Schaulauf der Vorzeigeprojekte

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Während Einfamilienhäuser oft schon an der Schwelle zur Autarkie stehen und Plusenergie für viele Bauträger keine besondere Herausforderung mehr darstellt, bleibt die Energieerzeugung auf Mehrfamilienhäusern und für deren Mieter noch selten. Zwar gibt es erste Mieterstrommodelle, bei denen Solarstrom vom Dach an die Mieter verkauft wird, und viele Vermieter nutzen bereits seit Jahren Solarthermie zur Heizungsunterstützung, doch von einem Zusammenwachsen dieser Segmente, von einer gesamtheitlichen und überwiegend selbstversorgenden Haustechnik ist noch wenig zu spüren.

„Die Vorstände der Wohnungsbaugesellschaften zögern, sind vorsichtig, warten ab. Und man kann ihnen keinen Vorwurf daraus machen. Die Verbände, der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) und die Regionalverbände stehen auf der Bremse“, sagt Frank Junker, Geschäftsführer der ABG Frankfurt Holding.

Sein Unternehmen ist eines von zweien am Frankfurter Wohnungsmarkt, die den Beweis erbringen wollen, dass auch ein Mehrfamilienhaus mehr Energie erzeugen kann, als seine Bewohner verbrauchen. „Die Verbände raten ab, sagen, das ist alles noch nicht erwiesen und das überfordert eine Wohnungsbaugesellschaft. Ich bin nicht überfordert! Wir machen Gewinne, wir feiern Erfolge. Wenn ich das auf einer Konferenz so präsentiere, ernte ich eisiges Schweigen.“ Dabei ist die ABG Holding einer der großen Player. Die kommunale Gesellschaft hält laut Angaben auf der Website 50.000 Wohnungen in Frankfurt.

Junker hat bereits jahrelange Erfahrung im Bau von Mehrfamilien-Passivhäusern. Sein nächstes Ziel ist nun das bilanzielle Plusenergiehaus. Die Hürden, die er dabei mit Energie und Mut zum unternehmerischen Risiko nehmen muss, sind groß. Denn die verfügbare Dachfläche ist pro Quadratmeter Wohnfläche oder pro Bewohner geringer, je mehr Wohneinheiten übereinanderliegen. Gleichzeitig muss die Miete dem Vergleich mit anderen ortsüblichen Mieten standhalten. Das Argument, Geld sei für die Investition in Photovoltaik nicht so wichtig, zieht in diesem Segment nicht. Schließlich müssen am Ende Bauherr und Vermieter etwas daran verdienen. Weitere Schwierigkeiten sind, dass die künftigen Mieter des Hauses und ihr Verhalten beim Bau noch nicht bekannt sind und dass das Haus auch den Bedarf von Elektroautos decken soll.

Zukunft, wo kein Platz ist

Dabei helfen nach Ansicht von Junker Vorzeigeprojekte für zukünftiges Wohnen wie das „Effizienzhaus Plus“ in Berlin nicht weiter, ein Einfamilienhaus, das das Bauministerium für 2,5 Millionen Euro auf die grüne Wiese gesetzt hat. „Die Herausforderung ist, in einer hochverdichteten Innenstadt zu bauen“, sagt er. „Das Grundstück, das wir ausgesucht haben, wird immer wieder von Hochhäusern verschattet und ist nur zehn Meter schmal. Das ist die Herausforderung, bei der man Erfahrungen sammeln kann.“ Der Entwurf der Architekten Hegger-Hegger-Schleiff (HHS) sieht Photovoltaikmodule auf dem Dach und an der Fassade vor. Das Passivhaus hat nur einen sehr geringen Wärmebedarf, der durch eine Wärmepumpe an einem öffentlichen Schmutzwasserkanal gedeckt wird. Das Abwasser habe eine Temperatur von 17 Grad, erzählt Junker. Die 74 Wohneinheiten mit Zwei- bis Vier-Zimmer-Apartments würden mit Fußbodenheizung und mit Einbauküchen ausgestattet, in denen Geräte der Effizienzklasse A+++ stehen. In der Miete sei dann eine Stromflatrate von 1.800 Kilowattstunden im Jahr enthalten. Energiemanager sollen es den Mietern ermöglichen, ihren Energieverbrauch auf diesen Betrag zu senken. Einen Bonus für die direkte Verwendung des Sonnenstroms gebe es jedoch nicht.

Bilanziell sei übers Jahr ein Plus von zehn Prozent zu erwarten. Die planende Ingenieurgesellschaft EGS-Plan prognostiziert, dass von den 292 Megawattstunden Jahresertrag 100 Megawattstunden direkt verbraucht werden und 46 Megawattstunden, nachdem sie in der Lithiumbatterie zwischengespeichert wurden. Das Gebäude erreiche damit einen Eigenverbrauch von 50 Prozent der Produktion. Der Bedarf liege inklusive E-Mobility bei 260 Megawatt, womit voraussichtlich noch 115 Megawatt Reststrombezug nötig seien.

Doch dieses Mehrfamilienhaus werde nicht nur für die Umwelt ein Gewinn sein. „In den Ballungsgebieten“, rechnet Junker vor, „zahlen Sie enorm hohe Mieten für Neubauten. Wenn Sie eine Bruttoanfangsrendite von fünf Prozent erwirtschaften wollen, liegen Sie bei Quadratmeterpreisen von 12 bis 13 Euro.“ Das liege an den hohen Bodenpreisen und an den Baukosten. „Wir vermieten unser Aktiv-Stadthaus für 13,50 Euro warm. Da haben Sie schon Einbauküche und Wärmeversorgung, die sie normalerweise mit einem Euro pro Quadratmeter ansetzen müssen. Und Sie bekommen 1.800 Kilowattstunden Strom geschenkt. Wenn Sie das alles rausrechnen, liegen Sie bei 11,50 Euro, und das ist schon am unteren Ende.“ Die Nachfrage nach diesen Wohnungen sei jetzt enorm groß. Das Projekt befindet sich derzeit noch im Rohbau und soll im Frühjahr 2015 bezugsfertig sein.

