Herr Ostermann, wie kam es zur Fast-Insolvenz der Varta AG?
Michael Ostermann: Die Ursachen waren klar: Zu Beginn der 2020er-Jahre hat die Varta AG fast eine halbe Milliarde Euro investiert, in Erwartung von Marktentwicklungen, die so nicht eingetreten sind. Das Unternehmen war zuvor nahezu schuldenfrei, hat sich dann stark verschuldet, während der Markt in den investierten Bereichen teilweise eingebrochen ist. Die Ertragskraft sank, die Zinslast stieg, Forschung und Entwicklung konnten nicht mehr finanziert werden. In einem Innovationsmarkt wie dem Batteriegeschäft ist das existenzbedrohend.
In welche Märkte wurde konkret investiert?
Zum einen in Coin-Power-Zellen für True-Wireless-Headsets – also kompakte, kabellose In-Ear-Kopfhörer ohne Verbindungskabel. Während der Coronazeit boomte dieser Markt – das Wachstum hielt aber nicht lange an. Schon ab 2022 ging es stark zurück. Zum anderen in Lithium-Ionen-Hochleistungszellen, spezielle Rundzellen, die für den Einsatz in Hochleistungsfahrzeugen ausgewählter Modelle deutscher Sportwagenhersteller entwickelt wurden. Auch hier unterschätzte man die Komplexität der Industrialisierung. In beiden Segmenten hat man sich finanziell überhoben.
Gerade bei den Knopfzellen gab es Kritik, man sei zu abhängig von Apple gewesen.
Den Namen haben sie genannt, nicht ich. Aber es ist bekannt, dass wir für einen großen Technologiekonzern mit einer starken Marke einen wichtigen Beitrag zur Miniaturisierung dessen führender True-Wireless-Kopfhörer geleistet haben. Sie ermöglichte erst das kompaktere Design, das heute marktprägend ist.
Die Varta AG bewegt sich in diesem Produktsegment, den kleinen Lithium-Ionen-Zellen, in einem echten Haifischbecken mit hohem Wettbewerbsdruck. Hier tummeln sich zahlreiche Hersteller, unter anderem aus China, aber auch Samsung SDI, zum Beispiel. Es gibt keinen exklusiven Liefervertrag mit dem besagten großen Technologiekonzern. Unsere Coin-Power-Zellen liefern wir auch an andere Kunden, etwa Sennheiser.
Wie bewerten Sie die Rolle Ihrer Vorgänger?
Im Nachhinein ist man natürlich immer schlauer, das ist leicht gesagt. Deshalb möchte ich mich da auch gar nicht zu sehr hineinsteigern. Im Rückblick muss man aber schon sagen, dass es Fehleinschätzungen gab. Ob leichtfertig oder unter dem damaligen Druck – das zu beurteilen steht mir nicht zu. Ich halte nichts davon, im Nachhinein vom Spielfeldrand aus Kritik zu üben. Klar ist allerdings auch: Einige Entscheidungen würden aus heutiger Sicht so nicht mehr getroffen werden.
Warum haben Sie das StaRUG-Verfahren gewählt – und nicht ein klassisches Insolvenzverfahren?
Die Varta AG hatte sich in eine Lage manövriert, in der das Unternehmen faktisch überschuldet war. Wäre diese Situation schon 2020 eingetreten, also vor Einführung des StaRUG, hätten wir Insolvenz anmelden müssen. Das StaRUG erlaubt es, Fremdkapital zu restrukturieren, ohne in eine volle Insolvenz zu gehen. Arbeitsverträge oder Pensionsverpflichtungen kann man damit nicht anpassen – es ist also auch keine „Insolvenz light“. Aber für unsere Situation war es das schnellere und schonendere und damit bessere Instrument. Wir konnten unsere Schulden von 485 auf 230 Millionen Euro reduzieren und sind wieder refinanzierungsfähig.
Dennoch haben viele Privatanleger ihre Anteile verloren.
