Lithium-Konkurrent auf Wachstumskurs

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Bevor Jay Whitacre die Salzwasserbatterie erfand, tüftelte er unter anderem am Batteriesystem des Nasa-Marsroboters. Doch der heutige Professor für Materialkunde im US-amerikanischen Pittsburgh hatte eine eigene Vision davon, was ein gutes Batteriesystem ausmacht: Es sollte nur leicht verfügbare und ungefährliche Materialien verwenden und außerdem einfach und günstig herstellbar sein. Für diesen Ansatz und den Erfolg, den Whitacre damit hat, hat die Jury des pv magazine awards Aquion mit dem Preis in der Kategorie top innovation ausgezeichnet.

Zu Beginn machte sich Whitacre eine Liste der häufigsten Elemente auf der Erde, die grundsätzlich für eine Batterie infrage kommen. Danach strich er alle raus, die nicht billig genug waren, was Förderkosten, eine hohe Reinheit oder die Verarbeitungskosten angeht. Mit den übrigen fing er an zu experimentieren. Im Jahr 2008 hatte er dann sein Rezept für die erste Generation der sogenannten Aqueous-Hybrid-Ion(AHI)-Batterie gefunden. Ein Jahr später gründete er die Firma Aquion, die sich auf Entwicklung und Produktion der neuartigen Batterie konzentriert.

Seitdem macht die Salzwasserbatterie mit vielversprechender Technologie und schnellen Entwicklungsfortschritten immer wieder auf sich aufmerksam. In geringeren Stückzahlen wird sie bereits seit 2011 hergestellt und verkauft, die Serienproduktion begann Mitte 2014. Bis heute hat Aquion nach eigenen Angaben Batterien mit einer Gesamtkapazität von mehr als 33 Megawattstunden verkauft – die Hälfte davon allein im ersten Halbjahr 2016. Das Interesse wächst, die Nachfrage steigt, und Aquion rechnet mit einer weiteren schnellen Steigerung des Absatzes.

Was Whitacre sich vorgenommen hatte, ist ihm aus seiner Sicht auch gelungen. Die AHI-Batterie besteht im Wesentlichen aus einer Anode aus Grafit mit einem gewissen Titanium- und Phosphatanteil, einer Kathode aus Manganoxid und einem Separator aus synthetischer Baumwolle. Als Elektrolyt dient Salzwasser, in dem vorwiegend Natrium-Ionen, aber auch ein paar Wasserstoff- und Lithium-Ionen gelöst sind. Aufgrund dieser verwendeten Materialien soll die Batterie weder giftig noch brennbar oder explosiv sein. „Alle verwendeten Materialien sind völlig umweltverträglich, es gibt nichts Schädliches für Umwelt oder Menschen daran“, sagt der CCO von Aquion Tim Poor. Auch ein thermisches Durchgehen sei aufgrund der Batteriechemie völlig ausgeschlossen. Selbst wenn man die Batterie einem Feuer aussetzen würde, finge sie nicht an zu brennen.

Aquion verspricht neben Sicherheit und Umweltverträglichkeit zudem auch Wartungsfreiheit, eine lange Lebensdauer und nicht zuletzt einen günstigen Preis. Was die Anschaffungskosten pro Kilowattstunde angeht, sei die Batterie heute mit herkömmlichen Blei-Säure-Batterien vergleichbar, erklärt Aquion. Die Salzwasserbatterie könne im Gegensatz zu einer Blei-Säure-Batterie allerdings zu 100 Prozent entladen werden. Auch Teilladezustände, wie sie bei Anwendungen in Kombination mit Solaranlagen häufig vorkommen, sollen mit der AHI-Technologie kein Problem sein. Außerdem komme sie auch mit einem hohen Temperaturbereich von minus fünf bis plus 40 Grad Celsius zurecht. Daher sei die Batterie auch gut für Projekte in heißen Regionen, zum Beispiel in Afrika, geeignet. Aufgrund ihrer hohen Robustheit und langen Lebensdauer in typischen Photovoltaikanwendungen (3.000 Zyklen bis 70 Prozent der Ursprungskapazität) ist die Salzwasserbatterie daher nach Darstellung von Aquion deutlich günstiger, wenn man die Gesamtbetriebskosten (engl. total cost of ownership) betrachtet.

