Schlecht für die Branche – doch leider geil

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„Es tut mir leid, doch ich muss leider gestehen: es gibt Dinge auf der Welt die sind – leider geil“, singt treffend und selbstkritisch die deutsche Hip-Hop-Formation Deichkind. Das Gleiche fällt zumindest mir bei der aktuell wiedereinsetzenden Abwärtsspirale der Modul- und Zellpreise ein. Natürlich ist uns allen klar, dass dabei wieder einige Firmen – vor allem Modulproduzenten – auf der Strecke bleiben werden. Auch wir Großhändler werden zu kämpfen haben mit der Unsicherheit des potenziellen Abnehmers, der sich nicht entscheiden kann, ob er jetzt oder doch lieber erst in ein paar Wochen oder gar Monaten kaufen soll. Doch wenn man ehrlich ist und es ernst meint mit dem Umbau des weltweiten Energiesystems, dann sind fallende Preise – leider geil.

Was ist der Grund für den anhaltenden Abwärtstrend trotz allgemein gestiegener Nachfrage? In erster Linie ist es die bereits im Mai erfolgte, einigermaßen überraschende Ankündigung der chinesischen Regierung, die Fördermaßnahmen und Programme für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien signifikant zu kürzen. Analysten erwarten in China einen Rückgang der PV-Installationszahlen von 20 bis 30 Gigawatt gegenüber dem vergangenen Jahr, was angesichts der vor allem in Asien stark ausgebauten Produktionskapazitäten durchaus dramatisch zu nennen ist. Als Grund für die Deckelung des Zubaus werden unter anderem die hohen Kosten genannt, die aus dem enormen Zubau der vergangenen Jahre entstanden sind, sowie Probleme beim Netzausbau und beim Anschluss der neuen Anlagen. Selbst wenn der Rückgang in China dank der Kompensation durch andere schnell wachsende Märkte auf die globalen Nachfrage längerfristig nur einen geringen Einfluss hätte, steigt der Druck auf die Photovoltaik-Hersteller angesichts der bereits bestehenden Überkapazitäten schon jetzt deutlich.

Verzögerung in der Projektrealisierung einerseits sowie Unsicherheit in Bezug auf die zukünftige Modulpreisentwicklung andererseits haben in den vergangenen Wochen bei einigen der großen Hersteller zu Stornierungen in größerem Stil geführt. Manche gewichtige Player in der Branche fühlen sich offenbar einfach nicht mehr an – vielleicht zu lasch formulierte – Abnahmevereinbarungen gebunden, was den Lieferanten jetzt gehörig zu schaffen macht. Warum sie das tun? – Weil sie es können! In Zeiten des Oversupply ist der Kunde plötzlich wieder König und rächt sich dafür, in der Vergangenheit vielleicht ein paarmal zu oft hängen gelassen worden zu sein. Vorbei ist die Marktsituation, in der sich der Modulhersteller mit fadenscheinigen Argumenten aus der Affäre zieht, weil er in einem anderen Markt ein paar Cent mehr verdienen kann, und ihm seine Käufer dennoch nicht weglaufen. Nun wird der Spieß umgedreht! Schlecht für die Firma, gut für den Marktpreis, gut für den Kunden – leider geil.

Eine neue Runde im scheinbar ewig wiederkehrenden Schweinezyklus ist angebrochen. Nach einem Mangel an preiswerten Modulen aufgrund künstlich herbeigeführter Engpässe durch die Marktregulierungen in den USA und in Europa und den daraus resultierenden stagnierenden Preisen, sehen wir jetzt einer Modulschwemme entgegen, welche die Preise zwangsläufig purzeln lässt. Was gestern noch preiswert erschien, ist heute im Marktvergleich schon wieder zu teuer. Das lässt den Käufer von Solarsystemen natürlich zögern und die Lagerbestände, die momentan beinahe wieder wöchentlich abgewertet werden müssen, wachsen. „Ich liebe diese Branche – es wird nie langweilig“, meinte kürzlich ein befreundeter Großhändler nicht ohne zynischen Unterton zu mir.

Planungssicherheit? Fehlanzeige! Damit aber haben sich die alten Hasen der Photovoltaik-Branche schon lange etabliert. Die Neueinsteiger hingegen machen große Augen und wundern sich, warum ihre in anderen Branchen so bewährten Geschäftsmodelle im Solarbereich nicht so recht ziehen wollen. Im besten Falle schaffen sie es, sich der volatilen Marktsituation schnell anzupassen. In den meisten Fällen führt es jedoch zur Pleite und/oder zum Rückzug, nicht ohne gehörige finanzielle Einbußen.

