Wofür benötigen wir Energiegemeinschaften?
Walter Kreisel: Der Strom nimmt bekanntlich immer den kürzesten Weg, wenn jemand also viel Strom mit seinem Photovoltaik-Speicherkraftwerk produziert und ins Netz einspeist, dann wird er in den Häusern seiner Nachbarn verbraucht. Vom Erzeuger zum Verbraucher legt der Solarstrom also vielleicht 50 Meter bis 500 Meter zurück. Erinnern sie sich zurück, früher gab es im Telefonnetz Ortsgespräche, Ferngespräche und Auslandstelefonate und jede Entfernung hatte seine eigene Gebühr. Ortsgespräche waren am günstigsten. Für eine Stromlieferung sind die Kosten aber immer gleich hoch, egal ob sie von nebenan oder aus Frankreich kommt. Das ist diskriminierend.
Inwiefern?
Sobald der Strom ihr Grundstück verlässt und durch das öffentliche Stromnetz fließt, und sei es auch nur ein paar Meter, müssen sie in Deutschland die vollen Netzgebühren und alle Umlagen und Steuern bezahlen. Der Strom, der keinerlei Umwege genommen und nicht einmal über Trafos oder auch Umspannwerke, Hochspannungsleitungen geflossen ist, wird dadurch genauso teuer oder sogar noch teurer als der von den großen zentral errichteten Energiekraftwerken.
Man könnte argumentieren, dass dadurch alle Stromverbraucher gleichbehandelt werden, warum sagen Sie das ist unfair?
Wer nur einen Teil des Netzes benutzt, sollte auch nur mit den Kosten für diesen Netzbereich belastet werden. Das ist nicht nur eine Frage der Fairness. Es entlastet unsere Netze und hilft somit dem Ausbau von erneuerbaren Energien und somit der Energiewende. Wenn nämlich regionale Energiegemeinschaften Strom auf den untersten Netzebenen austauschen und Angebot und Nachfrage lokal mittels intelligenter Ansteuerung in Übereinstimmung bringen, indem sie Stromspeicher aber auch Wärmeerzeuger wie Heizstäbe oder Wärmepumpen betreiben oder Elektroautos laden, wenn zu viel Strom produziert wird und zurück regeln, wenn es zu wenig gibt, entlasten sie die übergeordneten Netzebenen bei gleichzeitig wesentlich günstigerer Verteilung. Mit unserem Produkt „Kluub“ bringen wir Angebot und Nachfrage innerhalb der Energiegemeinschaften in Übereinstimmung, dann profitieren alle, sogar finanziell, weil nur noch für den Solarstrom eine Einspeisevergütung gezahlt werden müsste, welcher von der Community nicht verbraucht wird. Das heißt, dass der Stromverkäufer (Prosumer) mehr für seinen Strom bekommt, und der Stromkäufer (Consumer) weniger dafür bezahlt. Deshalb hat die EU alle Mitgliedsstaaten beauftragt, die einheitlichen Netzgebühren über alle Netzebenen auf auf die jeweiligen tatsächlichen Kosten zu reduzieren, um lokalen Energiehandel regional zu ermöglichen. Das ist eine Winwin-Situation. Die Renewable Energy Directive II (RED II) hätte genau darum eigentlich schon im Juni 2021 in Deutschland umgesetzt sein müssen.
Wann rechnen Sie damit, dass diese Regel in Deutschland kommt?
Ich gehe davon aus, dass es in den nächsten 18 Monaten passiert. Allerdings, und das ist der Knackpunkt, muss Deutschland dann die Netzgebühren für jede einzelne Netzebene festlegen und das wird dazu führen, dass Anschlüsse an der Niederspannung günstiger werden und Anschlüsse an der Mittel- und Hochspannung teurer. Für große Industriebetriebe könnte das zu höheren Stromkosten führen und Sie wissen ja, dass die Unternehmen die Preise schon jetzt für zu hoch halten. Das wird eine Challenge, aber am Ende gewinnt immer die Masse und auch die deutsche Politik wird dieses Erfolgsrezept umsetzen, da zweifeln wir in keinster Weise.
Österreich hat die Direktive schon umgesetzt, wie ist die Kostensituation dort?
Teilnehmer an unseren Energiegemeinschaften zahlen 12 bis 15 Cent weniger für den Strom, den sie über „Kluub“ beziehen, als für den normalen Netzstrom. Allein durch die Einführung der Direktive und deren Umsetzung, sind die Netzgebühren im Mittelspannungsbereich um 28 Prozent bis zur Niederspannung um 58 Prozent gesunken.
Wie funktionieren die Energiegemeinschaften in Österreich in der Praxis?
