Andreas Piepenbrink: „Wir benötigen ein kollektives Umdenken“

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pv magazine: Was haben Sie dieses Jahr von der Intersolar und The smarter E mit nachhause genommen?

Andreas Piepenbrink: Auf der Intersolar konnte man sehen, wie stark die chinesischen Hersteller sind. Mir kam es vor, als wenn ich auf einer Messe in Shanghai gewesen wäre. Die Chinesen sind einfach extrem stark in allen Bereichen, nicht nur in der Zellproduktion von Batterien, die sie weltmarkmäßig beherrschen, sondern in allen Bereichen – auch beim Solarmodul und beim Wechselrichter. Sie haben sehr leistungsfähige Wechselrichter in allen Klassen. Das hat mich beeindruckt. Zuvor war ich zehn Tage in China und Taiwan und habe mir dort den Wechselrichter-Markt und die Bauteile-Verfügbarkeit näher angesehen.

Was für Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Wir haben ja schon etwas Marktanteil verloren, weil wir noch nicht an das Nachfrageniveau heranherkommen mit der Produktion. Das liegt auch daran, dass Fachkräfte fehlen. Dennoch ist und bleibt die Fertigung in Deutschland das richtige Konzept für unsere innovativen Produkte. Für uns haben Qualität und Langlebigkeit Vorrang vor einer Massenproduktion. Unsere Kunden müssen Projekte sicher planen und sich auf uns verlassen können. Die chinesischen Unternehmen haben weit über 50 Prozent Marktanteil und bieten über den Solargroßhandel viele gelabelte Produkte, für die die Inverkehrbringer in den wenigsten Fällen wirklich Verantwortung übernehmen können. Andererseits wurde in den letzten zwei Jahren sehr deutlich, dass man mit Made in Germany kein Volumen bekommt. Für mich heißt das, dass Europa nicht umhinkommt, mit China zusammenzuarbeiten. Wenn man die geopolitische Dimension betrachtet, muss man beachten, dass wir in einem Streit mit China nicht gewinnen können, das ist meine Schlussfolgerung.

Andreas Piepenbrink (CEO Hager Energy/ E3/DC)

Foto: E3/DC

Wie kann die Zusammenarbeit aussehen?

In vielen Fällen wird man mit den chinesischen Herstellern Joint Ventures und Produktionen in Europa aufbauen müssen, weil sämtliches Knowhow fehlt, beispielsweise in der Zellproduktion für Batterien. Das geht da nicht anders, weil Deutschland und Europa in dem Feld bisher keinerlei Produktionserfahrung gesammelt haben, obwohl das theoretische Knowhow vorhanden ist. Bei der Wechselrichter-Technik ist es anders. Es gibt hier zwar das Know-how, aber nicht diese ganze Bandbreite der Entwicklung und die Anzahl der Fachkräfte, die China hinlegt. Ich habe in China zwei Hersteller besucht, die machen in Summe drei Millionen Wechselrichter pro Jahr. Der größte in Europa macht vermutlich keine 250.000 wirklich selbst und es wird viel in Asien zugekauft. Für mich persönlich ist das die neue Wirtschaftsordnung der Energiewende, die wahrscheinlich nie anders war. Wir müssen uns darauf einstellen und uns noch stärker auf das System und die Innovation für verbleibende zukünftige Lösungen konzentrieren.

Sehen Sie das als Bedrohung sehen oder können wir damit gut leben?

Das ist die entscheidende Frage. Man konnte das Thema jahrelang ignorieren, weil die Photovoltaik klein war und weil das Elektroauto klein bleiben sollte und weil das alles volkswirtschaftlich genau wie die Wärmepumpe so ein bisschen rausgehalten worden ist aus dem Industriespielplatz. Aber jetzt sieht man: Genauso wie ein Viessmann verkauft wird, wird es noch weitere Verkäufe geben. Der ganze Markt geht in Richtung sehr großes Volumen und man hat hier die entsprechende Produktion nicht aufgebaut. Die Energiewende in ihrer ganzen Dimension ist in Europa und Deutschland nicht durchdacht worden.

