Szenario: Börsenstrompreis wird auch wegen Photovoltaik-Zubau bis 2040 sinken

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Beim Strompreis verstehen Verbraucher und Industrie keinen Spaß. Inzwischen ist der Durchschnittspreis für Börsenstrom im Vergleich zum Chaosjahr 2022 zwar wieder deutlich gesunken. Im Jahr 2023 lag er bei 9,5 Cent pro Kilowattstunde. Wer das gesamte Jahr über eine konstante Menge Strom bezog, bezahlte diesen Preis zuzüglich der Netzkosten, Steuern, Abgaben und Margen der Versorger. Doch der Preis ist immer noch mehr als dreimal so hoch wie im Coronajahr 2020 – da lag er bei drei Cent – und fast doppelt so teuer wie 2019; damals kostete eine Kilowattstunde im Durchschnitt 4,9 Cent.

Die Netzkosten werden aller Voraussicht nach deutlich steigen, Prognosen oder Szenarien dafür sind allerdings noch komplizierter als die Betrachtung des Börsenstrompreises. In diesem Artikel geht es nur darum, wie letzterer sich entwickeln wird. Denn auch darüber gibt es Streit. Als letztes Jahr über einen Industrie- oder Brückenstrompreis diskutiert wurde, ging es auch darum, wohin eine solche Brücke eigentlich führen kann.

Energiewende zur Kostensenkung?

Muss man wirklich nur schnell viele Solarkraftwerke, Windkraftanlagen und Batteriespeicher zubauen, damit Strom wieder billig wird? Im Jahr 2023 lagen die Stromgestehungs­kosten für neu gebaute Solarkraftwerke zwischen 5,5 und 7 Cent pro Kilowattstunde, soweit sich dies in den Ausschreibungs­ergebnissen widerspiegelte. Die Werte liegen zwar unter dem durchschnittlichen Börsenstrompreis, doch nur solange die Sonne scheint. Der Solarstrom lässt sich zwar speichern, doch dadurch wird er teurer. Allerdings kosten die Module inzwischen weniger und die Zinsen werden sinken. Doch es ist unklar, ob das reicht, damit Strom „wieder billig“ wird.

„Billig“ ist dabei natürlich kein genau definierter Begriff. „Zunächst muss man sich verständigen, ob man den Strompreis mit oder ohne Inflation betrachtet“, sagt Tobias Kurth, Prokurist beim Analyseunternehmen Energy Brainpool. Allein durch die Inflation, ohne weitere Steigerungen, liegt der Preis heute um 19 Prozent über dem im Sommer 2020.

Strommarktexperte Tobias Kurth, Prokurist beim Analyseunternehmen Energy Brainpool.

Foto: Energy Brainpool

Je länger der betrachtete Zeitraum ist, umso größer ist dieser Unterschied zwischen dem nominalen Strompreis und den inflationsbereinigten Realwerten. In den Szenarien von Energy Brainpool zeigt sich schon im Jahr 2025 eine Differenz von rund einem Cent pro Kilowattstunde (siehe Grafik). Betrachtet man den gesamten Zeitraum bis zum Jahr 2050, wird der Abstand deutlich größer. Nach dem sogenannten Go-Hydrogen-Szenario von Energy Brainpool wird der Strom inklusive Inflation, also nominal, im Jahr 2040 mehr kosten als heute. Betrachtet man die Realwerte ohne eine durchschnittliche Inflation von zwei Prozent, wird er in diesem Szenario allerdings günstiger werden. 2036 liegt er real bei rund sechs Cent. Danach wird er diese Schwelle nicht mehr übersteigen.

Da von der Inflation alle Ausgaben und Einnahmen betroffen sind, ist es sinnvoll, für die eingangs gestellte Frage diese Realwerte zu betrachten. Der Strom wird real zwar nicht mehr so billig werden, wie er im Jahr 2020 war, aber der Preis kann mittelfristig über 30 Prozent unter den des Jahres 2023 fallen. Das ist die einfache Antwort. Für die komplizierte Antwort muss man weiter ausholen.

Drei Szenarien im Vergleich

Das Go-Hydrogen-Szenario, in dem die Stromkosten bis 2036 auf ungefähr sechs Cent pro Kilowattstunde zurückgehen, ist nur eine von drei Varianten, die Energy Brainpool betrachtet. „Das ist das fortschrittlichste Szenario, bei dem der Umstieg auf erneuerbare Energien, also erneuerbare Erzeugung, Elek­trifizierung und Wasserstoffnutzung, besonders schnell erfolgt und wir so früher als in den anderen Szenarien die Netto-Emissionen auf null bringen“, sagt Kurth.

Beim „Central“-Szenario gehen die Experten davon aus, dass die erneuerbaren Energien und die anderen Größen sich so entwickeln wie von der Regierung geplant. Das „Tension“-Szenario bildet eine stark verzögerte Energiewende ab. Die Szenarien erstrecken sich über 30 europäische Länder, deren Strommärkte miteinander verbunden sind. „In Deutschland unterscheiden sich das Go-Hydrogen-Szenario und das Central-Szenario nur wenig“, sagt Kurth.

