Grünen-Chefin: Die anderen Parteien müssen sich endlich zur Solarenergie bekennen

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pv magazine: Mitte August haben Bündnis 90/Die Grünen die „Grüne Solar-Offensive“ vorgestellt. Wie kam die Initiative zustande?
Simone Peter: Wir sehen seit Jahren, wie die verschiedenen Bundesregierungen seit 2005 die Solarbranche ruinieren, Arbeitsplätze und regionale Wertschöpfung vernichten. Zur schwierigen Wettbewerbssituation auf internationaler Ebene kam in Deutschland, dass die Bundesregierung die Geschäftsgrundlage für den Heimatmarkt systematisch unterminiert hat. Das Ergebnis ist desaströs. Eine der Zukunftsbranchen droht Deutschland verloren zu gehen. Das können wir uns wirtschaftlich und klimapolitisch nicht erlauben. Deshalb bekennen wir uns zum Solarstandort Deutschland und machen klar, dass Deutschland die Solarenergie und eine leistungsfähige Solarbranche braucht.

Mitautoren der Solar-Offensive sind ja auch die Grünen-Minister aus Thüringen und Baden-Württemberg. Diese haben versucht, durch Förder- und Regierungsprogramme die Photovoltaik voranzubringen. Wie beurteilen Sie die Ergebnisse dieser Initiativen?
Ich bin sehr froh darüber, dass die grün geführten Ministerien in Baden-Württemberg, Thüringen aber auch in den anderen acht grün geführten Ministerien in Deutschland sich auf Landesebene gegen den Ausverkauf der Solarenergie stemmen. Das hat mit dazu beigetragen, die Solarenergie insgesamt zu stabilisieren. Aber die Länder können das Problem nicht lösen, solange die Bundesregierung mit Deckeln, Bürokratie und praxisfernen Förderbedingungen Solarunternehmen und Nutzern das Leben schwer macht. Hier, auf der Bundesebene, muss sich dringend was ändern. Deshalb kämpfen wir auf ein starkes grünes Ergebnis bei der Wahl!

Sie sagen, dass die verschiedenen Merkel-Regierungen die Photovoltaik in Deutschland in den vergangenen Jahren in eine Nische gedrängt haben. Der einzige Grüne, der in den vergangenen Jahren aktiv die Bundespolitik – auch und gerade bezüglich der Photovoltaik – mitgestaltet hat, ist Rainer Baake. Die EEG-Reformen standen mit unter seiner Federführung als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Hat Rainer Baake dabei im Sinne der Grünen gehandelt?
Rainer Baake ist beamteter Staatssekretär eines SPD-Ministeriums und daher an das gebunden, was die politisch Verantwortlichen aus CDU/CSU und SPD in der Großen Koalition beschließen. Das EEG ist ein Gesetz, das traditionell im Parlament geändert wird. Die Entscheidungen sind also mit der Mehrheit von SPD und Union im Bundestag getroffen worden. Dagegen haben wir sowohl im Bundestag wie auch im Bundesrat umfassend Stellung bezogen. Die Solarmisere haben die Große Koalition und Schwarz-Gelb in den Jahren zuvor zu verantworten.

Die Grünen sagen, Deutschland braucht 140 Gigawatt Photovoltaik für die Energiewende. Bis wann sollten diese erreicht werden und wie hoch müsste demnach der jährliche Zubau ausfallen?
Wir benötigen etwa 140 Gigawatt Photovoltaik, wenn wir den heutigen Stromverbrauch komplett auf erneuerbare Energien umstellen. Wenn wir endlich mit der Mobilitätswende vorankommen und die deutsche Autoindustrie auf Elektroautos setzt, dann wird es womöglich mehr. Und auch die Sektorenkopplung mit Wärme wird zusätzlichen Strombedarf erzeugen. Aber wir müssen endlich auch massiv auf Energieeffizienz setzen. Das ist ähnlich wie die Wärme ein schlafender Riese. In jedem Fall zeigt die Berechnung, wie groß der Handlungsdruck ist. Wir Grüne wollen bis 2030 vollständig auf erneuerbar erzeugten Strom umsteigen. Das ist für den Klimaschutz elementar.

