Negative Emissionen

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Ein Autorenteam aus Mitgliedern von „Scientists for Future“ hat ein Papier mit dem Titel „Negative Emissionen: Eine neue Phase der Klimapolitik zur langfristigen Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1°C über vorindustriellem Niveau“ herausgebracht.

Eine Präsentation mit dem gleichen Titel wurde Mitgliedern des deutschen Bundestages zugesendet. Diese Präsentation habe ich im pv magazine Anfang August bereits unter der Überschrift „Scientists for Future: Weichenstellung bezüglich Klimakatastrophe hat 10 bis 20 Jahre Zeit“ kommentiert.

Im Folgenden nun meine Anmerkungen zu diesem „Papier“.

Eines ist klar: Auch wenn die CO2-Emissionen heute vollständig gestoppt würden, wäre damit der Klimawandel nicht gestoppt

Die 420 ppm CO2, die jetzt in der Luft sind, liegen weit oberhalb einer gesunden Marke, führen zu katastrophalen Wetterextremen und können Kipppunkte auslösen, die einer dann einer in keiner Weise mehr beeinflussbaren Selbstverstärkung der Erhitzung den Weg frei machen. Mit der Beendigung der Emissionen ist es also nicht getan, der bereits existierende CO2-Gehalt der Luft muss vermindert werden.

Die grünen Pflanzen machen das ganz eigentätig. In der Photosynthese entziehen sie der Luft nicht nur das CO2, sondern zerlegen es gleichzeitig: das C bauen sie in ihren Körper ein, das O2 geben sie in die Umgebung ab, weshalb wir im Wald die frische Luft genießen.

Die Verfasser des Papiers verweisen darauf, dass wegen Dezimierung der Wälder durch Rodung und Brände und weitere Misswirtschaften diese Effekte nicht ausreichen. Daher müsse der Luft mit technischen Mitteln CO2 entzogen werden. „Dies ist eine neue Phase in der Klimapolitik, in der das Ziel der raschen Erreichung negativer Emissionen als zweiter Ast der weltweiten Klimastrategie neben die möglichst schnell umzusetzende Emissionsvermeidung tritt.“ ( S. 27) Entsprechende Anlagen seien in der Entwicklung. Damit wird dann aber die Frage aktuell, die Ulf Bossel bereits 2009 in der Zeitschrift „Solarzeitalter“ und in einer Veröffentlichung des Leibniz-Instituts stellte: „CCS: Abscheidung möglich, aber wohin mit dem CO2? “

Mineralisierung des CO2

Dass die Verpressung des CO2 in ausgeförderte Gas- oder Öllager oder in Saline Aquifere keine gute Antwort ist, geben die Verfasser des Papiers implizit zu, indem sie die „Mineralisierung“ des CO2 als alternative Möglichkeit vorschlagen und präferieren: CO2 wird zunächst in Wasser (wozu auch Meerwasser geeignet sein soll) gelöst. Die so entstandene Kohlensäure wird in Basaltgestein gepresst, mit dem sie in kurzer Zeit (die Angaben schwanken zwischen wenigen Wochen und zwei Jahren) eine dauerhafte chemische mineralische Verbindung eingeht. So jedenfalls die Informationen zu einem entsprechenden Forschungsprojekt in Island.

Dass man von einem eventuellen Großeinsatz dieser Technik noch sehr weit entfernt ist, bestreiten die Autoren nicht. Wenn sich die Hoffnungen auf umfassende Machbarkeit dieses Ansatzes bestätigen würden, könnte man das nur begrüßen.

