Lokale Helden

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Was soll ein Netzversuch aus Österreich noch Neues bringen, könnte sich der deutsche Leser fragen. Doch der Versuch, um den es hier geht, ist gleichermaßen eigenartig und verallgemeinerbar. Das Besondere ist, dass es in dem betrachteten Gebiet zuvor gar keine Photovoltaik gab. Die Wissenschaftler und Ingenieure haben das Problem erst geschaffen, das sie dann lösen wollten. Dabei konnten sie sich aussuchen, welche Arten von Anlagen sie bauen wollten und mit welcher Hard- und Software diese ausgestattet wurden. Es sollte eine hohe Konzentration an Photovoltaikanlagen erreicht werden, und alle Anlagen sollten für die Projektzwecke genutzt werden können. Das Hauptaugenmerk des Gesamtprojekts lag auf der technischen und wirtschaftlichen Bewertung von Alternativen zum konventionellen Netzausbau. Die Frage war: Wie können möglichst viele kleine Anlagen mit geringstem Aufwand angeschlossen werden, ohne die Netzstabilität zu gefährden?

Die Art des Versuchs beruht auf den Erfahrungen und Perspektiven in Österreich. Dort wird unter Ausnutzung der natürlichen Gegebenheiten bereits seit Jahrzehnten der Großteil des Strombedarfs aus Wasserkraft gedeckt. Daran haben kleine bis mittlere Wasserkraftanlagen einen wesentlichen Anteil. Sie stellen bereits seit langer Zeit dezentrale Erzeugungsanlagen dar, und in ihrem Segment findet nach wie vor ein Ausbau statt. Dieser Ausbau führte bereits in der Vergangenheit dazu, dass manche Verteilnetzabschnitte auf Mittelspannungsebene an das Limit ihrer Aufnahmekapazität kamen. Um das Problem zu lösen, wurde auf der einen Seite untersucht, wie bestimmte Maßnahmen des konventionellen Netzausbaus wirken, auf der anderen Seite, wie ein aktiver Verteilnetzbetrieb aussehen kann. Durch den Ausbau von verteilten Erzeugern stellen sich diese Fragen zunehmend auch für die Niederspannungsnetze.

Ziel: eine hohe Einspeiseleistung

Photovoltaikanlagen gab es zu Beginn des Projekts DG DemoNet – Smart LV Grid im Jahr 2010 in Österreich allerdings noch nicht so viele, dass sie die Netze überlastet hätten. In der Zwischenzeit ist aber viel geschehen. Einerseits hat sich die in Österreich installierte Photovoltaikleistung innerhalb der letzten drei Jahre auf über 600 Megawattpeak vervierfacht. Andererseits haben im Zuge des genannten Forschungsprojekts erste sogenannte intelligente Niederspannungsnetze Einzug in die Alpenrepublik gehalten.

Um dem Anspruch einer Umsetzung in realen Netzen gerecht zu werden, wurde in drei Feldtestgebieten dreier Netzbetreiber eine für österreichische Verhältnisse außergewöhnlich hohe Dichte an kleinen Photovoltaikinstallationen realisiert. Dazu wurden einzelne Ortsnetze mit einer verteilten Photovoltaikleistung in der Größenordnung der Transformatorleistung ausgestattet. Insgesamt wurden rund 700 kVA Wechselrichterleistung in 136 Photovoltaikanlagen installiert. Die Anlagen haben zwischen 2,6 und 40 kVA Leistung, die durchschnittliche Anlagengröße liegt bei rund 5 kVA. Die Anlagen werden zum Eigenverbrauch mit Überschusseinspeisung genutzt. Je höher die Leistung ist, die die Photovoltaikanlagen einspeisen, umso höher steigt die Spannung im Netz. Es geht darum, verschiedene Varianten daraufhin zu untersuchen, wie sich damit die Spannung in einem bestimmten Bereich halten und gleichzeitig eine möglichst hohe Einspeiseleistung erreichen lässt.

