IQ rauf, Stromkosten runter

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Je intelligenter das Stromnetz, desto mehr Erneuerbare passen rein. Um das Netz mit mehr Grips auszustatten, wären aber technische Voraussetzungen nötig, die bis heute noch nicht flächendeckend zum Einsatz kommen, zum Beispiel intelligente Stromzähler. Der verpflichtende Einbau dieser sogenannten Smart Meter bei allen Verbrauchern rentiert sich allerdings nicht. Zu diesem Ergebnis kommt die Beratungsgesellschaft Ernst & Young in ihrer „Kosten-Nutzen-Analyse für einen flächendeckenden Einsatz intelligenter Zähler“ im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Die Kosten wären höher als die Energieeinsparungen durch den Zugewinn an Informationen. Und selbst wenn man den Einbau nur auf Anlagen beschränken würde, die erneuerbare Energien einspeisen, könne sich die Technik erst nach weiteren Gesetzesänderungen amortisieren.

„Ja, dieses Ergebnis haben wir befürchtet“, sagt Hellmuth Frey, Leiter des Projektes Me Regio bei EnBW. Me Regio war ein Forschungsprojekt, bei dem das Smart Grid an 1.000 Stromkunden getestet wurde. Dabei zeigte eine Ampel den aktuellen Strompreis an. Dieser Strompreis war ein Konstrukt, der sich an Angebot und Nachfrage orientierte. Bei einem hohen Ökostromangebot ging er runter, bei großer Nachfrage hoch. 25 Cent war rot/teuer, 20 Cent gelb/normal und 15 Cent grün/günstig. Sowohl der Kunde als auch der automatische Energiemanager im Haus konnten die Preisentwicklung des nächsten Tages sehen und ihr Verhalten entsprechend anpassen. Übers Jahr gelang es den Privatkunden, durchschnittlich 40 bis 50 Euro einzusparen. Einzelne, die sich besonders stark anpassten, schafften auch schon mal 100 Euro. Dabei muss man aber zum einen berücksichtigen, dass die Projektteilnehmer interessierter waren als die Durchschnittsbevölkerung und dass sie mit einem Energiemanager und Smart-Grid-fähigen Haushaltsgeräten ausgestattet wurden. Durch die flächendeckende Verbreitung und Verwendung nur der Smart Meter rechnet Ernst & Young je nach Wahl des Umlageverfahrens mit Zusatzkosten für die Haushalte zwischen 29 und 89 Euro im Jahr. „Da wird es sicher schwierig, ein wirtschaftliches Geschäftsmodell zu entwickeln, das die hohen Kosten rechtfertigt“, sagt Frey.

Für den Netzbetreiber wäre ein Smart Grid von Nutzen, weil es helfen kann, die Lastkurven etwas zu glätten. Das Me-Regio-Projekt verzeichnete ein Verschiebungspotenzial zwischen sieben und zwölf Prozent. Doch die Steuerung von Privatkunden, das sogenannte Demand-Side-Management, funktioniert bisher nur in der Theorie und in Forschungsprojekten. Neben der reinen Wirtschaftlichkeit gibt es noch viele weitere Hürden, die einer Umsetzung derzeit im Wege stehen. So ist völlig ungeklärt, wie sich Nutzen und Kosten einer netzdienlichen Verbrauchersteuerung zwischen Energieversorger und Netzbetreiber teilen lassen. Außerdem müsste es möglich sein, die Strombeschaffung der neuen, beeinflussbaren Verbrauchskurve anzupassen. Bisher werde nur nach Standardlastprofil für Haushalte gehandelt, so Frey. Hochsensible Kundendaten werden in Massen anfallen und müssen, trotz einer Vielzahl von beteiligten Unternehmen, vor Missbrauch geschützt werden. Die regulatorischen Änderungen bei der Umstellung auf ein echtes Smart Grid sind groß. Doch seit dem Abschlusskongress des E-Energy-Förderprogramms im Januar ist das Thema aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Das Programm finanzierte neben dem Me-Regio-Projekt auch fünf andere Modellregionen, die in vierjähriger Forschungsarbeit die Möglichkeiten des Smart Grids ausloteten. Frey hofft, dass es nach der Wahl mit neuem Schwung weitergeht und die verschiedenen Runden, die sich mit den offenen Fragen beschäftigen, zu einer Lösung kommen. Zuständig ist das Bundeswirtschaftsministerium.

