Verkehrssektor verfehlt CO2-Minderungsziel deutlich – zum Leidwesen des „Solarpaket 1“

Teilen

Im März beendete die FDP alle Diskussionen über die Aufnahme von Resilienzboni oder -ausschreibungen in das „Solarpaket 1“. Nun dachten viele, der Weg sei frei, den bereits im August 2023 vom Bundeskabinett abgesegneten Gesetzentwurf final im Bundestag zu beschließen. Doch die erste Sitzungswoche im April verging und das „Solarpaket 1“ fand sich nicht auf der Tagesordnung. In der nächsten Woche gibt es noch eine Chance für die Verabschiedung im April. Ob es dazu kommt, liegt allerdings nicht am möglichen Verhandlungsbedarf über das „Solarpaket 1“ zwischen SPD, Grünen und FDP, sondern bei einer Lösung des Konflikts der kleinen Koalitionspartner über das neue Bundesklimaschutzgesetz (unmittelbar nach Veröffentlichung  dieses Beitrag erreichte uns eine Eilmeldung zur Einigung bei Klimaschutzgesetz und „Solarpaket 1“). 

Den Entwurf für das neue Klimaschutzgesetz verabschiedete das Bundeskabinett bereits im Juni 2023. Er sieht vor, dass die CO2-Einsparziele künftig zwar weiter sektorenscharf ausgewiesen, das Erreichen allerdings sektorenübergreifend berechnet werden soll. „Im Fokus steht nun, ob der Treibhausgasausstoß insgesamt reduziert wird, unabhängig davon, in welchem Bereich die Treibhausgase entstehen. Indem die Emissionen insbesondere dort gemindert werden, wo die größten Einsparpotentiale vorhanden sind, können die Klimaziele sozial gerecht und volkswirtschaftlich effizient erreicht werden“, ist auf der Seite der Bundesregierung zu dem Entwurf zu lesen.

Die größere Flexibilität für die einzelnen Sektoren will die FDP auf jeden Fall. Bei den Grünen scheint man mittlerweile von dieser Idee weniger begeistert. Den Hintergrund dafür lieferte am Montag der Expertenrat für Klimafragen. Er veröffentlichte seinen „Prüfbericht zu den Emissionsdaten 2023“. Darin wird gemäß Bundesklimaschutzgesetz die Berechnung der Emissionen des Vorjahres geprüft und bewertet, die das Bundesumweltamt zuvor Mitte März veröffentlichte. Nach der zurzeit noch geltenden Fassung des Klimaschutzgesetzes sind Sektoren, die ihre Ziele verfehlen, verpflichtet ein Sofortprogramm aufzulegen, um die Anstrengungen zu erhöhen.

Verkehrssektor verfehlt CO2-Minderungsziel deutlich

Es ist keine Neuigkeit, dass sich neben dem Gebäudesektor vor allem der Verkehrssektor schwer damit tut, seine jährlichen CO2-Einsparziele zu erreichen. Bereits vor der Veröffentlichung des Expertenberichts, der Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) eine deutliche Zielverfehlung attestiert, drohte dieser bereits mit allgemeinen Fahrverboten, wenn die Einsparungen wirklich nur durch den Verkehrssektor erreicht werden müssten. Der aber verfehlte sein Ziel um 12,8 Megatonnen CO2-Äquivalente. „Die erneute Verfehlung des Jahresziels ist im Ergebnis unserer Prüfung beim Verkehr eindeutig“, stellte der Vorsitzende des Expertenrates, Hans-Martin Henning, bei der Veröffentlichung des Berichts fest.

Beim Gebäudesektor ist der Expertenrat noch zu keiner abschließenden Einschätzung gekommen. „Beim Gebäudesektor können wir die knappe Überschreitung des Jahresziels angesichts der großen Unsicherheit der berechneten Daten dagegen weder bestätigen noch verwerfen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes besteht allerdings für beide Sektoren die Notwendigkeit eines Sofortprogramms“, so Henning weiter.