Manche Lithium-Ionen-Speicher weisen hier allerdings zum Teil ähnliche Werte auf, zumindest den Datenblattangaben zufolge. Der Mercedes-Benz-Energiespeicher Home zum Beispiel kommt laut Hersteller ohne zusätzliche Temperaturregulierung mit Temperaturen von 6 bis 44 Grad Celsius zurecht. Die Zyklenlebensdauer ist mit 8.000 Zyklen bis zu einer Restkapazität von 80 Prozent der Ursprungskapazität deutlich höher als bei der AHI-Batterie.

Salzwasserbatterie in Berlin

Der Batterie-Systemintegrator Qinous aus Berlin hat bereits eine AHI-Batterie von Aquion mit 30 Kilowatt Leistung und 80 Kilowattstunden Kapazität in ein teilweise simuliertes Mikronetz integriert – zusammen mit einer Lithium-Ionen-Batterie, einer Photovoltaikanlage, einem Dieselgenerator und einem Lastsimulator. Busso von Bismarck, Mitgründer von Qinous, hält eine Kombination von Lithium- und AHI-Batterie unter anderem aufgrund der unterschiedlichen Be- und Entladeraten für durchaus sinnvoll: „Die AHI-Batterie eignet sich besonders für das Be-und Entladen mit moderaten Leistungen bis 0,25 C. Unsere Lithiumbatterien betreiben wir in der Regel mit 1 C, temporär ist da aber auch viel mehr möglich“, sagt er.

Die C-Rate ist das Verhältnis von Leistung zur Nennkapazität einer Batterie und beschreibt, in welcher Zeit eine Batterie komplett be- oder entladen werden kann. Bei 1 C wird die Batterie mit einer Leistung belastet, die sie innerhalb von einer Stunde entleeren würde, bei 0,25 C entsprechend in vier Stunden. Für manche Anwendungsgebiete der Großspeicher von Qinous, wie zum Beispiel die Bereitstellung von Primärregelleistung, wird eine höhere C-Rate verlangt. Den Einsatzbereich der Salzwasserbatterie sieht von Bismarck im Bereich Energy Shifting. „Auch die Kombination einer Lithiumbatterie mit einer AHI-Batterie kann durchaus sinnvoll sein. Die Lithiumbatterie liefert dann schnell eine hohe Leistung, wenn dies nötig ist, und die AHI-Batterie stellt sicher, dass auch größere Energiemengen über längere Zeit geliefert werden können“, so von Bismarck.

Einen großen Vorteil sieht von Bismarck neben der Umweltfreundlichkeit und dem Kostensenkungspotenzial darin, dass die AHI-Batterie zu einer Tiefenentladung auf null Volt fähig ist, ohne dabei einen Kapazitätsverlust zu erleiden. „Wenn man eine Lithium- oder Bleibatterie auf null Volt entlädt, kann man die im Grunde austauschen.“ Im simulierten Mikronetz von Qinous halte die Batterie bisher auch, was das Datenblatt verspricht. „Was das Langzeitverhalten angeht, also zum Beispiel die versprochene Zyklenfestigkeit über rund 3.000 Zyklen, können wir aber keine Aussagen treffen“, sagt von Bismarck. Dafür sei die Testumgebung nicht gedacht. In Zukunft will Qinous die AHI-Batterie auch in realen Projekten einsetzen. Für Photovoltaik-Batterie-Systeme mit hohem Solarstromanteil, in denen die Batterie tagsüber langsam geladen und nachts auch langsam wieder entladen wird, sei die Batterie hervorragend geeignet.

Konkurrenz im Wohnhaus

Tim Poor bestätigt, dass die Batterie aufgrund ihrer Lade- und Entladegeschwindigkeiten weniger für Aufgaben der Netzstabilisierung, also zum Beispiel für die Frequenzregulierung, geeignet ist. Hier sei Lithium im Vorteil. Die AHI-Batterie spiele ihre Stärken aus, wenn es darum gehe, Strom über längere Zeiträume zur Verfügung zu stellen. Daher konzentriert sich Aquion derzeit auf den Eigenverbrauch im Wohnhaus.