Wärmepumpe mit Eisspeicher

Dieses Geschäftsmodell einer All-Inclusive-Miete hatte ursprünglich auch die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte im Blick, als sie ihr Effizienzhaus Plus plante. Es wird in Frankfurt-Riedberg gebaut, wurde ebenfalls von HHS entworfen, und auch hier ist als Bezugstermin März 2015 avisiert. Inzwischen wurden aber die Pläne etwas geändert, so dass in der wissenschaftlichen Auswertung der Modellgebäude nicht nur die Auswirkungen der unterschiedlichen technischen, sondern auch der wirtschaftlichen Entscheidungen interessant sein werden.

So habe man sich gegen Einbauküchen entschieden, berichtet Projektleiter Walter Funke. Dann sei man nicht für jede kleine Reparatur zuständig. Stattdessen soll ein Anreizprogramm die Mieter dazu bewegen, effiziente Geräte zu kaufen. Für die Mieter sei der Wärmeverbrauch nach oben begrenzt. Wer mehr benötige, als der Warmmietvertrag hergebe, müsse das bezahlen. Außerdem sei der Stromverbrauch der Mieter zwar kalkuliert, jeder Haushalt könne aber frei entscheiden, ob er das Versorgungsangebot mit Solarstrom annehme. „Wir können jedenfalls ein gutes Angebot machen“, sagt Funke.

Als Quelle für die Wärmepumpe haben sich die Planer für einen Eisspeicher entschieden. Die Heizung für alle 20 Wohnungen mit 1.600 Quadratmetern Wohnfläche benötige übers Jahr nur 15.000 Kilowattstunden. Sofern die effizienten Hausgeräte wie geplant 33.000 Kilowattstunden verbrauchen und die Photovoltaikanlage auf Dach und Fassade 81.000 Kilowattstunden liefert, ergibt sich ein komfortables Plus, das vor allem für die Elektrofahrzeuge der Mieter und eines Carsharing-Partners genutzt werden soll. Der Batteriespeicher im Haus diene in erster Linie dazu, Lastspitzen abzufangen, und trage somit zur Stabilisierung des Netzes bei.

Durch die umfangreichen haustechnischen Anlagen rechnet Funke mit etwa 15 Prozent Mehrkosten zu einem normalen Passivhaus. „Leider müssen wir im sozialen Wohnungsbau in Frankfurt im Passivhausstandard bauen, das treibt bautechnisch die Kosten in die Höhe. Wir wollten erst ein Niedrigstenergiehaus mit geringeren Kosten bauen und dafür mehr Geld in die Technik stecken, für ein höheres Plus, aber das ging aufgrund der Förderbedingungen nicht“, bedauert Funke. Die Stadt hat bereits 2007 beschlossen, dass bei allen Projekten, bei denen sie Einfluss hat, nach Passivhausstandard gebaut werden soll.

Kaum Zukünftiges im Bestand

So ermutigend diese Modellprojekte sind, von denen bei Erfolg sicher eine große Strahlkraft für weitere Neubauten ausgehen wird, die Wohnungswirtschaft werden sie nicht so bald umkrempeln. Denn die größte Herausforderung liegt im Bestand. Bestandswohnungen sind nach wie vor die größten Energiefresser. In denen gibt es überwiegend nicht einmal Flächenheizungen, und ihr Wärmebedarf ist hoch. Die Bundesregierung schreibt in ihren Klimazielen: „Bis 2050 sollen Häuser nahezu klimaneutral sein, also den eigenen Bedarf nur aus erneuerbaren Energien decken.“

Nachfragen bei den Großen der Branche zeigen, dass sie sich auf dieses Ziel eingestellt haben, allerdings ohne den Fokus auf die Energieerzeugung. So plant Deutschlands größte Wohnungsgesellschaft, die Deutsche Annington, ihren gesamten Bestand von 20.000 Gebäuden und 150.000 Wohnungen zu sanieren. Die Deutsche Energieagentur (Dena) hat in einer Studie dafür einen Fahrplan entwickelt, der die Kosten auf 2,8 Milliarden Euro beziffert und Investitionen von 75 Millionen Euro pro Jahr vorsieht. Photovoltaik spielt in diesem Konzept bislang keine Rolle. Im Vordergrund stehen die Verbesserung der Dämmung und der Ersatz der Heizungstechnik durch modernere Geräte. 41 Prozent der Gebäude könnten dadurch den Effizienzhausstandard 85 erreichen, so die Dena.

Auch die Deutsche Wohnen besitzt bei 150.000 Wohnungen derzeit nur 75 Photovoltaikanlagen mit 1.200 Kilowattpeak. Dieser Strom werde eingespeist und nicht für die Haustechnik genutzt. Die Degewo schaffte es in den letzten Jahren immerhin, in einigen ihrer Berliner Wohnungen durch den Bau von Solarthermieanlagen den Bezug von Wärme um zehn Prozent zu senken. Diese Form der solaren Sanierung entspreche auch weiterhin dem Konzept, sagt der Degewo-Projektmanager Energiecontracting Christian Ciaglia. Die Reise zum Smart Home ist im Bestand noch weit.

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