Konventionelles CCS ist „sowohl schlecht als auch gut“

Leider begeben sich die Autoren jedoch in Widerspruch zu ihren eigenen Vorschlägen, indem sie die konzerngesteuerte Energiepolitik der Bundesregierung – und insbesondere deren „Carbon Management – Strategie“ (CMS), also die CO2-Verpressung im durchlöcherten Nordseeboden Norwegens – heftig unterstützen und eine Änderung des deutschen CCS-Gesetzes verlangen, die dies ermöglicht. Man wundert sich, dass sie in diesem Kontext – trotz ihres überlegenen Mineralisierungskonzeptes –  die seit 50 Jahren erfolglose konventionelle CCS-Technik (siehe hierzu den fulminanten Vortrag von Al Gore „What the Fossil Fuel Industry Doesn't Want You To Know„) mit Lob überschütten: „Die Einlagerung von CO₂ im geologischen Untergrund gilt als vergleichsweise sicher und es sind genügend Kapazitäten vorhanden, z. B. in porösen Formationen.“ (S. 1)

Die Defizite der Methode werden durchaus angesprochen: „Wissenschaftliche Untersuchungen zu möglichen Leckagen von CO2- Speicherung in ehemaligen Erdgas- und Erdölfeldern in der Nordsee kommen eindeutig zum Ergebnis, dass Leckagen ein Risiko darstellen … Einerseits sind CO2-Leckagen nicht gut detektierbar, da sich das CO2 sehr schnell im Meerwasser löst, wie in kontrollierten Experimenten nachgewiesen wurde. Einzelne Leckagestellen werden als akzeptabel eingeschätzt, wobei ein dauerhafter CO2 Austritt die Speichereffektivität einzuschränken droht. [„droht“?] Vielstädte et al. (2019) weisen darauf hin, dass in Gebieten mit einer hohen Dichte an ehemaligen Bohrlöchern ein signifikantes Risiko von dauerhaften und nicht vernachlässigbaren Leckagen als realistisch akzeptiert werden muss, weswegen solche Gebiete nach dem Vorsichtsprinzip nicht genutzt werden sollten.“ (S. 19f)

Auch die Auslösung von Erdbeben wird genannt, die mögliche Grundwasserknontaminierung bei Projekten an Land, sowie das Erstickungsrisiko bei CO2-Austritt.  Die vom Institute for Energy Economics and Financial Analysis veröffentlichte aktuelle  Studie von Grant Hauber „Norway’s Sleipner and Snøhvit CCS: Industry models or cautionary tales?“, die die genannten Erkenntnisse konkretisiert und erheblich vertieft, wird allerdings umgangen und auch nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.

Mehr als erstaunlich und geradezu unfassbar ist dann aber das Fazit, das aus all dem gezogen wird: „Insgesamt lässt sich das Fazit ziehen, ‚dass CCS von Wissenschaftsseite grundsätzlich als risikoarme, kontrollierbare Technologie bewertet wird.‘ (Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, 2022: 6). Und auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz chreibt: ‚Geeignete geologische Speicher sind zum Beispiel ausgeförderte Öl- oder Erdgaslagerstätten und Salzwasser führende Gesteinsschichten (sog. salinere Aquifere). In diese Speicher können große CO2-Mengen injiziert und sicher über geologische Zeiträume gespeichert werden.” (S. 20)

Ist das jetzt Wissenschaft?

Dadurch dass Leopoldina und Bundeswirtschaftsministerium eine derartige Behauptung tätigen, erhält sie den Status einer wissenschaftlichen Erkenntnis? Ist dem so? Ist das jetzt Wissenschaft?

Immerhin haben die Autoren des Papiers R.W. Howarth ins Literaturverzeichnis aufgenommen, der bei seinen Berechnungen zwar unterstellt, dass durch CCS das CO2 für immer und vollständig von der Atmosphäre getrennt bleibt, aber hinzufügt, dass das „eine optimistische und unbewiesene Annahme“ ist.  „Tatsächlich gibt es keine Erfahrungen mit der Speicherung von Kohlendioxid aus der Kohlendioxidabscheidung im kommerziellen Maßstab, und das meiste Kohlendioxid, das derzeit abgeschieden wird, wird für die verbesserte Ölgewinnung verwendet und wieder in die Atmosphäre freigesetzt.“ (Der Link im Literaturverzeichnis führt zum englischen Originaltext.)

