Brüssel übernimmt die Kontrolle

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Was hat es mit den europäischen Regelungen für den Netzanschluss auf sich?

Die Europäische Kommission hat den Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E beauftragt, sogenannte Network Codes für das gesamte europäische Stromnetz aufzustellen. Diese umfassen unter anderem Netzanschlussbedingungen wie Blindleistungsbereitstellung, Frequenzhaltung und Einspeisemanagement für alle in das Stromnetz einspeisenden Generatoren. Dabei sollen Anlagengrößen von 400 Watt bis zum Kernkraftwerksgenerator berücksichtigt werden. Die Network Codes, die später in ein europäisches Gesetz überführt werden, sollen zunächst nur sogenannte Cross-Border-Issues behandeln, also Belange, die eine europäische Dimension haben, weil sie über die Ländergrenzen hinweg von Bedeutung sind. Das ist zum Beispiel das Thema Frequenzhaltung. Wir haben ja schon gesehen, dass durch eine Abschaltung von Energieerzeugern bei einer Frequenz von 50,2 Hertz in einem Land durchaus das gesamte europäische Verbundnetz aus dem Tritt geraten kann. Da ist es auf jeden Fall von Vorteil, eine vernünftige Kennlinie zu haben, die europaweit gilt.

Wird das Gesetz unsere bisherigen nationalen Regelungen ablösen?

Es ist klar, dass die neuen Vorgaben aus Europa nur einen kleinen Teil der Netzanschlussbedingungen abdecken können. Unsere nationalen Regelungen werden dadurch nicht vollständig ersetzt. Zukünftig wird eben ein Teil nach den ENTSO-E-Vorgaben geregelt. Das ist also nur eine Ergänzung oder besser gesagt, ein übergeordnetes Papier. Für den Rest gibt es dann noch die Detailrichtlinien auf nationaler Ebene, in Deutsch land sind das Niederspannungsrichtlinie, Mittelspannungsrichtlinie und weitere Richtlinien.

Hat die Fachgruppe Netzfragen des BSW-Solar Einsprüche zum bisherigen Entwurf eingereicht?

Wir haben mehrere Einsprüche eingelegt, zum Beispiel was die Blindleistungsfähigkeit betrifft. Auch dass die Regelungen schon für Anlagen ab 400 Watt gelten sollen, halten wir für kritisch. Das heißt ja, dass zwei Solarmodule, die in ein Wechselstromnetz einspeisen, schon betroffen sind. Ebenfalls ein sehr wichtiger Punkt war für uns die Bedeutung von europäischer Normung. Wir plädieren dafür, dass von Seiten des ENTSO-E wirklich nur ein Mindestmaß an Standardisierung in einem Gesetz erfolgt. Der Rest sollte unserer Meinung nach über Cenelec-Normen geregelt werden. Cenelec ist die europäische Normungsorganisation für elektrotechnische Normen.

Wo ist der Vorteil von Cenelec-Normen gegenüber einem europäischen Gesetz?

Gesetze können im Bedarfsfall nicht so einfach geändert werden. Das, was da drinsteht, ist erst mal für einige Jahre festgelegt. Deshalb sollte das Gesetz nicht zu weit bis ins technische Detail gehen. Mit einer Kombination aus Gesetz und begleitenden Normen kann man die Netzintegration besser und vor allem flexibler gestalten. Außerdem sitzen in den Cenelec-Normungsgremien Übertragungsnetzbetreiber, Verteilnetzbetreiber und die Industrie gleichberechtigt an einem Tisch. Wird alles in einem Gesetz festgelegt, sind wir sozusagen auf das Wohlwollen der Übertragungsnetzbetreiber angewiesen, weil nur diese von der Kommission mit der Entwicklung derNetwork Codes beauftragt wurden. Dabei besteht die Gefahr, dass nicht genügend Rücksicht auf die Interessen der Industrie genommen wird.

Was sagen die Verteilnetzbetreiber zu den Vorschlägen der Übertragungsnetzbetreiber?

Den Verteilnetzbetreibern geht das Mandat, wie es die Übertragungsnetzbetreiber verstehen, viel zu weit. Die Übertragungsnetzbetreiber mischen sich damit zum Teil in Sachen ein, die die Verteilnetzbetreiber selbst regeln wollen. Zum Beispiel das Thema Spannungshaltung im Nieder- oder Mittelspannungsnetz, was sicherlich kein Cross-Border-Issue ist.

Was bedeuten die Pläne aus Brüssel für Hersteller von Solarwechselrichtern?

