pv magazine: Was ist die größte Herausforderung beim Internet of Things im Haus?
Viktor Grinewitschus (Foto): Es gibt eine grundsätzliche, wirklich wichtige Frage für die Industrie: Wo findet die Wertschöpfung statt? Worüber definiert sich ein Hersteller und was ist die Funktionalität seiner Geräte? Wenn Sie ein Gerät komplett öffnen, dann besteht es nur noch aus Sensoren und Aktoren. Die gesamte Intelligenz wandert dann möglicherweise ab in eine Middleware-Plattform wie EEBus, openHAB oder andere. Schon seit Jahren wird darüber diskutiert, wie eine sinnvolle Einbindung von Haustechnikprodukten in solche Plattformen aussieht.
Die Firmen haben also nicht wirklich Interesse an einem Standard im Haus?
Weil die Firmen aktuell nicht wissen, ob offene Schnittstellen ein Fluch oder ein Segen sind. Schauen Sie sich Unternehmen wie die Telekom-Provider an. Die haben Geld verdient, indem sie Hardware und Leitungen zur Verfügung gestellt und Telefongespräche vermittelt haben. Dann kamen Internet-Unternehmen wie Google, die Services auf der Infrastruktur entwickelt und angeboten haben. Das große Geld wurde plötzlich nicht mehr mit der Infrastruktur, sondern mit Anwendungen und Software verdient. Damit Hersteller bei der Entwicklung von neuen, vernetzten Lösungen mitmachen, brauchen wir eine faire Verteilung innerhalb der Wertschöpfungskette. Wie diese im Smart Home aussieht, ist eine völlig ungelöste Frage.
Das können Systeme wie EEBus und andere auch nicht lösen?
Wenn Sie als Hersteller diese Integration beschleunigen, dann hilft Ihnen das möglicherweise, neue Produkte auf den Markt zu bringen und Anwendungen für das Internet of Things zu entwickeln. Auf der anderen Seite wandert Wertschöpfung ins Netz. Viele Premiumhersteller haben sicherlich kein Problem, einige Funktionen ihrer Geräte von außen steuerbar zu machen. Aber wenn es zu viele sind, finden sich plötzlich das komplette Waschprogramm einer Waschmaschine oder die Algorithmen der energieeffizienten Heizung auf einer Middleware-Plattform wieder. Wollen die das?
Aber Hersteller können das doch gar nicht dadurch verhindern, dass sie selbst nicht mitmachen. Da wird es doch dann andere geben, die in die Bresche springen.
Am Ende des Tages können die Hersteller die Entwicklung vermutlich nicht verhindern. Aber wollen sie die Entwicklung auch noch beschleunigen? In der IT-Branche spricht man von disruptiven Entwicklungen, die keine Evolution von bestehenden Geschäftsprozessen bewirken, sondern diese mit hoher Geschwindigkeit zerlegen. Die Telekom hat sich lange Zeit gefreut, dass sie am Versand von SMS gut verdiente. Dann kam Whatsapp, und innerhalb von zwei Jahren war das Geschäftsmodell zerstört.
Wird das in der Haustechnik passieren?
Die Frage ist, ob man es verhindern kann und will. Mittlerweile sind viele Lösungen Cloud-basiert. Jeden Tag werden Informationen gesammelt, aus denen sich viel über die Anwender und deren Bedürfnisse lernen lässt. Produkte lassen sich so viel zielgerichteter und damit auch kostengünstiger entwickeln. Eigentlich ist es doch auch eine gute Entwicklung. Es kann ja nicht grundsätzlich falsch sein, mehr zu wissen. Das Wissen entsteht aber möglicherweise an Stellen, die dem klassischen Hersteller nicht oder nur schwer zugänglich sind, auch müssen Fragen des Datenschutzes geklärt werden. Die Dynamik ist sehr groß. Man kann es nachvollziehen, wenn sich Hersteller wünschen, dass es langsamer geht.
Kann man über eine faire Aufteilung der Margen reden?
Meiner Meinung nach muss man! Als Journalist kennen Sie die IT-Effekte und die Auswirkungen auf die Branche und sind längst von der Entwicklung betroffen. Die Kostenloskultur des Internets gräbt vielen ihrer Kollegen bereits das Wasser ab, an der Wertschöpfung sind sie immer weniger beteiligt. So gesehen ist die Haustechnik heute noch nicht dran, dafür sind die Zusammenhänge noch zu komplex, das Umfeld noch zu heterogen. Heute besteht hier ein hochwertiges Produkt aus einer zuverlässigen Hardware mit einer sehr guten Software, die Entwicklungskosten der Software werden über den Verkauf der Hardware refinanziert. Dieses Geschäftsmodell funktioniert aber nicht mehr, wenn man Hard- und Software trennt. Andererseits können wir zukünftig die Möglichkeiten der Vernetzung nicht ignorieren. Die Lösungen werden definitiv eine Software oberhalb der einzelnen Geräte erfordern.
Wie sehen die neuen Geschäftsmodelle dafür aus?
An deren Entwicklung trauen sich die etablierten Hersteller noch nicht wirklich ran. Wenn wir dies Google oder Facebook überlassen, wird das Ergebnis vielen wenig Freude bereiten. Vielleicht sind offene Integrations-Plattformen auf der Basis von Open Source ein wichtiger Baustein für eine Lösung. Ein faires Geschäftsmodell für innovative Smart-Home-Anwendungen würde nach meinem Ermessen Wunder bewirken. Es bedarf noch nicht mal eines gemeinsamen Kommunikationsstandards für alle Haustechnikhersteller, sondern nur der Möglichkeit, die Schnittstellen umfassend zu nutzen. Vielleicht sehen wir zukünftig Pay-per-use-Modelle für Hausgeräte, die bereits vor 15 Jahren als Möglichkeit diskutiert wurden.
Wird der Smart-Home-Markt weniger von Kundenwünschen bestimmt als von solchen Überlegungen?
Was die Kunden wollen, ist weitgehend klar. Mehr Komfort und Sicherheit bei hoher Energieeffizienz und niedrigen Kosten und auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Funktionen für ihr Haus oder ihre Wohnung. Das System muss sich einfach bedienen und erweitern lassen. Das ist alles nicht wirklich neu, und das ist technisch lösbar. Es geht um einen sehr großen Markt, der viel größer ist als etwa die Automobilindustrie. Die Erschließung dieses Marktes erfordert definitiv andere Strukturen als heute. Die IT-Branche sieht darin die Chance, die etablierten Hersteller eher die Gefahr von disruptiven Veränderungen. Ich sehe in diesem Konflikt einen wesentlichen Grund, warum es mit dem Thema Smart Home noch nicht so richtig vorwärtsgegangen ist. Noch braucht die Software die Hardware. Wir bauen aktuell in Deutschland das Energiesystem bei laufendem Betrieb um, wollen die Energieeffizienz unserer Gebäude steigern und den demografischen Wandel meistern. Reichlich Aufgaben und Potenzial für smarte Gebäude und vernetzte Systeme.
Das Gespräch führte Michael Fuhs.
Sind Sie Hersteller, Installateur oder Verbraucher? Zu diesem Thema interessiert mich Ihre Einschätzung sehr. Ich freue mich über Ihr Feedback anmichael.fuhs@pv-magazine.com (Betreff: Disruption)
Das Interview stammt aus der aktuellen Ausgabe des pv magazine Deutschland mit dem Schwerpunktthema "Internet der Dinge".Zum HeftarchivZum Abo-Service/Einzelheftbestellung
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