Zunächst möchte ich festhalten, dass ich die Verluste der Privatanleger sehr bedauere und auch den Groll gut nachvollziehen kann. Jedoch sind in Deutschland die Interessen der Fremdkapitalgeber, also der Gläubiger, grundsätzlich höher gewichtet als die der Anteilseigner. Denn gesetzlich ist in Deutschland das Gläubigerrecht stärker geschützt als das Kapitalrecht. Und ich halte das auch für richtig. Das bedeutet: Wenn Gläubiger einen Schuldenschnitt akzeptieren sollen, dann muss in der Regel vorher auch eine Kapitalherabsetzung stattfinden. Wer einen Schuldenschnitt will, muss zuvor das Eigenkapital zurückführen. Auch Großaktionäre wie Michael Tojner haben alles verloren, hatten aber später als institutionelle Investoren die Möglichkeit, sich erneut zu beteiligen. Kleinanleger hätten dafür einen testierten Abschluss gebraucht. Der war uns nur mit einem IDW-S6-Gutachten möglich und das wiederum nur, wenn Schulden gesenkt und 100 Millionen Euro frisches Kapital bereitgestellt würden. Es war eine Kette von Bedingungen, die uns kaum Handlungsspielraum ließen.
Wie wollen Sie jetzt Vertrauen zurückgewinnen?
Wir wollen als Unternehmen wieder Vertrauen aufbauen: am Finanzmarkt, bei unseren Kunden, unseren Lieferanten, unseren Mitarbeitenden und potenziellen Kapitalgebern, egal ob es sich um Banken oder künftige Investoren handelt. Die Berichterstattung in den vergangenen Monaten war nicht immer positiv. Das hat Vertrauen gekostet. Da müssen wir ehrlich sein. Jetzt geht es darum, dieses Vertrauen aktiv zurückzugewinnen. Und das gelingt nur durch seriöses, solides Wirtschaften. In der Vergangenheit wollte man zu viel in zu kurzer Zeit und hat dabei manchmal mit zu wenig Sorgfalt gehandelt. Daraus haben wir gelernt.
Woran misst sich der Erfolg der Restrukturierung in den nächsten Jahren?
Wir haben den formalen juristischen Prozess Ende Januar abgeschlossen. Ein wichtiger Teil davon war die Ausgliederung des Automotive-Geschäfts, konkret der Hochleistungszelle. Porsche hält jetzt 76 Prozent der Anteile, die Varta AG ist mit 24 Prozent an einer Junior-Position beteiligt. Gleichzeitig haben wir frisches Kapital eingeworben: Porsche ist bei der Varta AG auf AG-Ebene eingestiegen, was Teil der Finanzierung war. Und ja, das ist ein Punkt, der häufig diskutiert wird: Auch Michael Tojner hat sich wieder beteiligt. Der Restrukturierungszeitraum läuft über drei Jahre. Ziel ist es, bis 2027 eine sogenannte Exit-Finanzierung am Markt zu erreichen. Es wäre das formale Ende des Restrukturierungsprozesses.
Aus dem Automotive-Bereich steigen Sie aus, mit welchen Geschäftsbereichen wollen Sie die Varta AG sanieren?
Heute stehen wir im Wesentlichen auf fünf Standbeinen. Das Bekannteste ist sicherlich unsere Alkali-Batterien, die wir vollständig in Deutschland produzieren. Das ist nach wie vor unsere größte und auch erfolgreichste Business-Unit. Außerdem sind wir im Bereich Hörgerätebatterien und Medizintechnik Weltmarktführer. Rund eine Milliarde Zellen pro Jahr produzieren wir in diesem Segment. Hinzu kommen die kleinen Zellen für drahtlose Kopfhörer und Batteriepacks für Industriekunden wie Miele oder Bosch. Auch der Bereich Stromspeicher von Heimspeichern bis zu Systemen mit 750 Kilowattstunden.
Gerade in den letzten beiden Bereichen ist der Preisdruck enorm hoch. Wie wollen Sie sich gegen asiatische Anbieter behaupten?
