellungnahme eine Rolle, wie Europa technologisch im Vergleich zu China steht?

Das ist ja ein Thema, wo man differenzieren muss. Wir haben technologisch nach wie vor gerade in den Forschungsinstituten eine ganze Menge an Entwicklungen, die global sehr weit vorne sind. Erstaunlich weit vorne dafür, dass wir quasi keine industrielle Anwendung mehr in Europa haben. In dem Moment, wo ein Konzept die Forschungsabteilung verlässt, ist ja bei uns aber quasi nichts mehr da. In China gibt wahrscheinlich mittlerweile zehntausende von Ingenieuren oder Ingenieurinnen, die dort an der Adaption von neuen Erkenntnissen in die Massenproduktion arbeiten. In der Produktionsanwendung und in der Massenskalierung von Technikadaption auch im Bereich von Heterojunction, auch im Bereich von Topcon sind wir in Europa vermutlich weit hinter China. Das ist aber kein Grund, den Kopf in Sand zu stecken. Ich möchte nochmal an die Gründerszene in den neunziger Jahren erinnern. Shell, BP und andere waren mit ihren Zellfabriken am Scheitern. Andere haben das auf die Reihe bekommen mit dem Mindset: Wir brauchen eine industrielle Applikation, die x-fach größer ist. Man muss sich immer wieder klar machen: China ist deshalb so stark, weil dort eine Regierung schon immer auf diese Technologie setzt und weil es dort Rahmenbedingungen gibt, bei denen sich die Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich austoben wollen, auch austoben können. Das müssen wir hier verlangen, und dann können wir auch eine x-fach größere Skalierung hinkriegen.

Mehr zum Thema in der Magazinausgabe im Juni

In der Magazinausgabe, die am 6. Juni erscheint, berichten wir umfangreich über die Diskussionen und Maßnahmen zum Wiederaufbau oder der Skalierung einer europäischen Solarindustrie, die die gesamte Wertschöpfungskette Silizium-Ingots-Wafer-Zellen-Module umfasst.

Außerdem berichten wir unter anderem über:
– Modulneuheiten und den Effizienzrekord von 23,6 Prozent
– Marktübersicht Heim- und Kleingewerbespeicher und Trends
– Fassaden-Anlagen

Zum pv magazine shop

Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert werden. Wenn Sie mit uns kooperieren und Inhalte von uns teilweise nutzen wollen, nehmen Sie bitte Kontakt auf: redaktion@pv-magazine.com.