„Nur mit einem klugen Mix aus zentralen und dezentralen Technologien wird die Energieversorgung bis zum Jahr 2050 klimafreundlich, sicher und wettbewerbsfähig“, lautet die Kernaussage einer Stellungnahme des Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS). In Deutschland müssten alle Formen der erneuerbaren Energien ausgebaut werden – von privaten Photovoltaik-Anlagen bis hin zu Offshore-Windparks. Allerdings brauche es einen umwelt- und sozialverträglichen Ausbau, um Konflikte abzumildern. Dies gelte auch für die Stromnetze, deren Ausbau schnellstmöglich vorangetrieben werden müsse. Zudem brauche es eine sichere digitale Steuerung des Energiesystems, damit die Energiewende in Deutschland gelinge, so die Stellungnahme der deutschen Wissenschaftsakademien.
Auch wenn immer mehr Privatpersonen, Genossenschaften und Kommunen zu Prosumern werden, werde dies nicht ausreichen, um den Strombedarf erneuerbar zu decken. Dies gelte erst recht mit Blick auf die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr. „Vielmehr müssen zentrale und dezentrale Technologien klug kombiniert werden.“ In ihrer Veröffentlichung zeigen sie auf, wie damit ein stabiles und nachhaltiges Energiesystem aufgebaut werden kann.
Dezentrale Photovoltaik-Anlagen auf bereits bebauten Flächen wie Dächern, Gewerbegebieten oder Parkplätzen würden von den meisten Menschen akzeptiert. Gleichzeitig brauche es zentrale Solarparks und Windparks an Land wie auf See, um Strom kostengünstig zu erzeugen, wie es von ESYS weiter heißt. Sie plädieren hierfür auch auf Importe von erneuerbarem Strom aus wind- und sonnenreichen Regionen, da die nutzbaren Potenziale in Deutschland vermutlich nicht ausreichten. Für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland sehen die Wissenschaftler in der Teilhabe der Bürger vor Ort als ein wichtiges Element.
Doch das alles werde nicht funktionieren, wenn die Übertragungs- und Verteilnetze nicht ausgebaut werden. „Ohne den Netzausbau wird die Energiewende definitiv scheitern“, erklärte Jutta Hanson von der Technischen Universität Darmstadt. Sie hat die zuständige ESYS-Arbeitsgruppe zusammen mit Peter Dabrock (Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen) und Christoph Weber (Universität Duisburg-Essen) geleitet. „Verzögert sich der Ausbau noch weiter, könnten dezentrale Solaranlagen zusammen mit Speichern und Power-to-Gas-Technologien allerdings dazu beitragen, die kurzfristigen Klimaziele trotzdem zu erreichen“, so Hanson weiter.
Je mehr dezentrale Erzeugungsanlagen, Speicher und Verbraucher es gebe, desto kleinteiliger werde das Energiesystem. Dann könnten digitale Anwendungen bis hin zur Künstlichen Intelligenz und zu autonomen Systemen helfen, das komplexer werdende System effizient zu steuern, schlagen die Wissenschaftler vor. Und auch die Politik sei gefragt. So brauche es einen „klugen Regulierungsrahmen“, der „Prosumer-Modelle“ ermöglicht. „Zudem müssen Prosumer und andere Investoren konsistente Anreize erhalten, um Betriebsweise und Standort ihrer Anlagen so zu wählen, dass kein übermäßiger Netzausbau erforderlich ist“, erklärt Christoph Weber, Co-Leiter der Arbeitsgruppe.
Geteiltes Echo
Unter Experten stößt die Stellungnahme auf ein gemischtes Echo. Es werden durchaus positive Ansätze gesehen, doch auch einige kritische Punkte. Ein Aspekt dreht sich dabei um den Ausbau der Windkraft an Land, den die ESYS-Experten wegen der Akzeptanzprobleme durch einen stärkeren Zubau von Photovoltaik und Offshore-Windkraft kompensieren wollen.
„Im Endeffekt kann diese Studie durch die Argumentation, unter Umständen PV und Windenergie auf See statt an Land verstärkt auszubauen, den Gegnern der Energiewende und vor allem dem lokalen Widerstand zur Windenergie in die Hände spielen, weil sie nicht so differenziert gelesen wird, sondern dieser Zusammenhang ‚PV und Offshore zuerst‘ aus dem Kontext gerissen werden wird“, sagt Michael Sterner, Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher FENES an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg.
