Forscher präsentieren Konzepte für massiven Erneuerbaren-Ausbau in der Schweiz

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Das Schweizer Parlament hat im letzten Herbst das Ziel gesetzt, die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen bis 2035 auf 35 Terawattstunden zu steigern. Das bedeutet eine Versechsfachung gegenüber 2022. Mit 35 Terawattstunden ließe sich etwa die Hälfte des erwarteten Strombedarfs der Schweiz decken. Die andere Hälfte würde durch Wasserkraft und Importe gedeckt werden. Die Schweiz würde dann also ohne Kernenergie und fossile Großkraftwerke auskommen.

Wie lässt sich dieses Ziel erreichen? Das hat das Forscherkonsortium Sweet Edge analysiert, dem Wissenschaftler der Universitäten Genf und Bern, der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL), der ETH Zürich und weitere Partner angehören. Sie haben drei Konzepte erarbeitet, mit denen sich genug Erneuerbaren-Leistung für die Erzeugung von 35 Terawattstunden Strom pro Jahr aufbauen lässt. Zudem schloss die Studie weniger ehrgeizige Ziele ein (25 Terawattstunden mit einem Mix aus erneuerbaren Energien oder nur mit Solarenergie; 17 Terawattstunden mit Mix).

Die Photovoltaik dominiert

Das erste Konzept setzt mit Blick auf die Versorgungssicherheit auf Vielfalt – bei der die Photovoltaik aber mit 25 Terawattstunden den Löwenanteil liefert. Biomasse-Kraftwerke und Müllverbrennungsanlagen müssen acht Terawattstunden beitragen, die in der Schweiz schwer umstrittene Windenergie nur zwei Terawattstunden. Die Photovoltaik verteilt sich über das ganze Land, nur im sonnigen Tessin und im Wallis müsste sie überproportional ausgebaut werden.

Im zweiten Konzept dominiert die Photovoltaik noch stärker, bei kräftigem Zubau von Batteriespeichern: Sie soll 31 Terawattstunden liefern, ergänzt durch vier Terawattstunden aus bestehenden Biomasse- und Müllverbrennungsanlagen. Dieser Pfad setzt ein stärkeres Engagement der Bürger voraus, sie müssen mehr Photovoltaik-Anlagen für den Eigenverbrauch montieren lassen. Installationsschwerpunkte sind Bern, Zürich und die Zentralschweiz, wo die Dichte an geeigneten Gebäuden hoch ist und eine unterstützende Förderpolitik durch die Kantone zu erwarten ist. Zudem müssten Graubünden und Wallis weit mehr Anlagen zubauen, auch auf Freiflächen.

Die dritte Strategie konzentriert sich auf die Optimierung der Produktion von Windkraft- und Photovoltaik-Infrastrukturen, einschließlich Photovoltaik auf Dächern und Freiflächen. Sie bietet den Forschern zufolge den Vorteil, dass sich die Anlagen auf die produktivsten Standorte konzentrieren und Investitionen in Biomasse- und Abfallbehandlungsanlagen vermieden würden. Um 35 Terawattstunden im Jahr zu erreichen, erfordert diese Option einen Mix aus 30 Terawattstunden Photovoltaik und fünf Terawattstunden Windenergie. „Hier würde sich der größte Teil der photovoltaischen Solarenergie auf Alpengemeinden konzentrieren, insbesondere in Graubünden und im Wallis“, erklärt Michael Lehning, Ko-Koordinator von Sweet Edge und Professor an der EPFL. „Diese Option würde den Winterimport am effizientesten begrenzen.“

Zehntausende neue Arbeitsplätze

Der Investitionsbedarf bis 2035 liegt bei bis zu 2,1 Milliarden Schweizer Franken (2,25 Milliarden Euro) pro Jahr. Die dritte Strategie wäre mit umgerechnet 1,5 Milliarden Euro pro Jahr die günstigste, da sie den Bau der wenigsten Anlagen erfordert. Die erste Strategie wäre beim 35-Terawattstunden-Ziel die teuerste (umgerechnet 1,82 Milliarden Euro), bei den weniger ehrgeizigen Zielen (17 und 25 Terawattstunden Jahr) aber die zweitgünstigste. Da die Photovoltaik bei allen Strategien als Energiequelle vorherrscht, würde sie mindestens 80 Prozent der Kosten absorbieren.

Je nach Strategie und Ziel könnte der Aufbau der benötigten Erzeugungskapazitäten bis 2035 jährlich zwischen 18.000 und 57.000 Personen in Vollzeit beschäftigen. Dabei könnten 33 Prozent der Arbeitsplätze auf die Herstellung, 62 Prozent auf Bau und Installation, vier Prozent auf Betrieb und Wartung und ein Prozent auf die Erneuerung der Anlagen entfallen. Die Photovoltaik mit Batterien würde die meisten Arbeitsplätze schaffen; beim 35-Terawattstunden-Ziel wären es 50.000 Vollzeit-Stellen.

Freiflächen-Photovoltaik und Windenergie bleiben umstritten

Neben den drei Strategien und ihrer technisch-ökonomischen Bewertung dokumentiert der Bericht anhand von Umfragedaten, dass die Sorgen um Energiesicherheit und -versorgung, die seit dem russischen Angriff auf die Ukraine schwerer wiegen, mit einem starken Wunsch nach Energieunabhängigkeit und heimischer Produktion erneuerbarer Energie einhergehen.

Dennoch, so Isabelle Stadelmann-Steffen von der Universität Bern, „bleiben Windenergie und Freiflächen-Photovoltaik – ähnlich wie die Kernenergie – ein umstrittenes Thema in der Bevölkerung“. Die Professorin für Vergleichende Politik verantwortet eine große Bevölkerungsumfrage, die an der Universität Bern konzipiert und durchgeführt wurde und die Basis für die Akzeptanzanalysen bildet.

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