Auch bei Alkali-Batterien, kleinen Lithium-Ionen-Knopfzellen oder Hörgerätebatterien stehen wir unter starkem Wettbewerbsdruck, insbesondere aus China. Das sind wir gewohnt. Im Segment der Heimspeicher sind wir zwar nicht die günstigsten am Markt, aber es gibt auch noch einige große bekannte Firmen aus China, die aktuell teurer verkaufen, als wir das tun werden. Natürlich sind wir preislich nicht auf dem niedrigen Niveau der aggressivsten Anbieter, aber das ist auch nicht unsere Strategie. Unser Anspruch ist, der verlässlichste Anbieter zu sein. Und das wissen unsere Kunden zu schätzen. Wir bieten echten technischen Support, kein ausgelagertes Callcenter. Hinzu kommt der Aspekt Sicherheit. Zuletzt ist die Diskussion um ausländische Wechselrichterhersteller hochgekocht – Stichwort „Ghost Devices“. Bei der Varta.wall haben wir von Beginn an darauf geachtet, dass alle Daten auf zertifizierten Servern in Deutschland oder Europa gespeichert werden; keine Übertragung in die USA oder andere Regionen. Auch bei der Kompatibilität setzen wir vorrangig auf deutsche Wechselrichterhersteller. Zudem sind alle unsere Speicherlösungen offlinefähig.
Welchen Anteil am Umsatz hat das Geschäft mit Stromspeichern wie „Varta.wall“ oder Gewerbebatterien? Mal abgesehen vom Service, wie wollen sie in diesem Segment wachsen?
Der Bereich „Energy Storage Systems“, der unter anderem Heimspeicherlösungen wie die Varta.wall sowie gewerbliche Batteriespeicher umfasst, trägt rund 15 Prozent zum Gesamtumsatz der Varta AG bei. Die Varta AG sieht im Bereich stationärer Speicherlösungen ein strategisches Wachstumsfeld. Mit modernen Produktplattformen und gezielter Entwicklungsarbeit in Kombination mit unserem Batteriezellen-Know-how stärkt das Unternehmen seine Position als europäischer Anbieter führender Energiespeicherlösungen. Wachstum soll dabei insbesondere durch technologische Differenzierung – etwa mit der Varta.wall Plattform – sowie durch eine gezielte Expansion in weitere europäische Märkte und eine klare Ausrichtung auf Ökosysteme und Energievernetzung erreicht werden.
Spulen wir ein paar Monate vor: Die Betriebsweihnachtsfeier steht an. Welche Ansprache würden Sie Ihrer Belegschaft geben?
Wenn ich heute eine Weihnachtsansprache halten müsste, würde ich sagen: Wir haben es noch nicht geschafft – aber wir haben das Schlimmste hinter uns. Während des StaRUG-Verfahrens waren wir fremdgesteuert: Wir brauchten die Zustimmung der Banken, wir mussten Investoren finden, die bereit waren, uns Kapital zur Verfügung zu stellen. Jetzt liegt es wieder in unserer Hand. Und wenn ich nicht an die Varta AG glauben würde, diesen traditionsreichen europäischen Technologieführer, wäre ich nicht hier. Ich bin überzeugt: Wir können das schaffen! Ich habe nie die deutschen Standorte zur Disposition gestellt. Nicht aus Naivität, ganz im Gegenteil. Ich habe in früheren Funktionen Werke in über 80 Ländern verantwortet, ich habe auch Werke geschlossen und verlagert. Aber bei dem, was wir mit unserer Marke, mit unseren Produkten tun, bin ich überzeugt, dass wir wettbewerbsfähig in Deutschland produzieren können, wollen und werden.
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Dann wünsche ich mal viel Erfolg und hoffe, in Zukunft einmal den Namen Varta wieder im Zusammenhang mit einer Empfehlung aussprechen zu können. Zuletzt war das eher schwierig.
