In Europa hat der Stromhandel einen wesentlichen Anteil an den Schwankungen der Netzfrequenz. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie von Benjamin Schäfer und Marc Timme, Wissenschaftler am Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) sowie an der Technischen Universität Dresden, zusammen mit Kollegen in Jülich, London und Tokio. Demnach zeigt das europäische Netz alle 15 Minuten besonders starke Schwankungen. Das sind genau die Zeitfenster, in denen der Stromhandel stattfindet. Der Stromhandel legt fest, wie viel Energie die einzelnen Erzeuger in jeweils einem Zeitfenster einspeisen. Beim Wechsel eines Zeitfensters zum nächsten passen die Erzeuger ihre Erzeugungsleistung entsprechend an.
In ihrer Studie sind die Wissenschaftler explizit der Frage nachgegangen, ob die erneuerbaren Energien die Netzfrequenz und damit die Versorgungssicherheit tatsächlich so dramatisch beeinflussen wie oftmals behauptet. Der Vergleich verschiedener Netze habe dabei gezeigt, dass kleinere Netze und solche mit einem höheren Anteil erneuerbarer Energien größere Schwankungen zeigen als größere Netze. So zum Beispiel in Großbritannien im Vergleich zum kontinentaleuropäischen Netz, zu dem auch Deutschland gehört. Um einen Eindruck von der relevanz der Schankungen zu bekommen, vergleichen sie diese mit den Schankungen, die durch den Wechsel der Handelperionden im 15-Minuten-Takt hervorgerufen werden. „Absolut sind diese beobachteten Schwankungen immer noch kleiner als die Sprünge zu den Handels-Zeiten“, sagt Schäfer. Die Schwankungen alle 15 Minuten sind im Mittel größer als sonstige Einflüsse auf das Netz, sagt Studienautor Schäfer auf Nachfrage von pv magazine.
Die von den Netzbetreibern zur Verfügung gestellten Daten würden dabei darauf hinweisen, dass die Schwankungen der Netzfrequenz in den letzten zwei bis drei Jahren nicht deutlich gestiegen sind – was Schäfer zufolge allerdings an erhöhtem Dispatchaufwand der Netzbetreiber liegen kann. „Ich erwarte für die Zukunft definitiv größere Schwankungen in der Einspeisung und daher auch in der Netzfrequenz, wenn nicht bei Handels-Vorschriften und der Einspeisung durch Erneuerbare eine automatische Glättung etwa durch Zwischenspeicherung vorgenommen wird“, sagt Schäfer.
Die statistischen Schwankungen des Netzes um den Sollwert von 50 Hertz folgen laut Studie nicht einer Gauß-Normalverteilung. Stattdessen sind extreme Schwankungen viel wahrscheinlicher als es nach der Normalverteilung der Fall wäre. Auch die Photovoltaik-Leistung folge dabei ähnlich wie die Wind-Erzeugung einer Nicht-Gaußschen-Verteilung, sagt Schäfer. Bei Photovoltaik-Anlagen kommt demnach noch ein sprunghaftes Verhalten der Einspeisung hinzu: Bei vollem Sonnenschein mit einigen Wolken werden abwechselnd fast 100 Prozent und dann wieder fast 0 Prozent der möglichen Leistung eingespeist. „Sind nun die Photovoltaik-Anlagen räumlich so begrenzt, dass sie alle von einzelnen Wolkenfeldern betroffen sind, dann springt die Einspeisung ins Netz auch deutlich“, sagt Schäfer. Große Anlagen und solche mit einem Zwischenspeicher könnten diese Probleme künftig beheben.
„Im Vergleich dazu ist beim Stromhandel vermutlich ein größeres Umdenken nötig, um die verursachten Sprünge komplett auszugleichen, da hier die Sprünge vermutlich durch eine Neuverteilung innerhalb des Netzes entstehen und nicht durch die Einspeisung an einzelnen Punkten“, so der Experte.
Die Studie hat sich auch damit befasst, welche Auswirkungen das Verhältnis der Größe des Netzes zu dem Anteil der Erneuerbaren hat. Um Windkraft und Photovoltaik besser in das Stromnetz zu integrieren, wird demnach häufig vorgeschlagen, das Netz in kleine autonome Zellen aufzuteilen, sogenannte „Microgrids“. Gemeinden könnten so zum Beispiel mit einem Blockheizkraftwerk und ihrer eigenen Wind- und Photovoltaik-Erzeugung weitestgehend energieautonom operieren.
