Als „Blindflug durch das Entgeltsystem“ bezeichnet Agora Energiewende die aktuellen Regelungen der Netzentgelte und warnt vor immer gravierenderen Fehlentwicklungen. Der Thinktank geht auf Grundlage seiner neuen Studie „Netzentgelte 2019: Zeit für Reformen“ davon aus, dass die Netzkosten im Jahr 2019 um 1,5 bis zwei Milliarden Euro steigen werden – wegen intransparenter Datentransparenz lasse sich die Höhe nicht genau beziffern. Zudem würden seit diesem Jahr die Netzausbaukosten für Offshore-Windparks in Höhe von 1,7 Milliarden Euro nicht mehr über die Netzentgelte erhoben, sondern über eine neu geschaffene Wind-Offshore-Umlage. Das führe auf den Preisblättern der Netzbetreiber oft zu konstanten Entgelten, aber für die Verbraucher trotzdem zu sechs bis acht Prozent teureren Netzkosten.
Den Studienautoren sind Netzkosten und Netzentgelt-Struktur „derzeit so intransparent, dass es de facto unmöglich ist, Netzausbau und Netzkosten effizient zu regulieren“. Die Netzausgaben würden statt dessen im Blindflug gesteuert: Politik und Wissenschaft könnten nicht nachzuvollziehen, wofür die Netzentgelte in der Höhe von bundesweit jährlich rund 24 Milliarden Euro genau ausgegeben und wie sie auf die unterschiedlichen Gruppen von Stromverbrauchern umgelegt werden. „Wir sehen zahlreiche Ausnahmen, uneinheitliche Regelungen und große Transparenzdefizite, die aktuell sogar verhindern, dass Wissenschaft und Forschung ein durchdachtes Modell erarbeiten können“, sagt Thorsten Lenck, Projektleiter von Agora Energiewende und einer der Autoren der Studie: „Dabei wäre genau das dringend nötig, um sowohl die zunehmenden Mengen von Strom aus erneuerbaren Energien zu möglichst geringen Kosten ins Netz zu integrieren als auch die zusätzliche Stromnachfrage von Elektroautos und von Wärmepumpen zu befriedigen, ohne dafür die Netze mehr als nötig auszubauen.“
Damit die Politik die Kontrolle über die Netzentgelte wiedererlangt, schlagen die Autoren einen Grün- und Weißbuchprozess vor, in dem die Probleme der Netzentgelte zunächst analysiert, anschließend systematisch bearbeitet und schließlich aufgelöst werden. Oberste Priorität habe dabei die Beantwortung der Frage, welchem Ziel die Netzentgelte prioritär dienen sollten: einem effizienten Stromsystem, einer möglichst gerechten Verteilung der Netzkosten auf die Netznutzer oder einer möglichst gerechten Zahlung der Netzkosten durch die Verursacher von neuen Netzausbaumaßahmen. Zudem müsse bei den rund 900 Netzbetreibern in Deutschland Transparenz über die Kosten der Stromnetze und die erhobenen Netzentgelten hergestellt werden.
Agora Energiewende weist darauf hin, dass die Bundesregierung im Koalitionsvertrag eine Reform der Netzentgelte vereinbart habe, jedoch in diesem Bereich bisher nicht aktiv geworden sei. Da ein Grün- und Weißbuchprozess einige Jahre dauern würde, schlagen die Autoren der Studie einige schnell umsetzbare Maßnahmen vor. Dazu gehört die Herstellung vollständiger Transparenz über Aufkommen und Verwendung der Netzentgelte, ein Ende der Anreize für einen möglichst gleichmäßigen Stromverbrauch, damit künftig große Stromverbraucher ihre Nachfrage nach Angebot und Preis an der Strombörse richten würden, sowie die Sicherung niedriger Grundpreise für Kleinverbraucher. Als weitere Maßnahme nennt der Thinktank die Einführung flexibler Netzentgelte für neue Verbraucher wie Elektroautos und Wärmepumpen, damit sich der Stromverbrauch flexibel an die aktuelle Belastung der Stromnetze anpasse.
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Infrastruktur jeglicher Art gehört wieder in die Hand der Bürger. Wenn dann Netze Gewinne abwerfen, haben trotzdem die Bürger etwas davon, weil dieser Anteil weniger Steuern erfordert.
Vermutlich wäre schon viel erreicht, wenn der durch Deutschland durchgeleitete Strom bzw. der aus Deutschland exportierte Strom ebenfalls Netzentgelte bezahlen müsste. Dies ist nämlich Stand meiner Erkenntnis nicht der Fall.
