Porto Santo: Auf dem Weg zur ersten „smart fossil free island“ in Europa

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Mitten im Atlantik liegt die kleine Insel Porto Santo. Viel Sonne und Wind hat das zu Portugal gehörende Eiland nahe Madeira mit rund 5000 Einwohnern zu bieten. In den Sommermonaten ist es allerdings mit der malerischen Idylle manchmal schnell vorbei, denn Porto Santo lebt vornehmlich vom Tourismus und so kann sich die Einwohnerzahl locker vervierfachen, wenn die zahlreichen Hotels vor Ort ausgebucht sind.

Aufgrund seiner abgeschiedenen Lage hat Porto Santo natürlich keinen Anschluss an das Stromnetz auf dem Festland. Es setzt – wie so viele Inseln weltweit – für eine zuverlässige Stromversorgung daher vor allem auf Dieselgeneratoren. Die zuständige Regionalregierung von Madeira und der örtliche Energieversorger EEM haben jedoch begriffen, dass dies nicht die Zukunft sein kann. Sie unterstützen daher aktiv das Projekt der französischen Renault-Gruppe und des deutschen Technologieunternehmens The Mobility House. Gemeinsam wollen sie Porto Santo zur ersten „smart fossil free island“ in Europa machen – also zur ersten Insel, die ohne fossile Erzeugung auskommt, über eine intelligente Steuerung der Energieversorgung verfügt und dabei noch die Sektoren Strom und Verkehr koppelt. Um ihre Lösungen zu präsentieren, luden sie in dieser Woche Journalisten aus ganz Europa auf die Insel ein.

Bereits vor etwa einem Jahr startete das Projekt. Der größte Energiebedarf auf der Insel entsteht durch die notwendige Entsalzung des Meerwassers. Um die Wasserversorgung sicherzustellen, laufen die Dieselgenerationen auf Hochtouren und werden auch zur Stabilisierung der Netzfrequenz genutzt. Doch das soll sich ändern.

Das Konzept

Das Konzept von Renault, The Mobility House und EEM basiert zum einen auf der Stromerzeugung aus Photovoltaik und Windkraft. So gibt es einen großen Solarpark mit 2,3 Megawatt Leistung auf der Insel. Er gehört einem privaten Investor, stammt aus dem Jahr 2010 und erzeugte im vergangenen Jahr rund 3,2 Gigawattstunden Solarstrom, mit dem sich rund zehn Prozent des jährlichen Strombedarfs der Insel decken lassen, wie ein EEM-Vertreter erklärt. Dazu kommen über die Insel verstreut weitere 19 dezentrale Photovoltaik-Anlagen auf Dächern und Freiflächen mit insgesamt 340 Kilowatt Leistung.

In Sichtweite des Solarparks dreht sich das bislang einzige Windrad der Insel. Es steht dort seit der Jahrtausendwende. Insgesamt kommen Photovoltaik und Windkraft derzeit auf einen Anteil von rund 15 Prozent der Stromerzeugung Porto Santo.  Die Menge reicht dem EEM-Vertreter Diogo Vasconcelos zufolge aus, um 76 Prozent des Strombedarfs der privaten Haushalte oder 53 Prozent der Hotels zu decken. Beim Energieversorger hofft man künftig auf noch mehr private Investitionen in Photovoltaik-Anlagen auf der Insel und prüft die Installation weiterer Windkraftanlagen.

Die drei Batterien stammen aus Renault Elektrofahrzeugen und speichern nun Strom auf Porto Santo.

Foto: Sandra Enkhardt/pv magazine Group

Der Anteil der Erneuerbaren dürfte sich künftig also erhöhen. Dies wäre auch der Fall, ohne dass substanziell neue Anlagen zugebaut werden müssten. Denn mittlerweile hat Renault ausgediente Fahrzeugbatterien aus seinen Elektromodellen Zoe und Kangoo nach Porto Santo geliefert und dort installiert. Die elf Batterien verfügen noch über eine Leistung von 132 Kilowatt. Für den Einsatz auf der Insel als Second-use-Speicher mussten sie nicht einmal umgebaut werden und sind parallelgeschaltet, wie die Renault-Projektleiterin Cecile Goury erklärt. Sie geht davon aus, dass die Autobatterien noch mindestens zehn Jahre halten werden. Der Vorteil bei diesem Einsatz der Batterien: Sie können als Second-use-Speicher optimaler als in Fahrzeugen betrieben werden.

