Modulschwemme und Preissturz – Was ist bekannt?

Teilen

Dunkle Wolken hängen über dem europäischen Solarmarkt. Solarpower Europe spricht sogar von einem „perfekten Sturm“. Seit Januar sind die Modulpreise um knapp 30 Prozent gefallen. Marktbeobachter wollen für große Freiflächenanlagen bereits Angebote für 0,11 Euro pro Wattpeak gesehen haben. Der Schweinezyklus der Solarwirtschaft dreht erneut seine Runde, ausgerechnet jetzt, wo die EU-Kommission genauso wie die Bundesregierung den Wiederaufbau einer eigenen Produktionskette für Photovoltaikprodukte plant und Unternehmen sich auf den Weg gemacht haben.

Nicht zuletzt deshalb debattieren die Beteiligten emotional aufgeladen auf sozialen Medien und teilweise auch in den Kommentarspalten bei pv magazine, ob „Maßnahmen“ sinnvoll oder angebracht sind, um Modulimporte aus China zu beschränken. Darüber berät am Donnerstag auch die Energieministerkonferenz der Länder. Sachsen-Anhalts Energieminister Armin Willingmann hat den Vorsitz der Runde und spricht in der Ankündigung von unlauterem Wettbewerb und davon, dass die „Modulschwemme“ ihre Ursache in einem Importverbot der USA für Module aus Silizium aus der Region Xinjiang hat, wo Produktionen unter dem Vorwurf der Zwangsarbeit stehen. Was in den USA nicht verkauft werden könne, werde  nach Europa verschifft, so die Vermutung, fülle hier die Lager und lasse die Preise fallen, verstärkt durch „Dumping“ in China. Mit Maßnahmen, die in der Presserklärung nicht näher definiert werden, können dann zum Beispiel Einfuhrzölle gemeint sein, um auf das angenommene Dumping zu reagieren, oder Einfuhrverbote, um auf die angenommene Zwangsarbeit zu reagieren.

Preissturz muss man differenziert betrachten

Die Gründe für den Preissturz der Module sind nach Aussagen von Analysten jedoch komplex und lassen sich nicht einfach mit einem vermuteten chinesischen Dumping erklären. Analysten schätzen den Vorrat an Modulen ab, indem sie die Ausfuhrdaten von den großen Überseehäfen aus China mit den Installationsvolumina in Europa abgleichen. Die Ausfuhrdaten aus China gibt es nirgends offiziell nachzulesen. Die Analysten haben ihre eigenen Wege, solche Daten zu erhalten. Die Installationsvolumina sind kurzfristig geschätzt und werden erst mit etwas zeitlichem Abstand präziser. Das ist der Grund, warum Analysten eine gewissen Ungenauigkeit bei den Daten zum Modulvorrat einräumen. Hier geht es aber um einige wenige Gigawatt im europäischen Maßstab. Zum Vergleich: das Bundeswirtschaftministerium rechnet für 2023 mit einem Photovoltaikmarkt in der Europäischen Union von 70 bis 100 Gigawatt.

Im Juni berichteten die Analysten von Rystad Energy zu ersten Mal darüber, dass sich im Hafen von Rotterdam die Module stapeln würden. Von 40 Gigawattpeak in den Lagerhallen war die Rede, wobei die Analysten bis zum Jahresende einen Modulberg von 100 Gigawatt prognostiziert hatten. Marius Mordal Bakke, Analyst bei Rystad und Autor der Analyse korrigierte nun im Gespräch mit pv magazine seine Prognose über die Höhe des Modulbergs bis zum Jahresende. „Der Markt hat reagiert und die Unternehmen haben ihre Bestellungen stark zurückgefahren“, sagt er. An den Ausfuhrdaten von Modulen aus China in Richtung Europa liest er ab, dass die Lagerhaltung bei in etwa 40 Gigawatt stagniert. Die Hersteller würden nicht den europäischen Markt überfluten, ohne dass Großhändler und Projektentwickler entsprechende Bestellungen aufgeben, sagt er.

Die 40 Gigawatt lassen sich durch die Marktdynamik in Europa erklären. Der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise sorgten im Jahr 2022 dafür, dass viele Hausbesitzer sich für Photovoltaik, Wärmepumpe und Elektroauto entschieden haben. Gleichzeitig waren wegen der Pandemie, die ja auch erst im Frühjahr halbwegs überstanden war, die chinesischen Fertigungskapazitäten noch nicht wieder vollständig hochgefahren. Großhändler konnten oft nicht liefern und haben oft keine neuen Kunden bedient. Aufträge wurden abgelehnt. Bestandskunden wurden in Kategorien je nach Priorisierung eingeteilt. Darauf folgte eine Gegenreaktion. „Händler in ganz Europa sahen, dass ihre Bestände zur Neige gingen und bestellten massiv, um ihre Kunden sofort beliefern zu können“, sagt Edurne Zoco, Analystin bei S&P Global. Zu dieser Zeit kämpften die Vertriebler der Großhändler um jeden Container aus China, wie bekannte Großhändler gegenüber pv magazine einhellig berichten.

