Gong zur zweiten Runde

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Der Photovoltaikmarkt in Europa hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. In vielen Ländern ist der Zubau eingebrochen. Viele Hersteller und damit Arbeitsplätze sind verschwunden. Dies liegt zum einen an den sich wandelnden politischen Rahmenbedingungen: So ist die Solarförderung in vielen EU-Ländern in den letzten Jahren stark beschnitten, teilweise sogar rückwirkend geändert worden. Zum anderen ist die Vereinbarung mit China dafür ein wesentlicher Grund. Die ursprünglich auf zwei Jahre befristete Vereinbarung läuft eigentlich am 7. Dezember 2015 aus. Eigentlich!

Darin sind 2013 Mindestpreise und Volumenbegrenzungen für kristalline Photovoltaikprodukte aus China beim Import nach Europa festgelegt worden. Vorausgegangen war dieser Vereinbarung eine Anti-Dumping- und Anti-Subventions-Beschwerde der von Solarworld initiierten Gruppe EU Prosun gegen die chinesische Konkurrenz. Sie wollte damit einen Schutz für die heimischen Hersteller erreichen, konnte aber das Verschwinden einer Vielzahl europäischer Produzenten im Endeffekt nicht mehr verhindern.

Aus Sicht von EU Prosun liegt das auch daran, dass die Regelung zu spät kam. Zudem gibt es viele Versuche, die Vereinbarung zu umgehen. Bereits im vergangenen Juni veröffentlichte die Initiative eine Liste mit zahllosen Verstößen von chinesischen Herstellern. Ende April 2015 folgte nun auch die Beschwerde bei der EU-Kommission. EU Prosun will untersuchen lassen, inwiefern Lieferungen über Taiwan oder Malaysia neu gelabelt werden, um die Herkunft aus China zu verschleiern, bevor sie nach Europa geschickt werden.

Doch das ist nur ein Weg, um die Vereinbarung zu umgehen. Es sind wohl auch Fälle aufgetreten, in denen durch nachträgliche Rückzahlungen die festgelegten Mindestpreise verletzt worden sind. Europäische Zollbehörden und das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf) ermitteln daher gegen mögliche Verstöße gegen die Zölle und gegen die Vereinbarung. Die potenzielle Schadenssumme wird auf mehrere hundert Millionen Euro geschätzt.

Auch die EU-Kommission selbst hat in einer Prüfung mögliche Verstöße von chinesischen Herstellern festgestellt. In einem Dokument sind diese aufgelistet. So soll Canadian Solar die Auflagen bezüglich des Mindestimportpreises verletzt und unter anderem seine Solarmodule unter dem festgesetzten Wert verkauft haben. ET Solar wird vorgeworfen, komplette Solarparks nach Europa verkauft und die dort verwendeten Solarmodule nicht extra an die EU-Kommission gemeldet zu haben. Bei Renesola besteht der Verdacht, irreführende Angaben über die Herkunft seiner Module gemacht zu haben. Diesen drei Herstellern droht nun ein Ausschluss aus der Vereinbarung. Während Canadian Solar und ET Solar die Vorwürfe zurückwiesen, erklärte Renesola seinen Ausstieg gleich selbst.

Epia bezieht erstmals Stellung gegen Mindestpreise

In der ersten Runde war es die Alliance for Affordable Solar Energy (Afase), die als Widersacherin von Handelsrestriktionen gegen EU Prosun in den Ring stieg. Die Vereinigung schloss sich Ende 2013 mit der Seti Alliance zusammen. Nun gibt es aber einen neuen Gegenspieler.

Erstmalig hatte sich Epia am Rande der SNEC in Schanghai Ende April klar für ein Auslaufen der Mindestimportpreise in Europa ausgesprochen. Der Verband habe sich nicht länger aus dem wichtigsten Handelskonflikt heraushalten wollen, sagt Epia-Präsident Oliver Schäfer. Die Entscheidung sei im Vorstand nach teils kontroversen Debatten einstimmig gefallen. „Wir wollen einen freien und fairen Handel. Es gab sicher vor zwei Jahren gute Gründe für die EU-Kommission für die Wege, die sie damals gegangen ist. Mittlerweile sehen wir diese Gründe aber nicht mehr“, erklärt Schäfer, der zugleich bei Sunpower Direktor für Politik und Marktentwicklung ist, die Epia-Position.