Wie wollen Sie dieses notwendig hohe Marktwachstum in Deutschland bei der Photovoltaik erreichen?
Zu allererst geht es darum, den Heimatmarkt für Solarenergie schnell wieder zu beflügeln. Dazu müssen sich die anderen Parteien endlich zur Solarenergie bekennen. Wir wollen die Photovoltaik-Deckel streichen und das EEG wieder zur verlässlichen Säule für den Solarausbau machen. Und wir wollen zusätzlich einen Markt erschließen, der außerhalb des EEG liegt. Mieterstrom, also die Selbstversorgung von Unternehmen, kommunalen Einrichtungen und Privathaushalten mit Solarstrom hat ein enormes wirtschaftliches Potenzial. Ebenso wie neue Geschäftsmodelle, die Solarstrom sammeln, zentral speichern und regional vermarkten. Deshalb werden wir die EEG-Umlage auf Eigenstrom streichen und den Einsatz von Speichern erleichtern. Das wird den Solarmarkt antreiben.

Woran lag es, dass beim Mieterstromgesetz die Chance eher verpasst wurde, Photovoltaik großflächig in die Städte und zu den Mietern zu bringen? Halten Sie hier Änderungen nach der Wahl für möglich und nötig?
Die Große Koalition hat das Thema widerwillig und nur kleine Teile von dem, was eigentlich nötig wäre, umgesetzt. Das Gesetz ist ein erster kleiner Schritt, aber er bringt den Mieterstrom nicht wirklich nach vorne. Denn schon wieder wimmelt es von Deckeln und bürokratischen Fallstricken. Das Gesetz muss dringend geändert werden. Wir Grüne hatten ja bereits bei der Beratung in diesem Sommer die Ausweitung auf Wohnquartiere und auf gewerbliche Mieter vorgeschlagen. Die Große Koalition hat das verhindert. Aber Blockaden können eine gute Idee letztlich nicht aufhalten. Ich baue darauf, dass wir ein starkes Ergebnis bei der Bundestagswahl erzielen und das Mieterstromgesetz in der nächsten Legislaturperiode ändern.

Eine Forderung Ihrer Solar-Offensive ist, es sollte ein Dienstleistungsmarkt entwickelt werden. Gibt es den nicht schon und fehlt derzeit nicht einfach nur die Nachfrage?
Dass der Dienstleistungsmarkt noch hinkt, zeigen auch unsere Gespräche mit der Solarbranche und der Speicherindustrie. Wer heute zum Beispiel Solarstrom sammelt und mittels Speicher an seine Kunden weiterleiten möchte, stößt sehr schnell an Grenzen. Manche Unternehmen haben gar den Eindruck, dass in Deutschland mit guten Ideen für eine nachhaltige Energieversorgung nicht gewollt sind. Das hat uns alarmiert. Wir wollen neue Märkte und neue Unternehmen, die uns dabei helfen, schnell und kostengünstig auf erneuerbare Energien umsteigen zu können.

Sie sagen in ihrer Offensive auch, die industrielle Produktion von Photovoltaik-Komponenten und -Anlagen wird voraussichtlich in hohem Maß im Ausland stattfinden. Ist es aus Ihrer Sicht nicht dennoch sinnvoll, die bestehenden Hersteller in Deutschland zu unterstützen und zu erhalten? Hätte die Bundesregierung hier mehr tun können oder müssen, um eine internationale Vorreiterrolle Deutschlands bei der Photovoltaik zu sichern?
Natürlich ist das sinnvoll. Und es gehört zu den unverzeihlichen Fehlern der schwarz-roten und schwarz-gelben Bundesregierung, dass man den Verlust von 70.000 Arbeitsplätzen in der deutschen Solarbranche schulterzuckend hingenommen hat. In anderen Branchen, etwa der klimaschädlichen Kohleindustrie, wäre das undenkbar. Dass dieses Thema zum Beispiel bei den Gesprächen mit China bestenfalls unter ‚ferner liefen‘ abgehandelt wurde, ist nicht zu verstehen. Wir müssen mit der Solarbranche nach dem richtigen Weg suchen, wie wir auch die Produktion in Deutschland halten.