Kleiner ist smarter Doch selbst wenn ein Smart Grid mit der Steuerung von Haushaltskunden noch nicht möglich ist, so hat das Me-Regio-Projekt noch ein anderes und vielversprechenderes Feld aufgedeckt. Bei Industrie und Gewerbekunden schlummert viel Potenzial zur Lastverschiebung, das man zuerst aktivieren könnte. Bisher lief das Energiemanagement vieler Industriekunden darauf hinaus, Lastspitzen zu vermeiden. Nun könnte man Abläufe neu planen und zum Beispiel Produktionsteile in den Mittag hinein verlagern. Vor allem bei thermischen Prozessen ließe sich mit automatischen Lastverschiebungen viel erreichen. Außerdem verfügen große Industriebetriebe oder Unternehmen an einem gemeinsamen Gewerbestandort meist über einen privaten kleinen Netzbereich. Dieses Mikronetzwerk lässt sich auf eigene Faust mit Intelligenz und Steuerungstechnik ausstatten und dabei ganz auf den Bedarf der Nutzer zuschneiden.

So geschieht es gerade auf dem Berliner Euref-Campus in Schöneberg. Hier wird mit Solaranlagen und kleinen vertikalen Windrädern sowie über ein Mini-BHKW Strom erzeugt. Dieser kann in stationären Speichern und in Elektrofahrzeugen zwischengespeichert werden und wird für eine Reihe angeschlossener Verbraucher verwendet. Dazu gehören einige der Gebäude am Standort, die Flinkster-Carsharing-Flotte und Günther Jauchs wöchentliche Talkshow im Gasometer. Vom Jahresstrombedarf dieser Verbraucher werden bisher knapp 40 Prozent am Standort selbst erzeugt. Dennoch ließen sich hier bereits wichtige Smart-Grid-Funktionen testen, erläutert Fabian Reetz vom Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ). Er betreut das Projekt und stellt es der Öffentlichkeit und Delegationen aus aller Welt vor. Dabei wird dem staunenden Besucher anhand eines virtuellen Steuertischs zunächst die Idee eines Micro Smart Grids vorgestellt.

Schwarmintelligenz nutzen Für einen stabilen Netzbetrieb ist es sinnvoll, Schwankungen bei Verbrauch und Erzeugung zunächst in einem begrenzten Bereich auszubalancieren. Energieautarke Abschnitte können dabei ein Ziel sein, sind aber nicht zwingend. Wichtig sei vor allem, dass jede Einheit autark „denkt“. Auf nur einem Kanal kann sie dann mit einer Netzzentrale oder noch besser mit anderen Micro Grids Informationen über den voraussichtlichen Energiebedarf oder Energieausstoß austauschen. Die anderen Smart Grids können dann ihre Ressourcen einsetzen, um das Angebot abzunehmen oder Nachfrage zu befriedigen. „Dann entsteht Schwarmintelligenz“, sagt Reetz, die dafür eingesetzt werde, „Schwarmstrom“ zu verbrauchen. In der Realität wird die Intelligenz auf dem Euref-Campus derzeit dafür benötigt, Lastspitzen aus eigenen Ressourcen zu decken und zum Beispiel den Verbrauch der Fernsehshow bereitzustellen, die erst am Abend stattfindet.

