Die irrealen Hoffnungen der Europäer

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Auf einer eintägigen Konferenz, die kürzlich in Europa stattfand, stellte ich mir gemeinsam mit drei weiteren Personen aus meiner Heimatregion die Frage, weshalb über 60 Prozent der Präsentationen von den Marktchancen in Nahost handelten. Aus welchem Grund ist der Nahe Osten für europäische Unternehmen so interessant geworden?

Die Nachfrage nach Photovoltaik und konzentrierter Photovoltaik (CPV) lag im vergangenen Jahr 2012 für die gesamte MENA-Region, also den Nahen Osten und Nordafrika, gerade einmal bei 100 bis 150 Megawatt. Das sind weniger als 0,5 Prozent des Weltmarkts. Mindestens in den kommenden drei Jahren wird die Photovoltaiknachfrage zudem nicht stark steigen. Es wird ein Anteil von nicht mehr als einem bis drei Prozent prognostiziert. Warum ist in der Solarbranche trotzdem ständig von der MENA-Region als dem nächsten großen Solarmarkt die Rede?

Ich kann mich entsinnen, wie Unternehmen aus dem Nahen Osten im Jahr 2008 Gespräche mit dem Vertriebsleiter eines der größten deutschen Equipmenthersteller führen wollten. Er lehnte ein Treffen sowie ein Preisangebot ab, da wir mit einem Investitionsrahmen von bloß 20 bis 25 Millionen US-Dollar daherkamen. Mit diesem Betrag konnten wir nach seiner Darstellung nichts von seinem geschäftigen Unternehmen kaufen (ironischerweise liegt der Marktwert dieses Unternehmens jetzt unter diesem Betrag).

Seit nunmehr zwei Jahren hört die Solarindustrie im Nahen Osten von Seiten der Politiker fast täglich neue Aussagen über die „großartigen Möglichkeiten“ für erneuerbare Energien in der Region. Unternehmen aus aller Welt besuchen die MENA-Region und eröffnen dort Niederlassungen oder betreiben Joint Ventures mit Unternehmen vor Ort. Sie verschließen dabei ihre Augen vor der weit verbreiteten Korruption in der dortigen Geschäftswelt.

In den vergangenen zwei Jahren ist in der Region im Solarbereich real jedoch fast nichts passiert. Ausländische Unternehmen verlieren dabei stetig Geld. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Die Politiker in der MENA-Region beschäftigen sich fast ausschließlich mit Petrodollars. Es fehlt an Planung, realistischen Zeitrahmen und Engagement. Im Nahen Osten sprechen alle von Projekten im Gigawatt- und nicht im Megawattbereich. Dabei sind die finanziellen Strukturen dieser über 20 bis 25 Jahre laufenden Milliarden-Dollar-Projekte noch gar nicht überdacht worden. Zudem ist eine Untersuchung des Stromnetzes, wo und wie eine Netzkopplung dieser Gigawattprojekte möglich ist, bisher nicht durchgeführt worden. Es gibt für derartige Vorhaben bislang auch keine rechtlichen Rahmenbedingungen, weder in Bezug auf Stromabnahmeverträge (PPA) noch auf Verträge unabhängiger Stromerzeuger (IPP).

Insgesamt macht die MENA-Region nicht mehr als ein halbes Prozent des weltweiten Photovoltaikmarkts aus. Im Vergleich dazu liegt Europa bei mehr als 50 Prozent. Meiner Ansicht nach glauben die europäischen Unternehmen, dass der Nahe Osten ihnen Möglichkeiten zur Erweiterung ihres Geschäfts mit hohen Gewinnmargen bietet. Das ist jedoch nur ein Wunschdenken und eine Flucht vor der bitteren Geschäftsrealität – vor niedrigen Margen in Europa. Im Grunde spielt sich alles zwischen Deutschland und China ab; die übrigen Länder fallen kaum ins Gewicht.

