CO2-Reduzierung durch CO2-Verdoppelung

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„Heute ist ein wichtiger Tag für die Industrie in Deutschland. … CCS und CCU sollen in Deutschland ermöglicht werden, sonst sind die Klimaschutzziele nicht zu erreichen.“ So Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) anlässlich des Kabinettsbeschlusses zur Novellierung des CCS-Gesetzes Ende Mai.

Recht hatte er. Der Tag war wichtig für die Industrie – aber für den Klimaschutz? Für Habeck bestimmt auch, denn für ihn sind Klimaschutzziele Zahlen auf dem Papier, Mengenangaben zur CO2-Emission. Jede Tonne, die aus Abgasen abgeschieden und auf den Weg in den Untergrund gebracht wird, verringert die Bilanz, wird als nicht mehr existent verbucht. Was mit dem Gas dann tatsächlich geschieht, ob es im angeblichen „Speicher“ verbleibt oder wieder herauskommt und was es sonst noch so alles macht, interessiert nicht. Es kann nicht gemessen und somit auch niemals aktenkundig werden.

Was ebenfalls nicht in die Akten kommt, ist das Verhältnis des für CCS benötigten Energieaufwandes zum Nutzeffekt. Chemiker Bernhard Weßling macht darauf aufmerksam, dass, um die derzeitige CO2-Konzentration in der Atmosphäre per CCS auch nur zu stabilisieren, also ihre Erhöhung zu verhindern, zwei Drittel des Weltstrombedarfs benötigt würden.

Noch abstruser wird es, wenn abgeschiedenes CO2 als Grundstoff in der Chemieindustrie eingesetzt werden soll (CCU).  „Weil dieses Gas wegen der Entropie praktisch am Ende einer absteigenden Stufenleiter von Nützlichkeit steht, muss man unglaublich viel Energie in Prozesse hineinstecken, wenn man CO2 zum Beispiel wieder zu Brennstoffen oder zu nützlichen chemischen Rohstoffen zurückverwandeln will. Man würde 55 Prozent der gesamten regenerativen Stromerzeugung benötigen, um nur zehn Prozent der nicht vermeidbaren CO2-Emissionen umzuwandeln.“ [Weßling: „Alles andere als nachhaltig: CCS und CCU erfordern gigantische Energiemengen“]

Auch ohne tiefere Chemie- und Physikkenntnisse ist festzustellen, dass durch CCS-Einsatz die CO2-Emission überwiegend nicht vermindert, sondern sogar erheblich vermehrt wird.

21  der weltweit 30 als CCS bezeichneten Anlagen beruhen nämlich auf und finanzieren sich durch Enhanced Oil Recovery (EOR) und Enhanced Gas Recovery (EGR). Hierbei wird CO2 in die Lagerstätte gepresst, um durch Druckerhöhung die Förderung des Öls oder Gases zu effektivieren. Die Verpressung von 1 Tonne CO2 bewirkt die zusätzliche Förderung von 3,6 Barrel Öl. Bei deren Verbrennung werden 1,8 Tonnen CO2 frei. 0,7 Tonnen des eingepressten CO2 gelangen mit dem geförderten Öl sogleich wieder in die Atmosphäre. Die derartige Nachbehandlung der einen Tonne CO2 aus dem Kraftwerk bewirkt also die Emission von 2,5 Tonnen. Im Untergrund verbleiben 0,3 Tonnen, wobei nicht bekannt ist, wie lange.

Obwohl das Verfahren die CO2-Emission also mehr als verdoppelt, wird es vom Global CCS- Institut als Klimaschutzmaßnahme durch unterirdische Speicherung des CO2 ausgegeben – was die Bundesregierung anstandslos in ihren CCS-Evaluierungsbericht (S. 82) übernommen hat. Sie findet also nichts dabei, dass Maßnahmen als Klimaschutz klassifiziert werden, die den CO2-Ausstoß vermehren.

An dieser Stelle wird besonders augenscheinlich, dass CCS insgesamt nichts mit Klimaschutz zu tun hat, sondern ausschließlich den Geschäftsinteressen der fossilen Energiewirtschaft dient. Dass die Bundesregierung es wagt, dem Parlament ein derart absurdes und verlogenes Projekt vorzulegen, um ihm Gesetzeskraft zu verleihen, ist eine kulturhistorische Katastrophe, die zur Klimakatastrophe noch hinzukommt. Die Bundesregierung verlässt damit auch den Boden des Grundgesetzes. Denn Menschen eine derartige Denkunfähigkeit zu unterstellen, dass man meint, ihnen CCS als Klimaschutzmaßnahme verkaufen zu können, ist ein Anschlag auf ihre Würde.

Die allgemeine Technisierung hat alle unsere materiellen Verrichtungen ungemein erleichtert. Wie etwa seit einem Jahrhundert zunehmend deutlich wird, ist das allerdings mit hochgradig unerwünschten Kollateralwirkungen verbunden: Umweltverschmutzung und -zerstörung, Artenschwund, Klimaerhitzung. Der all dies und mehr umfassende wissenschaftliche Begriff ist „Entropie“.

Die katastrophale Situation, die durch zu viel Technik herbeigeführt wurde, kann nicht durch noch mehr Technik rückgängig gemacht werden. Der Versuch, CO2 durch technische Maßnahmen aus der Atmosphäre zu entfernen, würde die Entropie nur erhöhen.

Stattdessen haben wir die Möglichkeit, uns solchen Dimensionen der Realität zuzuwenden, die ohne und unabhängig vom Einsatz des technischen Denkens existieren. Sie sind das, was das Wort „Natur“ ausdrücken möchte. Im Kontext des Klimaproblems bekommen sie eine sehr konkrete und praktische Bedeutung: Unsere Bemühungen, die Erhitzung abzumildern, müssten dahin gehen, der natürlichen Photosynthese, sowie natürlichen CO2-Senken mehr Raum zu verschaffen. Die Lebens- und Wirtschaftsweise der Menschheit muss derart in Richtung auf Umwelt- und Naturfreundlichkeit umgestellt werden, dass das möglich wird. Dies wäre ein Wandel, so umfassend und so neu, dass wir ihn uns bislang kaum vorstellen können – aber darunter wird es nicht gehen!

— Der Autor Christfried Lenz, politisiert durch die 68er Studentenbewegung, Promotion in Musikwissenschaft, ehemals Organist, Rundfunkautor, Kraftfahrer und Personalratsvorsitzender am Stadtreinigungsamt Mannheim, Buchautor. Erfolgreich gegen CCS mit der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“, nach Zielerreichung in „Saubere Umwelt & Energie Altmark“ umbenannt und für Sanierung der Erdgas-Hinterlassenschaften, gegen neue Bohrungen und für die Energiewende aktiv (https://bi-altmark.sunject.com/). Mitglied des Gründungsvorstands der BürgerEnergieAltmark eG (http://www.buerger-energie-altmark.de/). Bis September 2022 stellvertretender Sprecher des „Rates für Bürgerenergie“ und Mitglied des Aufsichtsrates im Bündnis Bürgerenergie (BBEn). Seit 2013 100-prozentige Strom-Selbstversorgung durch Photovoltaik-Inselanlage mit 3 Kilowattpeak und Kleinwindrad. —

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