pv magazine top business model: Ein Betriebssystem für die Energiewende

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Beim Smartphone versteht es heute jeder. Das Gerät hat ein Betriebssystem, das Anwendern ermöglicht, mit Apps Lichter ein- und auszuschalten, den Puls zu dokumentieren, nach Zügen zu schauen oder was auch immer zu tun. Das Betriebssystem gibt den Rahmen und die Grenzen vor, stellt aber auch Funktionen zur Verfügung, innerhalb derer sich Programmierer bewegen können. Alles standardisiert und unabhängig von der Hardware. So läuft das Betriebssystem Android auf Geräten vieler Hersteller.

Bei Speichersystemen, besonders ab einer Größe wie sie in Gewerbebetrieben eingesetzt wird, verstehen heute schon oft Experten nicht mehr, wie Steuerungen ineinandergreifen, geschweige denn den Programmcode von verschiedenen Partnern oder Wettbewerbern. Jeder Speicherintegrator, der die Hardware entwirft und einrichtet, programmiert nicht nur das Betriebssystem, sondern auch alle Anwendungen selbst: also das Energiemanagement, das Auslesen von einem Zähler, von noch einem Zähler, das BMS, das Schalten diverser Geräte, die Kommunikation mit Wetterinformationssystemen und vieles mehr. Mögliche Netzdienstleistungen sind besonders aufwendig, wenn jeder Hersteller sie selbst programmieren muss.
Nun stelle man sich vor, das Smartphone würde dieses alles übernehmen. Der Betreiber kauft im Store die für seine Anwendung am besten passende App dazu. Und alles funktioniert.
So etwas, so schwebt es Franz-Josef Feilmeier und seinem Bruder Stefan Feilmeier vor, wollen sie mit ihrer Intiative erreichen. Der eine ist Geschäftsführer von Fenecon, der andere leitet dort den Bereich Energiemanagementsysteme.

Der Anfang ist bereits gemacht. Als Grundlage der Entwicklung dient die ursprünglich von Fenecon für seine Projekte entwickelte Software. Diese bringen sie in die OpenEMS-Foun-dation ein, die am 15. November gegründet wurde. EMS steht dabei für Energiemanagementsystem. Open bedeutet, dass die Software jetzt Open Source ist und wie viele andere solche Software-Projekte von allen Interessierten gemeinsam weiterentwickelt wird. Bei Vorbereitungstreffen waren bereits über 60 Unternehmen dabei, sowohl andere Speicherintegratoren und Wettberber von Fenecon, als auch Netzbetreiber und alle möglichen Firmen, die sich mit Energiemanagement und Komponenten dafür beschäftigen.

pv magazine top business model und top innovation

Preis für gute Ideen – das sagt die Jury:

OpenEMS – Open-Source-Betriebssystem für Energiemanagement

Einer der großen Vorteile der Digitalisierung liegt in der Vernetzung. OpenEMS, ein Betriebssystem für die Steuerung von Speichern und Verbrauchern, ist ein Weg, diese zu vereinfachen. Der Integrator Fenecon hat dazu das eigene System in die OpenEMS-Stiftung eingebracht, in der es als Open-Source-Projekt weiterentwickelt wird. Jeder Hersteller und Integrator kann es für große wie für kleine Batteriespeicher nutzen. Apps, die jeder entwickeln und verkaufen kann, regeln dann Funktionen für bestimmte Geschäftsmodelle wie Peak-Shaving, Regelleistungsvermarktung oder Zukauf von Elektrizität bei Niedrigpreisen. Dafür erhält die OpenEMS-Stiftung die Auszeichnung „pv magazine top business model“.

pv magazine vergibt die Prädikate „top business model“ und „top innovation“ seit vier Jahren vierteljärlich. Die Gewinner werden automatisch Kandidaten für den allumfassenden internationalen pv magazine award, den wir Ende des Jahres vergeben.

Mehr Infos, bisherige Preisträger und alles zur Bewerbung hier

Die Juroren für „top business model“ und „top innovation“: Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin. Hans Urban, Experte und Berater für Photovoltaik, Speichertechnik und E-Mobilität. Er berät Schletter, Maxsolar und Smart Power. Winfried Wahl, Solarexperte und Leiter des Produktmanagements bei Longi Solar in Deutschland.

Der Einsendeschluss für die nächste Runde ist am 25. Januar 2019 (bitte unformal per Email an awards@pv-magazine.com)

Für und Wider der Standardisierung

Auf der Positivseite stehen die Argumente, dass, wenn man diesen Teil der Speichersysteme gemeinsam entwickelt, Ressourcen für andere Aufgaben frei werden, etwa für die Programmierung der Apps, mit denen sich die Unternehmen dann unterscheiden können. Oder Ressoucen für den Bau einer besonders guten Hardware. Oder für die Entwicklung möglichst rentabler Geschäftsmodelle. Der Kunde hat von einem so offenen System wiederum, dass er bei Anpassungen nicht auf Gedeih und Verderb dem ursprünglichen Errichter ausgeliefert ist.
Das sind alles Gründe, warum die pv magazine Jury Fenecon das Prädikat „top business model“ verleiht.