Abgesehen vom Netzausbau gibt es dafür zwei Varianten, eine lokal autonome und eine Regelung, die zusätzlich vernetzt ist. Parallel dazu erfolgt eine ökonomische Bewertung der – durchaus komplexen – „smarten“ Maßnahmen im Vergleich zu konventioneller Netzertüchtigung. Damit sollen konkrete Aussagen getroffen werden können, mit welchen Maßnahmen und zu welchen Kosten die Aufnahmefähigkeit einer bestehenden Netzinfrastruktur für verteilte Einspeiser um wie viel gesteigert werden kann.

Lokale intelligente Regelungen

Der eine Teil der „intelligenten“ Regelungen, die für die Varianten nötig sind, arbeitet lokal autonom. Die Wechselrichter messen dabei die Leistung der Photovoltaikanlage und die Spannung am Netzanschlusspunkt und regeln nach einem Algorithmus die Wirk- und die Blindleistung (P&Q(U)-Regelung: P bezeichnet die Wirkleistung, Q die Blindleistung, U die Spannung). Da eine Reduktion der Wirkleistung zu Ertragsausfällen führt, versucht die Steuerung zunächst, die Spannung mithilfe der Blindleistung zu regeln. Das geht weit über das hinaus, was die deutsche Niederspannungsrichtlinie fordert, die für die Blindleistung nur eine leistungs-, keine spannungsabhängige Regelung vorsieht. Auch das Einspeisemanagement, das die Wirkleistung betrifft, regelt nicht nach lokalen Netzparametern. Nur der Netz- und Anlagenschutz berücksichtigt die Spannung am Netzanschlusspunkt, um den Wechselrichter ganz abzuschalten, wenn sie einen Schwellwert überschreitet.

Außer den Wechselrichtern haben auch die Ladestationen der Elektrofahrzeuge, die ihre Ladeleistung variieren, und der regelbare Ortsnetztransformator, der sein Übersetzungsverhältnis anpasst, lokal agierende Steuerungen.

Netzweite Regelung

Der andere Teil der intelligenten Regelungen arbeitet nicht nur lokal autonom, sondern optimiert die mögliche Einspeiseleistung im Netz zusätzlich mittels eines übergeordneten Reglers von Siemens (Smart LV Grid Controller).

Dabei ermittelt ein zentraler Controller den aktuellen Zustand des jeweiligen Ortsnetzes und generiert je nach Optimierungspriorität (zum Beispiel Minimierung des beanspruchten Spannungsbandes oder Ausgleich des Blindleistungshaushalts im Ortsnetz) Sollwertvorgaben für die aktiven dezentralen Komponenten im Netz. Diese führen ihre Betriebspunkte entsprechend nach. Wie gut die Regelung funktioniert, hängt davon ab, wie gut der Netzzustand bekannt ist. Außerdem spielt die Performance des Grid Controllers und der Kommunikationsinfrastruktur eine Rolle.

Zur Umsetzung dieser Ansätze haben wir Wechselrichter von Fronius für den Regelungsbetrieb ertüchtigt. Damit verbunden war die Entwicklung einer Reihe neuer Wechselrichter-Features – sowohl zur Implementierung lokaler Regelungsfunktionen wie der P&Q(U)-Regelung, was per Software-Update geschieht, als auch zur Bereitstellung einer bidirektionalen Kommunikationsschnittstelle für die Fernregelung. Die Anbindung zum Leitsystem und damit die Vernetzung zum Gesamtsystem (Smart Grid) erfolgt durch den Projektpartner Siemens – je nach Testgebiet entweder über Mitnutzung der ausgerollten Smart-Metering-Infrastruktur (PLC) oder über eine gesicherte Internetverbindung jeder einzelnen PV-Anlage (HFC).

Vereinfacht lassen sich in der Komplexität und damit im Optimierungspotenzial zwei Stufen des aktiven Netzbetriebs unterscheiden. In der ersten Stufe kommen ausschließlich die lokalen Regelungen der aktiven Komponenten (PV-Wechselrichter, Ladestation, Ortsnetztransformator) im Netz zum Einsatz.

Zusammen mit den davon unberührten Schutzfunktionen ist damit eine Einhaltung der Netzbetriebsgrenzen gesichert, weshalb diese erste (unterste) Stufe gleichzeitig die Rückfallebene darstellt, falls die weitere Optimierung ausfallen sollte. Die zweite Stufe vernetzt die einzelnen lokalen Regelkreise im Netz mittels Kommunikation zu einem übergeordnet optimierbaren Gesamtsystem.

