Visionen: Wie Autobahnen zu 200 Terawattstunden Photovoltaik-Highways werden

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Neben schwimmenden- und Agri-Photovoltaik-Anlagen wären Autobahnen ein ideale Standort, um das Flächenproblem der Photovoltaik zu lösen. Schon bis 2030 könnten entlang der deutschen Autobahnen jährlich bis zu 200 Terawattstunden Solarstrom erzeugt werden. Ein Smart Grid würde bei der Umsetzung so eines Vorhabens gleich mitentstehen; und die Vorteile hören da nicht auf.

Um zu verstehen, wie das gehen soll, braucht es nicht allzu viel Vorstellungskraft. Links und rechts entlang der Autobahnen entsteht alle 15 Meter ein Mast aus Stahlfachwerk. Zwischen den Masten werden Stahlfachwerkträger gehängt, an denen Module angebracht werden. So könnte sich ein Band von Solarmodulen entlang der Verkehrsachsen zwischen den großen Verbrauchszentren wie Städten, Industriegebieten und Flughäfen ziehen – ein Energieband.

45.000 Kilometer Straße

Diese Energiebänder entspringen den Köpfen der Mitarbeitenden der Stiftung „Altes Neuland Frankfurt“, einem gemeinnützigen Verein bürgerlichen Rechts. Die Stiftung hat so eine Vision entwickelt und das Konzept schon einmal durchgerechnet. Werden 80 Prozent der Autobahnen und 65 Prozent der Bundesstraßen mit Gerüsten und Photovoltaik-Modulen, ähnlich wie im Bild oben ausgestattet, sieht die Stiftung ein Potenzial von 200 Terawattstunden im Jahr. Das wären knapp 45.000 Kilometer, die dann von Photovoltaik auf Masten gesäumt werden. Dabei gehen die Visionäre von einer Nutzung von bifazialen Modulen mit 25 Prozent Wirkungsgrad aus.

Wenn wirklich das gesamte Potenzial ausgeschöpft wird und die Bauprozesse optimiert werden, könnte das auch zu wettbewerbsfähigen Kosten entstehen, sagt die Stiftung. Die Unterkonstruktion aus Stahlfachwerkmasten übersteigt zwar die Kosten für herkömmliche Unterkonstruktionen deutlich, allerdings hätten die Masten auch eine Haltbarkeit von 100 Jahren. Neue Module könnten in dieser Zeit immer wieder zu sehr geringen Kosten angebracht werden.

Oder drei mal das Saarland

Entstanden ist die Idee zunächst aus dem Platzbedarf für Photovoltaik und Windkraft. Aktuell liegt der Stromverbrauch in Deutschland bei 560 Terawattstunden im Jahr. Mobilität und Wärme werden schrittweise elektrifiziert, sodass Schätzungen zufolge 2050 mit einem Stromverbrauch von 2400 Terawattstunden im Jahr zu rechen ist. Die Stiftung geht davon aus, dass davon 1000 Terawattstunden auch in Deutschland produziert werden. Die dafür notwendige Fläche würde 2,5 Prozent des Bundesgebiets oder auch dreimal die Fläche des Saarlands verbrauchen.

Die Energiebänder sind als Gleichstromsystem gedacht. Unter der Erde soll ein 110-Kilovolt Hochstromkabel verlaufen. Je nach Ausführung müsste dann etwa alle 9 bis 87 Kilometer ein Netzanschluss gelegt werden. Die unterschiedlichen Längen pro Netzanschluss hängen mit der Auslastung der Modulbelegung zusammen. So ist es denkbar, eine, zwei oder drei Modulreihen übereinanderzulegen, Querbrücken mit Modulen einzuziehen und gegebenenfalls sogar noch die Masten und Autobahnbrücken mit Solarmodulen zu verkleiden. So finden zwischen 2000 und 20.250 Module pro Kilometer Platz.

Bei pittoresken Landschaften ist Schluss

Das Landschaftsbild hat die Stiftung Altes Neuland mitgedacht. Führt ein Energieband durch eine Ortschaft oder an einem Wald, Alleebäumen oder einer besonders pittoresken Landschaft vorbei, kann das Energieband einfach unterbrochen werden. In dem Fall können die Projektierer Masten und Module weglassen und nur das Untergrundkabel weiterführen. Erst hinter der Ortschaft oder dem Wald fängt der überirdische Teil des Energiebandes wieder an. Durch das Untergrundkabel sind beide Teile immer noch miteinander verbunden.