Falsche Angaben zur Abscheiderate und zur Klimawirkung von Methan

Die Frage der Wissenschaftlichkeit stellt sich – unter anderem – auch bei der Aussage, dass die Effektivität der CO2-Abscheidung bei fossilen Kraftwerken bei circa 90 Prozent liegen würde (S.21). Howarth befasst sich in seiner Studie „How green is blue Hydrogen?“  gründlich mit dem Thema „Abscheiderate“ und kommt zu einem doch deutlich abweichenden Ergebnis: „Für die Abscheidung der Rauchgase finden wir Kohlendioxid-Abscheidungseffizienzen von 55 Prozent am unteren Ende und 90 Prozent am oberen Ende … Beachten Sie, dass die 90 Prozent die beste jemals beobachtete Rate ist und nicht die wahrscheinliche tatsächliche Leistung im langfristigen kommerziellen Betrieb widerspiegelt.“

Gänzlich unverstanden geblieben ist den Verfassern des Papiers offenbar die Klimabedeutung des Methans. Sie verharmlosen es in einem unglaublichen Ausmaß: Nach „rund zehn Jahren“ würde es sich von selber in CO2 und Wasser auflösen (S. 9). Sie vergleichen es mit einer Warmhaltedecke, die von selber immer dünner wird.

Haben die Verfasser den Text von Howarth ins Literatur-Verzeichnis aufgenommen, ohne ihn gelesen zu haben? Andernfalls wüssten sie doch, dass Methan in den ersten zehn Jahren die hundertfache Klimawirksamkeit von CO2 hat und sich danach keineswegs auflöst, sondern nach 20 Jahren noch 86-mal so klimawirksam wie CO2 ist. Rund 25 Prozent der Erderwärmung in den letzten Jahrzehnten sind auf unverbranntes Methan zurückzuführen, wie es insbesondere im Zuge der Erdgasproduktion freigesetzt wird.

Schwerpunkt „sowohl“ auf CO2-Vermeidung „als auch“ auf CO2-Vermehrung

Die Verfasser des Papiers verbalisieren: „Es kommt also auch im Rahmen der hier beschriebenen Doppelstrategie [CO2-Vermeidung und negative Emissionen] darauf an, weiterhin den Schwerpunkt auf CO₂-Vermeidung zu setzen“ (S. 15).  Praktisch-politisch arbeiten sie aber für das genaue Gegenteil. Indem sie die CO2-Verpressung in der Nordsee und entsprechende Anpassung des deutschen CCS-Gesetzes verlangen, befürworten sie die jahrzehntelange Fortsetzung der fossilen Energiewirtschaft, die dann wegen des Energiebedarfs des CCS für die Produktion der gleichen Strommenge sogar mehr CO2 produziert als bisher.

Wenn die Verfasser des Papiers nun entgegnen, dass das CO2 doch unschädlich gemacht wird, ist zurückzufragen, warum wohl sich die Konzerne mit Händen und Füßen gegen die Verantwortungsübernahme für die von ihnen betriebenen sogenannten Speicher wehren? Doch wohl nicht, weil sie von deren Dichtigkeit und Stabilität überzeugt sind!

Enthüllung der Konzern-Absichten

Die Konzerne wenden sich dem CCS nicht zu, weil sie plötzlich vom Wunsch, das Klima zu schützen, ergriffen worden wären, sondern weil CCS ihnen die Fortsetzung ihrer Geschäftstätigkeit ermöglicht. Charlotte Elton hat bereits 2022 geschrieben: „Shell, BP, Exxon: Beschlagnahmte E-Mails enthüllen ‚trügerische‘ Klimataktiken und Greenwashing“.

Im Rahmen einer Untersuchung des US-Kongresses zum Thema Klima-Desinformation waren über 200 Seiten interner Nachrichten zwischen Lobbyisten und Mitarbeitern von Shell, Chevron und Exxon Mobil aufgedeckt worden. „Diese Enthüllungen sind der jüngste Beweis dafür, dass die Öl-Giganten weiterhin über ihre Verpflichtungen zur Lösung der Klimakrise lügen und dass die politischen Entscheidungsträger ihnen nicht trauen sollten“, so Richard Wiles, Präsident des Center for Climate Integrity.