In vielen anderen europäischen Ländern geben die offiziellen Pläne aber ein geringeres Energiewende-Tempo vor, so dass sie näher beim Tension-Szenario liegen, der dritten betrachteten Möglichkeit. In diesem Szenario mit geringerem Erneuerbaren-Ausbau liegt der Strompreis im Jahr 2030 fast doppelt so hoch wie im Go-Hydrogen-Szenario.

Wie realistisch sind die Szenarien?

Energy Brainpool modelliert die Preise an der Strombörse so, wie diese heute nach dem Merit-Order-Prinzip als Energy-Only-Markt funktioniert. Da Wettbewerb herrscht, sinken die gebotenen Preise in der Regel in jedem Zeitfenster auf die Grenzkosten oder den Arbeitspreis der Erzeuger. Bei konventionellen Kraftwerken wird dieser bestimmt durch den Brennstoffpreis, den Wirkungsgrad und die Emissionskosten. Photovoltaik- und Windkraftanlagen bieten in der Regel mit null Cent pro Kilowattstunde.

In Deutschland wird der Strompreis derzeit sehr stark vom Gaspreis, dem CO2-Preis, dem Wetter und dem damit zusammenhängenden Verbrauch bestimmt. Der durchschnittliche Gaspreis lag 2023, wie der durchschnittliche Strompreis, wieder auf dem Niveau von 2021. In dem Jahr hatte der Gaspreis zwar schon auf fast 4,5 Cent pro Kilowattstunde angezogen, das aber noch vor dem Stopp der Gaslieferungen aus Russland. Im Interview mit pv magazine prognostizierte Sebastian Gulbis von Enervis bereits im Frühjahr 2022, als nach Beginn des Kriegs in der Ukraine der Preis für Gas in die Höhe schoss, dass dieser wieder auf die Vollkosten von LNG-Lieferungen pro Kilowattstunde zurückgehen werde, die bei 2,5 bis 3 Cent pro Kilowattstunde liegen.

Trotzdem wird das nicht direkt zu einer Entspannung beim Strompreis führen. In den Modellierungen von Energy Brainpool gehen die Kosten für Gas Anfang der 2030er-Jahre real sogar auf 1,8 Cent zurück. Der CO2-Preis wird in dem Szenario bis zum Jahr 2036, das hier weiter im Detail betrachtet wird, aber auf ungefähr 120 Euro pro Tonne steigen. Der „Clean Gas“-Preis liegt dann bei rund 4,5 bis 5 Cent pro Kilowattstunde. In den Jahren danach sinkt auch der Wasserstoffpreis auf dieses Niveau, so dass dann der Energieträgerwechsel von Gas zu Wasserstoff an Fahrt aufnehmen wird.

Obwohl also der Preis für das „Clean Gas“ damit auf dem heutigen Niveau verbleiben wird und sich die Jahreshöchstlast durch die Elektrifizierung des Verkehrs und der Heizungen sogar verdoppeln wird, sinkt der Strompreis kontinuierlich bis etwa 2036. Das liegt daran, dass im Go-Hydrogen-Szenario bis dahin etwa 300 Gigawatt an Photovoltaikleistung sowie 200 Gigawatt an Windkraftanlagen in Deutschland installiert sein werden und der Strom an 2700 der 8760 Stunden des Jahres nichts kosten wird. Die Erneuerbaren sind also wirklich die Billigmacher. Sie reichen aber nicht aus.

Batteriespeicher und andere Flexibilitäten

Im Go-Hydrogen-Szenario kostet der Strom zwar einerseits 2.700 Stunden im Jahr nichts. Er kostet andererseits aber zu fast einem Viertel der Stunden des Jahres mehr als zehn Cent pro Kilowattstunde. Der obere Preis wird gesetzt durch die Kosten von Strom aus Kraftwerken, die mit Erdgas oder Wasserstoff betrieben werden, und durch den Preis, zu dem die Betreiber von Batteriespeichern ihren Strom verkaufen. Von Letzteren sind im Szenario 96 Gigawatt installiert. Das entspricht dem aktuellen Netzentwicklungsplan und ist ungefähr zwölfmal so viel, wie bisher installiert ist.

Dabei ist nicht einfach nachzuvollziehen, wie die Betreiber der Batteriespeicher im Stromhandel zum Laden und Entladen bieten, da die Grenzkosten beim Entladen auch nahe null liegen. „Wir optimieren in einem iterativen Prozess den Einsatz der Batteriespeicher und anderer Flexibilitäten wie der Elek­trolyseure“, sagt Energy-Brainpool-Experte Alex Schmitt. Das heißt, die Speicherbetreiber verhalten sich so, wie es für sie ökonomisch optimal ist. Ob sie das in der Realität tatsächlich so umsetzen können, ist allerdings eine andere Frage. Dafür werden dann intelligente Steuerungen benötigt.