Dieser Fakt, so er denn einer ist, führt automatisch zur nächsten Frage: Ist der Netzausbau tatsächlich ein Effekt der Energiewende? Ja, durch mehr EE gibt es mehr Strom im Netz. Aber war nicht der Plan, die konventionelle Erzeugung in dem Maße zu drosseln, wie sie durch EE ersetz wird?
Stattdessen sind wir jetzt auch Exportweltmeister was Kohlestrom angeht, je mehr EE wir haben umso mehr exportieren wir mit dem Effekt, dass für die anderen Mitlgiedsstaaten der EU der Strom immer billiger wird. Dadurch sind EE in diesen Ländern immer schwerer wettbewerbsfähig.
Kurz: Der Verzicht auf die Drosselung deutscher Kohlekraftwerke bei entsprechender EE-Produktion senkt den Börsenstrompreis, erhöht die Differenz zum EEG-Preis, erhöht den Bedarf an EEG-Umlage und hindert unsere Nachbarn am Ausbau eigener EE-Kapazitäten.
Wegen ungebremster CO2-Emmissionen muss Deutschland dann Strafen an die EU zahlen, wohlgemerkt für exportierten Strom. Aber nicht so schlimm, die Strafe wird ja aus Steuergeldern deutscher Steuerzahler beglichen…
Das gesamte Energiesystem bzw. Ihre Akteure wehren sich mit Händen und Füßen gegen die notwendigen Anpassungen. Wohl dem der ein Dach hat, jener kann sich durch PV ein Stück weit diesem Irrsinn entziehen und weiteren Druck für Veränderungen aufbauen.
Be the change you want to see….
Tim Wolf sagt:
Dieser Fakt, so er denn einer ist, führt automatisch zur nächsten Frage: Ist der Netzausbau tatsächlich ein Effekt der Energiewende? Ja, durch mehr EE gibt es mehr Strom im Netz. Aber war nicht der Plan, die konventionelle Erzeugung in dem Maße zu drosseln, wie sie durch EE ersetz wird?
Stattdessen sind wir jetzt auch Exportweltmeister was Kohlestrom angeht, je mehr EE wir haben umso mehr exportieren wir mit dem Effekt, dass für die anderen Mitlgiedsstaaten der EU der Strom immer billiger wird.
@ Tim Wolf.
Genau so ist es. Der Plan der Urvätern des EEG war der, dass die Erneuerbaren den Versorgern zwingend zugeteilt wurden, und die konventionelle Produktion entsprechend weniger nachgefragt war.
Mit zunehmenden EE wäre kontinuierlich immer weniger Kohlestrom an der Börse, nachgefragt worden Das Abschalten der Kohlekraftwerke hätte sich aus wirtschaftlichen Gründen von selbst erledigt. Ganz im Sinne der Energiewende.
Das wurde 2010 auf Druck der konventionellen Stromwirtschaft, und der denen nahestehenden Institutionen wie z.B. die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft INSM mit Hilfe von Lobbyisten umkonstruiert.
Hier vom IWR treffend beschrieben.
Zitat Der steigende Anteil erneuerbarer Energien hat am Spot- und Terminmarkt zu immer niedrigeren Strom-Einkaufspreisen geführt. Grund ist ein von der Politik beschlossener Wechsel der EEG-Lieferung ab 2010 (Wälzungsmechanismus). Bis 2009 erhielten die Stadtwerke den EEG-Strom als sog. EEG-Stromband monatlich tatsächlich physisch geliefert, so dass die großen Vorlieferanten (RWE, E.ON, Vattenfall, EnBW, etc.) auch faktisch weniger an die Stadtwerke liefern konnten. Seit 2010 muss der EEG-Strom an der Börse verkauft werden und das hat weitreichende Folgen: RWE, E.ON & Co. beliefern Stadtwerke seit 2010 wieder weitgehend vollständig mit konventionellem Strom, der EEG-Strom an der Börse kommt zusätzlich auf den Markt und drückt auf die Preise.Zitat Ende.
Kohlestrom, wird wieder an der Börse uneingeschränkt nachgefragt, der Überschuss an der Börse, wird den Erneuerbaren in die Schuhe geschoben, obwohl das physikalisch gar nicht möglich sein kann.
