Der Expertenrat für Klimafragen hat am Mittwoch sein „Zweijahresgutachten 2024“ veröffentlicht. Es steht im Zusammenhang mit dem Bundes-Klimaschutzgesetz und nimmt die bisherigen Entwicklungen der Treibhausgasemissionen, Trends der Jahresemissionsgesamtmengen und Jahresemissionsmengen sowie Wirksamkeit von Maßnahmen unter die Lupe. Vorsitzender des Expertenrates ist der Institutsleiter des Fraunhofer-ISE Hans-Martin Henning. Dem Gremium gehören zudem Brigitte Knopf, Marc Oliver Bettzüge, Thomas Heimer und Barbara Schlomann an.
In ihrem Gutachten geben die Experten eine Einordnung zur Ausrichtung der zukünftigen Klimaschutzpolitik Deutschlands und formulieren Anforderungen an das Klimaschutzprogramm, das eine neue Bundesregierung innerhalb des ersten Jahres der Legislaturperiode vorlegen müsse. Sie sehen Fortschritte beim Rückgang der Treibhausgasemissionen von 2014 bis 2023, der sich gegenüber der Periode 2010 bis 2019 beschleunigt habe. Dazu beigetragen hat unter anderem der Ausbau der Erneuerbaren in der Energiewirtschaft. In der Industrie sorgte dagegen eher die Konjunkturschwäche für die Minderung der Emissionen, während in den Sektoren Gebäude und Verkehr die Reduktionen unzureichend seien. Dies sei „in erster Linie auf den schleppenden Umbau hin zu einem nicht-fossilen Kapitalstock zurückzuführen“, so der Expertenrat.
„Dies ist vor allem kritisch in Hinblick auf die Erreichung der nationalen Ziele unter der EU-Lastenteilung“, so das Gremium. Das Erreichen der Ziele sei nicht allein durch den europäischen Emissionshandel sicherzustellen. Der Expertenrat fordert zusätzliche Maßnahmen. Mit dem Blick zurück heißt es weiter, dass eine Reihe von Klimaschutzmaßnahmen novelliert und neu eingeführt worden seien. Der Schwerpunkt habe dabei auf fiskalischen sowie regulatorischen Maßnahmen gelegen, wobei nur wenig neue Instrumente hinzukamen. „Die neuen Maßnahmen zielen vorwiegend darauf ab, den bestehenden fossilen Kapitalstock durch nicht-fossilen Kapitalstock zu ersetzen und dabei bestehende industrielle Strukturen zu erhalten“, stellt der Expertenrat fest. Er verweist darauf, dass „verhaltensbasierte Minderungspotenziale“ in den Sektoren Gebäude und Verkehr noch zu wenig adressiert würden.
Nach Ansicht des Expertenrates gilt künftig: „Klimapolitik breiter denken – Zielkonflikte identifizieren, Synergien heben, Investitionen priorisieren“. Dies sei angesichts der neuen geopolitischen Lage sowie der konjunkturellen und strukturellen Schwäche der deutschen Wirtschaft auf der einen Seite und der immer deutlicher spürbaren Folgen des Klimawandels auf der anderen Seite wichtig. „Angesichts der erheblich veränderten Rahmenbedingungen und der starken Wechselwirkung mit anderen Politikfeldern muss Klimapolitik breiter gedacht werden. Die umfassende Einbettung klimapolitischer Maßnahmen in eine politische Gesamtstrategie ist jetzt wichtiger denn je“, erklärte Hans-Martin Henning. Es sei ein „zentraler Koordinierungsmechanismus“ notwendig. So könnte etwa das Klimakabinett wiederbelebt werden, um die bessere Integration der Maßnahmen in die verschiedenen Politikfelder sicherzustellen. Auch sinnvoll sei die Einführung eines systematischen Monitoring- und Evaluationssystems, das die Wechselwirkungen mit anderen Politikbereichen analysiert und Zielkonflikte offenlegt.
Umfang der gesamten Transformationsinvestitionen zwischen 135 und 225 Milliarden Ero jährlich
„Für die zukünftige Ausgestaltung von Klimaschutzprogrammen müssen mögliche Zielkonflikte, aber auch Synergien und Co-Benefits mit der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik einbezogen und in den gesellschaftlich-politischen Diskurs eingebracht werden”, sagte Henning. Die Finanzierbarkeit müsse bei der Planung und Priorisierung von Klimaschutzmaßnahmen eine zentrale Rolle einnehmen.
„Die Analyse der betrachteten Studien zeigt, dass die projizierten Investitionen einen relevanten Anteil der erwarteten Wirtschaftsleistung Deutschlands ausmachen würden“, erklärte Thomas Heimer mit Blick auf die Auswertung mehrerer Studien, um die Investitionsvolumina insgesamt und speziell der öffentlichen Hand zu beziffern. Der Expertenrat kommt nach der Auswertung von vier Studien auf einen „sektorenübergreifenden Umfang der gesamten Transformationsinvestitionen“ zwischen 135 und 225 Milliarden Euro jährlich. In der Energiewirtschaft seien es je nach Studie zwischen 37 und 90 Milliarden Euro pro Jahr, wobei der Ausbau der Erneuerbaren und der Stromnetze die höchsten Kosten verursachen.