Dazu kommen 20 unidirektionale Elektrofahrzeuge von Renault, die seit einiger Zeit auf Porto Santo unterwegs sind. Sechs davon werden als Taxen oder Shuttle genutzt. Aber auch die örtliche Polizei und EEM setzen Elektroautos ein. Die Auswertung ein Jahr nach Projektstart ergab Renault zufolge, dass es 224 verschiedene Nutzer mit den Elektrofahrzeugen gab. Die Touren summierten sich auf 212.520 Kilometer. Beachtlich für das kleine Eiland mit einer Gesamtlänge von rund elf Kilometern und einer maximalen Breite von sechs Kilometern.

Die Kombination aus Photovoltaik, Windkraft und Speichersystemen könnte die Insel also irgendwann „fossil free“ machen, doch sie macht sie noch nicht unbedingt smart. Dafür sorgt der Marktplatz von The Mobility House, der Elektrofahrzeuge in das Konzept einbindet. Die nächste Stufe wird durch die zwei bidirektionalen Elektroautos gezündet. Sie kurven seit kurzem auf der Insel umher. Im nächsten Jahr sollen es über 100 Elektrofahrzeuge sein, wobei die meisten für das unidirektionale Laden geeignet sein werden. Sie dienen in dem Konzept eher als intelligente Abnehmer des Stroms, etwa in den Spitzenzeiten, wenn Photovoltaik- und Windkraftanlage auf Hochtouren laufen.

Der Marktplatz von The Mobility House vernetzt die Elektrofahrzeuge mit der Stromversorgung, so dass die Autos netzdienlich agieren.

Foto: Sandra Enkhardt/pv magazine Group

Smart wird die Insel vor allem durch die bidirektionalen Fahrzeuge, denn sie können nicht nur überschüssigen Strom aufnehmen und zwischenspeichern, sondern bei Bedarf auch Strom zurück ins Netz speisen, wenn dies etwa für die Frequenzhaltung gebraucht wird. Diese sogenannte Vehikel-to-Grid-Dienstleistung bietet The Mobility House auch in Deutschland an. So erhielt es vor einigen Monaten die Zulassung für ein Fahrzeug für den Primärregelenergiemarkt. In der Regel erfolgt bei Bedarf aus dem Netz nicht die komplette Entladung der Batterien der Fahrzeuge. Es wird ein Signal gesetzt, bis zu dem die Batterie entladen werden darf. All das lässt sich über die App von The Mobility House steuern.

Auf Porto Santo können die Autos als Pufferspeicher durchaus wichtig werden. Während man sich auf der Insel kaum vorstellen kann, dass der Wind mal aufhört zu wehen, können die schnell vorbeiziehenden Wolken für einen rasanten, kurzzeitigen Abfall der eingespeisten Solarstrommenge sorgen. Dann ist es gut, sekundenschnell Strom zur Verfügung zu haben, um den Bedarf zu decken und das Netz stabil zu halten. Der Fall andersherum ist natürlich genauso denkbar, sobald die Sonne wieder hinter den Wolken hervorkommt.

Im Falle der Energieversorgung von Porto Santo übernimmt eine App von The Mobility House die Ansteuerung und das Lastmanagement. „Mit dieser Softwarelösung ist auch die Skalierung des Modells kein Problem“, sagt The Mobility House-Geschäftsführer Thomas Raffeiner. Der Marktplatz des Münchner Unternehmens ist vor allem dann gefragt, wenn es um das intelligente Laden der Fahrzeuge geht. Alle Informationen über Erzeugung und Verbrauch laufen dort auf. Der aktuelle Stand entscheidet dann, ob geladen wird oder die Besitzer noch warten müssen. Zumindest aus Sicht der Energieversorgung ist das smart. Für Autobesitzer, die nicht warten können, vielleicht manchmal auch nervig.