Muss das Überleben in der Solar- beziehungsweise in der gesamten Energiebranche denn wirklich so unbequem und unvorhersehbar sein und wenn ja, warum? Solange die Solarwirtschaft – übrigens weltweit – noch am Tropf der durch rein wirtschaftliche Interessen der „alten“ und großen Industriezweige getriebenen Politik hängt, bleiben wir ein Spielball der durch den umweltbewussten Bürger und Wähler einer vermeintlich demokratisch geprägten Regierung nicht zu beeinflussenden Kräfte. Die Interessenvertreter der erneuerbaren Energiebranche sitzen bisher noch nicht einmal am Kindertisch des politischen Banketts, bestenfalls dürfen sie am Hinterausgang darauf lauern, dass man Ihnen nach Abschluss des Geschäftsessens ein paar Reste vor die Tür wirft. Gut für die Wirtschaft, schlecht für den Bürger, schlecht für die Umwelt – leider ungeil.

Kalle Remmers erwartet in seinem kürzlich veröffentlichten Ausblick auf die kommenden zehn Jahre „… für Deutschland […] wenig politischen Willen zur Umsetzung zentraler Projekte, die der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft dienen. In einem so stark regulierten Markt wie der Energiewirtschaft sind Innovationen so zum Scheitern an veralteten Regeln verurteilt“. Dem kann ich mich nur uneingeschränkt anschließen! Immer neue Lichtblicke kommen jedoch mittlerweile aus Brüssel, wo der Einfluss der Industrielobby auf die EU-Politik vielleicht nicht ganz so stark ist, wie auf die Lokalpolitik auf Länderebene. Nach der in meinem letzten Kommentar angesprochenen Klage wegen zu hoher Stickoxidbelastung in Städten kommen nun verbindlich formulierte Ziele für den europaweiten Ausbau der erneuerbaren Energien – nicht auf 35 Prozent, wie vom Parlament gefordert, doch immerhin auf 32 Prozent soll der Anteil bis 2030 steigen. Deutschland habe sich bei den Zielen als Bremser gezeigt, heißt es aus informierten Kreisen.

Was ist bloß aus dem Land geworden, welches sich noch vor Jahren auf dem internationalen Parkett als absoluter Vorreiter in Umweltfragen und als Architekt des Pariser Klimaschutzabkommens präsentiert hat. Nun kommen die Vorgaben also demnächst aus Brüssel und müssen dann binnen 18 Monate von den EU-Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Sollte dies nicht erfolgen, drohen erneute Klagen und empfindliche Strafen. Schlecht für die Merkel, schlecht für den Altmaier, schlecht für den Scholz – doch leider geil.

Übersicht der nach Technologie unterschiedenen Preispunkte im Juni 2018 inklusive der Veränderungen zum Vormonat:

ModulklassePreis (€/Wp)Veränderung
ggü. Vormonat
Beschreibung
High Efficiency0,42– 2,3 %Kristalline Module ab 285 Wp, mit Cello-, PERC-, HIT-, N-Type- oder Rückseitenkontakt-Zellen oder Kombinationen daraus
All Black0,44– 4,3 %Modultypen mit schwarzer Rückseitenfolie, schwarzem Rahmen und einer Nennleistung  zwischen 200 Wp und 320 Wp
Mainstream0,33– 2,9 %Module mit üblicherweise 60-Zellen, Standard-Alurahmen, weißer Rückseitenfolie und 260 Wp bis 280 Wp – sie repräsentieren den Großteil der Module im Markt
Low Cost0,24  0,0 %Minderleistungsmodule, B-Ware, Insolvenzware, Gebrauchtmodule (kristallin), Produkte mit eingeschränkter oder ohne Garantie

 

(Die dargestellten Preise geben die durchschnittlichen Angebotspreise für verzollte Ware auf dem europäischen Spotmarkt wieder, Stand 13.06.2018.)

— Der Autor Martin Schachinger beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema Photovoltaik und Regenerativen Energien im Allgemeinen. Er ist innerhalb der Photovoltaik-Branche bestens vernetzt, was nicht zuletzt auf sein kontinuierliches Engagement für die internationale Online-Handelsplattform für Solarkomponenten www.pvXchange.com zurückzuführen ist, welche er 2004 zusammen mit zwei Partnern ins Leben rief. Dort wird ein breites Spektrum an Markenprodukten, Neu- und Gebrauchtware mit unterschiedlichsten Spezifikationen angeboten.—

Die Blogbeiträge und Kommentare auf www.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion(at)pv-magazine.com.

 

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