In Österreich können Energiegemeinschaften mit uns gegründet werden, sobald sich in einem Netzgebiet, also in einem Dorf oder in einer Kleinstadt zehn Haushalte finden, die mitmachen möchten. Alle Teilnehmer befinden sich dabei hinter dem letzten gemeinsamen Umspannwerk. Die Region umfasst durchschnittlich einen Radius von 55 Kilometern. Bei größeren Städten können in dem Umkreis hunderttausende Menschen wohnen. Jeder Teilnehmer, egal ob er Erzeuger (Prosumer) oder nur Stromverbraucher (Consumer) ist, braucht auch einen Smart Meter. Damit tracken wir, wer wann einspeist und wer Strom aus dem Netz zieht. An den Reststromversorger melden wir dann nur noch die Differenz. Weil diese Abgrenzung der Daten erst im Nachhinein erfolgt, wir aber Erzeugung und Verbrauch möglichst direkt ausgleichen wollen, steuern wir auf der einen Seite die Solarspeicher-Kraftwerke auf Basis von Daten und Algorithmen wie beispielsweise Wetterprognose versus Entwicklung der Börsenstrompreise, um somit für die Mitglieder einer Energiegemeinschaft die günstigsten Stromkosten zum richtigen Zeitpunkt zu generieren.
Was passiert, wenn der Strom, den ein Mitglied einspeist nicht für den Bedarf der anderen reicht?
Dann zieht man Strom in dem Moment vom Reststromversorger, der zur Flatrate oder zum Börsenpreis eben liefert, aber immer erst dann, wenn der Stromspeicher nachgeladen werden muss, um den größtmöglichen Preisvorteil aus den sehr starken Stromschwankungen bis zu Negativpreisen zu generieren und dabei wiederrum die Netze zu entlasten.
Können deutsche Neoom-Kunden direkt eigene Energiegemeinschaften gründen, wenn die EU-Regelung umgesetzt ist?
Ja, wir stehen bereit und können sofort loslegen da die technische Voraussetzung bei tausenden Kunden bereits getestet ist und sich in Deutschland von der Funktion her nicht anders verhalten wird. Mit Unterschieden rechnen wir höchstens bei der Ausgestaltung der Verträge, mit denen die Teilnehmer sich zusammenschließen und natürlich beim Thema Datenschutz.
Wie wahrscheinlich ist es aus Ihrer Sicht, dass die kommenden deutschen Regeln denen in Österreich ähneln oder entsprechen?
Sehr wahrscheinlich, denn wir arbeiten bereits an mehreren Projekten mit.
Was werden Sie tun, wenn sich die Umsetzung in Deutschland noch länger verzögert?
Mit unseren Systempartnern Photovoltaik-Speicher-Kraftwerke bauen, bauen und noch mal bauen, um maximal zu elektrifizieren und zu digitalisieren. Damit wir und unsere Kunden bereit sind für die wirkliche Demokratisierung, um die Energiewende real zu machen. Denn es ist nicht die Frage ob, sondern wann es passiert, und das wiederum entscheiden die Bürger.
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Zitat aus dem Artikel.
Walter Kreisel: Der Strom nimmt bekanntlich immer den kürzesten Weg, wenn jemand also viel Strom mit seinem Photovoltaik-Speicherkraftwerk produziert und ins Netz einspeist, dann wird er in den Häusern seiner Nachbarn verbraucht. Vom Erzeuger zum Verbraucher legt der Solarstrom also vielleicht 50 Meter bis 500 Meter zurück. Zitat Ende.
Grundsätzlich wird Physik in Deutschland der Öffentlichkeit anders erklärt.
Siehe hier:
https://www.welt.de/wirtschaft/article177778444/Energiewende-Deutschland-verschenkt-Oekostrom-im-Wert-von-610-Millionen-Euro.html
Deutschland verschenkt Ökostrom im Wert von 610 Millionen Euro
Womit wir wieder bei dem lukrativen deutschen Geschäftsmodel „Virtuell“ wären.
Genau das Versuche ich bei vielen Menschen zu vermitteln. Der Strom, den mein Balkonkraftwerk zurückspeist wird direkt von meinen Nachbarn verbraucht. Somit ist es reine Abzocke, wenn ich für den zurückgespeisten Strom kein Geld bekomme, während der Stromanbieter dafür den vollen Preis kassiert. Somit sollten NetMetering und rücklaufende Zähler erlaubt sein.
@ FelixFF
Und wenn der Preis über 40 Cent geht, greift der Staat ein mit der Strompreisbremse. Das kann für die Netzbetreiber ein lukratives Geschäft werden auf den Balkonen. Jetzt müssen die nur noch den Anbietern von solchen Anlagen deutlich machen, dass sie möglichst große Balkonkraftwerke auf den Markt bringen.