Dabei werden vorausschauend und mit Blick auf die Wetterprognose die Batterien geladen und die Carsharing-Buchungen mitberücksichtigt. Daneben werden aber auch unvorhergesehene Anforderungen wie Schnellladungen mit möglichst viel selbst erzeugtem Strom befriedigt. Als Forschungsansatz könnten aber auch die Spannungshaltung oder die Notstromfähigkeit in den Vordergrund rücken. Demnächst soll deshalb noch ein Blockheizkraftwerk ans Netz gehen, das als Taktgeber dienen kann. Dann kann das kleine Netz proben, sich zeitweise vom großen Bruder zu trennen. Außerdem soll ein Superkondensator in Dienst genommen werden, der als Kurzzeitspeicher bei der Regulierung von Spannung und Frequenz helfen kann. Noch ist der Euref-Campus ein reines Forschungsnetzwerk, das wirtschaftliche Erwägungen hintanstellt. Doch Micro Smart Grids stehen auch als wirtschaftliches Geschäftsmodell bereits in den Startlöchern.

Das Unternehmen AEG Power Solutions betreibt zum Beispiel am eigenen Standort in Belecke ein Micro Smart Grid. Von der höchsten Lastspitze von 1,6 Megawatt werden derzeit schon zwei Drittel des Stroms selbst produziert. Nach der Investition in eine Photovoltaikanlage, einen Batteriespeicher und ein Blockheizkraftwerk ging der CO2 -Ausstoß um 30 Prozent zurück, und auch die Energiekosten fielen um ein Drittel. „Der Return on Investment liegt zwischen acht und neun Jahren“, sagt Peter Wallmeier, Cheftechniker bei AEG PS. Vorteilhaft ist an der Konstellation, dass das BHKW immer eine gleichmäßige Leistung einspeist. Ein Partner nimmt die entstehende thermische Leistung vollständig ab. Die Batterie ist mit 250 Kilowattstunden recht klein ausgelegt und soll vor allem die Fluktuationen der Solaranlage ausgleichen, zum Beispiel wenn Wolken darüber hinwegziehen. Ein Lastmanagement hilft dabei, Gleichzeitigkeiten zu vermeiden und eine gleichförmigere Stromaufnahme zu gewährleisten. So ist das Netz nur dann gefordert, wenn bei Gerätetests die Maximalleistung benötigt wird und wenn im Winter die Solaranlage zeitweilig wegen mangelnder Einstrahlung zu wenig Strom produziert.

Stromkosten senken Im Jahr 2015 werde noch eine Power-to-Gas-Anlage installiert, kündigt Wallmeier an. Überschüssiger Strom muss dann nicht mehr ins Netz eingespeist werden. Er wird in Form von Gas gespeichert und ins BHKW geleitet. Dort entsteht Wärme und wiederum Strom. „Dann haben wir hoffentlich einen geschlossenen Kreislauf.“ Alle Entwicklungen, wie das Energiemanagement, das Demand-Side-Management und die Power-to-Gas-Verfahren werden am Standort nicht nur getestet, sondern fließen in Produkte für Industriekunden ein. Die Investition in eine eigene dezentrale Energieversorgung kann Wallmeier guten Gewissens weiterempfehlen. „Das lohnt sich nicht nur finanziell, sondern wir profitieren auch von den weichen Faktoren, einem Energiegütesiegel und grünen Zertifizierungen.“ Belecke ist eine netzparallele Entwicklung. Wer seinen Standort im Falle von Stromausfällen auch autark betreiben möchte, findet Lösungen beim Design von Inselnetzen. Zur Überbrückung von Lücken in der Solarstromversorgung werden aus Kostengründen Dieselgeneratoren verwendet. Unterbrechungsfreie Stromversorgungen (USV) liefern die Spannungskurve und geben den Takt des Netzes vor.

Private Micro Smart Grids sind somit wohl der nächste logische Schritt bei der Energiewende von unten. Statt auf neue Regeln und die Politik zu warten, können couragierte Unternehmer heute schon anfangen. Und es passiert bereits. Die genannten Beispiele sind nicht die einzigen. Kaco New Energy errichtet ein Wohnquartier, das sich nahezu autark mit Strom und Wärme versorgen soll. IBM will seine Deutschlandzentrale in Ehningen autonom versorgen, und Younicos baut auf der Insel Graciosa eine Energieversorgung aus 100 Prozent Erneuerbaren auf. Das ist intelligent, das entlastet die Netze, und es wird immer häufiger passieren, je teurer der Netzstrom wird und je günstiger die Solarenergie.

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