Agora Energiewende und Partner entwickeln politischen Maßnahmenkatalog für Klimaschutz in der Industrie

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Agora Energiewende, die Unternehmens- und Strategieberatung Roland Berger sowie die Stiftung 2° werfen der Politik vor, bislang versäumt zu haben, die Voraussetzungen für den Umbau zur klimaneutralen Industrie zu schaffen. Nun gehen die Partner selbst voran: Sie haben zwölf Handlungsempfehlungen an die Politik verfasst, die verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen in klimaneutrale Technologien schaffen sollen. Damit könnte die Bundesregierung zugleich den Industriestandort Deutschland sichern: Schnelles politisches Handeln böte die Chance, internationale Technologieführerschaft auf dem Gebiet CO2-armer Schlüsseltechnologien zu übernehmen.

Der vorgeschlagene Instrumentenmix forciert Klimaschutz entlang der gesamten industriellen Wertschöpfungskette: von langfristig wettbewerbsfähigen Strompreisen über den Ausgleich von Mehrkosten von klimaneutralen Schlüsseltechnologien über so genannte Carbon Contracts for Difference bis zu Abnahmegarantien für klimaneutrale Produkte, etwa bei öffentlichen Bauvorhaben. Entstanden ist das Maßnahmenpapier aus einem Dialog mit 17 Industrieunternehmen – darunter BASF, Bayer, BP Europa, HeidelbergCement, Siemens Energy, Salzgitter und Thyssenkrupp Steel Europe.

Erneuerbaren-Ausbau muss verdoppelt werden

Für den Stromsektor fordern die Partner unter anderem, ein ausreichendes, verlässliches Erneuerbaren-Angebot zu schaffen. Sie müssten 2030 insgesamt 65 bis 70 Prozent des Strombedarfs decken können – und zwar ausgehend von einem Bedarf von 650 Terawattstunden. Die Bundesregierung nimmt in ihrer Ausbauplanung für 2030 nur einen Verbrauch von etwa 580 Terawattstunden an. Das bedeutet, dass bis zum Ende dieses Jahrzehnts nicht wie vorgesehen 76 Gigawatt Photovoltaik- und Windleistung, sondern circa 140 Gigawatt zugebaut werden müssen. Zudem solle der europäische Strombinnenmarkt gestärkt werden, etwa durch die Erweiterung von Interkonnektoren. Auch müsse der heimische Netzausbau deutlich beschleunigt werden.

Kernelement einer deutschen und europäischen Industriestrategie müsse sein, langfristig international wettbewerbsfähige Stromkosten zu gewährleisten. Die Partner schlagen deshalb einen Mechanismus zur dynamischen Anpassung des staatlich steuerbaren Anteils der Energiekosten für Unternehmen vor, die im internationalen Wettbewerb stehen. Dabei solle nach Energieträgern differenziert werden. Wer schon früh in die Elektrifizierung investiert habe, dürfe nicht benachteiligt werden.

Um die Sektorenkoppelung  voran zu bringen, müsse das System der Energiesteuern, -abgabe und -umlagen reformiert werden. Ansatzpunkt solle dabei die CO2-Intensität der Energieträger sein. Ein zentraler Punkt ist hier die Abschaffung der EEG-Umlage. Künftige Erhöhungen der CO2-Preise im nationalen Brennstoffhandel sollten dafür verwendet werden. Auch für die Mitfinanzierung der Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität könnten die Mittel eingesetzt werden.

Klimakabinett stärken

Zudem fordern Agora Energiewende, Roland Berger und die Stiftung 2°, die Nationale Wasserstoffstrategie schnell in konkrete Regularien und Instrumente umzuwandeln. Sie sollten dabei alle Wasserstoff-Wertschöpfungsstufen abdecken, um international wettbewerbsfähige Wasserstoffpreise sowie Schlüsseltechnologien in der Produktion zu ermöglichen. Eine internationale Wasserstoff-Infrastruktur müsse aufgebaut und Gasnetze ungerüstet werden.

Die Partner verlangen darüber hinaus, Voraussetzungen zu schaffen, um Kohlenstoff in klimaneutralen, möglichst langlebigen Produkten zu nutzen (CCU). Für nicht  vermeidbare Restemissionen sei die Abscheidung von CO2 und dessen geologische Speicherung (CCS) eine Option. Die Planung von CCS und CCU müsse schnell begonnen werden. Dafür sollte ein Netzentwicklungsplan erstellt  werden, der gezielt Industriecluster mit Lagerstätten und Transportknotenpunkten verbindet.

Darüber hinaus setzen sich Agora Energiewende, Roland Berger und die Stiftung 2° dafür ein, die Klimaneutralität ins Zentrum des Regierungshandelns zu stellen, um dem ressortübergreifenden Charakter dieses Ziels stärker als bisher gerecht zu werden. So plädieren sie dafür, die Position des Klimakabinetts zu stärken. Es müsse sich ein auf die Klimaziele ausgerichtetes Arbeitsprogramm geben und dieses in monatlichen Sitzungen abarbeiten.

„Alte fossile Technologien sind kommende Investitionsruinen“

„In unserem Austausch mit den Unternehmen ist einmal mehr klar geworden: Die Industrie wartet händeringend auf verlässliche Rahmenbedingungen, um in klimaneutrale Technologien investieren zu können“, sagt Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. Aktuell stünden die Unternehmen zwischen Baum und Borke. „Alte fossile Technologien sind kommende Investitionsruinen, für neue innovative Technologien fehle das Geschäftsmodell“, erklärt Graichen Nur eine aktive Klimapolitik könne den vorherrschenden Investitionsattentismus auflösen und dabei helfen, klimaneutrale Schlüsseltechnologien zu etablieren. Unter den derzeitigen politischen Rahmenbedingungen habe eine CO₂-freie Fabrik, etwa zur Stahl-, Dünger-, Kunststoff- oder Zementproduktion, keine Chance auf internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Sabine Nallinger, Vorstand der Stiftung 2° betont, dass es Aufgabe der Politik sei, Verlässlichkeit und Planungssicherheit für die Industrieunternehmen zu schaffen, damit sie in klimaneutrale Technologien investieren können. „Die Unternehmen stehen bereit und werden zum Treiber der Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft“, sagt Nallinger. „Jetzt braucht es mutige Politikerinnen und Politiker, die sich dem gewaltigen Transformationsprojekt einer klimaneutralen Industrie annehmen.“

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