Gewerbespeicher: Starkes Wachstum Behind-The-Meter erwartet

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pv magazine: Welche Trends haben Sie in Ihrer Studie „Commercial & Industrial Energy Storage Report – Europe 2019“ identifiziert?

Julian Jansen: Aufgrund sinkender Preise für die Frequenzregulierung sehen wir einen Rückgang von Projekten im Front-of-the-meter-Bereich, also bei den großen Netzspeichern „vor dem Stromzähler“. Zugleich sehen wir ein stark wachsendes Interesse Behind-the-meter, also im Gewerbe- und Industrie-Segment, wo der Speicher „hinter dem Stromzähler“ installiert ist. Dies sehen wir vor allem in den beiden großen Speichermärkten Deutschland und Großbritannien, also genau dort, wo wir eine Sättigung der Märkte für die Frequenzregulierung erleben. Es gibt hier zwar auch weiterhin Front-of-the-meter-Projekte. Ich bin aber skeptisch, was die kurzfristige Rentabilität angeht, da die Regelleistungspreise weiter fallen und momentan für Investoren weniger attraktiv sind. Langfristig mag das allerdings wieder anders aussehen, besonders wenn regulatorische Veränderungen implementiert werden.

Sie prognostizieren also ein Wachstum im Gewerbe und Industrie-Bereich. Was sind hier die Treiber?

Für Behind-the-meter-Projekte erwarten wir ein sehr starkes Wachstum, mit einer kumulierten jährlichen Wachstumsrate von etwa 35 Prozent. Dies nicht nur im kleinen und mittleren Gewerbe, sondern vor allem für große Industriespeicher mit Kapazitäten von einer bis mehreren Megawattstunden. Betreiber haben hier im Vergleich zu den Netzspeichern mehr Flexibilität bei der Wahl ihrer Geschäftsmodelle. Primär geht es dabei erst mal um Peak-Shaving-Anwendungen, mit denen die Nutzer Anschlusskosten und Netzentgelte einsparen können. Für Unternehmen, die zusätzliche noch eine Notstromfunktion brauchen und auf einen hohe Stromqualität angewiesen sind, wird es dann noch interessanter, weil weitere Anwendungen hinzukommen und so die Wirtschaftlichkeit steigt. Gegebenenfalls kann man dann immer noch zusätzlich Regelleistung anbieten, zum Beispiel gemeinsam mit einem Aggregator.

Was ist mit der Erhöhung des Eigenverbrauchs, der ja auch zum Behind-the-Meter-Segment gehört?

Bei kleineren Kunden ist das schon ein Treiber. Das ist aber wirtschaftlich oft noch relativ schwer darstellbar. Zumindest wenn die Eigenverbrauchserhöhung der einzige Erlöspfad ist. Das kann in der Landwirtschaft oder bei kleineren Einzelhändlern zwar durchaus interessant sein, wenn zum Beispiel die Kunden eine nachhaltigere Erzeugung honorieren. Im Gewerbebereich braucht man aber eine Amortisationszeit von weniger als 5 Jahren, besser weniger als 3 Jahre. Das ist mit höherem Eigenverbrauch allein in der Regel nicht erreichbar, weil die Stromkosten, die man dadurch einsparen kann, nicht hoch genug sind.

Mit welchen Modellen werden denn Amortisationszeiten von fünf Jahren oder weniger im Gewerbe realistisch?

Das kann man oft schon allein durch Peak Shaving erreichen. Wenn dann zusätzlich noch Notstrom oder eine bessere Stromqualität gebraucht wird, entstehen schnell interessante Geschäftsmodelle, für die Amortisationszeiten zwischen drei und fünf Jahren absolut realistisch sind.

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Welche Kunden sind dann Ihrer Studie zufolge die interessantesten für Behind-the-Meter-Gewerbespeicher?

Da sehen wir eine relativ große Bandbreite. Im kleineren Einzelhandel und in der Landwirtschaft besteht wie schon erwähnt ein höheres Interesse am Eigenverbrauch. Peak Shaving ist besonders für Industriesegmente interessant, wo es hohe Energieverbräuche mit hohen Verbrauchsspitzen gibt, und wo gleichzeitig wenig Flexibilität zum Verschieben der Lasten besteht. Günstige Lastprofile haben zum Beispiel auch Gewerbebetriebe mit erhöhtem Wochenendverbrauch, also zum Beispiel Hotels. Hier gibt es oft einen Peak am Morgen und einen am Abend. Und die Verbräuche sind meistens auch gut vorhersehbar. Dann kann man einen Speicher gut auf diesen speziellen Bedarf auslegen. Allerdings sind solche kleineren Kunden schwerer zu erreichen und der Aufwand der Kundenakquise ist im Vergleich zur Projektgröße oft zu hoch. Leichter zu erreichen sind Industriekunden mit kritischer Produktion, die sowohl einen Bedarf für stabile Stromqualität als auch für Notstrom haben. Als letzten Punkt sehen wir die Installation von Schnellladesäulen als einen neuen Markttreiber, um teurer Netzanschlüsse zu vermeiden. Das gilt zum Beispiel für Autohäuser, die mehrere Ladepunkte installieren.

Sie haben in Ihrer Studie den europäischen Markt betrachtet. Welche Länder sind demnach die interessantesten und warum?