Mit der Kombination der Einzelkomponenten – unter anderem regelbare Wechselrichter und Elektrofahrzeug-Ladestationen jeweils mit Fernwirkanbindung, Smart Metering, regelbaren Ortsnetztransformatoren und Grid Controller – wurden in den Testgebieten Smart Grids im Vollausbau geschaffen. Die Inbetriebnahme der entsprechenden Funktionen und Regelkreise im Feld erfolgte jeweils nach umfangreichen Simulationen (des elektrischen Netzes und der Kommunikation) und Labortests. Aktuell sind alle Einzelkomponenten in Betrieb und das Abwickeln der einzelnen Feldtestszenarien hat begonnen.

Mindestens ein Drittel mehr Photovoltaik

Die ersten Ergebnisse der Analyse lokaler Regelungen sind vielversprechend. In einer kleineren Vorab-Feldtestreihe konnte bereits nachgewiesen werden, dass die Aufnahmefähigkeit für verteilte kleine Photovoltaikanlagen schon mittels lokal autonomer Blindleistungsregelung typisch um mindestens ein Drittel gesteigert werden kann. Das heißt, es kann ein Drittel mehr Photovoltaik ans Netz, ohne dass das Netz ausgebaut werden muss, bei vermutlich niedrigerem Aufwand. Das Überraschende dabei ist, dass der hohe Wert selbst in einem modernen, vollverkabelten Ortsnetz erreicht werden kann, obwohl es nur eine geringere Blindleistungssensitivität hat. Das ist in modernen oder modernisierten Netzen oft der Fall, da Kabelnetze eine geringere Induktivität haben als Freileitungen.

Außerdem kann die durch die dezentrale Einspeisung hervorgerufene Spannungsanhebung mittels einer spannungsabhängigen Wirkleistungsregelung zuverlässig auf einen höchstzulässigen Wert begrenzt werden. Wenn viele PV-Anlagen angeschlossen werden, führt das also im schlechtesten Fall dazu, dass es zu Ertragsverlusten kommt.

Die Stabilität im Netz wird durch die kleinen Anlagen nicht beeinträchtigt. Ein solches sich lokal autonom regulierendes Netz mit der Spannung als Rückkopplung kann zwar im Prinzip in Schwingung geraten, wenn benachbarte Einheiten abwechselnd gegeneinander regeln. Doch die Laborversuche haben gezeigt, dass das bei geeigneter Parametrierung der Algorithmen nicht geschieht. Die Feldversuche dienen auch dazu, Erfahrungen in der Parametrierung zu sammeln. Diese wird nie verallgemeinerbar sein, sondern können an die lokalen Netze angepasst werden.

Wie stark sich die Ertragsverluste weiter reduzieren lassen, indem die Wechselrichter mit der netzweiten Regelung gesteuert werden, sollen die Netzversuche in Zukunft zeigen. Dazu wird es keine allgemeingültige Aussage geben. In sehr heterogenen Netzen mit nicht gleichmäßig verteilten Photovoltaikanlagen ist der Vorteil größer als in homogenen Netzen. Wenn die Kommunikationsmittel, zum Beispiel eine Breitbandverkabelung mit Koaxkabeln, in einem Netzgebiet sowieso schon vorhanden sind, stellt sich die Kosten-Nutzen-Analyse anders dar, als wenn diese extra aufgebaut werden müssen, was aufwendig ist. Für die Variante der Fernregelung ist es wichtig, dass Wechselrichter die Möglichkeit zur dynamischen Rekonfiguration von Betriebsparametern über Kommunikation im laufenden Betrieb erlauben, was auch schon für unsere Wechselrichter eingeführt wurde.

Kleine Anlagen lassen sich integrieren

Zusammenfassend ist zu sagen, dass mit den aktuell verfügbaren Funktionalitäten dezentraler Erzeugungsanlagen bereits heute geeignete Lösungen realisierbar sind, um netztechnische Restriktionen gegenüber dem Ausbau kleiner dezentraler Erzeugungsanlagen zu überwinden. Der Aufwand, die Wechselrichter entsprechend auszustatten, hält sich in Grenzen.

