Veränderung braucht Regelbrecher

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Bei der Entwicklung der Solartechnologie müssen fachliche Regeln weiterentwickelt werden. Das stößt unter Umständen auf den Widerstand derer, die für die bestehenden Regeln und Normen verantwortlich sind. Kennen Sie das aus anderen Branchen?

Sven Gábor Jánszky: Dieses Phänomen lässt sich bei fast jeder Technologie-Innovation und in jeder Branche beobachten. Es ist typisch, dass etablierte Unternehmen ihr Geschäftsmodell durch Regeln und Normen absichern. Diese Regulierungen dienen teilweise einem unfallfreien Betrieb, oft aber noch mehr der Abwehr von potenziellen Angreifern auf das Geschäftsmodell. Denn die Grundannahme, dass der Betrieb einer solchen Anlage ausschließlich bei Einhaltung dieser Regeln möglich ist, diese Annahme ist in 99 Prozent der Fälle falsch. Selbstverständlich gibt es auch noch andere Wege eines unfallfreien Betriebs. In den meisten Fällen kommt Bewegung in die Sache, wenn Angreifer in den Markt kommen, deren Produkte entweder wesentlich besser oder wesentlich billiger sind. Dann sind die Konsumenten bereit, alte Regeln zu ignorieren.

Sind Querdenker nötig, um neue Technologien voranzubringen?

Ja. Ich habe diese Persönlichkeiten in meinem Buch „Rulebreaker – Wie Menschen denken, deren Ideen die Welt verändern“ als Regelbrecher bezeichnet. Sie missachten die bisherigen Regeln bewusst, weil sie die Vision haben, den Endkunden eine bessere Leistung anbieten zu können als die etablierten Anbieter. Ihr Vorteil dabei ist, dass sie auf die Geschäftsmodelle der Branche mit einem unverfälschten Außenblick schauen und damit eine andere Chancen-Risiko-Bewertung vornehmen als Entscheider in der Branche, die persönlich viel Geld, Zeit und Energie in die alten Regeln gesteckt haben. Das bringt ihnen in der Branche natürlich keine Freunde. Die Rulebreaker gelten in ihren Branchen deshalb oft als Spinner, Querulanten oder Einzelgänger. Doch daraus ziehen sie ihre Kraft. Und sie haben den unbändigen Willen, ihre Vision in die Welt zu bringen und durchzusetzen. Diese Menschen sind es, die die wirklichen Veränderungen in die Welt bringen.

Welche Analogien gibt es in anderen Technologiebereichen?

Sie können wirklich in jede Branche schauen, um Analogien zu finden. Bei der Einführung des Automobils in Großbritannien hat die Droschkenindustrie es 1865 geschafft, den sogenannten Red Flag Act beschließen zu lassen: Vor jedem Auto musste ein Mann mit einer roten Flagge herlaufen, damit das Auto nicht schneller fährt als vier Kilometer pro Stunde, also als eine Droschke. Dies hielt 13 Jahre, dann kümmerte sich niemand mehr darum. Im deutschen Kreuzschifffahrtsmarkt hat 1993 ein Mann namens Horst Rahe die komplette Branche auf den Kopf gestellt, indem er ein Schiff bauen ließ, das die drei Grundregeln der Branche missachtet: Seine Kreuzfahrten waren erstmals nicht teuer, exklusiv und steif … sondern billig, für die Masse und mit Fun und Action. Heute gibt es kein einziges Schiff der alten Sorte mehr in der Branche. Diese Beispiele finden Sie in jeder Branche.

In der Solarbranche kursiert gerade der Begriff „Guerilla-PV“. Damit sind kleine Module gemeint, die sich jeder kaufen und in die Steckdosen stecken kann. Braucht eine Technologie „Guerilla“-Eigenschaften, um sich durchzusetzen?

Um sich durchzusetzen, braucht solch eine Technologie eigentlich drei Dinge: Das Erste ist ein wirklich neues Nutzenversprechen, einen echten Mehrwert. Das ist offensichtlich bei Guerilla-PV der Fall. Als Zweites braucht die Technologie einen strategischen Preis. Das bedeutet, die Preisberechnung erfolgt nicht nach der Logik: Materialkosten + Personalkosten + Marge = Preis. Sondern gefragt wird: Wie viel ist die Massenzielgruppe bereit dafür zu zahlen? Dementsprechend bestimmen sich dann Materialkosten und Personalkosten. Diese werden in den meisten Fällen sinken müssen. Also ist das dritte Kriterium eine radikale Fokussierung auf nur wenige Nutzenaspekte. In den meisten Fällen wird solch eine disruptive Technologie nicht alle denkbaren Nutzenversprechen der alten Technologie abdecken. Dafür wird sie aber den wichtigsten Nutzen viel besser und billiger bieten.

Wie schätzen Sie die Zukunft der Photovoltaik in Deutschland ein?

Die Photovoltaik hat eine große Zukunft, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Allerdings müssen wir uns von einigen angeblich gesetzten Regeln in unseren Köpfen verabschieden. Die Zukunft der Photovoltaik in Deutschland wird im Wesentlichen dadurch bestimmt, dass chinesische Paneele so billig werden, dass es in wenigen Jahren in den allermeisten Fällen billiger sein wird, selbst Strom zu produzieren, als den Strom beim Stadtwerk zu kaufen. Dies sorgt 2025 für eine dezentrale Stromproduktion von etwa 40 Prozent der Gesamtproduktion. Dezentral bedeutet allerdings nicht, dass jedes Haus autark produziert, sondern dass dezentrale Netze auf Ebene von Straßenzügen, Stadtgebieten oder Dörfern entstehen. Diese Netze zu managen und zu balancieren wird die Aufgabe der Versorger, die dann zu Dienstleistern werden. Auf der anderen Seite wird es aber auch noch eine zentrale Produktion von 60 Prozent geben, insbesondere für die Großabnehmer und die Industrie. Auch diese zentrale Produktion bewegt sich mehr und mehr in Richtung von Offshore-Windparks in den Meeren und Photovoltaik in den Wüsten.

Die Fragen stellte Michael Fuhs.

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