Die Chinesen haben das mit Arbeit und Fleiß geschafft, gestärkt durch eine gezielte Industriepolitik, Weitsicht und Konsequenz.

Mit Dimension meinen Sie die Massenproduktion?

Ja. Ob es eine Windenergieanlage oder eine Batteriezelle ist, es ist ein und das gleiche Problem. Das kriegen Sie einfach in Deutschland oder in Europa nicht hin. Die Chinesen haben das mit Arbeit und Fleiß geschafft, gestärkt durch eine gezielte Industriepolitik, Weitsicht und Konsequenz. Bei uns herrscht Technologieoffenheit, Bequemlichkeit und ein bisher sehr hoher Wohlstand, mit dem Untätigkeit gerechtfertigt wird. Investitionen allein werden uns nicht helfen. Wir benötigen ein kollektives Umdenken.

Urban Windelen vom BVES sagt, die deutsche Autoindustrie hat auch nicht das Öl produziert, sondern schöne Sachen um den Tank drumherum gebaut. Kann das die Rolle von E3/DC sein?

Ja, das stimmt. Daher haben wir uns überlegt, wo die Reise hingeht. Und sie geht mit Anlauf ins Gewerbe. Photovoltaik macht das möglich. Der Mittelstand und die Nicht-Schwerindustrien werden mit Photovoltaik, Speicher und Wärmepumpe und Elektroautos genauso durchfakturiert werden wie das Einfamilienhaus. Das ist für mich das neue große Ding, was machbar ist und richtig Einsparungen für den Investor bringt. Die zuverlässigen Lösungen sind (fast) da. Auch das bidirektionale Laden treibt mich extrem an, weil ich sehe, welche Dimension an Speicher nutzbarvor der Tür steht. Diese Speicher muss man einfach nutzen. Ein anderer Trend ist, was wir gerade diskutiert haben. Das klassische Residential-Geschäft mit Ladestationen und Hybrid-Wechselrichtern ist zu 95 Prozent standardisiert und zukünftig dem Preiskampf ausgesetzt, da sich der Markt leicht konsolidiert. Dann bleibt vor allem die Software, da sind wir extrem stark und denken in interoperablen Platformen. Interoperabilität ist das nächste große Ding. Wer diese in den Griff bekommt, ist weit vorne.

Was bedeutet das?

Das Auto hat eine leicht zugängliche Standard-Schnittstelle. Sie können das Auto sehr bald einfach entladen, wenn der Standard bei den OEM’s im Fahrzeug integriert ist. Aber Sie brauchen trotzdem die Daten vom Hersteller und vom Autokunden. Dafür brauchen Sie eine interoperable Plattform. Diese bekommen Sie nur im großen Verbund. Sie müssen dafür erhebliche Anstrengungen im Software-Bereich unternehmen, sonst funktioniert das Energiemanagement nur halb. Der Ladezustand des Fahrzeugs und die tägliche Schwankung sind Basis einer sehr wichtigen Prognose und die Verknüpfung mit dem täglichen Leben bestimmt das Energiemanagement. Wenn Sie das System nachhaltig betreiben wollen, brauchen Sie außerdem auch regionalen Service. Den werden die chinesischen Volumen-Komponentenhersteller nicht wirklich gut hinbekommen, insbesondere nicht den Lebenszyklus und die Zirkularität. Kunden können sich in Zukunft entscheiden zwischen Komponenten, die irgendwo vor sich hin werkeln, oder für ein Ökosystem mit hoher Qualität. Daher setzen wir sehr stark auf Software und Produkte, die man kompatibel macht. Ich kann mir auch bedingt vorstellen, chinesische Komponenten einzusetzen, wenn sie von einem sehr soliden Hersteller kommen, mit dem wir sehr langfristig zusammenarbeiten und der in Europa produziert. Das geht, wenn wir die Software für das Gerät machen, die Reparaturen ausführen und den Service übernehmen.

Kunden können sich in Zukunft entscheiden zwischen Komponenten, die irgendwo vor sich hin werkeln, oder für ein Ökosystem mit hoher Qualität.

