Photovoltaik-Gigawattanlagen für Deutschland

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Eines haben die Solarbranche und die Braunkohlekumpel gemein. Beide sind in einer verfahrenen Situation. Die Solarbranche dümpelt bei niedrigen Zubauraten vor sich hin, die Braunkohlekumpel haben Angst vor dem Strukturwandel, wenn die Kraftwerke abgeschaltet werden. Der kommt so sicher wie das Amen in der Kirche – es ist nur nicht klar, wann. Beides hängt miteinander zusammen.

Solarzubau macht Braunkohlekraftwerke unwirtschaftlicher und unsinniger, da saubere gegen CO2 -belastete Energie steht. Eine Idee könnte die verfahrene Situation auflösen: Solar-Wind-Hybridkraftwerke auf

Braunkohleabbaugebieten. Damit würden auch nach dem Strukturwandel Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Region bleiben – auf jeden Fall mehr, als wenn man nach der Stilllegung wie oft üblich den x-ten Baggersee als Tourismusmagnet zu etablieren versucht.

„Am Anfang der Idee stand ein Investor aus Hongkong“, sagt Karl-Heinz Remmers. „Er kannte das Kraftwerk im chinesischen Ningxia, das ein Gigawatt Leistung hat.“ Das ist so viel wie ein Block eines Atomkraftwerks. „Die meisten denken, es gebe für so etwas keine Fläche in Deutschland.“

Doch das ist falsch. Zoomt man sich auf Google Maps langsam an den sächsischen Ort Weißwasser heran, tut sich ein heller Fleck auf, bevor sich auch nur ein Ort erkennen lässt. Die Tagebau Nochten bei Boxberg umfasst 2.400 Hektar oder 24 Quadratkilometer. „Dort wäre Platz für 2,5 Gigawatt Photovoltaik“, sagt Remmers. Und solche Flächen gibt es noch mehr. Sieben Abbaugebiete zusammen böten Platz für 17,8 Gigawatt (siehe Tabelle unten).

Das lässt nicht nur die Herzen von Solarfans höher schlagen. Es ist nach den bestehenden Energieszenarien auch sinnvoll. Es gibt verschiedene Szenarien für die Energiewende in Deutschland. Das des Fraunhofer-Instituts für Solar Energiesysteme kommt auf 200 bis 250 Gigawatt Photovoltaikleistung, die hierzulande installiert werden müssen. Volker Quaschning von der HTW Berlin kam in einer kürzlich veröffentlichten Studie, die andere Szenarien zur Elektromobilität und Sektorenkopplung berücksichtigt, sogar auf 400 Gigawatt Photovoltaik und 200 Gigawatt Windkraft. Die Fläche auf den Abraumgebieten könnte demnach nur einen Bruchteil der Leistung liefern, die notwendig ist. „Wir brauchen also alles, dezentrale und eben solche zentralen Kraftwerke“, sagt Remmers. Und die Gigawattkraftwerke wären ein sinnvoller Baustein.

Kombination von Solar- und Windkraft
Doch damit nicht genug. Um Kosten zu senken und die Energieausbeute auf den Flächen zu erhöhen, schlägt Remmers vor, die Photovoltaik mit Windkraftanlagen in gleicher Leistungshöhe zu kombinieren.

Wer Windkraftanlagen und Photovoltaik koppelt, gewinnt viel. Das hat bereits vor drei Jahren eine Studie der Solarpraxis mit der HTW Berlin und dem Reiner-Lemoine-Institut gezeigt. Der Schatten der Windkraftanlagen führt nur zu zwei Prozent Ertragsverlusten. Regelt man die Gesamtleistung, also die Photovoltaikleistung und die Windleistung, auf 60 Prozent ab, gehen nur drei Prozent des Ertrags verloren. Das bedeutet, der Wind weht so komplementär zu den Zeiten, wenn die Sonne scheint, dass die Erzeugung viel kontinuierlicher ist und sich Wind und Solar die Netzanschlussleistung teilen können, was Kosten für den Anschluss und den Netzausbau spart.

Es gibt zwar auch mit Solar-Wind-Hybriden noch rund 1.000 Stunden im Jahr „Dunkelflaute“, in denen also weder der Wind weht noch die Sonne scheint. Doch das ist viel weniger als für eine der beiden Technologien alleine. Je nach technologischer Entwicklung, wenn Remmers Vorhaben einmal umgesetzt sein sollte, lassen sich diese 1.000 Stunden mit einer Speichertechnik überbrücken. Dann funktioniert das Solar-Wind-Hybridkraftwerk tatsächlich so wie heute ein Braunkohlekraftwerk – nur viel umweltfreundlicher.

Die Netze sind übrigens bereits dort. Denn wo Braunkohlekraftwerke stehen, liegen schon heute die Leitungen, die den Braunkohlestrom aufnehmen. Auch der HGÜ-Korridor, der jetzt noch als Leitung geplant wird, um Braunkohlestrom nach Bayern zu bringen, hätte dann seinen Sinn.
Bei der Größe der Anlage rechnet Karl-Heinz Remmers mit 500 Euro pro Kilowatt Installationskosten. Bei 2,2 Prozent Zinsen ließen sich damit Stromkosten von nur 4,5 Cent pro Kilowattstunde erreichen. Kombiniert mit Wind, dürften die Preise in ähnlicher Größenordnung liegen. Das ist nur ein knappes Drittel dessen, was für das Kernkraftwerk Hinkley Point als Einspeisevergütung vorgesehen ist, damit es sich rechnet.

Arbeitsplätze erhalten
Das Vorhaben soll zwei Effekte auf einmal haben: zum einen, für die Energiewende nötigen Strom günstig erzeugen, zum anderen den Strukturwandel in den Braunkohlegebieten unterstützen. Arbeiten an dem Standort heute ungefähr 2.000 Menschen, so wären für die Betriebsführung der regenerativen Anlagen immer noch mehr als 500 Arbeitskräfte nötig.
Remmers rührt jetzt die Werbetrommel. Er will Politik und Gewerkschaften für das Vorhaben gewinnen. „Es ist wichtig, dass die Schalter auf höchster Ebene umgelegt werden“, sagt er. Sonst lassen sich solch komplexe Projekte kaum stemmen. So sei zum Beispiel auch das Bergrecht involviert und mögliche Investoren brauchten die Sicherheit, dass das Projekt langfristig funktioniert.

Es geht hier nicht mehr um den Solarmarkt, wie wir ihn heute kennen, sondern um die Zeit nach dem EEG und „Laufzeiten von 40 Jahren und mehr“.
Die jüngsten Entwicklungen bei Verdi zeigen zumindest schon eine gewisse Offenheit. Stand dort lange Zeit im Vordergrund, die Energiewende und damit den Strukturwandel zu verzögern, hat Verdi im Sommer konkrete Forderungen gestellt, was aus Gewerkschaftssicht für den Strukturwandel wichtig ist, um den Arbeitskräften eine neue Zukunft zu geben. (Michael Fuhs)

Tabelle Flächen für Braunkohle-Tagebau – Lausitz und Mitteldeutschland
Boxberg 2,57 GW
Jänschwalde bei Cottbus 3 GW
Lippendorf bei Leipzig 1,86 GW
Schwarze Pumpe 1,6 GW
Nordrhein-Westfalen
Neurath in Grevenbroich 4,4 GW
Niederaußem in Bergheim 3,8 GW
Frimmersdorf/Grevenbroich 0,6 GW

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