Es ist Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Jens Blochberger ist ein junger Mann, der in der DDR wohnt. Aus beruflichen Gründen zieht es ihn von Leipzig nach Oberseifersdorf, und er fängt dort an, in einem Behindertenheim zu arbeiten. 1986 bekommt er die Chance, ein Haus zu kaufen, und greift zu. Blochberger erzählt: „Wir standen damals vor der Frage: Wie bekommen wir warmes Wasser für unsere Badewanne?“ Er macht sich schlau und kommt das erste Mal mit der Solarenergie in Berührung, die ihn bis heute begleitet.
Bereits damals nimmt Blochberger im Zuge seiner Recherche auch Kontakt zu Firmen und Institutionen in Westdeutschland auf. Es entsteht ein reger Austausch, etwa mit den Mitarbeitern des noch heute existierenden Informationsportals Bine. „Fast alle Briefe, die ich geschrieben habe, sind tatsächlich angekommen. Natürlich hat die Staatssicherheit mitgelesen. Aber auch die Antworten kamen bei mir an“, sagt Blochberger. Der gelernte Klempner entschließt sich schließlich, eine Solarthermieanlage auf seinem Dach zu installieren. Auch diese Geschichte ist abenteuerlich und bedurfte einiger Guerilla-Aktionen, um sie zu vollenden. Darum soll es hier aber nicht gehen. Kurz gesagt: Die Solarthermieanlage, die er sich 1986 aufs Dach montierte, bestand aus zwei Kollektoren, die mehr oder weniger ein umfunktionierter und aufgepeppter Heizkörper waren. Dazu installierte er noch einen Speicher.
Blochberger war mittlerweile Feuer und Flamme für die Solarenergie. Er machte es sich zur Aufgabe, sein Wissen möglichst breit unter die DDR-Bevölkerung zu streuen. „Ich habe es regelmäßig geschafft, dass in den Zeitungen meine Artikel erschienen“, sagt er. Seine Rundbriefe und Bauanleitungen veröffentlichte er unter der Bezeichnung „Interessengemeinschaft Solarenergie“. „Damit hatten sie einen seriösen Anstrich, und die Zeitungen druckten sie“, erzählt Blochberger. Auch kamen immer wieder Menschen persönlich nach Oberseifersdorf. Selbst aus Mecklenburg-Vorpommern fuhren sie in das Dorf im Dreiländereck DDR-Polen-Tschechien, um sich mit ihm über Solarenergie auszutauschen.
Jens Blochberger begeisterte sich aber nicht nur für Solarthermie – auch die Photovoltaik hatte sein Interesse geweckt. Es gab damals erste Forschungsarbeiten dazu in der DDR und der ehemaligen Sowjetunion, erzählt er. In ihm war mittlerweile der Entschluss gereift, sich ganz der Solarenergie zu widmen. Anfang 1989 meldete er offiziell die Gründung eines entsprechenden Vereins an und bekam für Februar 1990 einen Termin zugesagt. Doch in der Zwischenzeit fiel die Mauer. „Eigentlich habe ich es nicht so mit der Vereinsmeierei“, sagt Blochberger rückblickend. Er nahm den Termin im Februar 1990 dennoch wahr und gründete schließlich Eurosolar DDR.
Blochberger intensivierte nach dem Fall der Mauer sofort den Kontakt zu Institutionen in Westdeutschland, um mehr über Photovoltaikanlagen in Erfahrung zu bringen. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Er setzte sich auch mit Modulherstellern wie Siemens und AEG in Verbindung. Siemens reagierte und bot ihm Solarmodule zum halben Preis an. „Das waren dann immer noch 15.000 D-Mark für eine Ein-Kilowatt-Anlage. Aus heutiger Sicht utopische Preise“, sagt Blochberger. Er schlug trotzdem zu.
Finanzielle und politische Unterstützung bekam er auch aus Nordrhein-Westfalen. Der damalige Ministerpräsident Johannes Rau habe sich persönlich dafür starkgemacht, das 1.000-Dächer-Photovoltaik-Programm auch auf den Osten auszuweiten, erzählt Blochberger. Doch die Regierung führte es im September 1990 nur für den Westteil ein. Ab Juli 1991 sollte es dann auch für die neuen Bundesländer gelten. Blochberger konnte dies aber nicht aufhalten. Er installierte seine Photovoltaikanlage im August 1990. „Es war die erste und einzige Anlage in der DDR“, sagt er nicht ohne Stolz. Allerdings sollte letztere auch nur noch zwei Monate existieren. Der Wechselrichter für die Anlage kam von Wuseltronik aus Berlin. Er laufe heute noch, erzählt Blochberger weiter.
