Die Entscheidung für eine Unternehmensfusion fällt Dietmar Roth nicht besonders schwer. Bereits in den vergangenen Jahren hat sich der Anlagenhersteller Roth & Rau unter anderem durch den Kauf von verschiedenen Unternehmen zu einem international erfolgreichen Global Player entwickelt. Wachstum durch Zukauf oder Fusionen stellt daher für den Vorstandsvorsitzenden eine selbstverständliche strategische Option dar, die es einem deutschen Mittelstandsunternehmen ermöglicht, internationalen und ebenfalls durch Zusammenschlüsse größer werdenden Kunden und Wettbewerbern stets auf gleicherAugenhöhe zu begegnen. Nicht überraschend war daher die Überlegung, mit dem Schweizer Unternehmen Meyer Burger zu fusionieren, da bereits vor einigen Jahren erste Gespräche über diese Möglichkeit stattfanden. Durch die eintretende Finanz- und Wirtschaftskrise begruben beide Gesellschafter aber tatsächliche Umsetzungspläne. Jetzt – vor dem Hintergrund des zunehmenden Konsolidierungsdrucks und der inzwischen gewachsenen Verantwortung für mehr als 1.100 Mitarbeiter in zwölf Ländern – lebte dieser Gedanke wieder auf und konkretisierte sich im Verlauf der letzten sechs Monate.„Synergien in der Forschung und Entwicklung werden immer wichtiger, schätzt Roth die derzeitige Lage ein. Mit dem Zusammenschluss mit Meyer Burger bestehen aus seiner Sicht beste Chancen, sich gemeinsam zu einem Technologieführer zu entwickeln, der den gesamten Wertschöpfungsprozess beherrscht und daher den Kunden künftig völlig aufeinander abgestimmte Systemlösungen anbieten kann.
Meyer Burger ist auf Maschinen und Systemlösungen für die Waferherstellung spezialisiert. Das Unternehmen hatte erst vor gut einem Jahr 3S Industries zugekauft und damit sein Produktspektrumum die Modulsparte im Anlagenbau ergänzt. Es fehlte nun nur noch ein Anlagenhersteller im Zellensegment, um alle Prozessschritte von Wafern über Zellen bis hin zu Modulen abzudecken. Roth & Rau als weltweiter Marktführer im Technologiesegment kristalline Siliziumzellen schien ein idealer Partner, um das Leistungsangebot zu ergänzen.
Nicht die Katze im Sack kaufen
Doch für eine derart weitreichende Entscheidung wurde das geplante Kaufobjekt zunächst gründlich untersucht. Die im Fachjargon als Due Dilligence bezeichnete Prüfphase dauert meist nur wenige Wochen. Ein enger Kreis zum Stillschweigen verpflichteter Eingeweihter – sowohl interne Mitarbeiter als auch meist externe, spezialisierte Berater – berechnet Tag und Nacht jede denkbare Unternehmenskennzahl, prüft Bilanzen und die entscheidende Gewinn-und-Verlust-Rechnung. Zahlreiche Verträge und rechtliche Verbindlichkeiten werden bis ins Detail hinterfragt, um keinesfalls die Katze im Sack zu kaufen. Gleichzeitig plausibilisieren und revidieren Marktexperten üblicherweise eine Drei- oder Fünfjahresplanung zu Umsätzen und Jahresüberschüssen.
Darauf basierend diskutieren Gesellschafter in tagelangen Sitzungen intensiv über die Zukunftsperspektiven im Markt, um den aktuellen Unternehmenswert und damit einen für beide Seiten fairen Kaufpreis zu ermitteln. Die Fusionsverhandlung befindet sich dann in ihrer entscheidenden Abschlussphase, die Atmosphäre ist entsprechend angespannt. Denn nicht allein der Kaufpreis ist entscheidend, sondern auch die damit verbundenen Übernahmekonditionen und Rahmenbedingungen – für Dietmar Roth ist es beispielsweise wichtig, im neu entstehenden Unternehmensverbandeigenständig zu bleiben. Letztendlich finden Roth & Rau und Meyer Burger einen Konsens, und die zuständigen Public-Relations-Abteilungen beider Unternehmen kommunizieren per Ad-hoc-Meldung das freundliche Übernahmeangebot und die zukünftige Stärke des bald fusionierten Unternehmens.
