Ein „Domestic Production Portfolio“-Standard für Photovoltaik-Anlagen in Europa

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Die Tatsache, dass wir derzeit bei wichtigen Elementen der Photovoltaik-Wertschöpfungskette zu fast 100 Prozent von Importen abhängig sind, hauptsächlich aus China oder chinesisch dominierten Unternehmen in Südostasien, wird von wichtigen Akteuren in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft als gefährlich, ja sogar kritisch angesehen. Hinzu kommen die jüngsten Entwicklungen sowohl in den USA als auch in Europa, die Einfuhr von Waren einzuschränken, die im Verdacht stehen, unter Arbeitsbedingungen mit Zwangsarbeit hergestellt worden zu sein.

Auch der CO2-Fußabdruck von importierten Waren soll künftig durch eine Kompensationsabgabe berücksichtigt werden. Geostrategische Überlegungen, vor allem nach den schlechten Erfahrungen mit dem russischen Einmarsch in der Ukraine, machen deutlich, dass man sich nicht für alle Zeiten auf die Sicherheit von Importen aus autoritären, politisch aggressiven Ländern verlassen sollte.

Es besteht daher ein wachsendes Interesse daran, zumindest einen Teil der Wertschöpfungskette kritischer Produkte wie Solarmodule und Windgeneratoren mit heimischer Produktion abzudecken. Ich werde mich hier auf Photovoltaik-Zellen und Solarmodule konzentrieren.

Die Weltmarktpreise für Solarmodule sind in den letzten Jahren auf ein Niveau gefallen, das nach Ansicht der meisten Experten deutlich unter den Herstellungskosten chinesischer Anbieter von 15 bis 20 US-Dollarcent pro Watt liegt. Heute werden Preise von bis zu 8 Cent pro Watt genannt. Diese Preise sind wahrscheinlich nicht so sehr das Ergebnis einer besonders hinterhältigen Politik zur Ausschaltung des Wettbewerbs, sondern eher das Ergebnis einer großen Überproduktion, insbesondere in Anbetracht der US-Einfuhrbeschränkungen. Nicht alle diese Verkäufe aus gelagerten Vorräten sollten als „Preisdumping“ bezeichnet werden.

Gleichzeitig erleben wir den Versuch einer Renaissance der heimischen Photovoltaikproduktion in Europa: Mit Unterstützung der EU-Kommission und der beiden Industrieverbände European Solar Manufacturing Council (ESMC) und Solarpower Europe wurde 2022 die European Solar Industry Alliance ESIA gegründet, die rund zehn ernsthafte Projekte bündelt zum Wiederaufbau einer europäischen Solarindustrie entlang von Teilen oder der gesamten Wertschöpfungskette, vom Polysilizium über Wafer, Zellen und Module bis hin zur notwendigen Glasindustrie und der erforderlichen Leistungselektronik.

Diese weithin gewünschte Renaissance einer europäischen Solarindustrie steht vor zwei grundsätzlichen Herausforderungen, die sich in den Capex- und Opex-Kosten niederschlagen.

Wir bezeichnen die Unterstützung der für die Entwicklung dieser Industrie erforderlichen Kapitalkosten als Capex. Solche finanziellen Beiträge aus lokalen, nationalen und europäischen Quellen sind bekannt und für die Entwicklung vieler Hightech-Produktionsanlagen unerlässlich. In Einzelfällen müssen die europäischen Wettbewerbsregeln geprüft und Ausnahmen erklärt werden, beispielsweise indem Industrievorhaben zu bestimmten Technologien zu sogenannten wichtigen Projekten von gemeinsamem europäischem Interesse – kurz IPCEI – erklärt werden. Eine solche Einstufung ermöglicht es den EU-Mitgliedstaaten, die Investitionskosten der neu zu errichtenden Industrie effektiv zu unterstützen. Entsprechende Überlegungen sind bereits auf vielen Ebenen im Gange, und es ist zu erwarten, dass bereits in diesem Jahr attraktive Angebote für den Aufbau einer Photovoltaikproduktion in verschiedenen Regionen der EU vorliegen werden.

