Geschenketipps: Der Roman „Klara und die Sonne“ von Kazuo Ishiguro

Weihnachtsgeschenk, Tannenbaum

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Die Sonne wandert durch den Laden, und Klaras Gedanken wandern mit. Doch Klara ist kein Mensch aus Fleisch und Blut, kein Mädchen, sondern Maschine: eine künstliche Intelligenz, eine künstliche Freundin, also eine KF. Tag für Tag wartet die KF darauf, endlich ausgewählt zu werden und ein neues Zuhause zu finden. Mal steht sie hinter dem Schaufenster im gleißenden Licht, mal in einer schattigen Ecke. Die Tage der Ich-Erzählerin gleichen einander, ihr Blick auf die Welt ist begrenzt, und doch beobachtet sie jedes Detail mit kindlicher Neugier. Sie beschreibt das Treiben der belebten Straße, sieht potenzielle Käufer kommen und gehen; sie beobachtet die anderen KFs, kommuniziert und kombiniert. Obwohl künstlich, stellt sie ganz natürlich die Menschen und ihr Verhalten infrage. Mithilfe ihrer naiven Beobachtungen lernt Klara, menschlich zu werden. Das gelingt ihr oft, doch nicht immer.

So versteht das Robotermädchen beispielsweise, dass die Sonne ihr Kraft spendet, und schließt daraus, dass auch Menschen von dieser lebensspendenden Quelle abhängig sind. Eines Tages sieht sie auf einer Baustelle eine Maschine, die die Sonne zeitweise verdunkelt. Die „Cootings-Maschine“ wird für sie zum Inbegriff allen Übels. Die Sonne hingegen gibt ihr Hoffnung und wird im Verlauf der Erzählung zur personifizierten Rettung. Dabei entfaltet sich ein Zwiegespräch zwischen Natur und Technik, das die Bedeutung erneuerbarer Energien subtil, aber nachdrücklich mit einbezieht.

Klaras Wesen weicht ab. Sie ist weder Mensch noch typische KF. Das bemerkt auch Josie, ein schwerkrankes Mädchen, das Klara schon bald nach Hause begleiten darf. Die KF wird ver- und gekauft, zieht vom Laden aufs Land. Plötzlich ist alles anders, statt auf Menschenmassen blickt sie auf grüne Wiesen. Der städtische Trubel weicht dem familiären, denn schon bald wird Klara in die häuslichen Geheimnisse hineingezogen. Doch egal, was passiert, die KF behält ihren Optimismus. Selbstlos setzt sie sich für ihre menschliche Freundin ein.

Buchinfo

Klara und die Sonne von Kazuo Ishiguro

 

 

Kazuo Ishiguro: Klara und die Sonne.
Aus dem Englischen von Barbara Schaden.
Blessing-Verlag, München 2021.
Gebundene Ausgabe, 352 Seiten, 24 Euro.

 

 

 

 

Kazuo Ishiguros Roman spielt in einer Zukunft, die unserer Gegenwart gleicht und doch von ihr abweicht. Genmanipulation und künstliche Intelligenz führen zu einer neuen Gesellschaftsordnung. Doch der Preis ist hoch. Der britische Schriftsteller öffnet den Blick für eine Zukunft, die zugleich Hoffnung und Angst macht. Er schafft es, Themen wie Einsamkeit, Tod und Technik mit einer solchen Leichtigkeit zu behandeln, dass die mehr als 300 Seiten nur so dahinfliegen. Dabei bedient sich Ishiguro einer strukturierten, schnörkellosen Sprache. Klaras Beobachtungen sind stets poetisch – klug, doch nicht kitschig. Sie spricht wie ein Mensch und denkt doch ganz anders. Genau das macht dieses Buch besonders.

Mit seinem 2021 erschienenen Roman wollte der Literaturnobelpreisträger einen positiven Gegenentwurf zu seinen vorherigen, düsteren Dystopien schaffen. Und das ist ihm gelungen. Die Lektüre wirft viele Fragen auf, liefert jedoch keine Antworten. „Klara und die Sonne“ ist ein Buch, das an kalten Tagen Wärme spendet. Ein schönes Weihnachtsgeschenk für all jene, die sich mit ethischen Fragen von Gegenwart und Zukunft beschäftigen. (Sontje Liebner) 

— Seit 2017 bewegt sich Autorin Sontje Liebner beruflich zwischen Wortakrobatik und Texthandwerk, Kreativität und Klartext, Fantasie und Strategie. Mit ihrem akademischen Hintergrund in Kunstgeschichte und Angewandter Kulturwissenschaft engagiert sie sich vielseitig in der Berliner Kulturlandschaft. Derzeit arbeitet sie als freie Texterin, Lektorin und Autorin. —

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