Aus unserer Sicht sind Großbritannien und Deutschland am interessantesten, gefolgt von den Niederlanden, Belgien und Frankreich. Wir sehen, dass die großen Projektentwickler oft zuerst die Frequenzmärkte angehen und sich dann nach weiteren Geschäftsmodellen umschauen. Dabei spielen dann die Strompreise und die Strompreisstrukturen eine wichtige Rolle. In Deutschland gibt es ab einem gewissen Stromverbrauch einen zweigeteilten Strompreis, der einerseits die verbrauchte Strommenge und andererseits die maximale Anschlussleistung in Rechnung stellt. Die zweite Komponente kann man mit Peak Shaving senken.

Was macht Großbritannien attraktiv für Gewerbespeicher?

In Großbritannien ergeben sich ebenfalls Erlöspfade für Peak Shaving-Anwendungen. Diese basieren hauptsächlich auf den Netznutzungskosten (Transmission Use of System charges – TNUoS), die auf Basis der drei Perioden mit dem höchsten Spitzenverbrauch (TRIADS) kalkuliert werden. Allerdings wird dieses System momentan überarbeitet. In Großbritannien gibt es zudem Demand Response Aggregatoren, die historisch beispielsweise eher BHKWs oder Lüftungssysteme aggregiert haben, sich nun aber zunehmend auch für Speicher interessieren.

Wie sieht es in den Niederlanden und Frankreich aus?

Auch in den Niederlanden gibt es bereits viele Aggregatoren, die Photovoltaikanlagen und Speicher in virtuellen Kraftwerken verknüpfen und damit dann am Frequenzmarkt agieren. In Frankreich sehen wir einen enormen Push auf den Inseln, wo die Strompreise sehr hoch sind und die Regulierungsbehörde schon mehrere Ausschreibungen durchgeführt hat. Daher ist die Kombination von Photovoltaik und Speicher hier besonders spannend. Auf dem französischen Festland ist die Nachfrage nach Speichern deutlich geringer, weil die Strompreise viel niedriger sind.

Wie bewerten Sie die aktuelle Anbieterlandschaft für Großspeicher?

Bei den großen Netzspeichern, also im Front-of-the-meter-Bereich, haben wir schon eine starke Konsolidierung erlebt. Dort haben sich mittlerweile einige globale Player herausgebildet. Im Gewerbespeichermarkt gibt es hingegen noch eine breitere Fächerung und viel mehr regionale Anbieter. Das liegt daran, dass dieses Marktsegment an sich sehr individuell ist, sowohl von Region zu Region als auch was die Einsatzmöglichkeiten angeht. Die großen Player sind hier daher noch nicht so stark. Aber auch in diesem Segment erwarten wir früher oder später eine gewisse Konsolidierung.

Viele Unternehmen aggregieren auch Speicherkapazitäten verschiedener Systeme in virtuellen Kraftwerken. Wie bewerten Sie hier die Akteursvielfalt?

Im Behind-the-meter-Segment spielen die Aggregatoren und Softwareplattform-Anbieter eine sehr wichtige Rolle. Das sind zum Bespiel Unternehmen wie Next Kraftwerke, KIWI Power oder Enel X, die viele kleine Behind-the-meter-Speicher zusammenfassen. Solche Unternehmen werden auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Wir erwarten aber auch hier eine gewisse Konsolidierung, weil es heute schon zu viele Player in zu vielen Ländern gibt. Zum einen sehen wir schon erste Zukäufe von größeren Energieversorgen in diesem Bereich. Zum anderen erwarten wir mehr Standardisierung. Dann wird die Dienstleistung der Aggregation eventuell nicht mehr von darauf spezialisierten Firmen übernommen, sondern zum Beispiel von großen Energieversorgern. Oder aber die Aggregatoren entwickeln sich in eine andere Richtung und entwickeln vermehrt Projekte. Ähnliche Entwicklungen sehen wir bereits in den USA. Daher glaube ich nicht, dass sich diese Fragmentierung, wie wir sie derzeit in Deutschland noch haben, in Zukunft so halten wird.

Im Front-of-the-Meter-Bereich können ja auch Dienstleistungen auf der Verteilnetzebene sinnvoll sein, wie bewerten Sie hier die Chancen?

Die Chancen sind sicherlich da und Speicher können im Verteilnetz gute Dienste leisten. Hier fehlen aber immer noch die regulatorischen Rahmenbedingungen. Deshalb gibt es bislang noch kaum funktionierende Geschäftsmodelle. Man erhofft sich unter anderem durch die Regulierung auf EU-Ebene, dass die Doppelbelastung für Energiespeicher wegfällt. Es gibt auch noch Unklarheit darüber, ob Verteilnetzbetreiber Speicher aufgrund der Unbundeling-Regelung überhaupt besitzen und betreiben dürfen, wenn der Speicher zum Beispiel auch am Markt für Primäregelleistung teilnimmt. Auch hier wäre es wichtig Klarheit zu schaffen. Es kommt darauf an, dass die Verteilnetzbetreiber neue Ansätze entwickeln können. Heute werden operative Geschäftsmodelle auf Verteilnetzebene aber noch durch Regulierungshemmnisse verhindert.

Das Gespräch führte Mirco Sieg

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