Auch Volker Quaschning von der Hochschule für Wirtschaft und Technik (HTW) Berlin warnt: „Es wird allerdings suggeriert, dass der Windkraftausbau an Land durch einen verstärkten Offshore-Windkraftausbau zumindest teilweise kompensiert werden könnte. Dafür sind angesichts der doch recht begrenzten Flächen innerhalb der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone in der Nordsee die Potenziale gar nicht gegeben. Darum wird Deutschland ohne den verstärkten Ausbau der Windkraft in Mittel- und Süddeutschland aus eigener Kraft überhaupt nicht klimaneutral werden können.“ Zudem sei der Zeitrahmen bis 2050 für die Realisierung zu lang. Deutschland müsse die Klimaneutralität bereits 2040 erreichen, um seinen Beitrag zu den Pariser Klimazielen zu leisten. „Richtig ist, dass mit der Beschleunigung es Energiewende-Tempos nicht auf einen Netzausbau gewartet werden muss. Wir können bereits jetzt den dezentralen Ausbau erneuerbarer Energien erheblich steigern. Der schnelle und umfangreiche Ausbau von Speichern sollte dafür aber schnellstmöglich in Angriff genommen werden“, so Quaschning weiter.
Christian Rehtanz, Mitglied des Vorstandes der Energietechnischen Gesellschaft (ETG) des VDE und Leiter des Instituts für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft (ie3) der TU Dortmund, wiederum betont: „Die Aussage ‚Auch der Import von erneuerbaren Energien könnte die Flächenkonflikte in Deutschland entschärfen‘ bedeutet nicht, dass wir uns zurücklehnen und darauf hoffen sollten, dass in Wasserstoff oder synthetisches Gas umgewandelter PV-Wüstenstrom aus Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten und Sonnenstrom in Südeuropa dazu führen, dass wir keine Flächen mehr für Windparks und Stromleitungen mehr benötigen.“ Er halte die Importe langfristig zwar für notwendig, dennoch solle der „maximal mögliche Ausbau“ der Erneuerbaren in Deutschland im Fokus stehen.
Die sechs von ESYS betonten zentralen Eckpunkte in der Stellungnahme können aber fast alle Experten unterschreiben. So erklärt Roland Dittmeyer, Institutsleiter des Instituts für Mikroverfahrenstechnik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT): „Ich kann die im Fazit hervorgehobenen sechs Eckpunkte für eine erfolgreiche Energiewende nur unterstreichen: erstens Ausbau der Erneuerbaren beschleunigen; zweitens Netzausbau umsetzen; drittens Digitalisierung gestalten, um Systemdienlichkeit und Sicherheit zu garantieren; viertens CO2-Preis erhöhen; fünftens Regulierung überarbeiten und entschlacken; sechstens Partizipation stärken.“
„Die Studie zeigt einmal mehr, dass die gesamte Energiewende gesamtheitlich und systemisch diskutiert werden muss und unterschiedliche Aspekte wie Technologien, Wirtschaftlichkeit und Akzeptanz zu berücksichtigten sind. Letztlich werden aber konkrete Handlungsoptionen für den Umbau des Stromsystems diskutiert und die Dringlichkeit zum Handeln aufgezeigt – ein lesenswerte Studie“, sagt auch Andreas Bett, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE. Zudem zeige die Studie, dass Dezentralität nicht gleichzusetzen sei mit Autarkie. „‚Dezentralität‘ ist viel komplexer, und es wird gezeigt, dass hierfür vier unterschiedliche Dimensionen zu berücksichtigen und zu bewerten sind“, so Bett weiter. Leider seien Gas- und Wärmenetze nicht in die Untersuchungen einbezogen worden, obwohl sie für das künftige Stromnetz von Bedeutung sein werden.
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Im Prinzip alles sehr vernünftig, und dabei angenehm nüchtern und ohne ideologischen Überbau.