Aus Lieferantensicht

Aufgrund ihrer Erfahrungen in der Halbleiterindustrie haben sich viele deutsche Ausrüstungshersteller, die schon früh in der Solarbranche tätig waren, nicht damit auseinandergesetzt, ob die Solarbranche einen anderen Ansatz erfordert oder verdient – wie kompaktere, weniger komplizierte und schnellere Zyklen bei weniger Kosten –, weil die Nachfrage sehr stark war und der Markt die bestehenden Ausrüstungen und Technologien akzeptierte. Das bedeutete für viele Hersteller hohen Kapitalaufwand, hohe Betriebskosten und damit teure Endprodukte.

China setzte all dem ein Ende, als dort die Produktion von Wafern und Modulen in der Gigawatt-Größenordnung anlief. Diese gewaltigen Kapazitäten übten gehörigen Druck auf die europäische Konkurrenz, also vor allem die deutsche aus.

Mit dieser Entwicklung rückten Wall-Street-Banken und andere Finanzinstitute in den Blickpunkt der Solarindustrie und boten Börsengänge sowie leichte Finanzierungsmöglichkeiten an. Die chinesischen Banken folgten, die mit ihrer enormen Liquidität große Kapitalsummen an „von der Börse anerkannte“ Unternehmen austeilten, und das nur auf Grundlage von erwarteten Bruttomargen multipliziert mit enormen Gigawattbeträgen. Alle waren zufrieden: Die deutschen verkauften Ausrüstung nach China, und die Chinesen verkauften ihre Endprodukte zurück nach Deutschland – mit EU-Subventionen und der Finanzierung durch Banken in den USA und China.

China ist wirklich der richtige Produktionsstandort, ob es einem gefällt oder nicht. Die gesamte Lieferkette ist dort ansässig: Glas, Aluminium, Chemikalien, Elektronik, Polysilizium und so weiter – mit hervorragender Logistik. Nachdem Apple die Produktion in China aufgenommen hatte, festigte sich der Ruf des Landes als Produktionsstandort.

Zudem waren den chinesischen Unternehmen von 2005 bis 2009 folgende zwei Dinge gelungen: zum einen Ausrüstung und Rohstoffe aus der ganzen Welt nach China zu schaffen und zum anderen die Solarbranche aus ihrer Nische zu holen.

Im Verlauf dieser Entwicklungen kam es vielerorts zu erhöhten Ausgaben für Marketing- und Werbekampagnen, und Unternehmensstrukturen waren zu überladen. Warum auch nicht!? Geld war leicht verfügbar. Bei anhaltendem Marktwachstum können die Schwachen über einen Korrekturzeitraum mittels Pleiten, Stellenabbau und Umstrukturierung ausgemustert werden, und das Geschäft läuft weiter.

Aus Nachfragesicht

Die Photovoltaiknachfrage wurde in den vergangenen Jahren fast ausschließlich in Form von Einspeisevergütung in den europäischen Ländern angetrieben. Öffentliche Gelder wurden eingesetzt, um den Kilowattpreis von netzgekoppelten Photovoltaikanlagen zu subventionieren: Dieser Schritt war es, der deutlich zur weltweiten Verbreitung der Photovoltaik mit 20 bis 30 Gigawatt von Neuinstallationen pro Jahr beitrug.

Währenddessen spielte der private Sektor aufgrund der Einspeisevergütung eine sehr passive Rolle. Das war der Fall, bis die Chinesen ins Spiel kamen und zur Senkung der Kosten für Photovoltaik beitrugen. Der Preis hat inzwischen in vielen Ländern Netzparität erreicht, insbesondere im Sonnengürtel. Für viele Länder, die kein Öl produzieren, ist die Photovoltaik nun oft günstiger als herkömmliche Kraftwerke.

Als die Preise zu sinken begannen, wurden auch auf dem Privatsektor Stromabnahmeverträge abgeschlossen, die ähnliche (oder mitunter attraktivere) Preise pro Kilowattstunde boten.