Schwieriger ist die Situation bei der Opex-Förderung: Selbst wenn die Investitionskosten zu 100 Prozent durch öffentliche Mittel gedeckt würden, werden diese neuen Industrien scheitern, wenn ihre Produkte nicht auf dem Markt abgesetzt werden können – etwa angesichts der Niedrigpreisprodukte aus Asien, die ja teilweise sogar unter den Herstellungskosten angeboten werden. Um dieses Problem zu lösen, lohnt es sich, über Opex-Subventionen und Prämien für heimische Produkte nachzudenken, und es gibt derzeit eine Reihe von Ideen, die in diese Richtung gehen. Sie haben jedoch zwei Nachteile: Erstens belasten sie den Staatshaushalt, der bereits die Investitionskosten zu tragen hat, und zweitens lässt sich nur schwer vorhersagen, welche Höhe der Prämien und Subventionen wirklich gleiche Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt schaffen wird. Grenzabgaben wie Zölle bringen den EU-Mitgliedsstaaten zwar Einnahmen, verteuern aber die Photovoltaiktechnologie, deren Kosten nicht zuletzt dank der herausragenden technologischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte auf das heutige, attraktive Kostenniveau gesenkt werden konnten.

Terminhinweis

Am Donnerstag, 20. Juni, wird im Rahmen der Intersolar/The smarter E in München um 10 Uhr auf der Bühne des „VDMA Industrie Forums“ ein Kick-off-Event für das „DPP Label“ geben – mit Einführungsvortrag von Eicke Weber und einer Panel-Diskussion, die von Winfried Hoffmann moderiert wird. Diese Veranstaltung ist frei auf dem Messegelände zugänglich.

In den vergangenen Jahrzehnten wurde jedoch in den USA ein erfolgreiches Instrument entwickelt, das sich in dieser Situation als wirksam erweisen könnte: Als es darum ging, die Einführung erneuerbarer Energien in den USA zu fördern, wurden die Energieversorger durch „Renewable Energy Portfolio Standards“ (REPs) in vielen Bundesstaaten gesetzlich verpflichtet, einen bestimmten, jährlich steigenden Anteil ihrer Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bereitzustellen – mit klar definierten Strafen bei Nichteinhaltung. Dies führte dazu, dass selbst konservative Stromerzeuger plötzlich in den Erneuerbaren-Markt eintraten, um sicherzustellen, dass sie in den Folgejahren den gesetzlich vorgeschriebenen Anteil an regenerativen Energien in ihrem Strommix hatten.

Daher scheint es in unserem Fall naheliegend, mit Photovoltaik-Händlern und Installateuren die Einhaltung bestimmter Domestic Production Portfolio (DPP)-Volumina zu vereinbaren, das heißt Volumenziele für ein inländisches Produktionsportfolio für Solarmodule, die leicht an das erklärte Ziel der EU-Kommission angepasst werden können, dass bis 2030 mindestens 40 Prozent der Komponenten für neu installierte Photovoltaik-Anlagen in der EU produziert werden sollen. Wer sich diesen „DPP-Standard“ anschließt, verpflichtet sich beispielsweise, im Jahr 2026 5 Prozent und im Jahr 2027 10 Prozent der Photovoltaikanlagen mit inländischen Produkten zu verkaufen: Ein Einzelhändler oder Großinstallateur wüsste, dass er im Jahr 2027 nur ein Volumen vom Zehnfachen der Menge seiner im Inland produzierten Solarmodule absetzen kann, damit die Menge der domestisch hergestellten Module bei seinem Gesamtabsatz nicht unter zehn Prozent fällt. Bis 2030 sollte der DPP-Anteil dann vorhersehbar auf 40 Prozent ansteigen.