„Das Wohnhaussegment, in das wir unsere Speicher vorwiegend verkaufen, wird heute von Lithiumbatterien dominiert.“ Das Sicherheits- und Umweltbewusstsein der Hausbesitzer mache die AHI-Batterie aber für viele zu einer interessanten Alternative. „Sie können damit ruhig schlafen, ohne zum Beispiel einen Brand befürchten zu müssen.“ Über den Systemanbieter Wagner Solar aus Cölbe können auch interessierte Kunden in Deutschland Heimspeichersysteme von Aquion beziehen.

Wie viel C darf es sein?

Unterschiedliche Meinungen gibt es darüber, ob die Lade- und Entladegeschwindigkeiten der AHI-Batterie für die Ansprüche von privaten Solaranlagenbetreibern optimal sind. Die Datenblattangaben für die Nennkapazität der AHI-Batterie gelten für eine Ladegeschwindigkeit von zehn Stunden (0,1 C) und eine Entladegeschwindigkeit von 20 Stunden (0,05 C). Für den Einsatz in einem Privathaushalt mit Solaranlage ist dies in jedem Fall zu lang. Die Nennkapazität für die kleinste erhältliche AHI-Batterie, die sogenannte Aspen 48S-2.2, ist auf dem Datenblatt mit 2,2 Kilowattstunden angegeben.

Aquion erklärt auf Nachfrage, dass nach ihrer Auffassung eine durchschnittliche Lade- und Entladegeschwindigkeit von sechs Stunden (0,16 C) für den privaten Solarstromspeicher ausreicht. Dann läge die Kapazität bei ungefähr 1,8 Kilowattstunden. Im Vordergrund stehe die Optimierung der Eigenverbrauchsrate. Lastspitzen würden – wie auch bei den meisten Lithium-Ionen-Systemen – über das Netz abgedeckt. Bei einer Lade-/Entladegeschwindigkeit von vier Stunden (0,25 C) habe die Batterie noch eine Kapazität von etwa 1,4 Kilowattstunden. Aber selbst eine Ladung innerhalb von vier Stunden ist manchen Experten für den Heimbereich noch nicht genug (siehe Interview ab Seite 12). Will man das Defizit der geringeren Kapazität bei höheren Ladegeschwindigkeiten ausgleichen, müsste man die Speicherkapazität erweitern. Dann steigt aber auch der Preis pro Kilowattstunde.

Schön wäre es dann natürlich auch, wenn man die AHI-Batterie einfach in den Garten stellen könnte, wo Platz kein Problem ist. Aufgrund der etwas niedrigeren Energiedichte ist sie ohnehin etwas voluminöser als eine herkömmliche Lithiumbatterie. Temperaturen von weniger als minus fünf Grad wären allerdings dauerhaft schädlich für die AHI-Batterie, erklärt Aquion. Zwar wäre die Batterie nach einem Frier- und Wiederauftauvorgang noch funktionstüchtig, erklärt Aquion, Versuche zeigten allerdings, dass die nutzbare Kapazität darunter leidet. Aquion empfiehlt daher die Installation in einer Garage, im Keller oder im Technikraum, um die Umgebungstemperatur im ausgewiesenen Bereich von minus fünf bis plus 40 Grad Celsius zu halten und die Batterie vor Wettereinflüssen zu schützen.

Niedrig hängende Früchte ernten

Viele AHI-Batterien kommen laut Poor auch schon in größeren Anwendungen zum Einsatz, zum Beispiel in kalifornischen Weingütern, britischen Lebensmittelläden oder in verschiedenen Mikronetzen, unter anderem auf der Pazifik-Insel Ofu. Die rund 350 Bewohner wollen ihre Insel von Dieselgeneratoren auf Solar-Batterie-Systeme umstellen. Eine AHI-Batterie mit 1,25 Megawattstunden Kapazität sei dort bereits im Einsatz.

Die nächsten Schritte von Aquion sieht Tim Poor darin, die Kosten für die Batterie weiter zu senken und die Performance der Batterie weiter zu verbessern. Die Entwicklung der Technologie befinde sich noch in einer frühen Phase und es gebe „eine Menge niedrig hängender Früchte“, die die Leistung der Batterie verbessern könnten. „Wir denken, dass wir die Kosten für die AHI-Batterie in den kommenden Jahren halbieren können.“ Das kann aus Sicht von Poor auch zu disruptiven Entwicklungen auf dem Speichermarkt führen.

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