Der Stromverbrauch wird bis 2036 um rund ein Drittel auf 800 bis 900 Terawattstunden im Jahr steigen. 200 bis 250 Terawattstunden davon werden flexible Verbraucher nachfragen, die sich teilweise nach dem jeweils vorhandenen Angebot von Energie richten können. Zu diesen flexiblen Verbrauchern zählen neben Batteriespeichern auch 16 Millionen Elektroautos, Wärmepumpen mit 97 Terawattstunden Verbrauch und Elektrolyseure mit 15 Gigawatt Leistung. Vermutlich wird es sogar noch mehr Flexibilitäten geben, da auch die Industrie ihre Prozesse fit für das Demand-Site-Management macht. Das ist hier nicht berücksichtigt, da der Umfang schwer einzuschätzen ist. Insgesamt senken die Flexibilitäten jedoch die Energiemenge, die Wasserstoff- oder Gaskraftwerke liefern müssen, und damit auch den Strompreis.

Was kann schiefgehen?

Wenn sich der Gaspreis nicht so entwickeln sollte wie angenommen, wird der Strom naturgemäß teurer sein als in dem vorgestellten Szenario, solange der Umstieg auf Wasserstoff nicht vollzogen ist.

Unabhängig davon haben die Tageszeitungen Die Welt im November und Handelsblatt im Januar eine Studie des Berliner Beratungsunternehmens Eventure zitiert mit der Schlussfolgerung, dass die Energiewende, so wie derzeit geplant, teurer werde als gedacht. „Wir haben die Residuallasten berechnet und wie diese gedeckt werden“, sagt Eventure-Partner und Geschäftsführer Florian Haslauer. Sein Team kommt auf einen Strompreis im Jahr 2040 von ungefähr zwölf Cent pro Kilowattstunde – real, also inflationsbereinigt. Das ist doppelt so viel wie im Go-Hydrogen-Szenario von Energy Brainpool, obwohl beide Modelle bei vielen anderen Parametern in einer ähnlichen Größen­ordnung liegen.

Was kostet Strom im Jahre 2030 für Verbraucher?

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„In unserem Szenario verwenden wir kein Erdgas, daher spielt auch der CO2-Preis keine Rolle, sondern nur Wasserstoff“, sagt Haslauer. Eventure rechnet hierfür im Jahr 2040 mit einem Preis von vier Euro pro Kilogramm, was zehn Cent pro Kilowattstunde entspricht. Das ist fast das Doppelte wie in den Szenarien von Energy Brainpool. „Ein Wasserstoffpreis von zwei Euro pro Kilogramm würde den Strompreis auch in unseren Berechnungen deutlich unter zehn Cent pro Kilowattstunde drücken“, so Haslauer.

Über die Preisannahmen für Wasserstoff wird in der Fachwelt viel diskutiert. Sie hängen auch davon ab, wie man Netzkosten und Handelsströme bewertet. Die Analysten von BloombergNEF sehen bereits aktuell in Deutschland Herstellungskosten zwischen 2,5 und fünf Euro pro Kilogramm (siehe pv magazine November 2023, Seite 102). Diese Kosten werden ab der zweiten Hälfte der 2030er-Jahre maßgeblich beeinflussen, wieviel Strom kosten wird.

Zubau ausreichend finanziert?

Ob die Flexibilitäten und die Erneuerbaren in dem benötigten Ausmaß zugebaut werden, hängt unter anderem von ihrer Amortisation am Strommarkt ab. Sollte diese nicht erwartbar sein, werden die Anlagen nur gebaut, wenn es eine zusätzliche Förderung gibt, wie es etwa mit den Ausschreibungszuschlägen oder mit der EEG-Vergütung heute noch der Fall ist. Sollte eine solche Förderung auch in Zukunft notwendig sein, sind die dadurch entstehenden zusätzlichen Kosten in den Preisen der Strommarkt-Szenarien nicht enthalten.

Es ist jedoch gut vorstellbar, dass solche zusätzlichen Kosten nicht anfallen. Energy Brainpool berechnet in den Modellen auch den sogenannten Capture-Preis. Er beschreibt, was eine aus einer Photovoltaik-Anlage verkaufte Kilowattstunde über das Jahr gemittelt erwirtschaftet. Im Jahr 2036 liegt er im Go-Hydrogen-Szenario bei ungefähr vier Cent pro Kilowattstunde. In den Jahren danach fällt er noch um maximal 20 Prozent.

Ist das erreichbar? Nimmt man an, dass man bei den stark gesunkenen Modulpreisen große Solarkraftwerke für 500 Euro pro Kilowatt bauen kann und die Zinsen wieder auf drei Prozent sinken, ist es durchaus möglich, einen solchen Capture-Preis zu erreichen. Somit gibt es gute Gründe anzunehmen, dass Börsenstrom wirklich wieder billiger wird und sich bei einem Preis von sechs Cent pro Kilowattstunde und darunter, bezogen auf das Preisniveau von 2022, einpendeln wird.

Der Artikel wurde zuerst in der Magazinausgabe pv magazine Februar 2024 veröffentlicht.

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