Die Transformation der Stromversorgung in Deutschland hat bereits eine Schwelle erreicht, an der es nicht mehr alleine ausreicht, Leistungsbilanzen von Erzeugung und Verbrauch sicherzustellen. Vielmehr ist es dringend notwendig, eine vorausschauende Planung der Netzregelverfahren durchzuführen. Der Zubau dezentraler Photovoltaikgeneratoren und Wind-energieanlagen, deren Stromerzeugung offensichtlich stark wetterabhängig ist, verursacht eine viel stärker zeitabhängige Zusammensetzung des Kraftwerkparks. Während an einem sonnigen Mittag überwiegend dezentrale, stromrichtergekoppelte Solaranlagen den Strombedarf decken, können in einer windstillen Nacht fast ausschließlich konventionelle Kraft-werke mit ihren rotierenden Synchrongeneratoren dominieren. Die Netzstabilität ist natürlich jederzeit sicherzustellen. Damit ergeben sich neue Anforderungen zur Steuerung der Netzdienstleistungen. Beispielsweise ist die notwendige Regelleistungsreserve stärker zeitabhängig, und die „natürliche“ Zeitkonstante des Netzes ändert sich mit dem Anteil rotierender Generatoren. Bestimmte Eigenschaften stromrichtergekoppelter Einheiten müssen bereits heute vorgesehen werden, damit sie im zukünftigen Bedarfsfall verfügbar sind. Eine besondere Herausforderung ist es deshalb, die entsprechenden Netzanschlussrichtlinien in Abwägung von Netzstabilität und Systemkosten unter Berücksichtigung möglicher Aufgabenverteilungen schrittweise weiterzuentwickeln.
Entwicklung des Kraftwerksparks Der Anteil von dezentralen Erzeugungsanlagen (DEA) mit fluktuierender Leistungsabgabe (wie zum Beispiel Photovoltaik- und Windenergieanlagen) an der deutschen Stromerzeugung hat in den letzten Jahren rasant zugenommen. Ein sehr großer Anteil ist im Verteilungsnetz in den Mittel- und Niederspannungsebenen angeschlossen. Die Grafik rechts zeigt die sich laut Nationalem Aktionsplan [1] ergebende Zusammensetzung des Kraftwerkparks bis 2020 beziehungsweise die Entwicklung entsprechend der Leitstudie 2010 [2] bis zum Jahr 2050. Das Szenario zeigt einen starken Anstieg stromrichterbasierter DEA (Wind und PV), während der prozentuale Anteil der Erzeugung durch konventionelle Kraftwerke mit rotierenden Generatoren stark zurückgeht.
Netzstabilität Die Netzstabilität im klassischen Sinne berücksichtigt im Wesentlichen folgende Effekte: Verbleiben am Netz oder Ausfall von einzelnen rotierenden Generatoren bei Netzfehlern (Polradwinkelstabilität beziehungsweise statische und dynamische Stabilität) Lokale Spannungssenkungen durch Betriebsstörungen bis zur kritischen Grenze (Spannungsstabilität) Frequenzänderungen im ganzen Verbundsystem bei Ungleichgewichten zwischen Einspeisung und Entnahme der Wirkleistung (Frequenzstabilität) Bisherige Betrachtungen der Netzstabilität basieren auf der Annahme, dass rotierende Synchrongeneratoren das Netzverhalten dominieren. DEA werden aber meist über leistungselektronische Stellglieder, Stromrichter, an das elektrische Netz angeschlossen. Das Verhalten dieser Einheiten unterscheidet sich gegenüber der konventionellen Energieerzeugung mit rotierenden Generatoren in wesentlichen Punkten. Der Stromrichter besitzt kein inhärentes Verhalten, welches zur Netzstabilität beiträgt. Jedoch kann durch eine gezielte Regelung des Stromrichters ein Verhalten erreicht werden, das flexibler und teilweise schneller als das eines rotierenden Generators ist. Diese Eigenschaften von leistungselektronischen Stellgliedern müssen für die zukünftige Auslegung und Regelung des Netzes berücksichtigt werden. Insbesondere hinsichtlich der Netzstabilität müssen Funktionen, die bei einem vermehrten Einsatz von Stromrichtern im Netz notwendig werden, im Rahmen von Netzanschlussrichtlinien von leistungselektronischen Stellgliedern gefordert werden.
Störszenarien Für die Bewertung der Netzstabilität müssen verschiedene Störszenarien einbezogen werden. Wichtig bei der Kategorisierung ist, dass Störungen einen Einfluss auf das Gesamtsystem haben können und nicht lokal begrenzt sind (siehe Tabelle 1).
Zukünftige Kraftwerkseigenschaften DEA verfügen schon heute, aufgrund der gültigen Netzanschlussrichtlinien der Hoch-, Mittel- und Niederspanungsebene, über eine Vielzahl von Kraftwerkseigenschaften. In Tabelle 2 wird eine Auswahl weiterer Kraftwerkseigenschaften aufgeführt, die bei einer Reduktion von konventionellen „Must-Run-Units“ auch durch DEA bereitgestellt werden müssten, um die Netzstabilität weiterhin gewährleisten zu können.