Die Vertriebsmitarbeiter der Modulhersteller korrigierten in der Folge ihre Erwartung an die Nachfrage immer wieder nach oben. Auch das hat dazu beigetragen, dass die Hersteller die Produktionskapazitäten hochgefahren und ausgebaut haben. Der Markt wendete sich von einem „Verteilmarkt“, bei der knappe Ware zugeteilt wurde, zu einem „Käufermarkt“, bei dem der Preis zählt und jede Nachfrage erfüllt werden konnte. Mit der Erfahrung von 2022 im Hinterkopf füllten Großhändler ihre Lagerhallen. Man wollte nicht noch einmal Kunden verprellen müssen. Was nicht ins Lager passte, blieb im Hafen. Diesen Sommer beobachteten die Analysten von Rystad, BNEF und auch S&P Global relativ übereinstimmend eine Lücke zwischen Import und Installation von Modulen von 40 bis 60 Gigawatt.

Gleichzeitig veränderte sich der europäische Markt. Zum einen haben sich die Energiepreise ein Stück weit normalisiert. „Das Wachstum des Aufdachmarktes im Jahr 2022 in Europa war durch die Energiekrise und die hohen Strompreise beachtlich, aber dieses Gefühl der Dringlichkeit für Installationen im privaten und gewerblichen Sektor hat nachgelassen, als die Strompreise von den Rekordpreisen zurückkamen“, sagt die S&P Global Analystin Edurne Zoco. Am 1. Januar kostete die Kilowattstunde für Neukunden in Deutschland laut Verivox im Durchschnitt rund 44 Cent. Der Wert sinkt seither stetig. Jetzt zahlen Neukunden im Durchschnitt nur noch 29 Cent pro Kilowattstunde. Der Effekt ist offensichtlich: Bei sinkenden Strompreisen sinkt die Motivation, in Photovoltaik zu investieren. Zum anderen stiegen die Zinsen, was die Finanzierung deutlich teurer macht. Die Negativ-PR um das Gebäudeenergiegesetz tat ein Übriges, da viele im Zusammenhang mit einer Wärmepumnpe über eine Photovoltaikinstallation nachgedacht haben.

Die Party ist vorbei

Die Nachfrage im Aufdachsegment bleibt zwar vergleichsweise stark, entwickelte sich aber nicht so wie es Hersteller und viele Großhändler noch im ersten Quartal erwarten haben. Die Nachfrage blieb dadurch weit unter den Erwartungen. Bei einem Überangebot an Modulen fallen die Preise. Die Module, die seit Wochen im Hafen liegen, sind teurer eingekauft worden als sie in Zukunft verkauft werden können. Für Großhändler ist das ein ernsthaftes Problem. Großhändler, die 500-Watt-Module für 0,25 Euro pro Watt einkaufen konnten und jetzt für nur noch 0,15 Euro pro Watt an Projekte verkaufen können, haben mit einem ernsthaften Kapitalverlust im Lagerbestand zu kämpfen. „All diese Bestände wurden zu „toxischen Beständen“, da sie zu einem viel niedrigeren Preis als dem Einkaufspreis oder sogar dem Herstellungspreis verkauft werden mussten“, sagt Zoco.  „Einige Händler befinden sich jetzt in finanziellen Schwierigkeiten, und es besteht ein nicht zu unterschätzendes Insolvenzrisiko.“

Jeder, der auf Modulen sitzt, das sind sowohl chinesische Modulhersteller als auch europäische Großhändler,versucht die Waren jetzt loszuwerden, auch unter Wert. „Cashflow before profit“ lautet die Devise. Das ist erst einmal nicht unlauter, sondern normale Geschäftspraxis in einer angespannten Marktsituation.  Als rechtliche Definition von Dumping gilt laut Welthandelsorganisation nicht nur die Tatsache, dass Preise unter den Herstellungskosten liegen. Es ist auch relevant, ob die Hersteller in den Ländern, in die sie exportieren, die gleichen Preise verlangen, wie in ihrem Heimatmarkt. Unsere Redaktion hat sich vor Ort in China umgehört. In China wurden uns Preise für neue p-Typ- Module zwischen 0,156 Cent und 0,164 Cent pro Wattpeak genannt. Für neuen n-Type Module liegen die durchschnittlichen Preise etwas höher bei 0,166 bis 0,176 Cent pro Wattpeak.