Die rein technischen Herausforderungen der Netzintegration sind damit bereits weitgehend als bewältigt anzusehen. Dagegen liegt die aktuelle und zukünftige Aufgabe vielmehr in der zielorientierten und wirtschaftlich vernünftigen Anwendung netzdienlicher Features, was eine organisatorische Herausforderung darstellt. In diese Kategorie fallen beispielsweise werkseitige Standardeinstellungen von PV-Wechselrichtern, was die Installation einfach hält, rechtlich-regulatorische Rahmenbedingungen für mit Ertragseinbußen verbundene Maßnahmen oder die Vereinheitlichung von Kommunikationsparametern und -schnittstellen. Wahrscheinlich ist zur Bewältigung dieser Integrationsaufgabe auch in gewissem Maß ein Kulturwandel im Zusammenspiel zwischen den energiewirtschaftlichen Akteuren nötig.

Auch dabei gibt es in Österreich vielleicht eine Besonderheit. Im örtlichen und oft auch im organisatorischen Sinn sind hierzulande die Wege zwischen den beteiligten Akteuren kurz. Das trägt wesentlich mit zum Erfolg kooperativer Forschungsprojekte bei und fördert insbesondere das wechselseitige Verständnis der heterogenen Stakeholder im Energiesystem. (Christoph Winter)

Das Projekt DG DemoNet – Smart LV Grid wird aus Mitteln des Klima- und Energiefonds gefördert und im Rahmen des Programms „Neue Energien 2020“ durchgeführt.

Infokasten: Das Vorreiter-Projekt DG DemoNet – Smart LV Grid

Im Vergleich zu den netzbetrieblichen Implikationen der traditionellen Wasserkraftnutzung und dem jüngeren Ausbau der Windkraft übt der heimische Zubau an Photovoltaikanlagen erst in jüngster Zeit signifikanten Druck auf die österreichischen Netze aus. Während Deutschland Ende 2010 bereits 17.320 Megawattpeak an Photovoltaikleistung installiert hatte [BMU, 2012], waren es in Österreich zum selben Zeitpunkt vergleichsweise marginale 154 Megawattpeak [E-Control, 2012]. Diesen Fakten zum Trotz und in Erwartung hoher zukünftiger Zubauzahlen von Photovoltaik wurde 2010 der Grundstein für das breit angelegte Forschungsprojekt DG DemoNet – Smart LV Grid (Laufzeit 2011 bis 2014) gelegt [Einfalt et al., 2012]. Auf die Niederspannungsnetze (daher der Zusatz LV im Namen, das steht für low voltage) kommen durch verteilte Erzeugungsanlagen und Elektrofahrzeuge entsprechende Herausforderungen zu. Netzbetreiber, Technologieunternehmen und inner- sowie außeruniversitäre Forschungsinstitute wollten diese zu einem möglichst frühen Zeitpunkt erkennen, gemeinsam an Lösungen arbeiten und sie zum richtigen Zeitpunkt bereitstellen.

[BMU, 2012] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Erneuerbare Energien 2011. Daten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland im Jahr 2011 auf der Grundlage der Angaben der Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik (AGEE-Stat), o.O., März 2012

[E-Control, 2012] Energie-Control Austria für die Regulierung der Elektrizitäts- und Erdgaswirtschaft: Ökostrombericht 2011 – Bericht der Energie-Control Austria gemäß § 25 Abs. 1 Ökostromgesetz, Wien, November 2012

[Einfalt et al., 2012] A. Einfalt, A. Lugmaier, F. Kupzog, H. Brunner, Control strategies for smart low voltage grids – the project DG DemoNet – Smart LV Grid, Beitrag im Rahmen des CIRED Workshops 2012, Lissabon, Mai 2012

Der AutorChristoph Winter arbeitet bei Fronius als PV-Systemtechniker an Forschungsprojekten zur Netzintegration.Bei Fronius reihen sich diese Projekte ein in die Vision 24H Sonne. Unter diesem Stichwort treibt das Unternehmen die Kombination erneuerbarer Energien und Speicher voran, unter anderem mit einer dezentralen Power-to-Gas-Technologie.

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