Im Dezember 2018 hat das EU-Parlament die neuen Richtlinien (genannt „Winterpaket“) für den Übergang auf die erneuerbaren Energien und zur Erfüllung des Pariser Klimaschutzabkommens verabschiedet.
Von besonderem Interesse ist darin der Rechtsrahmen für Eigenverbrauch („Prosumer“), sowie zur Förderung dezentraler „Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften“.
In der „RICHTLINIE 2018/2001 … zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen“ https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L:2018:328:FULL&from=EN heißt es:
- „Mit dem Übergang zur dezentralisierten Energieproduktion sind viele Vorteile verbunden, beispielsweise die Nutzung vor Ort verfügbarer Energiequellen, eine bessere lokale Energieversorgungssicherheit, kürzere Transportwege und geringere übertragungsbedingte Energieverluste. Diese Dezentralisierung wirkt sich auch positiv auf die Entwicklung und den Zusammenhalt der Gemeinschaft aus, weil vor Ort Erwerbsquellen und Arbeitsplätze entstehen.“ (Randziffer 65, S. 91)
- „Eigenversorger im Bereich erneuerbare Elektrizität sollten keine diskriminierenden oder unverhältnismäßigen Lasten und Kosten zu tragen haben, und ihnen sollten keine ungerechtfertigten Umlagen und Abgaben auferlegt werden. Ihr Beitrag zur Verwirklichung des Klimaschutz- und Energieziels sowie die Kosten und Nutzen, die sie für das Energiesystem im weiteren Sinne mit sich bringen, sollten berücksichtigt werden. Deshalb sollten die Mitgliedstaaten grundsätzlich keine Umlagen und Abgaben auf erneuerbare Elektrizität, die Eigenversorger am selben Ort produziert und verbrauchen, erheben.“ (Rz 68, S. 92)
Artikel 21 („Eigenversorger im Bereich erneuerbare Elektrizität“) konkretisiert:
Eigenversorger sind individuell oder über Aggregatoren berechtigt,
- „erneuerbare Energie einschließlich für die Eigenversorgung zu erzeugen und die Überschussproduktion … zu speichern und, auch … mittels Liefervereinbarungen mit Elektrizitätsversorgern und Peer-to-Peer-Geschäftsvereinbarungen, zu verkaufen, ohne dass die eigenerzeugte Elektrizität … diskriminierenden oder unverhältnismäßigen Verfahren und jeglichen Abgaben, Umlagen oder Gebühren unterworfen ist“. (Abs. 2, S. 120)
Ausdrücklich wird hervorgehoben, dass
- „alle Endkunden, einschließlich einkommensschwacher oder bedürftiger Haushalte, Zugang zur Eigenversorgung mit erneuerbarer Elektrizität erhalten“,
sowie „ungerechtfertigte rechtliche Hindernisse für die Eigenversorgung mit erneuerbarer Elektrizität, auch für Mieter, beseitigt werden“. (Abs. 6, S. 121)
Laut Artikel 22 sollen die Mitgliedstaaten „die Entwicklung von Erneuerbare- Energie-Gemeinschaften“ unterstützen und voranbringen, indem sie sicherstellen, dass
- „ungerechtfertigte rechtliche und verwaltungstechnische Hindernisse für Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften beseitigt werden;
- der jeweilige Verteilernetzbetreiber mit Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften zusammenarbeitet, um Energieübertragungen innerhalb von Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften zu erleichtern;
- die Beteiligung an Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften allen Verbrauchern offensteht, auch jenen, die in einkommensschwachen oder bedürftigen Haushalten leben“. (Abs. 4, S. 121)
Auf Schritt und Tritt enthält die Richtlinie das Eingeständnis, dass es bisher Vorschriften gibt, die ungerechtfertigt und diskriminierend sind und daher beseitigt gehören.
„Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften“ werden nicht näher definiert und öffnen somit die Tür für alle Formen eines kreativen örtlichen und nachbarschaftlichen Zusammenwirkens bei der Erkundung und Nutzung der insbesondere durch die Photovoltaik gegebenen vielfältigen Möglichkeiten.
Die wiederholte Hervorhebung sozialer Aspekte und ausdrückliche Nennung der Mieter kann für Deutschland nur bedeuten, dass die missbräuchlich als Ausbaubremse eingesetzte EEG-Umlage auf Mieterstrom abgeschafft wird.
Die Vorschriften für Balkonkraftwerke, die trotz den von der DGS dankenswerterweise durchgesetzten Verbesserungen für Viele immer noch ein Hindernis darstellen, müssen dahingehend weiterentwickelt werden, dass sie nicht abschrecken, sondern zum Einsatz von Steckermodulen einladen.
Mehrfach werden Befreiungen dann aber auch wieder eingeschränkt. So folgt auf „von Eigenversorgern am selben Ort produzierte und verbrauchte erneuerbare Elektrizität grundsätzlich keine Umlagen und Abgaben“ der Nachsatz „Damit die finanzielle Tragfähigkeit von Förderregelungen für erneuerbare Energie durch diesen Anreiz nicht beeinträchtigt wird, kann seine Anwendung auf kleine Anlagen mit einer Stromerzeugungskapazität bis 30 Kilowatt beschränkt werden.“ (Rz 69, S. 92)
Oder: Eigenversorger dürfen an „den mit der Produktion, der Verteilung und dem Verbrauch von Strom verbundenen Gesamtkosten“ beteiligt werden (Rz 68, S. 92).