Die Fusionstransaktion ist zwar bei dem französischen Total-Konzern und der angekündigten 60-Prozent-Übernahme von Sunpower sehr ähnlich verlaufen. Die Beweggründe unterscheiden sich jedoch deutlich: Für Total kann damit endlich der entscheidende Einstieg in das Solargeschäft erreicht werden, um mit dem dynamisch wachsenden Unternehmen Sunpower und der derzeitigen Nummer fünf in der globalen Rangliste der Modulhersteller zu einem der größten Solarunternehmen der Welt aufzusteigen.
Gefährliche Abwärtsspiralen
Unternehmensfusionen und -zukäufe oder Mergers and Acquisitions – kurz M&A genannt – verlaufen jedoch nicht immer wie in den Fällen von Roth & Rau oder Sunpower aus einer Position der Stärke heraus. Oftmals sind sie das Ergebnis eines zähen Überlebenskampfes in einer verzweifelten, von Experten „distressed“ genannten M&A-Situation. Zum Beispiel bei Systaic: Der Hersteller integrierter Dachanlagen war Anfang 2010 in eine finanzielle Schieflage geraten, weil er seine Projekte nicht rechtzeitig fertigstellen konnte. Daran lässt sich gut verdeutlichen, wie eine regelrechte Abwärtsspirale an Eigendynamik gewann und das Unternehmen am Ende nicht mehr umkehren konnte. Durch einen Liquiditätsengpass kämpfte Systaic für mehr als sechs Monate intensiv ums Überleben. Mitspracherechte hatten zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Finanzierungspartner und Gläubiger, meist Banken. Dabei wuchs der Schuldenberg bis auf über 70 Millionen Euro, so dass am Ende eine Insolvenz die letzte Option war. Zahlreiche bis zuletzt geführte Gespräche mit Finanzinvestoren änderten daran nichts. Nur wenige Wochen nach Eröffnung der Insolvenz übernahm Centrotec im April dieses Jahres die Energiedachsparte von Systaic zu einem stark abgewerteten Kaufpreis von gut einer Million Euro und baute damit sein bestehendes Geschäft mit Photovoltaik- und Solarthermiedächern aus.Sowohl größere Wettbewerber als auch Traditionsfirmen warten auf derartige Kaufgelegenheiten. Bosch, Baywa und Würth, um nur einige zu nennen – sie alle sehen in der noch jungen Photovoltaikindustrie großes Zukunftspotenzial und kaufen aktiv ein, beispielsweise Aleo Solar, Johanna Solar, MHH Solartechnik und Solarmarkt in der jüngsten Vergangenheit. Dass es sich dabei zukünftig auch nicht um Einzelfälle handeln wird, belegt die im Januar 2011 von der Münchner Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner durchgeführte Expertenbefragung „Quo vadis Solar“. Sie zeigt, dass das bereits seit Jahren über der Photovoltaikindustrie schwebende Damoklesschwert Konsolidierung im Jahr 2011endgültig fallen wird. Aus Expertengesprächen mit 30 ausgewählten deutschen großen Solarunternehmen ergab sich folgendes Bild: 90 Prozent der Befragten erwarten, „dass es im deutschen Photovoltaikmarkt innerhalb der nächsten drei Jahre eine Marktkonsolidierung geben wird“. Nahezu die Hälfte der produzierenden Photovoltaikunternehmen wird fusionieren oder gänzlich verschwinden. 75 Prozent der Experten erwarten den ersten großen Fusionsschub bereits für das laufende Jahr 2011.
„Der Konsolidierungsdruck wird gewiss nicht alle treffen und ist sehr differenziert zu bewerten“, sagt Richard von Hehn, Leiter der Business-Development-Abteilung bei Gehrlicher Solar. „Solidegewachsene Unternehmen, die sich zum Beispiel das durchaus noch vorhandene Dachpotenzial in Deutschland systematisch erschließen, haben gute Chancen zu überleben. Systemintegratoren mit einem Fokus auf größere Photovoltaikflächen hingegen, die die Internationalisierung noch nicht entscheidend vorangetrieben haben, werden in diesem Jahr in eine kritische Lage geraten.“ Gehrlicher Solar konnte bereits seit 2001 sein internationales Geschäft auf zehn Ländervertretungen stetig ausbauen.
