Agri-Photovoltaik: „Es wird anwendungs- und standortspezifische Systeme geben“

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Business Manager Photovoltaikmodule und -kraftwerke am Center for Energy des AIT Austrian Institute of Technology.

Foto: AIT

Sie forschen am AIT Austrian Institute of Technology zu Agri-Photovoltaik-Anlagen. Wie beurteilen Sie den Stand der Entwicklung?

Christoph Mayr: Es gibt noch kein Standardsystem, das überall geeignet ist. Die Anforderungen und Motivationen sind sehr unterschiedlich. Allerdings gibt es ein paar Grundvoraussetzungen an solche Systeme.

Die wären?

Agrar-Photovoltaik soll möglichst wenig invasive Strukturen schaffen. Zum Beispiel sollte für die Fundamente möglichst wenig Beton verwendet werden. Außerdem müssen die Anlagen rückbaubar sein und beim Rückbau sollte der Boden möglichst wenig belastet werden.

Was gibt es beim Fundament zu beachten?

Zwei wenig belastende Varianten sind Rammfundamente oder Spinnankerfundamente. Sie haben auch mit Blick auf die Nachhaltigkeit Vorteile, weil hier kein Beton benötigt wird. Aber es gilt zu beachten, dass die Fundamente für die Statik und den oberen Aufbau der Anlage essenziell sind. Denn ein System, das für Mitteleuropa entwickelt wurde, könnte beispielsweise für Ostösterreich, wo es viel Wind gibt, nicht geeignet sein. Hierzu sind die jeweiligen Wind- und Schneelastzonen zu beachten. Ein Seiltragsystem hat Vorteile auf dem Acker, weil nur wenige Fundamente nötig sind. Gleichzeitig ist die Spannweite relevant. Je weiter die Tragweite, desto stärker muss die Abspannung dimensioniert sein.

Wie wirkt sich der Stahleinsatz auf die Kosten aus?

Die Kosten für Stahl bemessen sich direkt nach dem eingesetzten Stahlgewicht. Das bedeutet, dass bodennahe Ausführungsvarianten an Standorten mit geringen statischen Anforderungen wesentlich günstiger sind als hoch aufgeständerte Systeme in Gebieten mit hohen Wind- oder Schneelasten.

Welche anderen Anforderungen gibt es an Agri-Photovoltaik-Systeme?

Die Komponenten und Systeme müssen robust und zuverlässig sein. Sie müssen mit den geografischen Bedingungen wie Wind- und Schneelasten zurechtkommen. Wartung und Reparaturen sollten auf ein Minimum reduziert werden. Stellen Sie sich einen Kartoffelacker vor, auf dem die Pflanzen im Wachstumsprozess sind und durch Reparaturtätigkeiten beschädigt werden könnten. Sicherheit ist ein wichtiger Aspekt. Konventionelle Freilandanlagen sind durch Zäune vor unbefugten Zutritt geschützt. Agrar-Photovoltaik-Anlagen stehen ohne jede Absicherung auf dem Feld, Kontakt mit Menschen, Tieren und Fahrzeugen ist möglich. Deshalb sind vielfältige Sicherheitsaspekte zu bedenken, unter anderem müssen auch Anprall-, Berührungs- und Arbeitsschutz gegeben sein. Außerdem soll das System auf den Pflanzenbau abgestimmt sein. Pflanzen reagieren unterschiedlich auf Verschattung. Schwierig wird es bei sich ändernden Fruchtfolgen, zum Beispiel mit Mais, Kartoffeln und Buchweizen. Hierfür müssen angepasste Systeme entwickelt werden. Hier ist auch das Lichtmanagement zentral. Ein weiterer Aspekt sind mögliche Verschmutzungen und Verschattungen der Photovoltaik-Module: Staub oder hoch wachsende Pflanzen müssen bedacht werden.

Was gibt es in Bezug auf den Standort zu bedenken?

Die Nähe zu Energieabnehmern oder alternativ zum Netzanschlusspunkt ist sehr wichtig. Eine Anlage, die einsam und allein auf einem Feld steht, ist nicht sinnvoll. Zukünftig werden Kosten für den Netzanschluss sicher auch noch ein höheres Gewicht bekommen.

Sie erwähnten unterschiedliche Motivationen für den Bau solcher Anlagen? An welche denken Sie?

Nehmen wir ein Beispiel aus Österreich. Wegen der zunehmenden Sonneneinstrahlung werden Trauben für die Weinproduktion immer süßer. Agrar-Photovoltaik-Anlagen könnten deshalb auch die Funktion der Verschattung übernehmen. Im Obst- und Weinbau wird dies zum Beispiel in Südtirol schon erprobt. Auch Hagelschutz und die Mehrfachnutzung der Fläche können eine Motivation sein. In Japan wird schon die dreifache Nutzung getestet. Auf dem Boden Grünlandnutzung, im Schatten der Module Pilzanbau und darüber Energieerzeugung mit Photovoltaik.

Welche Möglichkeiten der Kostensenkung sehen Sie?

Eine Möglichkeit ist natürlich die Skalierung. Wenn die Systeme sich etablieren und großtechnisch gefertigt werden, sinken die Kosten. Sie sinken auch, wenn im großen Verbund installiert wird.

Halten Sie es für vorstellbar, dass es ein oder zwei Standard-Anlagenkonzepte geben wird wie bei herkömmlichen Freilandanlagen?

Wir sehen jetzt schon, dass die Systeme anwendungs- und standortspezifisch ihre Berechtigung haben. Die jeweiligen Anlagenkonzepte lassen sich nicht geographisch eingrenzen, die Landwirtschaft weltweit ist sehr vielfältig und so werden auch die angepassten Photovoltaik-Lösungen nicht auf ein Grundsystem reduziert werden können.

Mit welchem Zeithorizont sehen Sie die breite Anwendung?

Das hängt sehr stark davon ab, welche Priorität ein Land dieser Technologie gibt. Österreich beispielsweise versucht, besonders innovative Systeme mit Förderungen zu unterstützen. Es hängt auch davon ab, wie moderne Landwirtschaft und nachhaltige Energieerzeugung zusammenkommen. Es sollte „sowohl als auch“ und nicht „entweder oder“ sein. Dazu würde auch eine neue Betrachtungsweise der Kosten-Nutzen-Relation beitragen. Der Flächennutzungsgrad für die Landwirtschaft kann nicht so hoch sein wie bei Flächen ohne Photovoltaik. Dafür gibt es aber viele positive Effekte, zum Beispiel der Mehrertrag auf der Fläche durch ein ausgefeiltes Lichtmanagement. Solche Zusatznutzen müssen noch viel mehr betrachtet und in die Bewertung einbezogen werden. Derzeit gibt es noch zu wenig Erfahrungswerte. Die Anlagen können auch dazu beitragen, auf Flächen, die im Zuge des Klimawandels nicht mehr optimal bewirtschaftet werden können, ertragreiche Landwirtschaft weiterhin zu ermöglichen. Vielleicht werden Agrar-Photovoltaik-Anlagen ja zu einer „enabling technology“ für die Zukunft.

Das Gespräch führte Ina Röpcke.

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