In der Untersuchung zeigen kleinere Netze wie auf Mallorca oder in Großbritannien stärkere Schwankungen als die größeren Netze wie jenes auf dem europäischen Kontinent. „Unsere Studie weist darauf hin, dass eine Aufteilung eines großen und damit sehr trägen Netzes, wie des kontinentaleuropäischen Netzes, in viele kleine Netze (Microgrids) zu größeren Frequenzschwankungen in diesen kleinen Netzen führt als es in dem gemeinsamen europäischen Verbundnetz der Fall ist. Technisch sind Microgrids daher nur eine Option, wenn die heutigen sehr strikten Frequenz-Standards aufgeweicht würden“, sagt Schäfer.
Ein Vergleich der Regionen zeige, dass Frequenzsschwankungen in Netzen mit einem größeren Anteil an erneuerbaren Energien größer sind als in Netzen mit kleinerem Anteil. Die Schwankungen der Netzfrequenz seien daher in Großbritannien deutlich größer als in den USA. Um trotzdem den Anteil der erneuerbaren Energie zu erhöhen, empfehlen die Forscher eine verstärkte Investition in Primärregelung und eine intelligente Anpassung der Erzeuger und Verbraucher an die Frequenz.
In Deutschland wird die Netzfrequenz von 50 Hertz beispielsweise durch die Turbinen in Wasser- und Kohlekraftwerken stabilisiert, die mit 50 Umdrehungen pro Sekunde rotieren. Entzieht ein Verbraucher dem Stromnetz mehr elektrische Energie, beispielsweise weil ein Aluminiumwerk den Betrieb aufnimmt, so sinkt die Netzfrequenz leicht ab, bevor eine höhere Energieeinspeisung dazu führt, dass die Frequenz wieder steigt. Gleiches gilt umgekehrt, wenn zum Beispiel durch die geballte Einspeisung von erneuerbaren Energien die Netzfrequenz steigt. Die Abweichungen von dem Sollwert 50 Hertz dürfen niemals zu groß werden, da sonst empfindliche elektrische Geräte beschädigt werden können.
Die meisten Haushalts-Geräte seien dabei unempfindlich gegenüber Schwankungen der Frequenz, sagt Schäfer. So könnten viele Netzteile von Laptops zum Beispiel bei 50 bis 60 Hertz arbeiten. „Problematisch sind vor allem Kraftwerke und Umrichter, die für einen kleinen Frequenz-Bereich optimiert sind“, so der Studienautor.
Für die Studie haben die Wissenschaftler die Schwankungen der Netzfrequenz in Stromnetzen in verschiedenen Regionen der Welt analysiert und mit Hilfe mathematischer Modelle Vorhersagen über mögliche Anfälligkeiten und Ursachen erstellt. Die Forscher verwendeten dafür Messungen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Finnland, Mallorca, Japan und den USA. In Deutschland wird dabei Strom nicht isoliert erzeugt und verbraucht, sondern über das europäische Verbundsystem Strom mit den meisten Ländern Kontinentaleuropas und darüber hinaus ausgetauscht. Ebenso ist Finnland Teil des Nordischen Verbunds. Die USA sind in mehrere Regionen aufgeteilt, die Wissenschaftler verwendeten hier Messungen der „Eastern Interconnection“, dem größten Verbund, der auch Teile Kanadas umfasst.
Um die Beobachtungen besser erklären zu können und die Planung eines zukünftigen, vollständig von erneuerbaren Energieerzeugern unterstützten Stromnetzes durchzuspielen, formulierten die Forscher ein mathematisches Modell für die Fluktuationen im Stromnetz. Mit Hilfe dieses Modells berechneten sie die erwarteten Schwankungen je nach Netzgröße und schätzen ab, wie sehr die Störungen von erneuerbaren Energien abhängen. Die Ergebnisse sind jetzt als Fachartikel „Non-Gaussian Power Grid Frequency Fluctuations Characterized by Lévy-stable Laws and Superstatistics“ in der Zeitschrift Nature Energy erschienen. Für eine abschließende Empfehlung sammeln die Forscher zusätzliche Daten, unter anderem in Irland und Island, und planen Experimente in Microgrids.
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