Und das ist nicht unwichtig. Der Stiftung Altes Neuland zufolge soll der größte Vorteil sein, dass der Strom bereits bei der Produktion verteilt und so an die richtigen Stellen geleitet wird. Autobahnen verbinden Ballungsräume, Industriegebiete und Flughäfen. Außerdem befindet sich Ladeinfrastruktur für Elektroautos und Elektro-Lkw entlang solcher Fernwege. Somit würde der Strom schon am richtigen Ort produziert oder könne zumindest an den richtigen Ort fließen.

Größe gegen Volatilität

Da sich die Energiebänder über Hunderte Kilometer ziehen würde, gäbe es auch die Möglichkeit, die Schwankungen im Verbrauch und der Stromerzeugung über das Gesamtsystem hinweg auszugleichen. Wenn es an einer Stelle regnet, scheint vielleicht an anderer Stelle die Sonne, heißt es in den Projektinformationen der Stiftung. Optimiert wird so ein Projekt noch, wenn zusätzlich Windkraftanlagen an das System angeschlossen werden. Zum einen können kleinere Windkraftanlagen auf den Masten platziert werden. Zum anderen können bestehende Anlagen, die auf Feldern entlang der Autobahnen stehen, in die Energiebänder einspeisen.

Außerdem wäre der Ansatz simpel. Zwar braucht man für die Masten ein Gutachten für die Windlasten, aber das wäre immer noch einfacher, als die Autobahn mit Photovoltaik-Anlagen zu überdachen, wie es von der Stiftung heißt. Bei letzterer Variante kämen neben Windgutachten noch Entwässerungs- und vor allem Beleuchtungskonzepte hinzu.

Die Simplizität soll sich nach den Vorstellungen der Stiftung auch beim Bau fortsetzen. So sollen einzelne Lkw, die mit den notwendigen Werkzeugen und Materialien ausgestatten sind, die Installation vornehmen können. In einem Video, in dem das Projekt beschrieben wird, soll sich die Verkehrsbehinderung, die durch die Installation entsteht, in etwa mit der Behinderung durch die Grünstreifepflege vergleichen lassen.

Flächen gehören dem Bund

Weniger Probleme soll es auch bei der Flächenbereitstellung und bei den Genehmigungen geben, glauben die Initiatoren des Projekts. Nur ein bis zwei Meter rechts und links neben der Fahrbahn soll gebaut werden. Dieser Bereich ist im Besitz des Bundes. Somit braucht es keine Genehmigungen von vielen verschiedenen Grundbesitzern.

Der Startschuss für den Ausbau der Energiebänder könnte im Kleinen beginnen. Ein riesiges Infrastrukturprojekt wäre nicht nötig. Kommunen und Investoren könnten kleine Abschnitte entwickeln. Wichtig wäre nur, dass sie so entwickelt werden, dass Teilabschnitte zu einem späteren Zeitpunkt zusammengefügt werden können und dass es eine rechtliche und technische Grundlage für den Handel mit Strom entlang der Teilabschnitte gebe.

Nächster Schritt: Pilotkonsortium

Peter Birkner, Professor am Lehrstuhl für elektrische Energieversorgung der Bergischen Universität Wuppertal, hat die Entwicklung des Projekts und die Machbarkeitsstudie im wissenschaftlichen Beirat begleitet. Er ist grundsätzlich von der Machbarkeit überzeugt und sagt, dass es jetzt darauf ankommt, ein geeignetes Konsortium zusammenzustellen, um einen ersten Teilabschnitt zu entwickeln.

Wie schnell sich so ein Konsortium findet, bleibt offen. Berührungsängste dürfte es aber eher wenige geben. Alle Technologien, die verbaut werden, sind bereits marktreif im Einsatz und bestens erprobt. Module, Stahlmasten, Untergrundkabel, all das gibt es bereits seit Jahrzehnten, argumentiert die Stiftung. Sie glaubt, dass das jährliche Produktionspotenzial von 200 Terawattstunden schon bis 2030 realisiert werden könnte.

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