Nach Meinung der Grünen haben die Zölle in der EU den europäischen Herstellern nicht genutzt. Warum haben die Regelungen aus ihrer Sicht nicht gegriffen?
Die EU-Zölle haben ihre Wirkung verfehlt. Der Versuch, die gesamte Produktionskette in Deutschland gegen die wachsende Konkurrenz vor allem aus China zu schützen, hat nicht funktioniert. Solche Blockaden können umgangen werden. Und sie wirken immer in beide Richtungen. So haben sie auch deutschen Solarunternehmen den Zugang zu anderen Märkten erschwert. Alles in allem, sprechen wir uns daher dafür aus, die Zölle abzuschaffen und die einheimische Nachfrage, die Innovationskraft der Branche und den Dienstleistungsmarkt rund um die Solarenergie zu stärken.

Sie sagen auch, die Zölle und Mindestimportpreise haben zu einer unnötigen Erhöhung der Photovoltaik-Preise geführt, andererseits betonen Sie, wie stark die Preise für die Photovoltaik-Anlagen in den vergangenen Jahren gesunken sind. Wie passt das zusammen oder wieviel günstiger könnten PV-Anlagen nach ihrer Berechnung ohne die Zölle jetzt sein?
Was die Unternehmen der Solarbranche trotz des riesigen Gegenwinds geschafft haben, hat meinen größten Respekt. Es waren diese Unternehmer, die trotz der Zölle Preissenkungen erreicht haben. Aber diese Preissenkungen wären noch größer ausgefallen, wenn es die Zölle nicht geben würde. Das sieht man am Weltmarkt, wo die Preise deutlich niedriger sind als hier bei uns in Europa. Das wäre nicht nur gut für die Unternehmen, sondern auch für die dezentrale Energiewende und den Klimaschutz.

Auf welches Ergebnis hoffen Sie bei der Bundestagswahl für ihre Partei?
Bei der Bundestagswahl wird sich auch entscheiden, wie es bei der Energiewende weitergeht. In Nordrhein-Westfalen sehen wir unter der neuen schwarz-gelben Regierung gerade, wie die erneuerbaren Energien ausgebremst werden und die klimaschädliche Braunkohle eine Bestandsgarantie erhält. In Brandenburg verabschieden sich SPD und Linke von den Klimaschutzzielen. Nur mit starken Grünen wird es mit der Energiewende vorangehen. Konkret bedeutet das: Sofort 20 Kohlekraftwerke abschalten, Deckel runter von den Erneuerbaren, 100 Prozent Erneuerbarer Strom bis 2030 und zu diesem Datum auch das Ende der Zulassungen von neuen Autos mit fossilem Verbrennungsmotor. Damit helfen wir dem Klima, den Zukunftsbranchen unserer Industrie und gestalten planbar und damit auch sozialverträglich die Energiewende.

Sind die Grünen danach offen für eine Koalition sowohl mit der Union als auch der SPD?
Wir schließen keine Koalition aus. Aber die Inhalte müssen stimmen. Dazu haben wir unser Wahlprogramm und den 10-Punkte-Plan verabschiedet. Und: Mit den Rechtspopulisten, Klimaleugnern und Atomkraftfreunden von der AfD werden wir keine Gespräche führen.

Wie schnell würden Sie im Falle der Regierungsbeteiligung nach der Wahl die in der Solar-Offensive geforderten Punkte umsetzen wollen und können?
Wir Grüne sind die Partei für tatkräftigen Klimaschutz und eine erfolgreiche Energiewende. Für uns gehört die Solarenergie zu den Schlüsselbranchen der Zukunft. Deshalb muss die Solaroffensive nach der Wahl sehr rasch angegangen werden. Dafür werden wir uns in einer möglichen Regierungskoalition einsetzen.

Das schriftliche Interview führte Sandra Enkhardt.

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