EU will Strom aus Atomkraft und Erdgas als nachhaltig einstufen

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Kohlenstoffrei und heimisch erzeugt – diese Eigenschaften sind laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor dem Hintergrund von Klimaschutz und Unabhängigkeit wesentlich für den europäischen Energiemix der Zukunft. Entsprechend positiv äußerte sie sich bei der Pressekonferenz im Anschluss an die Tagung des Europäischen Rates in der vergangenen Woche über die erneuerbaren Energien. „Betrachtet man den Preis für die Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen, so ist dieser erheblich gesunken. Solarenergie ist mittlerweile zehnmal billiger als noch vor zehn Jahren. Windenergie ist zwar sehr volatil, aber um 50 Prozent billiger als noch vor einem Jahrzehnt. Wir bewegen uns also in die richtige Richtung.“ Für Irritationen sorgte jedoch von der Leyens Perspektive auf die Nutzung von zwei weiteren, wenig erneuerbaren Energieträgern: „Darüber hinaus brauchen wir die Kernenergie als stabile Quelle — und natürlich übergangsweise Erdgas. Deshalb werden wir – wie wir bereits im April als Kommission erklärt haben – unsere Taxonomieverordnung vorlegen.“

Diese EU-Taxonomie ist ein neuer Standard für nachhaltige Investitionen, an dem die EU seit Monaten arbeitet. Von der Leyens Aussage zufolge will die EU auch den Bau von Atomkraft- und Gaskraftwerken als nachhaltige Investitionen einstufen. Sven Giegold, der für Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament sitzt, hat daher jetzt eine Petition an EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und EU-Kommissar Frans Timmermans gestartet. Darin weist er darauf hin, dass die Einstufung als nachhaltige Investition immense Folgen hätte. Denn zum einen würden sich in Zukunft werden sich nicht nur Banken, Versicherungen und andere Finanzmarktakteure sowie Anleger bei ihren Investitionsentscheidungen nach diesem EU-Standard richten. Zum anderen würden Fördergelder, europäische und nationale Beihilfen und Steuergelder in Atom und Gas fließen, wenn diese Energiequellen das Nachhaltigkeitslabel bekommen.

„Investitionen in Atomkraft und Gas bekämen also fast das gleiche Nachhaltigkeitslabel wie der Bau von Windrädern und Solaranlagen. Ein Super-Gau für die erneuerbaren Energie“, so Giegold. Mit der Taxonomie könnten bei Gas und Atomkraft nun schnell Fakten geschaffen werden, und das bevor eine neue Bundesregierung ihre Arbeit aufnehmen und diese Pläne stoppen könne. Für diesen Stopp sei unter den EU-Mitgliedsstaaten eine sogenannte qualifizierte Mehrheit notwendig, was Giegold als „praktisch aussichtslos“ bezeichnet. Mehr Hoffnung setzt er auf seine Petition. „Die Gewinnung von Strom aus Atomkraft und Gas ist nicht nachhaltig. Atom und Gas dürfen daher im Rahmen der EU-Taxonomie nicht als nachhaltige Investition eingestuft werden. Der EU-Vorschlag darf nicht vorgelegt werden, bevor die neue Bundesregierung im Amt ist“, so Giegold.

Der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. warnt vor einer Einstufung von Erdgas und Kernkraft als nachhaltig. Atomkraft sei weder wirtschaftlich noch sicherheits- oder umweltpolitisch sinnvoll, und neue Gaskraftwerke als Übergangslösung würden die Preise für CO2 und Strom erhöhen, die Wettbewerbsfähigkeit belasten und zu mehr Gasimporten führen, wie eine aktuelle Studie von Aurora Energy Research zeige. Zudem sei die fatale Signalwirkung einer solchen rückwärtsgewandten Zertifizierung nicht zu unterschätzen. Statt dessen müsse der alleinige Fokus auf den Ausbau der erneuerbaren Energien liegen. Der Mix der erneuerbaren Technologien aus heimischer Photovoltaik und Windenergie, Wasserkraft, Biomasse, Wärmepumpen und Geothermie könne emissionsfrei und risikoarm die europäische Energieversorgung übernehmen und biete die Chance, die Wirtschaftsregion Europa zukunftssicher aufzustellen und neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Meldung wurde am 28.10.2021 um 14:30 Uhr um den letzten Absatz ergänzt.

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