Motion zur Photovoltaik-Pflicht scheitert an Regierung im Kanton Thurgau

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Der Schweizer Bundesrat hat die Option geprüft, eine Pflicht zur Nutzung von Solarenergie an geeigneten Neubauten einzuführen und sich dagegen entschieden. Der Kantonsrat der Grünliberalen Thurgau, Marco Rüegg, wollte daraufhin in seiner Region den Erneuerbaren-Ausbau allgemein, aber auch speziell die Photovoltaik voranbringen und startete eine entsprechende Motion – gemeinsam mit Simon Vogel (Grüne) und Elina Müller (SP). Ihr Anliegen: Der Regierungsrat in Thurgau sollte beauftragt werden, gesetzliche Grundlagen zu schaffen, damit geeignete Dach-, Fassaden- und Parkflächen, bei Neubauten sowie an bestehenden Bauten grundsätzlich und flächendeckend mit Anlagen zur Produktion von erneuerbaren Energien ausgestattet werden. Besonders geeignet dafür aus Sicht von Rüegg und seinen Mitstreitern die Photovoltaik. Mit ihrem Vorstoß wollten sie Thurgau zu einem Vorbild in der Schweiz machen und den Erneuerbaren-Anteil am Stromverbrauch bis 2030 auf mindestens 40 Prozent erhöhen.

Der Große Rat Thurgau lehnte die Motion in der vergangenen Woche mit 68 zu 35 Stimmen ab. Bei den Einbringern der Motion um Rüegg ist die Enttäuschung groß. „Einmal mehr sind wir sehr erfreut, dass die Regierung unser Anliegen teilt. Und einmal mehr sind wir nicht weniger enttäuscht von der Antwort. Enttäuscht von der Haltung ‚kä Luscht‘. In der Antwort wurde sogar das Wort Parkflächen falsch interpretiert. Sorry, aber wir möchten logisch keine Grünflächen in Parks mit Panels überdachen, sondern gemeint sind Parkplatzflächen“, schreibt Rüegg.

Auf wenig Verständnis stößt bei ihnen die Ansicht der Regierung, die bestehenden Maßnahmen würden für einen flächendeckenden Ausbau der Erneuerbaren reichen. Sie wolle lediglich das kantonale Beratungsangebot ausbauen, was aber nach Ansicht von Rüegg durch private Anbieter schon gut abgedeckt wird und daher eher unnötig ist. Was es brauche, sei ein echter Ausbau von Photovoltaik, Windkraft und Co. „Seit über 30 Jahren kennen wir den Energieartikel in der Bundesverfassung, seit 10 Jahren gibt es die gedeckelte Einspeisevergütung. Was hat es gebracht? 6.7 Prozent geförderter Strom aus erneuerbaren Energien. Sehr wenig davon aus Wind und kein Strom aus Geothermie. Der geförderte Solarstrom macht gerade mal ein Hundertstel des Stromverbrauchs aus“, heißt es im Statement weiter.

Was Rüegg besonders umtreibt: Diese ernüchternde Bilanz angesichts des drohenden Strommangels in der Schweiz und des Klimawandels. „Strommangel und Blackout stellen ernstzunehmende Gefährdungen für die Thurgauer Bevölkerung dar. Jetzt gibt es Strömungen, welche die Probleme mit Kernenergie lösen wollen.  Die wissen vielleicht nicht, dass wir kein abbauwürdiges Uran haben in der Schweiz, dass in Frankreich derzeit erneut die Hälfte der 56 Reaktoren wegen Wartungen und unerwarteten Problemen stillstehen, dass der Atomreaktor Olkiluoto 3 in Finnland erst 19 Jahre nach Bestellung in Betrieb genommen wurde, und statt 3 Milliarden knapp 9 Milliarden Euro gekostet hat“, so Rüegg. Mit diesem Geld könnten in der Schweiz sechs Gigawatt Photovoltaik installiert werden. Zehn Prozent des Stromverbrauchs des Landes ließen sich damit decken. Kernenergie und Erdgas seien dagegen keine Lösung. „Es gibt für uns nur einen Weg die Versorgungssicherheit zu erhöhen: Wir müssen unsere Energie im Thurgau erzeugen.“

Seit 2019 hätten sich die Strompreise in der Schweiz bereits verdreifacht. Viele Industriebetriebe stelle dies vor große Schwierigkeiten. „Die Antwort der Regierung auf unsere Motion ist schizophren. In der zusammenfassenden Beurteilung erachtet der Regierungsrat eine staatliche Intervention für unnötig, da die Nachfrage nach Photovoltaik-Anlagen hoch sei. In der inhaltlichen Beurteilung meint aber die Regierung, dass ein Zubau nur durch eine gesetzliche Verpflichtung möglich sei. Und er liefert dann postwendend Einwände, warum so eine Verpflichtung nicht willkommen ist“, erklärt Rüegg weiter. Dabei gebe es die Photovoltaik-Pflicht bereits über die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich – zumindest fast. „Wenn man wollte, könnte man also die bestehende Regulierung leicht anpassen“, sagt Rüegg. Er verweist dabei auf Deutschland, wo bereits mehrere Bundesländer eine Pflicht zur Installation einer Photovoltaik- oder Solarthermie-Anlage bei Neubauten und teilweise neuen Parkplätzen erlassen haben. „Wir sind enttäuscht, dass unsere Regierung die Gesetze in Deutschland nicht genauer untersucht und für den Thurgau adaptiert hat“, so der Grünliberale Kantonsrat.

„Ein Drittel der Dachflächen reichen aus, um den gesamten Strombedarf im Thurgau mit Solarstrom abzudecken. Natürlich braucht es Speicher und Wasserstoff, natürlich braucht es Wasserkraft, Wind, Biomasse und Geothermie. Es braucht alles – sofort“, so Rüegg. Dazu brauche es jedoch passende gesetzliche Grundlagen. „Ich wünsche mir, dass bald auf jedem neuen Gebäude und später auch auf allen geeigneten Flächen erneuerbare Energie produziert wird. Und wir mit den Überschüssen unsere Elektrofahrzeuge laden können.“ Ein einfaches Weiter-so reiche angesichts der unmittelbaren Bedrohung der Energieversorgung nicht aus.

Das Hauptargument gegen die Motion von Seiten der Regierung will Rüegg so nicht akzeptieren. Sie hatte geschrieben: „Eine Pflicht zur flächendeckenden Produktion von erneuerbaren Energien würde einen weitgehenden Eingriff in die Eigentumsgarantie darstellen.“ Rüegg verweist hingegen darauf, dass der Kanton Thurgau bereits eine Pflicht vorschreibt, und zwar bei den „Anforderungen Eigenstromerzeugung bei Neubauten“. Dort sei festgelegt, dass im, auf oder am Gebäude installierte Stromerzeugungsanlagen mindestens 10 Watt pro Quadratmeter Energiezugsfläche leisten müssten. Die maximal geforderte Leistung nach der kantonalen Energieverordnung betrage 30 Kilowatt. Daher will er nach dem Rückschlag auch nicht aufgeben: „Ich prüfe nun, zusammen mit meiner Partei den Grünliberalen, den Grünen sowie der SP eine Volksinitiative zu lancieren“, sagt Rüegg.

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