In der Zukunft werden aber auch einige Punkte zu diskutieren sein, die gegen das Projekt sprechen könnten. Etwa, dass sich Unternehmen bei dieser Standardisierung gerade nicht mehr durch das Betriebssystem unterscheiden können. Dass die Sicherheit vielleicht nicht gewährleistet werden kann, oder Kunden das zumindest befürchten. Und dass dem enormen Wirrwarr an Standards und Systemen jetzt ein weiterer hinzugefügt wird. Eine Vereinheitlichung allein reicht nicht. Der Standard muss sich am Markt auch durchsetzen. Man denke nur an die Gebäudeautomationsstandards KNX und EEBus oder den Smart-Home-Standard „OpenHAB“. Davon gibt es eine ganze Menge. Jetzt gibt es mit OpenEMS einen mehr, der eben auch die Netzintegration berücksichtigt.

Das Spannungsfeld, in dem sich die Kommunikation der Speichersysteme mit ihrem Umfeld entwickelt, verdeutlicht der schriftliche Dialog von Hans Urban, Berater des Speicherintegrators Smart Power und Mitglied der pv magazine Highlight-Jury, mit Franz-Josef Feilmeier.

Zwei Experten im Gespräch

Franz-Josef Feilmeier: Eine wirkliche Energiewende, bei der auch Speicher eine entscheidende Rolle spielen, wird ohne ein gemeinsames Betriebssystem und eine zentrale Energiedatenplattform für alle energetisch relevanten Geräte und Anwendungen nicht möglich sein. Wenn dieses zentrale Betriebssystem nicht aus Deutschland und von uns allen zusammenkommt, wird es eben von US-amerikanischen oder chinesischen Konzernen kommen, die auch jetzt schon ihre Geschäftsmodelle auf Daten aufbauen. Das Ergebnis wäre im Prinzip dasselbe, außer dass man nicht mitgestalten kann und letztlich kein Open-Source-System herauskommt. Warum geht es ohne gemeinsames Betriebssystem nicht? Es kann ja nicht effizient sein, wenn ich sehe, wie manche Kunden schrittweise Sensor für Sensor installieren. Erst kommt ein Sensor für die dynamische 70-Prozent-Regelung der Photovoltaikanlage. Dann kommt vielleicht ein AC-Heizstab dazu – der ebenfalls am Netzübergabepunkt misst, um seinen Betrieb zu steuern. Wenn der Kunde nun einen Speicher einbaut, platziert man schon den dritten Sensor an dieselbe Stelle, um dieselben Daten zu messen. Der Kunde, bei dem wir das selber so erlebt haben, hatte dann auch noch eine Ladestation mit Photovoltaik-Kombination und damit wieder einen Messpunkt an derselben Stelle. Er kam zu uns bevor er die Wärmepumpe mit einem weiteren Zähler eingebunden hat. Fünf Zähler plus ein Netzzähler für dieselben Daten und eine gegenläufige Energiesteuerung – das hört sich krass an, aber stünde vielen weiteren Kunden bevor, wenn wir nicht gegensteuern.

Weitere Gründungsmitglieder willkommen

Die offizielle Gründung von OpenEMS findet am Donnerstag statt. Wer Interesse an dem Projekt hat, kann sich mit Fenecon-Geschäftsführer Franz-Josef Feilmeier in Verbindung setzen.

Hans Urban: Das kann ich komplett unterschreiben. Wenn ich mehrere Systeme im Haus habe, dann sind oft nicht nur drei oder vier Zähler hintereinander geschaltet, sondern die Regelungen kannibalisieren sich teilweise auch noch gegenseitig. Es gewinnt die, die am schnellsten regelt. Durch die Überlagerung könnten dann auch noch Schwingungen entstehen, die das ganze System sogar zum Kippen bringen könnten. Wir haben damals vor Jahren, als ich noch stellvertretender Geschäftsführer bei Schletter war, auch schon probiert, das zu vereinheitlichen, und dann ein System geschaffen, das Photovoltaikanlage, Speicher, Haushalt, Heizstab und E-Auto sinnvoll priorisiert und regelt. Das war dann das „SmartPvCharge“. Aber für so ein Vorhaben ist ein Unternehmen zu klein, das bestätigt eigentlich genau die OpenEMS-Überlegungen.