Genau so ist es, bloß gibt es wenige Leute die das verstehen!
Es gibt interessante Potenzialstudien zu Energiegemeinschaften oder auch Strom-Communities, die beispielsweise auf der Website des buendnis-buergerenergie veröffentlicht wurden. Es ist zu hoffen, dass bald auch in Deutschland das Potenzial der Bürgerenergiegesellschaften für die Energiewende genutzt wird.
Dann könnten Plattform wie z.B. https://eeg2go.at auch im deutschen Markt etabliert werden und Interessierten helfen, Energiegemeinschaften eigenständig zu gründen und regional ihren Strom selbst zu vermarkten. So kann jeder etwas für das ökologische Gemeinwohl tun und jeder von Erneuerbaren Energien profitieren. Man wird autarker, egal ob man selber Ökostrom produzieren kann oder nicht.
Grundsätzlich sollten Zweirichtungszähler eingebaut werden, die automatisch eingespeisten Strom nach aktuellem Börsenpreis vergüten. Es sollte egal sein wie, wo und wann der Strom erzeugt wird. Die Grenze sollten die Sicherungen sein. Die Netzbetreiber und der Staat sollten sich aus diesen KleinKlein heraushalten. Was hinter dem Zähler passiert geht ihm nichts an.
Derzeit herscht totale Willkür bei den Versorgern und es ähnelt eher einen Gnadenakt dass eingespeister Strom vergütet wird.
Die Stromanschlußkosten müssen reguliert werden. Auch hier herrscht Willkür. Wir sollen jetzt für den gleichen Anschluß den unser Nachbar hat den 5 fachen Preis zahlen. Hier herrscht totale Willkür.
Auch sollten die Qualifikationsgrenze deutlich erweitert werden. Es sollte genügen eine Meisterbrief im Elektrohandwerk oder einen Ingenieurstitel zu haben um eine Anlage anzumelden oder abzunehmen. Die Pflicht einen zugelassenen Handwerksbetrieb zu haben, der zertifiziert ist ( und bestimmte Beziehungen zum Versorger pflegt ) bremst, verteuert unnötig und schreckt viele ab.
Das klingt natürlich gut: Der Erzeuger bekommt mehr und der Käufer zahlt weniger. Beiden geht es besser. Eine Win-Win-Situation im Zeichen des ökonomischen Unverstandes!
Es ist nämlich eine Halbwahrheit und das ist so gut wie eine Lüge. Wie sieht die weggelassene Hälfte der Wahrheit aus? Die lokale Verbrauchs- und Erzeugungsgemeinschaft ist im Normalfall nicht autark. Manchmal hat sie Überproduktion, die sie dann doch wieder gerne ins Netz abgeben möchte, manchmal will jemand unbedingt Strom verbrauchen, obwohl keiner der lokalen Erzeuger etwas abzugeben hat. Dann muss wieder das Netz einspringen. Da auf den lokal erzeugten und verbrauchten Strom keine Netzabgaben erhoben werden (was zu dem vordergründigen Vorteil für Erzeuger und Verbraucher führt), müssen die Vorhalte- und Netzkosten auf eine geringere Strommenge umgelegt werden. Beim eingespeisten Strom macht sich das dann als geringere bis keine Einspeisevergütung bemerkbar, beim bezogenen Strom sind die aufgeschlagenen Netzgebühren entsprechend höher. Die Gesamtkosten bleiben im System nämlich gleich und müssen deshalb von den Verbrauchern bezahlt werden.
Es kann natürlich sein, dass bei stark steigenden Kosten für den Netzbezug manche Verbraucher ihr Verbrauchsverhalten kostendämpfend anpassen, aber ganz ehrlich: Wollen wir das wirklich? Schalten wir dann unsere Internet-Router aus, verschieben das Fernsehen oder die Waschmaschine in die Zeit, wenn wir den günstigeren Strom vom Nachbarn beziehen können? Viel Beeinträchtigung der Lebensqualität für wenig Ertrag.
Letztlich führen solche lokalen Verbrauchsmodelle zu wesentlich mehr Bürokratie mit entsprechenden zusätzlichen Kosten, und die Dienstleistung des Netztes muss trotzdem weiter bezahlt werden wie bisher, nur auf einer zweiten Rechnung vom Netzbetreiber.
Gibt es eine Möglichkeit, die Regierung oder Behörde für die Nichtumsetzung eines Gesetze, z.B. REDII zu verklagen und auch Schadenersatz zu fordern?