Ein Zähler oder zwei Zähler Er meldete noch im August 1990 seine Photovoltaikanlage beim Energieversorger an. Dieser hieß schon damals so wie heute Esag – die Übernahmen in diesem Sektor fanden teilweise schon vor der offiziellen Wiedervereinigung statt. Blochberger wollte seine Anlage mit zwei Zählern anschließen, so wie es auch im Westen üblich war. Doch die Esag-Vertreter hielten dies für überflüssig. Blochberger könne die Photovoltaikanlage mit einem Zähler anschließen, der vorwärts seinen Stromverbrauch messe und rückwärts laufe, um den eingespeisten Solarstrom zu erfassen. „Ich war überrascht von dieser Vorgabe, aber natürlich auch erfreut, dass es so unkompliziert sein sollte“, erzählt er. Wofür andere kämpften, schien bei ihm problemlos möglich. Also nahm er die Anlage mit nur einem Zähler im September 1990 in Betrieb. Doch so einfach sollte es dann doch nicht sein.
1994 schickte sein Energieversorger schließlich ein Schreiben, wonach Blochberger nun doch zwei Zähler installieren sollte. Aus seiner Sicht eine ungerechtfertigte Forderung, da er 1990 aus eigener Tasche den Zählerumbau gezahlt und die Bestätigung vorliegen hatte, dass ein Zähler ausreiche. „Der Energieversorger hätte also den Umbau zahlen müssen, wenn er es jetzt doch so wollte“, sagt Blochberger. Er war nicht bereit, die Veränderung aus eigener Tasche zu zahlen.
Die ganze Geschichte landete schließlich vor dem Amtsgericht Zittau. Der dortige Richter machte 1996 kurzen Prozess. Er entschied auf Grundlage eines Esag-Gutachtens, dass Blochberger zwei Zähler installieren müsse und die Kosten selbst zu tragen habe. Der mit Prozessen unerfahrene Blochberger fühlte sich überrannt, hatte aber keine großen Möglichkeiten mehr, gegen das Urteil vorzugehen. Dennoch blieb er hart. Mehrere Androhungen des Gerichtsvollziehers verstrichen, ohne dass etwas passierte. Blochberger veranstaltete zu diesen angekündigten Terminen „immer schöne Partys“ in seinem Haus, um für den Fall der Fälle genug Unterstützer vor Ort zu haben.
Im Dezember 1997 schließlich tat sich in aller Frühe etwas in Oberseifersdorf. Die Polizei sperrte die Dorfstraße ab. Gegen sechs Uhr morgens standen schließlich ohne jede Ankündigung sechs Polizisten mit zwei Esag-Mitarbeitern und einem Schlosser vor seiner Tür. Sie wollten nun endlich das Gerichtsurteil durchsetzen. Der Schlosser habe sich direkt daran gemacht, die Tür des Hauses zu öffnen. „Er scheiterte aber, da unsere Tür überhaupt nicht abgeschlossen war“, erzählt Blochberger, der mit seiner Familie die Szenerie aus dem ersten Stock seines Hauses beobachtete. Schließlich seien der Schlosser und die Polizisten um das Haus geschlichen, um einen anderen Weg zu finden. Sie schlugen ein Fenster an der Rückseite ein und kamen ins Haus.
Blochberger hatte sich in der Zwischenzeit mit seiner Familie vor dem Zähler im Keller positioniert. Er ist heute noch erbost über das harte Durchgreifen der Polizisten – gerade gegen seine Kinder –, mit dem sie den friedlichen Protest beendeten. Angesichts dieses Vorgehens gab Blochberger seinen Widerstand auf und ließ sich mit seiner Familie ins Wohnzimmer führen. Die Esag-Mitarbeiter konnten nun ungestört den Zähler umbauen. Zwei Stunden habe dies gedauert, erzählt Blochberger. Die Esag-Mitarbeiter hätten einen Zähler mit Rücklaufsperre eingebaut und den Einspeisezähler abgeklemmt. Im Folgejahr befasste sich sogar ein Petitionsausschuss des Sächsischen Landtags mit dem Fall. Er bewertete die Aktion als „unangemessen und überzogen“.
Was ist nun aber wirklich Guerilla an der Geschichte, die sicher nicht vollends dem Charme der romantischen Verklärung widerstehen konnte? Es ist weniger die Tatsache, dass Blochberger seinem Energieversorger die Stirn bot, sondern vielmehr, dass dessen Aktion wirkungslos verpuffte. „Ich hatte schon damals ein energieautarkes Haus mit Blockheizkraftwerk und Batterien“, sagt er. „Das Abklemmen des Einspeisezählers hat mich eigentlich überhaupt nicht interessiert.“ Genau das ist die Haltung, auf deren Spuren auch die heutigen Guerilleros wandeln.
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