Krisenfeste Finanzlage schützt
Wer zu den Gewinnern oder Verlierern gehören wird, hängt stark davon ab, wie das Unternehmen im deutschen und internationalen Solarmarkt positioniert ist. Zusätzlich spielt eine krisenfeste Finanz- beziehungsweise Liquiditätslage eine große Rolle, um auch Subventionsunsicherheiten problemlos abzufedern. Im Gegensatz zu Gehrlicher haben viele deutsche Photovoltaikunternehmer ihre Hausaufgaben nicht gemacht und es versäumt, ihr Geschäftsmodell frühzeitig an sich verändernde Marktanforderungen anzupassen. Wie tief, breit und komplex die erzielte Wertschöpfung sein kann, unterscheidet sich sehr: Die einen handeln ausschließlich mit Modulen, andere projektieren private Dächer, weitere koordinieren, finanzieren und wickeln große Megawatt-Parks ab.
Gewinner sind solche Unternehmen, die rechtzeitig die Weichen stellen und mal kleinere, mal größere Veränderungen an der Unternehmensarchitektur vornehmen. Dies ist notwendig, um Kernkompetenzen im Wettbewerbsumfeld dauerhaft abzusichern. Stetig rückläufige Subventionen in Deutschland und anderen europäischen Märkten sind ein allzeit diskutiertes Streitthema. Daraus resultiert der Druck, neue Umsatzquellen zu erschließen sowie radikal Kosten und Prozesse auf allen Unternehmensebenen zu optimieren, um auch in Deutschland noch positive Deckungsbeiträge zu erwirtschaften.
Egal wie groß ein Unternehmen ist: Solange die Unternehmensliquidität gesichert ist, werden vorhandene Schwächen nicht sofort zu einem großen Problem. Besteht allerdings gleichzeitig eine starke Abhängigkeit von Fremdkapitalgebern, kommt es häufig zu einem akuten Liquiditätsengpass, wie das Beispiel Systaic zeigte. Banken reagieren vordem Hintergrund abnehmender Dynamik im deutschen Solarmarkt schlagartig zurückhaltend. Sie hinterfragen das zugrunde liegende Geschäftsmodell und die Zukunftsperspektive des Unternehmens plötzlich besonders kritisch. Kreditlinien frieren sie vorsichtshalber ein und frisches, gerade in diesen Situationen notwendiges Kapital – zum Beispiel zur Zwischenfinanzierung von teuren Modulvorräten – wird verweigert. Das operative Geschäft, wie auch am Beispiel Systaic zu sehen war, wird dadurch erheblich eingeschränkt.
Völlig ahnungs- und regelrecht planlos schlittern dann Photovoltaikunternehmen mangels einer rollierenden, sprich wöchentlich neu zu erstellenden Liquiditätsplanung in die Insolvenz. Die Drei- beziehungsweise 13-Wochen-Regel des Liquiditätsnachweises ist erschreckend wenigen Verantwortlichen bekannt. Dabei sind im Grunde lediglich sämtliche verfügbaren beziehungsweise liquiden Finanzmittel allen fälligen Verbindlichkeiten gegenüberzustellen. Sofern eine Liquiditätslücke vorhanden ist, also Rechnungen nicht planmäßig gezahlt werden können, ist ein Finanzplan zunächst für drei Wochen zu erstellen. Weist dieser weiterhin eine Deckungslücke von mehr als zehn Prozent auf, besteht grundsätzlich gemäß Bundesgerichtshof (BGH) Zahlungsunfähigkeit. Schön-Wetter-Regieren ist genau in diesem Moment nicht mehr gefragt: Konsequentes Liquiditätsmanagement bedeutet für die betroffenen Unternehmen, die Ausgaben zu stoppen, Forderungen wenn möglich schneller einzutreiben und bestehende Verbindlichkeiten hinauszuzögern oder gar zu stunden. Gelingt es anhand einer auf 13 Wochen beziehungsweise maximal sechs Monate ausgeweiteten Finanzplanung, die Liquiditätslücke zu schließen, lag laut Rechtsprechung
###MARGINALIE_BEGIN###
###MARGINALIE_END###
eine Zahlungsstockung und glücklicherweise keine Zahlungsunfähigkeit vor. Dies traf zum Beispiel bei Conergy Ende 2007 zu, als das börsennotierte Solarunternehmen dringend einen dreistelligen Millionenbetrag an Liquidität benötigte. Zusätzliche Bankkredite deckten dabei nur 30 Prozent ab, eine Notfall-Kapitalerhöhung sicherte den Rest.