Der absolute Minimumwert von 11 Cent pro Wattpeak ist keine durchschnittliche Preisangabe. Viel mehr hat ein Hersteller hier vermutlich alte Perc-Module „abgeworfen“. „Uns liegen Bestätigungen für Notverkäufe zum Abbau von Beständen sowie für die Umleitung einiger Mengen in andere Teile der Welt vor“, sagt Zoco. Das Problem besonders großer Modulvorräte laut der Analysten, mit denen wir gesprochen haben, ein globales. Zoco nennt zum Beispiel Brasilien als Zielort für die Modulumleitungen.

Der Umstieg auf die Topcon-Technologie, der gerade in großem Maßstab stattfindet, ist ein weiterer Grund für den Preisverfall. Perc-Hersteller können, ja müssen, sehr bald auf Topcon umsteigen. Das bedeutet, dass sie Lagerbestände an Perc-Zellen schnell aufgebraucht und zu Modulen verbarbeitet haben, vermuten sowohl Großhändler als auch die Analysten – jedoch mit Vorsicht. Der Vorgang erscheint plausibel, lässt sich aber kaum belegen. Dennoch – mit dem schnellen Umstieg auf Topcon und Heterojunction fallen die Preise für Perc -Module naturgemäß. Einige Hersteller lassen sich daher zu „fire sales“ hinreißen. Das sind Räumungsverkäufe, bei denen es wichtiger ist, das Kapital, das in den Modulen gebunden ist, wieder freizumachen. Je länger man wartet, umso höher könnten die Verluste ausfallen. Zum anderen brauchen einige Hersteller das Geld, um überhaupt zahlungsfähig zu bleiben.

Auch für die chinesischen Hersteller ist die Situation angespannt. Auch sie fahren Verluste ein. Jenny Chase, Analystin bei BNEF sieht durchaus die Möglichkeit, dass der aktuelle Preiskampf auch zu Insolvenzen bei chinesischen Herstellern führen wird – wie in jedem Schweinezyklus der Solarbranche. Wirklich ausschlaggebend dafür werde die interne chinesischen Nachfrage nach Modulen in den Jahren 2024 und 2025 sein. „Es ist noch zu früh, um zu wissen, ob dies Auswirkungen auf die Konsolidierung auf der Ebene der Hersteller haben, wird“, sagt S&P Globals Edurne Zoco.

Dumping oder Wrights Law?

Ob die Preise unter den Herstellungskosten liegen, ist dabei umstritten. Die meisten Mainstream Module werden laut den Aussagen der Analysten für Projekte ab zehn Megawatt zwischen 14 und 16 Cent pro Watt verkauft. Die Kosten-Lernkurve ist ein empirischer Ansatz, um abzuschätzen, wie sich eine Industrie entwickelt. Wenn sich die produzierte Kapazität verdoppelt, sinken die Produktionskosten um einen bestimmten Prozentsatz. In der Solarindustrie lag in der Vergangenheit die Kostenreduktion bei 20 Prozent bei jeder Verdopplung. Vom Jahr 1976 angefangen, wo das Wattpeak noch 100 US-Dollar kostete, bis heute stimmt die die Preis-Lernkurve einigermaßen gut – 2008 gab es einen Ausreißer. Und heute? Im Jahr 2020 lag die globale installierte Kapazität bei 774 Gigawatt. Die Preise lagen nach dem Preisindex von pvXchange für Mainstream-Module bei 0,21 Euro pro Wattpeak. Dieses Jahr lag die kumulierte installierte Leistung bei 1.500 Gigawatt. Nach der Lernkurve könnte man danach bei 0,168 Euro pro Watt liegen. Das sind Preise, die sich durch Angebot und Nachfrage von den Kosten, die nur die Hersteller selbst genau kennen, unterscheiden können. Doch der Ansatz zeigt, dass der Preissturz nicht grundsätzlich so unmöglich erscheint, dass man ihn direkt mit Subventionen und Dumping erklären muss.

Die Analysten und Großhändler, mit denen wir gesprochen haben, erwarten, dass es noch bis ins erste Quartal des kommenden Jahres hinein dauern wird, bis die Lagerhaltung wieder auf ein in normalen Zeiten übliches Maß abgebaut ist. Die Fronten bei der Diskussion über mögliche Maßnahmen, die Einfuhr chinesischer Module zu erschweren, verlaufen derweil unverändert wie in der „Zollperiode“ 2013 bis 2018. Dass Zölle ein probates Mittel sein könnten, die europäische Fertigung anzukurbeln bezweifeln viele der Großhändler, Projektentwickler und Analysten, mit denen wir gesprochen haben. Werden Photovoltaikprodukte teurer, sinkt die Nachfrage. Im Zweifel braucht es dann mehr öffentliche Förderung.

Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert werden. Wenn Sie mit uns kooperieren und Inhalte von uns teilweise nutzen wollen, nehmen Sie bitte Kontakt auf: redaktion@pv-magazine.com.