Voraussichtlich im Herbst ist zudem der Bau eines Speichers von ABB mit vier Megawatt geplant, wie Agostino Figueira von EEM erklärt. Mit seiner Kapazität von drei Megawattstunden soll er weiter dabei helfen, den Einsatz von Dieselgeneratoren weiter zu senken. Bereits jetzt trägt die Photovoltaik gerade in den Mittagsstunden dazu bei, dass die sechs Dieselgeneratoren nicht immer auf Hochtouren laufen. Das spart dem Energieversorger der Insel dann auch bares Geld, das er nicht in den Kauf von Diesel und Schweröl investieren muss. Nach Aussage von Figueira lag der Dieselverbrauch im vergangenen Jahr bei rund 500.000 Litern und der Kraftstoffe bei 1,8 Millionen Kilogramm Schweröl auf der Insel.

Ein Vorteil für den weiteren Fortschritt des Projekts dürfte sein, dass die Projektpartner die Elektroautos den Einwohnern der Insel auch kostenfrei zur Verfügung stellen. Dies soll zum einen die Akzeptanz für das Projekt vor Ort steigern und die Mehrwerte direkt für die Bevölkerung greifbar machen, wie Patricias Dantas, Vizepräsidentin und Sprecherin der Regionalregierung der autonomen Region Madeira betont. Sie verspricht auch, dass die Politik demnächst auch finanzielle Anreize für den Kauf von Elektroautos schaffen will. Das könnte helfen, um das Projekt weiter zu skalieren.

Raffeiner hingegen betont: „Wir wollen ja, dass die Autos auch gefahren werden. Nur so bekommen wir Platz in den rollenden Speichern, um sie im Fall der Fälle auch wieder laden zu können.“ Doch mit der Lieferung der ersten zwei bidirektionalen Fahrzeuge ist das Projekt Porto Santo für die beteiligten Unternehmen noch lange nicht beendet, im Gegenteil. Bei seiner Ladeinfrastruktur setzt Renault dabei komplett auf AC-Technologie. Dies erlaube den Einsatz von weniger Komponenten und mache die Fahrzeuge samt Infrastruktur insgesamt günstiger, sagt Nicolas Schottey, stellvertretender Programmdirektor für Elektrofahrzeuge bei Renault.

Die Erschwinglichkeit ist neben der Skalierung der Elektromobilität eines der immer wiederkehrenden Schlagworte bei dem französischen Autokonzern. Immerhin rund 230.000 Elektroautos auf Europas Straßen und eine neue Plattform mit Nissan sollen dem Geschäft von Renault einen weiteren Push geben. Den Tippingpoint, also wenn Elektrofahrzeuge kostenseitig mit Benzinern konkurrieren können, hält Eric Feunteun, Direktor für das Elektrofahrzeugprogramm und Neue Geschäftsfelder bei Renault, im Jahr 2025 für möglich. Es sei allerdings auch abhängig von der Entwicklung der Batteriekosten.

Schon bis zum nächsten Jahr soll die Zahl der Ladepunkte von derzeit 40 weiter ausgebaut werden. Dann sollen auch 100 Elektrofahrzeuge über die Insel cruisen, das wären immerhin rund zehn Prozent aller Autos. In diesem Zuge soll auch das Carsharing-Konzept und das intelligente Laden weiter ausgebaut werden. Für letzteres plant der Energieversorger auch Anreize zu schaffen.

„Porto Santo ist für uns ein Laboratorium, um zu entdecken, wie die elektrische Revolution unser alltägliches Leben jenseits des Verkehrs verändert“, sagt Feunteun. Mit der Umsetzung in Porto Santo will Renault ein Businessmodell schaffen, das auch auf andere Inseln übertragen werden kann. Und Feunteun kündigt bereits die nächsten konkreten Projekte an, etwa in Belle-Ile-en-Mer und der französischen Überseeinsel La Reunion. Aus Sicht der Projektpartner muss das Modell keinesfalls auf Inseln beschränkt bleiben. Es lasse sich auch auf Regionen oder Städte übertragen. „Und die Skalierung ist dabei das kleinste Problem“, verspricht Raffeiner.

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