Welche Eigenentwicklungen machen Sie?

Wir haben eigene Gewerbespeicher, die sind jetzt in Serie. Wir haben eigene Leistungsspeicher, die kommen bald. Wir haben eigene bidirektionale Ladeeinrichtungen. Diese sind noch Kleinserien, unter 100.000 Stück pro Jahr. In fünf Jahren will ich der bezahlbare System-Hersteller sein mit einem akzeptablen Preisunterschied zum reinen Kostenführer. Wenn Sie das erreichen wollen, brauchen Sie eine sehr gute Innovation und eine sehr gute Topologie.

Was haben Sie auf der diesjährigen Intersolar dazu vorgestellt?

Wir haben in den Präsentationen und mit einem Flyer die Antwort auf die Frage vorgestellt, wozu das bidirektionale Auto nutzbar ist und wie man damit wirklich Geld verdienen kann. Und wie Eigenstrom mit dem Strommarkt zusammenspielt. Das hat so niemand bisher zusammen definiert. Das Auto ist noch keine leistungsfähige Batterie, weil es kein Energiespeicher, sondern ein Leistungsspeicher ist, den man hochgezüchtet hat. Der macht nicht so viele Zyklen. Wenn Sie Glück haben, lassen sich 1.200 Zyklen erreichen. 160.000 Fahrkilometer entsprechen ungefähr einem 15-Kiowattstunden-Heimspeicher. Der Autohersteller gibt ungefähr ein Drittel frei. Außerdem haben Sie eine Mindestentladeleistung von 2,5 Kilowatt oder mehr. Das heißt, Sie brauchen zusätzlich zum bidirektionalen Auto einen Heimspeicher. Bei den Geschäftsmodellen gehen wir sehr stark auf das Thema Time of Use. Das heißt, wir werden die Direktvermarktung ermöglichen und mit einem Energiehändler, zukünftig mit Lumenaza aus Berlin, unsere Kunden auf den Spot- und Intradaymarkt bringen. Dadurch kann man den erneuerbaren Strom von der Börse holen. Dafür gibt es jeden Tag günstige Zeitpunkte. Allerdings muss man dazu in wenig Zeit viel laden. Anschließend kann man die Energie in die Wärmepumpe bringen. 360° Autark heißt das Prinzip bei uns.

Das bedeutet allerdings, dass Lumenaza in die sonstige Direktvermarktung gehen müsste, wo man keine Marktprämie mehr bekommt, damit man den Speicher aus dem Netz laden darf. Rechnet sich das schon jetzt?

Ich glaube schon, allerdings ist man von 2022 mit sehr hohen Strompreisen noch ein wenig voreingenommen. 2023 hat sich das bereits normalisiert. Ein Photovoltaik-Kunde hat im Sommer keine Sorgen, da braucht er keine Stromtarife. Im Winter läuft die Wärmepumpe und er benötigt Fahrstrom. Wir reden über rund 4.000 Kilowattstunden, die ihm fehlen und die er sich vom Markt holen muss. Wenn man es schafft, den Grundversorgungstarif um fünf oder zehn Cent zu schlagen, wären das zweihundert bis vierhundert Euro. Zukünftig kann man vielleicht einen etwas kleineren Heimspeicher kaufen und die bidirektionale Ladestruktur dadurch bezahlen.

Kommen wir zu den Produkten. Welche bidirektionalen Produkte haben Sie auf der Intersolar vorgestellt?

Das eine ist eine Lösung, die wir direkt mit einem Automobilhersteller jetzt in einer kleinen Serie machen, die sogenannte Edison. Damit haben Sie einfach eine Nachrüstlösung für die Garage, wenn sie schon ein Hauskraftwerk von uns besitzen. Dann haben wir mit dem S10 M vorgestellt, wie so ein Produkt in zwei Jahren aussieht, wenn die Systeme günstiger werden oder wenn das alles wandhängend ist. Wir haben damit einen Photovoltaik-Hybriden vorgestellt, der auch bidirektional laden kann. Und ich glaube einfach, dass da die Reise hingeht. Wer ein Auto hat und das laden muss, kann das Gerät in der Garage nutzen und bei Bedarf einen Speicher und eine Photovoltaikanlage anschließen. Das Laden und Speichern und die Photovoltaik werden zusammenwachsen, davon bin ich fest überzeugt.