Ich glaube allerdings nicht, dass wir Strom über Entfernungen von mehr als 1000km in größerem Umfang leiten werden. Schwerpunktverschiebungen sind in einem Verbundnetz natürlich möglich, so wie beispielsweise die Schweiz oft aus Deutschland Strom bezieht, und gleichzeitig (anderen? den gleichen? eigentlich völlig unwichtig) Strom an Italien verkauft, und in der umgekehrten Richtung genauso. Aber die alte Idee von den PV-Anlagen in der Sahara, deren Strom direkt nach Europa geleitet wird, hat sich (neben den politischen Problemen) auch als technisch/wirtschaftlich nicht machbar herausgestellt. Denkbar wäre allerdings, dass wir irgendwo auf der Welt, wo sie nicht so dicht besiedelt ist, regenerativ produzierten Wasserstoff in Pipelines oder Tankern geliefert bekommen. Mit dem ersetzen wir dann das Erdgas, das wir sonst zur Kompensation der Dunkelflaute und im Verkehrs- und Wärmesektor brauchen.
Unverständlich ist mir vage Formulierung von „Prosumer und andere Investoren (müssen) konsistente Anreize erhalten, um Betriebsweise und Standort ihrer Anlagen so zu wählen, dass kein übermäßiger Netzausbau erforderlich ist.“ Dazu gibt es doch Ausschreibungen, das Instrument dafür existiert also längst.
Und dieses „Wir müssen jetzt klug handeln“, ist ein nichtssagender Allgemeinplatz, den sich alle, die ihn gerne benutzen, mal wieder abgewöhnen können. Was wäre denn das Gegenteil?
Das Gegenteil kann Lobbyismus sein, der partielle Partikularinteressen bedient, aus Abhängigkeit oder ideologischer Gewohnheit.
Entfernungen bis zu 3500-5000km (2,8% Minderung je 1000km) durch Stromtransportnetze sind effizienter zu überbrücken (mit Standardanhebung/Entwicklungszusammenarbeit dazwischenliegender Staaten), als Gütertransport mit entsprechenden Massenverschiebungen?
Da rechnen Sie sich aber etwas schön. Den besten Wert, den ich gefunden habe, lautet (umgerechnet, meist wird der Verlust je 100km angegeben) 5%/1000km bei +/-800kV HGÜ (Wikipedia). Dazu kommen noch die Konverterverluste. Das ist zwar immer noch weniger, als bei der Umsetzung Strom-Gas-Strom, aber dafür hat das Gas den Vorteil, auch gleich als Speicher zu dienen. Und da man diese Funktion dringend benötigt, wird es wohl darauf hinauslaufen. Beim Massentransport beträgt der Verlust für den Transport von LNG aus den USA nach Europa nur 10%. Für Wasserstoff könnte das noch günstiger sein. Und bei Pipelines dürfte es ähnlich sein.
https://de.wikipedia.org/wiki/Desertec#Energiesituation
Dieser Artikel zeigt nur, daß im Grunde nichts klar ist, und ist in Verbindung mit der Ankündigung zu lesen, die Kohlegruben im Osten stillzulegen.
Hoffentlich halten die Kraftwerke der Nachbarländer noch eine Weile durch.
Die Empfehlungen der Studie sind leider nicht so klar und eindeutig, wie die verwendeten Quellen. Wenn der Aspekt Wirtschaftlichkeit bei der Energiewende eine wichtige Rolle spielen soll, dann hätten die Autoren in der Quelle „Fraunhofer ISE 2018 Stromgestehungskosten EE“ nachlesen können, dass große Solarparks schon heute und in wenigen Jahren mit gewaltigem Abstand (Faktor 2 und mehr) die preiswerteste EE-Form sein werden. Lediglich auf Seite 26 wird über große Solarparks mit PPA als Gamechanger philosophiert. Wenn man aber in 2035 für z.B. 1.000 Terwattstunden erneuerbaren Strom jährlich nur 20 Milliarden Euro anstatt z.B. 50 Milliarden Euro ausgeben muss, dann hätte man noch ein wenig Geld übrig, um P2X und X2P für die Dunkelflauten ans Fliegen zu bringen. Auch in dieser Studie werden an keiner Stelle Gesamtkosten diskutiert, die aber doch durch einfache Mathematik errechenbar wären. Wie soll so Politik wissen, was sinnvoll ist?