„Die neue Positionierung pro China ist nicht überraschend. Sie ist nur peinlich für einen europäischen Verband“, sagte dazu EU-Prosun-Präsident Milan Nitzschke. „Dass Epia nun sogar die Nicht-Ahndung von Dumping als freien Handel bezeichnet, ist in etwa so, als ob der Direktor der Tour de France Doping für alle fordert, um das Rennen wieder anzukurbeln.“ Epia-Präsident Oliver Schäfer sieht dagegen nicht, dass es noch einen unfairen Wettbewerb in Europa gibt. Doch er sagt: „Aber wenn es noch Dumping gibt, dann muss die EU-Kommission dies auch ahnden.“ „In neun von neun internationalen Verfahren gegen chinesische Solarhersteller wurde festgestellt, dass sie mit Dumping und Exportsubventionen gegen WTO-Recht verstoßen. Und Epia traut sich, hier von Fair Play und Level Playing Field zu sprechen“, sagte Nitzschke. Schäfer erwidert: „Selbst wenn es in der Vergangenheit solche Fälle gegeben hat, muss man schauen, wo der Markt heute steht. Wir brauchen in Europa eine Belebung hin zu einem Marktvolumen, das wir schon einmal hatten, und das durch eine Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette.“ Nur zwei Tage nach der Positionierung von Epia kündigte Milan Nitzschke, der auch Konzernsprecher von Solarworld ist, die Umgehungsuntersuchung an. Zugleich erklärte er, dass EU Prosun fristgerecht bis September auch eine Auslaufüberprüfung bei der EU-Kommission beantragen werde. Für den Fall, dass Brüssel dieses Verfahren eröffnet, würden sich die Vereinbarung und die Zölle automatisch für die Zeit der Ermittlungen verlängern. Der Epia-Präsident hält es für sehr wahrscheinlich, dass die Auslaufüberprüfung erfolgen wird. Er zeigt sich aber optimistisch, dass die Zölle trotzdem im Laufe des kommenden Jahres enden werden. „Wir führen derzeit viele Gespräche in Brüssel, um unsere Sicht der Dinge darzulegen, und sehen eine positive Resonanz“, sagt Schäfer.

Nach Einschätzung von Milan Nitzschke könnten die Untersuchungen bis zu 15 Monate dauern – also die Mindestimportpreise auch noch das komplette nächste Jahr gelten. Beim zuständigen EU-Handelskommissariat in Brüssel hält man sich mit Informationen äußerst bedeckt. Immerhin bestätigte ein Sprecher, dass im Falle einer Überprüfung die Vereinbarung weiterhin gelte, bis es ein Ergebnis gebe. Normalerweise sollte die Entscheidung innerhalb von zwölf Monaten fallen, spätestens aber 15 Monate nach Eröffnung des Verfahrens. Abhängig vom Ergebnis der Prüfung könnten die Mindestimportpreise dann abgeschafft oder auch nochmals verlängert werden.

Derweil ist zwischen den Kontrahenten noch ein Disput darüber entbrannt, wer denn nun eigentlich die europäische Solarindustrie repräsentiert. Epia hat in den vergangenen Jahren massiv Mitglieder verloren, vertritt derzeit aber immer noch mehr als 100 europäische Unternehmen, die auch namentlich auf der Website zu finden sind. In jüngster Vergangenheit hat der Verband wieder verstärkt Zulauf aus allen Bereichen, allein rund zehn neue Mitglieder aus dem O&M-Bereich, wie Schäfer sagt. Die Liste der Unterstützer von EU Prosun ist dagegen nicht öffentlich zugänglich. Inzwischen hat die Vereinigung aber einen Teil der Mitgliedsnamen offengelegt. Es sind rund 30 Mitglieder, ein Großteil davon seien Hersteller und industrielle Unternehmen aus Deutschland, Italien, Spanien und Österreich. In der Mehrzahl sind dies kleinere Firmen, da es jenseits von Solarworld kaum noch Zell- und Modulhersteller mit großen Kapazitäten in Europa gibt.

Nitzschke spricht Epia mit Blick auf die Zusammensetzung der Führungsgremien und des Verbands insgesamt den Vertretungsanspruch ab. „Zell- und Modulproduktion ist nur ein Teil der Photovoltaik-Wertschöpfungskette. Ein Teil der Wertschöpfung liegt aber noch ganz woanders, etwa bei der Projektierung, dem O&M-Geschäft oder der Finanzierung, und da ist Europa zumeist führend“, erwidert Schäfer. Um diesem Wandel Rechnung zu tragen, schlagen die Epia-Führungsgremien den Mitgliedern eine Umbenennung in Solarpower Europe vor. „Damit wird das lästige ‚I‘ für Industrie ganz aus dem Namen gestrichen“, kommentiert Nitzschke. Sein Kontrahent Oliver Schäfer fragt sich derweil nicht ganz zu Unrecht: „Wo ist das ‚I‘ bei EU Prosun?“ Aus seiner Sicht können Photovoltaikhersteller, die nur auf den reinen Verkauf von Solarmodulen als einziges Geschäftsmodell setzen, wohl kaum überleben.