Zwar wird regelmäßig betont, dass „Umlagen und Abgaben“ „nichtdiskriminierend und verhältnismäßig“ sein müssen. Dennoch ist zu befürchten, dass die Bundesregierung bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht versuchen wird, solche Stellen zu benutzen, um der Richtlinie Spitzen abzubrechen oder zumindest abzustumpfen. Schließlich bildet der ganze Geist der Richtlinie den diametralen Gegensatz zur Politik der deutschen Regierungen, die seit vielen Jahren ihre geschultesten Köpfe mit der Erfindung böswilliger bürokratischer Fußangeln beschäftigen, um die freie und kreative Nutzung insbesondere der Photovoltaik zu verhindern.
Spekulationen, dass die Bundesregierung es mit der Umsetzung der Richtlinie nicht eilig hat und den vorgeschriebenen Zeitrahmen (1. Januar 2021) bis zum letzten Tropfen versuchen wird auszukosten, dürften daher nicht aus der Luft gegriffen sein.
Die Akteure und Organisationen der Energiewende kann die Verschleppungstaktik aber nur zu umso entschlossenerem Kampf für baldigste Aktualisierung der in der Richtlinie enthaltenen Werte anspornen. Und die Zeichen für Kampf stehen nicht schlecht! Das Bewusstsein für dringenden Handlungsbedarf gegen die Klimaerhitzung steigt. Die Schülerbewegung wirkt aufrüttelnd auf weite Gesellschaftsbereiche. Wenn Schüler, Wissenschaftler, Eltern, weitere Berufsgruppen und die Akteure und Praktiker der Energiewende sich zusammentun und jeder Teil sein Bestes gibt, ohne formelle Führungsansprüche zu entwickeln, kann das zu dem Aufbruch führen, den wir herbeisehnen wie der Durstige in der Wüste die Oase.
Es wäre gut, wenn die Organisationen der Energiewende jetzt gemeinsam Eckpunkte für die Umsetzung des Winterpakets aufstellen, bevor das die Bundesregierung tut – mit der Absicht, die Menschen in die Wüste statt zur Oase zu schicken.
Auch die Jahreszeit – die der aufsteigenden Sonne – unterstreicht, worum es geht.
— Der Autor Christfried Lenz war unter anderem tätig als Organist, Musikwissenschaftler und Rundfunkautor. Politisiert in der 68er Studentenbewegung, wurde „Verbindung von Hand- und Kopfarbeit“ – also möglichst unmittelbare Umsetzung von Erkenntnissen in die Praxis – zu einer Leitlinie seines Wirkens. So versorgt er sich in seinem Haus in der Altmark (Sachsen-Anhalt) seit 2013 zu 100 Prozent mit dem Strom seiner PV-Inselanlage. Nach erfolgreicher Beendigung des Kampfes der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“ engagiert er sich ganz für den Ausbau der Ereneuerbaren in der Region. Als Mitglied des Gründungsvorstands der aus der BI hervorgegangenen BürgerEnergieAltmark eG, wirkte er mit an der Realisierung einer 750 Kilowatt-Freiflächenanlage in Salzwedel. Lenz kommentiert das energiepolitische Geschehen in verschiedenen Medien und mobilisiert zu praktischen Aktionen für die Energiewende —
Die Blogbeiträge und Kommentare aufwww.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion(at)pv-magazine.com.
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„Damit die finanzielle Tragfähigkeit von Förderregelungen für erneuerbare Energie durch diesen Anreiz nicht beeinträchtigt wird, kann seine Anwendung auf kleine Anlagen mit einer Stromerzeugungskapazität bis 30 Kilowatt beschränkt werden.“
Vielleicht sollte man bei Kleinanlagen dazu auf eine m2 Angabe ausweichen und damit akzeptieren, daß durch Innovation die Leistungsfähigkeit der Anlagen zukünftig 30kWp (bei verminderten Kosten) überschreiten und lokale Versorgung (durch Überkapazitäten mit Elektrolyse-GridRefeed Tarifen) priorieren würden. Damit etwa 160-175m2 Generatorfläche, bei freier Auswahl der Zelltechnologie?
Die Aussage des Musikers aus der Atl-68-Szene C. Lenz „Es wäre gut, wenn die Organisationen der Energiewende jetzt gemeinsam Eckpunkte für die Umsetzung des Winterpakets aufstellen, bevor das die Bundesregierung tut“ ist eher amüsant. Seit wann können Lobbygruppen in Deutschland an den Fraktionen der Regierung und der sie tragenden Fraktionen vorbei solche Reglungen in Gesetze und Rechtsverordnungen vorbei durch setzten?
Es darf bezweifelt werden ob die Situation für deutsche Eigenversorger verbessert wird. Die Bedingungen in anderen Mitgliedstaaten sind oder waren zum Zeitpunkt der ersten Entwürfe des Pakets noch deutlich schlechter als in DE.
Der oben zitierte Wortlaut lässt Raum für Grausamkeiten: Die EEG-Umlage könnte bspw. auf jede produzierte kWh erhoben werden und dann bei den eingespeisten Mengen vom PV-Betreiber weiterbelastet werden aber eben auch in voller Höhe auf den Eigenverbrauch entfallen. Ich will die Bundesregierung sicherlich nicht für Ihre bisherige „Zurückhaltung“ loben, aber Spanien hat den worstcase vorgemacht.
Fakt ist ja, dass auch mit voller EEG-Umlage heute bereits EE jedem Netzbezug überlegen sind und es schlicht keine wirtschaftlichen Argumente gibt, um für eine Abschaffung der EEG Umlage auf Eigenstrom zu pochen. Bei Perspektive 65 % der Stromversorgung auf Basis erneuerbare Energien wäre es naiv davon auszugehen, dass diese grundsätzlich von allen Gemeinkosten befreit sein beziehungsweise bleiben werden. Insbesondere die Netzentgelte für Einspeisung könnte ein großes Thema werden.
Klaus, Ihre obige Aussage verstehen offensichtlich nur Insider.
Ich eher nicht; bitte um sachliche Präzisierung.
Thomas