Zum Thema CCS liest man: Ein leitender Angestellter von Shell sagte zu seinen Kollegen: ‚Wir wollen darauf achten, dass wir nicht darüber sprechen, dass CCUS … dazu dient, die Lebensdauer von Öl, Gas oder fossilen Brennstoffen im Allgemeinen zu verlängern.‘“

Für BP besteht das Hauptziel dieser Technologie darin, „die vollständige Nutzung fossiler Brennstoffe im Rahmen der Energiewende und darüber hinaus zu ermöglichen“, wie aus den aufgezeichneten E-Mails hervorgeht.

Im Juni dieses Jahres wurde im „Tagesspiegel“ Tom Glover, Vorsitzender von RWE Großbritannien, zitiert: Die CCS-Technologie könne den Ausbau erneuerbarer und anderer kohlenstoffarmer Technologien unterstützen, indem sie durch sichere, flexible und wetterunabhängige Stromversorgung Versorgungssicherheit garantiere. Mit anderen Worten: CCS soll die 100 prozentige Versorgung durch Erneuerbare verhindern.

Ist den Verfassern des Papiers all dies unbekannt?

Ohne sofortigen Emissionsstopp wird es CO2-Rückholung niemals geben

Eines ist klar: Wenn nicht jetzt die Emissionen einschneidend zurückgefahren werden, indem die fossile Energie gestoppt und alles Potenzial für den Aufbau der hundertprozentigen Versorgung durch erneuerbare Energien eingesetzt wird, wird es auch niemals eine Rückholung des CO2 geben. Denn die nächsten Jahre – und nicht die nächsten 10 oder 20 Jahre, wie die Verfasser in ihrer Präsentation geschrieben haben – entscheiden, ob sich der Klimawandel noch abmildern lässt. Andernfalls gibt es ein Chaos, in welchem jede/r damit beschäftigt sein wird, noch vom einen in den anderen Tag zu kommen. Für CO2-Rückholung wird sich da niemand mehr interessieren.

Die Verfasser des Papiers scheinen Fans des „sowohl als auch“ als Motto zu sein. Womöglich betrachten sie es als antidogmatische Aufgeschlossenheit in alle Richtungen. Tatsächlich wird dadurch aber jegliche Verbindlichkeit eliminiert: CCS ist sowohl unsicher als auch sicher. Der Ausstieg aus den fossilen Energien muss sowohl schnellstmöglich vollzogen als auch per CCS hinausgezögert werden. Einer des selbständigen Denkens weithin entwöhnten Gesellschaft kann man so manches vorsetzen. Beim Geld stößt die Beliebigkeit aber doch an eine Grenze: Ein und den selben Euro kann man nicht sowohl für CCS als auch für die erneuerbaren Energien ausgeben. Hier ist offenkundig eine Entscheidung unabwendbar. Und klare Entscheidungen sind an ganz vielen Stellen nötig, wenn der Wechsel auf die erneuerbaren Energien und die damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen gelingen sollen.

Übrigens läuft eine Konsultation der EU zu CCS noch bis 31. August.

Wer den Fragenkatalog nicht durcharbeiten will, in welchem die Grundzustimmung zu CCS vorausgesetzt wird, kann unter „Feedback“ oder „Rückmeldung“ seine Meinung zu CCS eigenständig formulieren.

— Der Autor Christfried Lenz politisiert durch die 68er Studentenbewegung, Promotion in Musikwissenschaft, ehemals Organist, Rundfunkautor, Kraftfahrer und Personalratsvorsitzender am Stadtreinigungsamt Mannheim, Buchautor. Erfolgreich gegen CCS mit der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“, nach Zielerreichung in „Saubere Umwelt & Energie Altmark“ umbenannt und für Sanierung der Erdgas-Hinterlassenschaften, gegen neue Bohrungen und für die Energiewende aktiv (https://bi-altmark.sunject.com/). Mitglied des Gründungsvorstands der BürgerEnergieAltmark eG (http://www.buerger-energie-altmark.de/). Bis September 2022 stellvertretender Sprecher des „Rates für Bürgerenergie“ und Mitglied des Aufsichtsrates im Bündnis Bürgerenergie (BBEn). Seit 2013 100-prozentige Strom-Selbstversorgung durch Photovoltaik-Inselanlage mit 3 Kilowattpeak und Kleinwindrad. —

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