Angenehmes Interview. Standard bei CEOs von Sanierungsfällen ist ja heute, ein rabenschwarzes Bild von den Vorgängern zu zeichnen, also noch schlechter als es tatsächlich war, um dann als Manager selbst (vermeintlich) zu glänzen. Angenehm, dass er darauf verzichtet. Ansonsten viel Erfolg!
Wir brauchen eine Firma bzw. einen CEO mit dem Mindset für das Northvolt-Projekt in Heide.
Ich „erlebte“ -in der Zeit, wo noch als angestellter Ing tätig- viele -damals noch- höchst angesehene Gross-Betriebe, die auf dem gleichen Weg waren, wie alle einst „grossen und mächtigen Völker“:
Man hatte sich -über lange Zeit- in harter Arbeit eine gute Position und hohes Ansehen erarbeitet-
und begann irgendwann, sich darauf auszuruhen – anstatt weiter fleissig zu säen / um konstant gut ernten zu können.
Statt „Bären, Büffeln, Elefanten, fleissigen Eselchen“ etablierten sich in immer mehr Führungspositionen – und irgendwann bis hin zu der Vorarbeiter-Riege „Füchse, Schakale, Mit-Esser und Geier“.
Was „bildlich gesehen“ bei fast allen „öffentlich bekannten/diskutierten“ Insolvenzen -ob nun gross oder klein- nachvollziehbar ist .
Also ists wohl bezüglich eines „neuen Hirten, der ins gelobte Land führt“
erst mal vorrangig, dass er selbst entsprechend qualifiziert, redlich und stark ist
und zudem fähig ist, die vorhandenen „faulen Eier“ zu erkennen und bald bestens zu ersetzen.
Die Enteignung der Aktionäre war ein Schurkenstück von Varta und dem Gesetzgeber. Varta wird mit dieser moralischen Bürde erfolglos bleiben.
Es kamen viele Fehler aus vielen Richtungen zusammen – und die jetzige Dauer-Fehlzündung bei Varta programmierten ein:
Gegen 2020 die Aktionäre, welche sich exorbitante Betriebsergebniss“als Gewinn ausschütten liessen“ anstatt den Gross-Teil dieser Gelder schnellst, bestens, zu investieren, denn
Zu viel Betriebs-Ertrag wurde verschwendet. statt verwendet
und die Konkurrenz wurde mit der Nase drauf gestossen, wo sich leicht Geld verdienen lässt –
wodurch die seitherigen Gewinnbringer derart viel Billig-Konkurrenz bekamen, dass nichts mehr zu verdienen war.
Längerfristig (etwa die vergangenen 10 Jahre) alldie leitenden Angestellten,
welche sich den Momentan-Erfolg automatisch als eigene Leistungen verbuchten,
keinen „Jagdeifer“ mehr hatten und die Ex-Lorbeeren als bequemes Po-Kissen nutzen und vollpupten statt diese Lorbeeren stolz als Kopf-Bekränzug zu nutzen- und sich täglich von Neuem zu verdienen —
UND meinten, wenn voll auf momentane Trends eingestiegen wird, wäre DAS Zukunfts-Garant
— anstatt sich pflichtbewusst, treu und fleissig in die technische Zukunft hineinzu-denken/arbeiten
um daraus als Varta tatsächlich und sicher und stets gut am Ball bleiben zu können
Beispielsweise bei Agfa brachten deren Oberste auch zu lange ähnliche Selbstüberschätzungen und Felleistungen – und unsre fast komplette Auto-Industrie brachte erst mal Dieselbetrug und dann E-Euphor-Notgeburten , welche -eigentlich- nicht logisch nachvollziehbar sind – und ich hoffe doch, dass es „den Massgeblichen“ möglichst blitzartig bewusst wird, dass uns ein „weiterr so“
also zunehmende geistige Defizite und Des-Motiviertheit unsrer Obersten
und zunehmend manipulativer Verdummmung „einfacher Leute“
uns -egal wie- letztendlich- in Armut und/oder Krieg führt ?