„Um zu beurteilen, in welchem Umfang und wie Transformationsinvestitionen gestemmt werden können, sollte die Bundesregierung deshalb in ihrer mehrjährigen Finanz- und Wirtschaftsplanung diese ausdrücklich berücksichtigen”, so das Ratsmitglied weiter. Eine große Bedeutung komme dabei aber auch Innovationen zu.
Soziale und ökonomische Verteilungswirkungen
Für das Gutachten hat sich der Expertenrat auch mit den sozialen und ökonomischen Verteilungswirkungen befasst, die zum einen die internationale Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere der energieintensiven Branchen, betreffe und zum anderen die Privathaushalte. „Private Haushalte sind vor allem in den Nachfragesektoren Gebäude und Verkehr von finanziellen Auswirkungen verschiedener Maßnahmen betroffen“, sagte die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Knopf. „Zudem weisen einige Maßnahmen ein soziales Ungleichgewicht auf, so wurden bisher primär einkommensstarke Haushalte gefördert.“ Weiter steigende CO2-Preise könnten diese Wirkungen noch verstärken, weshalb zusätzliche Unterstützungs- und Kompensationsmaßnahmen erforderlich seien. Mit Blick auf die Industrie fordert der Expertenrat eine Verzahnung von Klimaschutzpolitik und der Gestaltung des Strukturwandels.
„Die Bewertung des Expertenrates für Klimaschutz unterstreicht die Werthaltigkeit von investitionssichernden Anreizen im Umstieg auf erneuerbare Energien“, erklärte Nina Scheer, Klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, zum Gutachten. „Eben diese haben die bestätigten Erfolge im Energiesektor ermöglicht. Zugleich werden unsere Warnungen vor einer Verlagerung des Klimaschutzes auf den Emissionshandel bestätigt. Der Fokus für gelingenden Klimaschutz muss weiterhin und verstärkt sowie sektorübergreifend auf Anreizen und Ermöglichung des Umstiegs auf bezahlbare wie verfügbare, da Erneuerbare Energien, unter Einbindung von Flexibilitäten, liegen.“
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Julia Verlinden, hebt hervor: „Deutschland ist erstmals auf Kurs zu seinen Klimazielen. Das ist ein Erfolg entschlossener Klimapolitik – besonders im Energiesektor sehen wir, dass ambitionierte Maßnahmen wirken. Aber klar ist auch: 2030 ist noch nicht gesichert.“ Sie schließt sich der Auffassung des Expertenrates an, dass eine sozial gerechte Verteilung beim Klimaschutz wichtig sei. „Deshalb müssen Förderprogramme sozial gestaffelt und besonders für kleine Einkommen attraktiver gestaltet werden – so wie wir es in der Heizungsförderung bereits umgesetzt haben. Außerdem müssen wir das Klimageld endlich einführen, damit die Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung direkt und sozial gestaffelt an die Menschen zurückgegeben werden“, so die Grünen-Politikerin.
Kritik an der Regierungsarbeit kommt dagegen von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). „Bereits im vergangenen Jahr wurde die Bundesregierung aufgrund unserer Klimaklagen mehrmals zu verbindlichen weiteren Klimaschutzmaßnahmen verurteilt. Aber anstatt das Klimaschutzprogramm entsprechend nachzuschärfen, hat die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz entkernt“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz. „Das Gutachten des Expertenrats zeigt nun in aller Deutlichkeit, auf welchem Irrweg sich die Regierung damit befindet.“ Die DUH forderte die Parteien auf, sich bereits im Wahlkampf zu zusätzlichen Klimaschutzmaßnahmen zu bekennen.
„Wir erwarten von der neuen Bundesregierung in den ersten 100 Tagen der Legislatur im Gebäudebereich den Start einer bundesweiten energetischen Sanierungsoffensive für öffentliche Gebäude, beginnend mit Schulen und Kindergärten. Dazu gehört ein klares Bekenntnis zu einem beschleunigten Wärmepumpenhochlauf, die verpflichtende Umsetzung der Sanierungsrate von drei Prozent für alle öffentlichen Gebäude und die effiziente und sozial verträgliche Umstrukturierung der Förderung. Keinesfalls dürfen die Fehler der Ampel-Regierung wiederholt und am aktuellen Neubau-Wahn festgehalten werden“, sagte Metz. Im Verkehrsbereich fordert die DUH unter anderem die sofortige Einführung eines bundesweiten Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen, von 80 auf Landstraßen und 30 in Städten.
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