Was hat es mit dem neuen Gewerbespeicher auf sich?

Da haben wir ein interessantes neues Produkt, den S20 X PRO. Für mich war die Erleuchtung, dass das Lastprofil eines Betriebes für die Anwendung gar nicht so wichtig ist. Natürlich darf das Lastprofil nicht in der Sonne verschwinden. Ein einschichtiger Betrieb, der mit einer großen Photovoltaik-Anlage arbeitet, braucht keinen Speicher. Aber überall da, wo Stromverbrauch außerhalb der Sonnenzeiten stattfindet, muss man den Speicher so auslegen, dass der Eigenstrom maximiert wird. Zu so einem Gewerbespeicher habe ich drei Aussagen. Erstens wird die Höhe der benötigten Leistung überschätzt, weil bei Stromverbräuchen mit einigen hundert Kilowattstunden keine Leistungen deutlich über 100 Kilowatt benötigt werden. Zweitens haben 80 Prozent aller Betriebe in der Regel viel Dachfläche und personenproportionalen Stromverbrauch. Da kann man sehr schön mit einem 100-, 200-, 300-, 400-Kilowatt-Peak-System mit 100-, 200-, 300-, 400-Kilowattstunden-Speicher hochfahren. Und das Dritte ist: Der Installateur kann das relativ einfach umsetzen und braucht keine Containerspeicher oder Systeme, die man nicht lagern kann und wo man ein Projektgeschäft machen muss. Wir haben unsere Systeme so aufgebaut, dass wir die Geräte aus dem Lager heraus so konfektionieren können, dass der Installateur sie auf einem Abreißzettel bestellen und dann einfach installieren kann. Außerdem haben wir die Software dazu inklusive eines Abrechnungssystems.

Einsparungen durch die Effizienzsteigerung im Zusammenhang mit der Elektrifizierung und Eigenverbrauch aus einer eigenen Photovoltaik-Anlage reduzieren bei dieser Logistikhalle den Energiebezug um 90 Prozent.

Grafik: E3/DC

Wie sieht es mit der Wirtschaftlichkeit aus?

Wenn jetzt Lagerhallen gebaut werden, werden die tatsächlich oft mit Wärmepumpe und sogar mit Fußbodenheizung gebaut. Im Vergleich zu einem Gasdunkelstrahler gehen Sie mit einer vollelektrischen Lösung mit der Hälfte der Gesamtkosten raus. Sie haben zwar einen deutlich höheren Invest, aber Sie sparen fast 80 Prozent aller Betriebskosten ein. Über sieben oder acht Jahre haben Sie nur die Hälfte der Kosten (Total Cost of Ownership). Nehmen wir eine Logistikhalle als Beispiel. Mit Gas beheizt, mit Benzinautos und ohne Photovoltaik hat sie einen Energiebedarf von 480.000 Kilowattstunden (siehe Grafik). Wenn Sie eine Wärmepumpe und die Elektroautos nutzen, sparen Sie schon mal 310.000 Kilowattstunden an Primärenergie, weil das effizienter ist. Wenn sie jetzt Photovoltaik-Eigenstrom nutzen, ersetzen Sie nochmal 128.000 Kilowattstunden. Dann bleiben am Ende 42.000 Kilowattstunden übrig, die Sie an Energie beziehen müssen. Das sind über 90 Prozent CO2-Einsparung in einer gewerblichen Immobilie und über 40.000 Euro Kosteneinsparung pro Jahr. Dazu benötigt man keine Hochleistungsspeicher, sondern solche mit 30 bis 60 Kilowatt Leistung und 200 Kilowattstunden Kapazität. Somit wird das Gewerbe eine unserer nächsten großen Aufgaben und ein großer Teil der dezentralen Energiewende.

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