Eigentlich recht wenig. Sie müssen die Frequenzhaltung gesetzeskonform gestalten. Das ist aber erst mal nur eine Softwareangelegenheit. Außerdem müssen sie sich unter Umständen auf das Einspeisemanagement vorbereiten. Ansonsten steht dort relativ wenig, was die Wechselrichterhersteller betrifft. Zum Teil sind sie ja auch schon durch die deutsche Mittel- und Niederspannungsrichtlinie recht gut vorbereitet. Herausforderungen sehe ich derzeit zum Beispiel eher bei Mikro-Blockheizkraftwerken, die noch Probleme sowohl mit der Blindleistungsbereitstellung als auch mit der Frequenzhaltung haben.

Sie kritisieren die Regelungen zur Blindleistungsbereitstellung. Warum?

Im Entwurf ist der Abschnitt über die Bereitstellung von Blindleistung leider etwas schwammig formuliert. Bis jetzt steht dort nur drin, dass alle Anlagen blindleistungsfähig sein sollen. Die Details sollen dann auf nationaler Ebene geregelt werden, alsodurch den Netzbetreiber vor Ort oder über nationale Richtlinien und Gesetze. Das ist aber nicht ganz zufriedenstellend, weil diese Formulierung unter Umständen bedeuten kann, dass auch Kleinstanlagen von der Blindleistungsregelung betroffen sind. Wir setzen uns dafür ein, dass diese Forderung nur für Anlagen ab 3,68 Kilowatt gilt, so wie es auch in der Niederspannungsrichtlinie steht.

Wird nun auch das Einspeisemanagement auf Europaebene geregelt?

Zum Einspeisemanagement ist eine relativ positive Formulierung gefunden worden. Es wird nur gesagt, dass es einen binären Eingang geben soll, über den die Anlage schaltbar ist. Ob das mit einem Rundsteuerempfänger oder mit einem anderen Medium geschieht oder ob die Anlage überhaupt angesteuert werden muss, dazu steht im Entwurf nichts. Das ist dann die Sache von Verteilnetzbetreiber und Anlagenbetreiber. In Deutschland ist meiner Meinung nach mit dem Einspeisemanagement besonders bei Kleinanlagen deutlich über das Ziel hinausgeschossen worden, weil es mit der Vergütungsfähigkeit von Anlagen verknüpft worden ist. So kann der Netzbetreiber unter Umständen einen Rundsteuerempfänger vorschreiben, obwohl er ihn selbst noch gar nicht ansteuern kann.

Werden durch die Neuregelungen auch neue Zertifikate für Anlagen oder Wechselrichter nötig?

Wir sind diesbezüglich in der Diskussion und hoffen, dass dort keine neuen Zertifizierungspflichten drinstehen. Wenn überhaupt, sind wir nur für eine Typzertifizierung für Kleinanlagen. Wir sprechen uns auch gegen eine festgeschriebene Pflicht für Einheitenzertifikate für Wechselrichter aus. Vielleicht ist ein vereinfachtes Zertifikat denkbar, das bescheinigt, dass der Wechselrichter das Frequenzverhalten nach den Vorgaben des ENTSO-E erfüllt, aber nicht mehr. Richtig kompliziert würde es werden, wenn Betreiber auch noch ein Anlagenzertifikat vorweisen müssten. Dies hatte ja schon im Rahmen der Mittelspannungsrichtlinie für viel Wirbel gesorgt, weil es nicht genügend akkreditierte Zertifizierungsstellen gab. Und dabei waren nur Anlagen betroffen, die ins Mittelspannungsnetz einspeisen. Diese machen aber nur etwa drei Prozent der installierten Anlagen aus.

Wann wird das Gesetz für alle Länder der Europäischen Union verbindlich?

Am 2. Mai 2012 wird eine überarbeitete Version des Entwurfs zu den europäischen Anschlussregeln präsentiert, in der die über 6.000 Einwände und Änderungsvorschläge der Interessenvertreter berücksichtigt sein sollten. Diese wird dann an den Verband der europäischen Regulatoren (ACER) weitergeleitet, das sind die Bundesnetzagentur und ihre europäischen Pendants. Diese werden dann ungefähr ein halbes Jahr brauchen. Von da aus geht der Entwurf an die Europäische Kommission. Dort sollte die Bearbeitung ein weiteres halbes Jahr in Anspruch nehmen, und dann hofft man, bis 2014 fertig zu sein. Die Übergangsfrist soll drei Jahre betragen. Das heißt, die in dem Gesetz formulierten Regelungen würden somit im Jahr 2017 verbindlich.

Das Interview führte Mirco Sieg.

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Zitat

„Das Gesetz sollte nicht zu weit ins technische Detail gehen. Der Rest kann besser über Cenelec-Normen geregelt werden.“

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