Dass mittlerweile auch nicht nur die Modul- und Zellhersteller den Handelsstreit führen, zeigt sich an Wacker Chemie. Der Siliziumhersteller, der auch im Board von Epia vertreten ist, bringt für sein Engagement sehr ähnliche Argumente wie der Verband vor – der eingebrochene Zubau in Europa und die dadurch verlorenen Arbeitsplätze in der Solarbranche. Nicht vergessen darf man dabei aber auch, dass Wacker mit der chinesischen Regierung eine ähnliche Vereinbarung abgeschlossen hat, was seine Exporte betrifft.

„Die Mindestpreisregelung beziehungsweise die Entscheidung über Anti-Dumping- und Ausgleichszölle auf chinesische Solarimporte hat wesentlich zum Rückgang des europäischen Solarmarktes um rund 40 Prozent seit 2012 beigetragen. Damit einhergehend ist seit Einführung der Mindestpreisregelung rund die Hälfte der Jobs in der europäischen Solarindustrie verloren gegangen“, erklärt Ewald Schindlbeck, Präsident Wacker Polysilicon bei der Wacker Chemie AG. Aus seiner Sicht würde ein Ende der Mindestpreisregelung sofort für Wachstumsimpulse und neue Arbeitsplätze in Europa sorgen (siehe Interview auf der nächsten Seite).

Ein Argument, das Milan Nitzschke mit Blick auf den US-Markt nicht gelten lässt. Dort gibt es nach seinen Worten die „derzeit schärfsten Anti-Dumping-Maßnahmen der Welt“. Der Markt boome trotzdem und sei auch nach der Einführung der Importzölle 2012 jedes Jahr weiter gewachsen – auf immerhin 6,3 Gigawatt im vergangenen Jahr. Für 2015 wird ein Zubau von mindestens acht Gigawatt erwartet.

Schäfer und Schindlbeck wiederum finden diesen Vergleich schief. „Der US-Markt kommt von einem ganz anderen Niveau als der europäische Markt“, sagt der Epia-Präsident. „In den USA kommt bislang der weitaus größere Preisanteil eines PV-Systems von den sogenannten Soft Costs und den BOS-Kosten. Die Gebühren und Preise für den Planungsprozess, den Genehmigungsprozess und die tatsächliche Installation sind dort also wesentlich höher als in Europa. Bislang konnte durch eine Kostensenkung dieser Bereiche der durch Zölle verteuerte Modulpreis überkompensiert werden“, ergänzt Ewald Schindlbeck von Wacker.

Wie groß die Auswirkungen der Mindestimportpreise für die chinesischen Solarmodule bislang auf den Zubau in Europa waren, lässt sich nur schwer beziffern. Dass die Preise durch die Vereinbarung künstlich hoch gehalten und damit Investitionen in Photovoltaik blockiert werden, ist sicher nicht von der Hand zu weisen. „In der an die EU angrenzenden Türkei sind die Modulpreise etwa 20 Prozent günstiger“, sagt Oliver Schäfer. Seit April gilt in der EU für die chinesischen Module wieder ein Mindestimportpreis von 56 Eurocent pro Watt. Er liegt nach einer zwischenzeitlichen Absenkung damit wieder auf dem Ursprungsniveau vom Dezember 2013. Die deutliche Anhebung zum 1. April überraschte dabei viele Beteiligte. Die Einspeisevergütung ist seit Dezember 2013 übrigens um sieben bis zehn Prozent gefallen.

Bereits deutlich davor hatte EU Prosun eine Prüfung des Mechanismus beantragt, der als Grundlage für die Festlegung des Mindestimportpreises gilt. Die Ermittlung erfolgt auf Basis der Bloomberg-Datenbank. Diese sei aber „nicht mehr repräsentativ“ für die Entwicklung der Preise von kristallinen Solarmodulen, heißt es bei EU Prosun. Die Zahl der chinesischen Hersteller in der Datenbank sei seit Anfang 2014 beträchtlich gestiegen, wodurch sie nun ein wesentlich größeres Gewicht hätten. Nach der Vereinbarung könnten aber als Benchmark eben auch die Spotpreise ohne die chinesischen Preise herangezogen werden. Dies prüft die EU-Kommission nun.

Die Positionen im Handelsstreit sind bekannt und haben sich seit der ersten Auseinandersetzung vor zwei Jahren nicht grundlegend geändert. Die einen sehen sich im Wettstreit um Marktanteile benachteiligt, und die anderen monieren die künstlich hohen Preise für die Photovoltaik, die der Mindestimportpreis in Europa mit sich bringt, die den Markt lähmen und ihre Unternehmen ernsthaft gefährden.

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