Höchster prozentuale Rückgang seit 1990

Diese Sofortprogramme wären aber nicht notwendig, wenn die CO2-Reduktion sektorenübergreifend betrachtet würde, wie es mit einem novellierten Klimaschutzgesetz der Fall wäre. Denn insgesamt bestätigte der Expertenrat einen starken Rückgang der Emissionen im Jahr 2023 gegenüber 2022. Insgesamt sanken sie um rund zehn Prozent von 750 auf 674 Megatonnen CO2-Äquivalente. Dies sei der höchste prozentuale Rückgang binnen eines Jahres seit 1990. Allein der Sektor Energiewirtschaft verzeichnete einen Rückgang um 20 Prozent (-52 Megatonnen CO2-Äquivalente), während Industrie- und Gebäudesektor auf jeweils 8 Prozent mit 13 und 8 Megatonnen CO2-Äquivalente kamen.

Als wesentliche Gründe für den starken Rückgang sah der Expertenrat die milde Witterung sowie den Produktionsrückgang der energieintensiven Industrie, wodurch die Stromnachfrage sank und auch die Verstromung von Kohle abnahm. Die generell schwache Wirtschaftsleistung trugen auch zum Rückgang der Emissionen im Straßengüterverkehr bei, während die Emissionen durch den Pkw-Verkehr zunahmen, wie der Expertenrat weiter ausführt. Für den Gebäudesektor sieht er die Gründe für die Minderung bei den Gaseinsparungen und einem verstärkten Umstieg auf Wärmepumpen.

„Ohne den Rückgang der energieintensiven Industrie und die erneut milde Witterung im Jahr 2023 hätten die Emissionen deutlich höher gelegen“, so Henning weiter. „Damit wäre das implizite Jahresziel für alle Sektoren in Summe vermutlich nicht erreicht worden. Der Rückgang des Heizbedarfs kann sich allerdings aufgrund steigender Temperaturen tendenziell verstetigen.”

Weniger Mittel aus dem KTF zur Verfügung

Der Expertenrat betrachtet jedoch nicht nur die CO2-Emissionen, sondern auch die Entwicklung der politischen Rahmenbedingungen sowie die bereits nach den 2023 festgestellten Zielverfehlungen bei Verkehr und Gebäude eingeleiteten Sofortprogramme. Zu ersterem heißt es, dass speziell das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt für die eingetretenen Kürzungen beim Klima- und Transformationsfonds (KTF) verantwortlich ist. „Das KTF-Urteil resultiert in Mittelkürzungen in diesem Jahr und engt den Spielraum für die folgenden Jahre ein. Da fast die Hälfte der Maßnahmen des Klimaschutzprogramms fiskalischer Natur sind, verringert dies die Wahrscheinlichkeit, dass die angenommene Minderungswirkung tatsächlich eintritt,” erklärte die stellvertretende Vorsitzende, Brigitte Knopf.

Daneben seien jedoch auch „weitere Umsetzungsdefizite“ bei den Sofortprogrammen Gebäude und Verkehr festzustellen. Im Gebäudesektor verstärkt die weniger ambitionierte Umsetzung des Klimaschutzprogramms die Zweifel an der Erreichbarkeit der angestrebten Minderungswirkung, so das Urteil des Expertenrates. Auch im Verkehrssektor sei bei einigen Maßnahmen eine verminderte Wirkung zu erwarten, gleichzeitig ist eine Zunahme des Pkw-Verkehrs zu beobachten. „Die erneute Betrachtung hat noch einmal bekräftigt, was wir bereits im letzten Sommer gesagt haben: Die im Klimaschutzprogramm beschlossenen Maßnahmen für Gebäude und Verkehr reichen nicht aus, um die sektoralen Ziele zu erreichen. Vor allem im Verkehrssektor verbleibt eine erhebliche Erfüllungslücke bis 2030”, so Knopf.

Vor diesem Hintergrund wird die FDP sicher nicht locker lassen und auf das neue Klimaschutzgesetz in seiner ursprünglich geplanten Form beharren. Davon, ob die Grünen bereit sind, auf Nachschärfungen zu verzichten, wird letztendlich abhängen, wann und ob das „Solarpaket 1“ kommt. Dieses Faustpfand hält die FDP derzeit fest in ihren Händen.

Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert werden. Wenn Sie mit uns kooperieren und Inhalte von uns teilweise nutzen wollen, nehmen Sie bitte Kontakt auf: redaktion@pv-magazine.com.