Ein Schelm der Böses denkt weshalb die Erneuerbaren seit 2010 nur „Kaufmännisch“ gehandelt werden
Der Stromexport hat seit 2011 kontinuierlich zugenommen.
Siehe hier: https://www.solarify.eu/2017/08/25/207-zu-viel-schmutziger-strom/
Agora scheint allmählich auch auf der monetären Spielwiese der konventionellen Stromwirtschaft angekommen zu sein.
Weniger Wettbewerb & höhere Strompreise.
Warum der RWE-Eon-Deal zu Lasten der Kunden geht.
https://www.presseportal.de/download/document/547003-190202-hintergrund-lichtblick-zum-eon-rwe-deal.pdf
Warum sollte man aus gesellschaftsweiter Sicht Eon als länderübergreifendem Großkonzern und Marktmacht im Verteilerstromnetz höherwertigen, CO2-verminderten Strom aufdrängen?
Was würde diese Zugeständnisse an die Oligopolisten der Stromversorgung rechtfertigen?
Rückblick auf Juni 2013
„Dabei hatten diese Energiekonzerne im Jahr 2000 mit der damaligen rot-grünen Bundesregierung ein Ausstiegsgesetz vereinbart. Wirklich ernst gemeint hatten sie diese Vereinbarungen offenbar nicht. Ihr Engagement im Bereich der erneuerbaren Energien blieb mehr als bescheiden. Während im Bundesdurchschnitt im Jahr 2011 ca. 20 % und im Jahr 2012 bereits 22 % der Stromversorgung in Deutschland durch erneuerbare Energien gedeckt wurden, kamen die großen Vier gerade einmal auf Werte zwischen 4 und 11 %. Rechnet man die alten, zum Teil schon seit Jahrzehnten existierenden, Wasserkraftwerke heraus, beschränkt sich das regenerative Engagement der Energieriesen gerade einmal auf 0,5 bis 2 % – trotz Ausstiegsbeschluss und Klimaschutzbekenntnissen.“
https://www.volker-quaschning.de/artikel/2013-06-Gegner-der-Energiewende/index.php
Hallo Echo.
Ein interessanter Link, der bestärkt meine Befürchtungen, hinsichtlich zu Lasten der Verbraucher.
Lassen Sie mich mal auf der Grundlage des Verlinkten, zusammenfassen.
Künftig wird RWE nur Strom produzieren, und EON wird den Strom zu den Verbraucher bringen. Handel, Netze und Vertrieb, so der neue viel sagende Name von EON
Nun haben wir ja seit 2010, wo die Erneuerbaren zum Vermarkten an die Börse verpflichtet wurden, die Situation, dass die dort die Preise von 2011 bis 2016 fast halbiert haben.
Siehe hier:
https://www.energy-charts.de/price_avg_de.htm?price=nominal&period=annual&year=all
Das heißt der Handel, der an der Börse kauft, hat gewonnen, während die Produzenten, die ihren Strom an der Börse verkaufen, die Verlierer sind. Das hat man ja mit den Gaskraftwerken erlebt, die nach dem Merit Order Prinzip, nicht mehr zum Einsatz kamen.
Wenn nun die Börsenpreise seit 2017 wieder etwas nach oben in Bewegung gekommen sind, halte ich das lediglich für ein Einpendeln auf die neue Situation.
Fazit aus diesen Erkenntnissen.
RWE bestimmt künftig die Börsenpreise, und EON treibt damit Handel.
Nehmen wir mal an RWE betreibt Wind und Solarparks mit über 20 bzw. 15 Jahren festen Vergütungen, und bringt den Strom an die Börse , dann kann denen egal sein wie tief, oder gar negativ deswegen die Börsenpreise sinken, ihre Vergütung ist gesichert, und ihr Partner EON kann lukrativ damit handeln.
Lediglich die Verbraucher sind die Dummen, die zahlen nämlich bei niedrigen Börsenpreisen höhere Umlage, was ja bei diesem Deal auch eine monetäre Rolle spielt.
„Netzentgelte 2019: Zeit für Reformen“
„Dabei gibt es Interessenkonflikte zwischen bisherigen Nutzern, die das Netz über Jahrzehnte abgezahlt haben, und die Notwendigkeit, neue Nutzer (Wärme, Verkehr) aufzunehmen, die diesen Beitrag nicht geleistet haben. Die Integration neuer Netznutzer wird nicht gelingen, wenn diese die Ausbaukosten allein tragen müssen, noch wenn die bisherigen Nutzer mit den Bestandskosten allein gelassen werden“