Franz-Josef Feilmeier: Daher ist für uns die erste Anwendung schon aus solchen Erfahrungen klar: Wir brauchen ein System, das die Daten hinter dem Zähler unter den einzelnen Geräten austauscht, anstatt sie jedes Mal einzeln zu messen und gegeneinander zu steuern. Und dieses System muss dann auch eine Basis dafür bieten, die einzelnen Anwendungen zu kombinieren und zu priorisieren. Es braucht dafür Rückmeldungen von den Geräten. Wir brauchen ein Betriebssystem und nicht nur standardisierte Schnittstellen wie etwa Sunspec.

Hans Urban: Ein solches vernetztes Speichersystem stellt aber auch eine kritische Infrastruktur dar, die unter Umständen sehr leicht angegriffen werden könnte. Der Open-Source-Charakter des ganzen Modelles wird nicht nur die Entwicklung erleichtern, sondern insbesondere auch solche Angriffe relativ einfach möglich machen. Eine Vernetzung wird viel kriminelle Energie anlocken.

Franz-Josef Feilmeier: Zum einen wird Linux mittlerweile weltweit auf vielen Unternehmensservern und kritischen Infrastrukturen eingesetzt, gerade weil der Quellcode des Betriebssystems (nicht der einzelnen Anwendungen) offen ist und damit durch Tausende Programmierer immer weiter verbessert wurde. Der Effekt ist ähnlich wie bei Wikipedia, das mittlerweile korrekter als Brockhaus ist, weil eben Fehler von allen gefunden werden können. Entscheidend ist aber dennoch der zweite Teil der Antwort: Dass das Betriebssystem Open Source ist, heißt ja nicht, dass alle Applikationen, die Zugriff auf das System gewähren, ebenfalls offen sind oder hackbar sind. Wir haben mittlerweile einige Energieversorger mit an Bord, etwa EWS Schönau und MVV. Die wissen um die Verantwortung beim Zugriff von außen auf den Speicher und haben daher geschlossene Apps für deren Flatrate-, Intraday- und Ladestrom-Angebote entwickelt. Für die Energieversorger ist es ja gerade so spannend, dass sie mit einer Anbindung ans OpenEMS eben nicht nur die 1.000 bis 2.000 Speicher, die wir pro Jahr verkaufen, ansteuern können, sondern die OpenEMS-fähigen Speicher von anderen Anbietern ohne weiteren Aufwand mit einbinden können. Für die weiteren Speicherhersteller bedeutet es im Gegenteil, dass sie auf alle Geräteanbindungen und Geschäftsmodelle, die für Open-EMS entwickelt wurden, ohne weiteren Aufwand Zugriff haben. Alleine dieses Win-Win auf beiden Seiten wird unserer Überzeugung nach der Einführung des Betriebssystems massiv beschleunigen.

Hans Urban: Es geht ja nicht nur um große Batteriespeicher, sondern auch um Heimspeicher. Generell fragt sich, ob denn Kleinspeicher wirklich volkswirtschaftlich sinnvoll integrierbar sind und ob sich der Aufwand der Vernetzung auch lohnt, so dass sich das OpenEMS lohnt?

Franz-Josef Feilmeier: Es geht mit dem offenen Standard einfacher: Energie-Angebote, die keinen zusätzlichen Vernetzungsaufwand bedeuten, machen sicher auch bereits bei kleinen Anlagen Sinn, insbesondere wenn auch steuerbare Verbraucher eingebunden sind. Dann liegt es beim Nutzer, ob er einen OpenEMS-basierten Stromtarif wählt und in welchem Umfang dieser auf den Speicher zugreifen darf oder sogar Kapazitäten blocken darf. Ich denke, wir sollten hier nicht zuerst die Primärregelleistung im Hinterkopf haben, sondern auch die Nutzung flexibler Strompreise (Intraday-/DayAhead-/HT-NT-Strompreise) oder Anwendungen zum Bilanzkreisausgleich.

Hans Urban: Viele Speicher werden in Zukunft auch genutzt werden, um die Ladung des eigenen Elektrofahrzeugs zu unterstützen. Wenn nun die Netznutzung bei kleinen Speichern dazukommt, dann steht das wiederum unter Umständen in Konkurrenz zur eigenen Nutzung sowohl im Haushalt, als auch bei der Elektrofahrzeug-Ladung.

Franz-Josef Feilmeier: Nicht unbedingt. Wenn ein Open-EMS-Speicher beispielsweise unsere Ladestations-App und eine Awattar-App kombiniert, dann kann auch günstiger Strom bereits vorab aus dem Netz (wenn das Fahrzeug noch nicht angeschlossen ist) geladen werden und später in das Auto entladen werden. Awattar koppelt den Strompreis an die Schwankungen an der Strombörse. Es kommt also auf die individuelle Kombination der Applikationen an sowie auf die Parameter, die man in diesen setzt.

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