Die immer wieder angeführten Probleme mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) werden bei einer solchen freiwilligen Regelung keine Rolle spielen. Kartellrechtliche Bedenken sollten dadurch ausgeräumt werden, dass dieses Programm nicht von den Abnehmern selbst organisiert wird, sondern im Wesentlichen vom ESMC mit Unterstützung der gesamten Solarindustrie initiiert wird.

Dieser Vorschlag hat mehrere klare Vorteile: Er erfordert keinen einzigen Euro an staatlichen Unterstützungszahlungen, er ist völlig transparent und vorhersehbar, und selbst wenn die heimische Produktion zu Beginn deutlich teurer sein sollte als importierte Module, wird sich dies kaum auf den Durchschnittspreis auswirken, da der Anteil der heimischen Produktion besonders zu Beginn des Programms gering ist.

Irgendwann nach 2030 könnte diese Norm obsolet werden, wenn sich die Photovoltaikproduktion in Europa im Multi-Gigawatt-Maßstab etabliert hat.

Die Nachfrage nach inländischen Photovoltaik-Produkten durch die im Markt agierenden Abnehmerfirmen wird nach Einführung dieses DPP-Labels sicher sprunghaft ansteigen, was aber natürlich den Wettbewerb innerhalb der inländischen Produzenten nicht aufhalten wird.

Ein derartiges Modell wurde bereits vom ESMC und anderen für die Umsetzung des 40-Prozent-Ziels der EU-Kommission für 2030 vorgeschlagen. Mit der Schaffung eines formellen „DPP-Labels“ könnte jedoch eine öffentliche Kommunikationskampagne gestartet werden, um die Käufer von Solarmodulen dazu zu bewegen, nur bei Unternehmen zu kaufen, die dem DPP-Label-System angehören. Am Ende eines jeden Jahres könnten die Unternehmen, die die Anforderungen des DPP-Labels übertreffen, sogar mit einer DPP-Auszeichnung in Gold oder Platin geehrt werden, ähnlich wie beim freiwilligen Standard für Gebäudeeffizienz in den USA, bei dem für neu gebaute Häuser mindestens ein LEED-Silber- oder Gold-Label erwartet wird, besser natürlich LEED-Platin.

Sehr interessant ist auch die Möglichkeit, dieses DPP-System mit den vom Bundesverband Solarwirtschaft vorgeschlagenen Resilienzprämien für Solarmodule aus heimischer Produktion zu kombinieren: Solche Resilienzprämien könnten für Module aus inländischer Produktion insbesondere denjenigen Abnehmern angeboten werden, die sich dem freiwilligen DPP-Standard für den Verkauf anschließen!

Insgesamt ist zu erwarten, dass ein erfolgreiches DPP-Label-System wesentlich dazu beitragen kann, wieder eine international konkurrenzfähige Photovoltaik- Herstellungsindustrie in Europa zu schaffen, und damit an einem Markt teilzunehmen, der wahrscheinlich 2030 mit einem Jahresumsatz von etwa 1000 Milliarden Euro den globalen Automobilmarkt an Umsatz erreichen oder sogar übertreffen wird.

Foto: Eicke Weber

— Der Autor Eicke Weber ist Physiker, ausgewiesener Wissenschaftler auf dem Gebiet der Halbleiter-Materialforschung. Er war 2006-16 Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg mit zuletzt über 1200 Beschäftigten, davor Professor im Department of Materials Science and Engineering der University of California, Berkeley. Nach seiner Pensionierung in Deutschland leitete er 2017/18 das Forschungszentrum ‚BEARS‘ der UC Berkeley in Singapur. Heute ist er Mitglied des European Solar Manufacturing Council (ESMC) und engagiert sich besonders für die Wiederansiedlung einer konkurrenzfähigen Solarindustrie in Deutschland und Europa. Er ist auch Mitgründer der Firma MCPV, die plant, bis 2030 insgesamt 15 Gigawatt Solarzell- und Modulproduktion basierend auf modernster Produktionstechnik in Europa aufzubauen. —

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