Somit zeigt sich deutlich, dass die Photovoltainachfrage zunehmend unabhängiger von Einspeisevergütungen wird, während die Netzparität näherrückt, und sich zudem vom kalten Europa hin zum Nahen Osten und Lateinamerika bewegt. Dies wird noch einmal dadurch verstärkt, dass sich die den Subventionen negativ gegenüberstehenden europäischen Steuerzahler über die Finanzierung und Unterstützung chinesischer Unternehmen beklagen.

Die aktuelle Situation

Trotzdem bleibt der Sektor auf der Makroebene vielversprechend, während die jährlichen Installationen aufgrund der billigen Produkte aus China 30 Gigawatt erreichen. Die Branche wächst fantastisch und hat die Wettbewerbsfähigkeit mit dem Mainstream-Energiemarkt erreicht. Auch wenn viele Unternehmen derzeit Verluste machen, ist es nur eine Frage der Korrektur des Marktes. Man muss aus Fehlern lernen, und zurzeit sieht es im Großen und Ganzen noch in Ordnung aus. Besser gesagt, es sah in Ordnung aus, bis die EU mit Anti-Dumping-Untersuchungen von chinesischen Photovoltaikprodukten begonnen hat.

Die Märkte reagierten auf die Neuigkeiten. Normalerweise werden Anti-Dumping-Regelungen eingesetzt, um die regionale Branche langfristig zu schützen, auch wenn dies für den Endkunden höhere Preise zur Folge hat.

Allerdings gibt es in Europa keine Massenfertigung oder Logistikbranche, und es besteht keine Möglichkeit, eine funktionierende Massenindustrie wieder aufzubauen. Will man ein T-Shirt für 20 Euro produzieren und für 200 Euro verkaufen, dann sollte man 1.000 Stück davon in Europa produzieren. Wenn man ein T-Shirt aus Massenproduktion für 10 Euro verkaufen will, dann sollte man eine Fabrik in China eröffnen. Dasselbe gilt für die Photovoltaik: Hochleistungsmodule für besondere Anwendungen können weiterhin in Europa gefertigt werden, wo die Produkte nicht so preissensibel sind. Bei den meisten „standardmäßigen“ Solarmodulen handelt es sich jedoch um ein Massenprodukt, dessen Produktion idealerweise in Asien und insbesondere China angesiedelt wird.

Die chinesischen Hersteller sind die letzten Kunden europäischer Anlagen- und Maschinenhersteller. Wenn das Modulgeschäft in China Schwierigkeiten bekommt, so schadet das gleichzeitig den deutschen Equipment­herstellern. Wenn es Pläne gibt, sich aus den Subventionen im Solarbereich in Europa in den kommenden Jahren auszuschleichen und somit die Photovoltaik in den Marktwettbewerb treten zu lassen, dann wäre die Förderung von Dumping sinnvoll, weil davon schließlich die Endverbraucher profitieren würden.

Der Ausweg

Gegenwärtig findet das Rennen zwischen Deutschland und China statt. Im Upstream-Bereich wird die Technologie in Deutschland bleiben, während die Produktion in China erfolgen wird. Beim nachgelagerten EPC-Markt wird das E (Engineering) aus Deutschland kommen, das P (Procurement) aus China und das C (Construction) vom regionalen Markt.

Die MENA-Region könnte sich zu einem großen Markt entwickeln. Das wird jedoch Zeit in Anspruch nehmen: Bevor „abgesahnt“ werden kann, ist viel Entwicklungsarbeit nötig. Für das zukünftige Geschäft sind Ausbildung, technische Aufrüstung und die Regulierung der Region notwendig. Insgesamt bedarf die gesamte Branche einer Korrektur in Bezug auf Größe, Ausgaben, Technologie und Unternehmen. Dabei müssen Unternehmen, Verbände und Fachleute zusammenkommen und über eine entsprechende Umsetzung diskutieren.

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