Der Weg des Ankers

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Wie definieren Sie Innovation im Gegensatz zu einer einfachen Weiterentwicklung?
Oliver Gassmann: Jede Weiterentwicklung ist eine kleine Innovation. Wir sprechen hier von inkrementeller Innovation im Gegensatz zur radikalen oder disruptiven Innovation. Der Wechsel von fossiler Energie zur Photovoltaik ist ein großer Sprung. Dass sich jedoch die letzten 13 Jahre die Kosten pro Watt in der Photovoltaik um rund 85 Prozent reduziert haben, ist vor allem der stetigen Weiterentwicklung der Technologie und der Produkte zu verdanken. Steter Tropfen höhlt den Stein. Es ist wichtig, dass jeder Beitrag zu einer Verbesserung gewürdigt wird.
Ein Beispiel: Maschinenbauer entwickeln eine vollkommen neuartige Methode, Solarzellen zu kontaktieren. Für den Solarzellenkäufer hat das keinen Effekt, außer dass die Zelle vielleicht billiger wird. Ist das eine einfache Weiterentwicklung, eine evolutionäre oder eine disruptive Innovation?
Die Unterscheidung, ob disruptive Innovation oder evolutionäre Weiterentwicklung, ist immer kontextabhängig. Für den Maschinenbauer war es eine revolutionäre Innovation, welche zahlreiche kognitive Barrieren überwinden musste. Der Endkunde merkt davon wenig, die Innovation steht kleingedruckt auf der Verpackungsrückseite.
Viele halten disruptive Innovation für besonders wichtig. Ist das ein Fetisch?
Derzeit wird die disruptive Innovation sehr stark hochgehalten. Jedes Geschäft benötigt jedoch beides. Vom Segeln weiß man, dass man den Anker weit hinauswerfen muss. Bis er den Grund, im übertragenen Sinne die Realität, erreicht, ist er wieder näher beim Schiff.
Was raten Sie Unternehmen als Erstes, die Innovationen fördern wollen?
Das Wichtigste ist eine klare Führung: Freiheit gewähren, den Mitarbeitern vertrauen und sie zu Neuem und damit Wagnissen ermutigen. Es ist wichtig, selbst innovatives Verhalten vorzuleben, um eine innovative Kultur zu erhalten.
Wann eignen sich Start-ups besser, um Innovationen umzusetzen, wann geht es besser intern in großen Unternehmen?
Start-ups sind gut geeignet, wenn es begrenzte Ressourcen benötigt. Daher sind internetbasierte Innovationen leicht in Jungunternehmen zum Erfolg zu bringen. Großunternehmen sind hingegen besser, langfristig die Innovation gegen Marktwiderstände durchzudrücken. Der lange Atem, der auch viel Ressourcen benötigt, ist bei etablierten Unternehmen größer.
Warum lassen sich Start-ups in den USA leichter gründen?
Dort herrscht eine Stehaufmännchen-Kultur, die ich auch selbst in meinen kalifornischen Forschungsaufenthalten erleben durfte. Jedoch kann man auch in Deutschland leicht Unternehmen gründen. Wir sollten hier selbstbewusster sein.
Forscher und Entwickler sagen mir oft, die Innovation findet immer noch nicht in China statt. Unterschätzen sie China?
China wird stark unterschätzt. In zahlreichen Branchen fand zunächst Imitation, dann Innovation statt. Aufgrund der immensen Kapazitäten in der Solarzellenproduktion und -weiterentwicklung wird automatisch auch Innovation vorangetrieben. Heute ist China fast Patentweltmeister, längst nicht mehr nur Produzent billiger Elektronik. China ist dabei mutiger in kleinen Schritten und sehr viel rascher in der Umsetzung. Als ich noch in der Industrie tätig war, haben wir bereits in den 90er Jahren einen F&E-Standort in Shanghai gegründet. Zu Beginn hat man vor allem Angst gehabt vor dem IP-Diebstahl, der mangelnden Sicherheit und Loyalität. Heute gibt es Unternehmen, die sich in China arrangiert haben und erfolgreich dort innovieren.
Die Fragen stellte Michael Fuhs.

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