Turnaround oder Insolvenz
In solchen Lagen ist es notwendig, kontinuierlich das Vertrauen der Kapitalgeber zu fördern: Das Unternehmen muss Transparenz schaffen und regelmäßig über den Unternehmensstatus Bericht erstatten. In manchen Fällen gelingt der Turnaround, in anderen bleibt nur noch eine gesteuerte Insolvenz als Ausweg, um Standort und Mitarbeiter des Unternehmens retten zu können.
Diesen Schritt durchlebte im Sommer 2010 auch die Meier Solar Solutions (MSS), wie Roth & Rau ebenfalls ein Anlagenhersteller. Hier scheiterte das Unternehmen trotz positiver operativer Ergebnisse an den Folgen eines sogenannten Leverage Buyouts, also einer fremdkapitalfinanzierten Übernahme des Unternehmens meist durch Private-Equity-Investoren oder das eigene Management. Die damit verbundene deutlich erhöhte Zinslast auf das eingesetzte Fremdkapital führt zu einer starken Belastung der Liquidität. Nur zwei Monate nach Insolvenzantrag hat der japanische Wettbewerber NPC den deutschen Ausrüster MSS übernommen. Der konnte nun regelrecht aufatmen. Florian von Gropper, damaliger und auch heutiger Geschäftsführer der Meier Solar Solutions, freute sich über den finanzstarken Partner.In solchen Momenten stellt sich die berechtigte Frage: Hätte eine Übernahme oder Insolvenz verhindert werden können? Wenn ja, wie? Für Unternehmer ist es möglich, eine drohende Krise durch kritische Selbstreflexion durchaus frühzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten. In Anlehnung an das von Banken geforderte Sanierungsgutachten werden in Abhängigkeit von Ausmaß und Handlungsspielraum fünf Krisen-Typen unterschieden; Checklisten helfen bei der Abgrenzung.
So verabschiedete sich erst kürzlich die Hamburger Colexon Energy AG aus dem Projektierungsgeschäft großer Photovoltaikanlagen und wird sich zukünftig auf das Segment Handel und Dienstleistungen fokussieren. Die Neuausrichtung war auf eine Absatzkrise in den wichtigsten europäischen Auslandsmärkten zurückzuführen. Zudem benötigte Colexon zu viel Kapital, um die Großprojekte vorzufinanzieren. „Mehr vom Alten“ wäre hier der falsche Weg gewesen. Vorhandene Stärken wie zum Beispiel das Dachsegment oder das solide ausgebaute Vertriebsnetz kritisch zu hinterfragen und genau diese Stärken zu fokussieren, sind ein sinnvoller Schritt in die richtige Richtung, um ein hoffentlich weiteres Abdriften in die Unternehmenskrise zu verhindern.
So gut läuft es nicht immer: Bei dem sächsischen Modulhersteller Signet Solar ist durch die anhaltende Wirtschafts- und Finanzkrise im Sommer 2010 die Auftragslage eingebrochen, die resultierende Zahlungsunfähigkeit führte in die Insolvenz. Heute, ein Jahr später, sind immer noch keine Investoren in Sicht – und der Betrieb ist bereits seit Monaten eingestellt.
Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert werden. Wenn Sie mit uns kooperieren und Inhalte von uns teilweise nutzen wollen, nehmen Sie bitte Kontakt auf: redaktion@pv-magazine.com.
Mit dem Absenden dieses Formulars stimmen Sie zu, dass das pv magazine Ihre Daten für die Veröffentlichung Ihres Kommentars verwendet.
Ihre persönlichen Daten werden nur zum Zwecke der Spam-Filterung an Dritte weitergegeben oder wenn dies für die technische Wartung der Website notwendig ist. Eine darüber hinausgehende Weitergabe an Dritte findet nicht statt, es sei denn, dies ist aufgrund anwendbarer Datenschutzbestimmungen gerechtfertigt oder ist die pv magazine gesetzlich dazu verpflichtet.
Sie können diese Einwilligung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. In diesem Fall werden Ihre personenbezogenen Daten unverzüglich gelöscht. Andernfalls werden Ihre Daten gelöscht, wenn das pv magazine Ihre Anfrage bearbeitet oder der Zweck der Datenspeicherung erfüllt ist.
Weitere Informationen zum Datenschutz finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.