EU-Kommissar Oettinger liest allen die Leviten

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Der EU-Digitalkommissar Günther Oettinger will auf einer Tagung des Weltenergierates in Berlin sichtlich aufrütteln und alle Beteiligten bekommen ihr Fett weg. Die deutschen Stadtwerke leben noch in ihren Silos, stellt Oettinger fest, wenn man sie beispielsweise mit den deutschen Sparkassen vergleicht. Diese haben ein gemeinsames Rechenzentrum auf die Beine gestellt, während die Stadtwerke keine gemeinsamen Lösungen haben. Er stellt die rhetorische Frage, wo der Beitrag der Energiewirtschaft zur Industrie 4.0 ist, und er weist darauf hin, dass Banken und Versicherungen nicht im Energiebereich investieren, wenn die deutsche Politik die Rahmenbedingungen jährlich ändert. „Das fängt beim EEG an und hört bei der Planungssicherheit für Leitungen nicht auf“, sagt Oettinger. Dabei seien in der EU 1,6 Billionen Euro für den Umbau nötig.

Die Fronten sind klar. Salopp fragt der ehemalige CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg, in dessen Regierungszeit die Entscheidung für das Milliardengrab Stuttgart 21 fällt, mit Bezug auf die Stromleitungen: „Kann man populistisch in die Erde gezwungen werden?“ Und er sagt, es habe nichts mit High-Tech-Standort zu tun, wenn die Leitungen erst 2025 fertig werden. Oettinger ruft dazu auf, die Romantikecke der Energiewende zu verlassen. Es gehe nicht um Solarplatten im Emsland, „wo den ganzen Tag die Sonne nicht scheint“. Die Entscheidungen im derzeitigen demokratischen Prozess verlaufen ihm zu langsam, wenn es für ein Gesetz zwei Jahre braucht, „Bundestag, Bundesrat, Grünbuch, Weißbuch“, so Oettinger. „Wir müssen schneller werden“.

Wenn man der Rede zuhört, hat man den Eindruck, der demokratische Prozess sei eine Spielerei, die nicht mehr geht, und die romantischen Wünsche der Menschen nicht mehr zu erfüllen. Europa sei unter Druck. „Die anderen haben die digitale Überlegenheit und das Silicon Valley ist überlegen“, sagt er. Auch China baue das Silicon Valley „planwirtschaftlich“ nach.

Für ihn geht es darum, dass europäische Energieunternehmen die Datensouveränität nicht verlieren. „Wenn sie sich von Dienstleistern abhängig machen, geht der Kundenkontakt weg und sie bleiben auf alten Kohleblöcken sitzen.“ Denn Google und andere Online-Plattformen kommen nach Europa, so Oettinger. „Nicht um Kraftwerke zu bauen, sondern um umfassende Gebäudedienstleistungen für die Menschen anzubieten, die darin aktiv sind. Dazu gehören Strom- und Wärmeversorgung und vieles mehr. Das gehe nur mit Datennutzung und dabei entstehen Daten.

Für Europa sei es wichtig, die Datennutzung zu standardisieren und Wege zu finden, wie deren Nutzung trotz der größeren Sensibilität beim Datenschutz möglich werde. „In den USA und Asien ist es klar, da gibt es diese Sensibilität nicht“. Das Unbundling, also, dass sich größere Energieunternehmen in unabhängige Einheiten für Produktion, Netze und Vertrieb aufteilen müssen, sieht er inzwischen skeptisch. „Das gehört alles zusammen“, sagt der EU-Digitalkommissar, der zuvor in Brüssel für den Energiebereich zuständig war.

Oettinger ruft dazu auf, ein digitales BGB zu schaffen, und zwar auf europäischer Ebene, nicht in den einzelnen Staaten. Überall müssten die gleichen Regeln gelten, wem Daten gehören und wie sie erhoben werden. Beispiel Auto: Es erhebt unter anderem Daten zu Abstand, Helligkeit, Temperatur, Verkehrsdichte. Die Komponenten kommen von Firmen wie Siemens, Bosch oder Schneider Electric. „Wem gehören die Daten? Mercedes, Siemens, dem Fahrzeughalter oder dem Fahrer“, fragt Oettinger. Wenn man mit dem Auto von Paris nach Warschau fährt, könne sich das nicht zweimal ändern. Er kündigt noch für dieses Jahr Vorschläge aus Europa dazu an.

Den negativen Blick auf den Zustand in Europa teilt Michael Weinhold, CTO Division Energy Management von Siemens und Redner nach Oettinger, so nicht. Er sieht jetzt die Zeit für Gelegenheiten. Es gebe natürlich einen globalen Wettbewerb und Siemens sei auch mit Mitarbeitern im Silicon Valley aktiv. Aber in Bezug auf den Standort Deutschland stellt er fest: „Wir sind stark im Energiesektor.“ Die Art der Zusammenarbeit von Industrie, Universitäten und Instituten und der Politik auf vielen etablierten Plattformen sei in Deutschland einzigartig. (Michael Fuhs)

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