Momentanreserve: Durch die stärkere Durchdringung mit Stromrichtern wird die Trägheit des elektrischen Systems verringert werden. Die Folge wird sein, dass Ungleichgewichte in Erzeugung und Verbrauch eine stärkere Auswirkung auf Frequenzänderungsgeschwindigkeiten und -abweichungen haben werden. Ein Ausgleich kann durch eine virtuelle Massenträgheit, bereitgestellt durch DEA, erfolgen [3].
Übertragungsnetz | Übertragungsnetz – Ausfall von Übertragungsleitungen oder Kraftwerken- Kurzschluss- Lastsprung- Verletzung der Spannungsgrenzen- Auftrennung in Teil- und Inselnetze |
Dynamik Wetter | Positive und negative Leistungsgradienten durch Wettereinfluss |
Kuppelstellen im Übertragungsnetz | Änderungen Leistungsaustausch mit angrenzenden Regelzonen aufgrund eines Störfalls |
Tabelle 1: Mögliche Störszenarien mit Einfluss auf die Netzstabilität.
Frequenzregelung: Ein Schwerpunkt zukünftiger Kraftwerkseigenschaften wird in der Wirkleistungsregelung liegen. Heutzutage wird diesbezüglich nur eine Abregelung gefordert, da durch die Volatilität der Sonneneinstrahlung und die Maximierung der Einspeisung diese üblicherweise im Maximum Power Point betrieben werden. Sollen jedoch konventionelle Kraftwerke reduziert werden, die die Frequenzregelung unterstützen, müssen in Zukunft auch DEA positive Regelleistung bereitstellen können. Die Bereitstellung der zusätzlichen Wirkleistung über einen gewissen Zeitraum könnte zum einen durch einen separaten Energiespeicher oder durch einen angedrosselten Betrieb der DEA erfolgen.
Blindleistungsbereitstellung: Heutige DEA haben bereits eine große Flexibilität hinsichtlich einer Blindleistungsbereitstellung. Diese wird hauptsächlich dazu genutzt, um eine lokale Spannungsregelung im Verteilungsnetz durchführen zu können. Zukünftig kann es interessant werden, dass dem Übertragungsnetz die benötigte Blindleistung auch aus dem Verteilungsnetz bereitgestellt wird. Hier liegt es im Besonderen am Verteilungsnetzbetreiber, vorhandene DEA in seinem Netzgebiet entsprechend anzusteuern.
Spannungsqualität: Die gezielte Kompensation von Harmonischen und eine Symmetrierung der Spannung können wichtige Aufgaben von dezentralen Erzeugungsanlagen werden, damit die verbleibenden rotierenden Generatoren und sonstige Betriebsmittel nicht unzulässig belastet werden.
Netzbildung: Für den Übergang von einem Systemverhalten, das durch rotierende Generatoren dominiert wird, hin zu einem stromrichterdominierten System werden DEA auch netzbildende Eigenschaften haben müssen, das heißt diese Anlagen werden aktiv einen Teil der Frequenzführung und Spannungshaltung übernehmen, damit auch die Must-Run-Units abgeschaltet werden können.
Roadmap für Einführung neuer Kraftwerkseigenschaften Aktuelle Maßnahmen zu einem Retrofit von DEA zeigen, dass eine verspätete Einführung von Kraftwerkseigenschaften zu hohen Kosten führen kann und aufwendig in der Umsetzung ist. Deshalb ist es für die weitere Gestaltung der Energiewende wichtig, dass notwendige Kraftwerkseigenschaften rechtzeitig verfügbar sind.
Kraftwerkseigenschaft | Notwendigkeit eines Energiespeichers | Zu beeinflussende Regelungsgrößen |
---|---|---|
Schwarzstart | Ja | Spannung/Frequenz |
Inselnetzbetrieb | Ja | Spannung/Frequenz |
Power System Stabilizer | Ja | Wirkleistung |
Bereitstellung von Momentanreserve | Ja/Nein1 | Wirkleistung |
Primärregelleistung | Ja/Nein1 | Wirkleistung |
Positive P-Gradientenbegrenzung | Nein | Wirkleistung |
Negative P-Gradientenbegrenzung | Ja | Wirkleistung |
P-Steigerung bei Unterfrequenz | Ja/Nein1 | Wirkleistung |
Durchfahren von Spannungseinbrüchenmit schneller Wirkleistungswiederkehr | Nein | Wirkleistung |
Sekundärregelleistung | Ja/Nein1 | Wirkleistung |
Minutenreserve | Ja/Nein1 | Wirkleistung |
Unsymmetrieausregelung | Nein | Mit-/Gegensystem |
Kompensation von Harmonischen | Nein | Oberschwingungsstrom |
Q-Bereitstellung zur Spannungsregelungim Übertragungsnetz | Nein | Blindleistung |
Q-Bereitstellung bei Netzfehlern im Übertragungsnetz | Nein | Blindleistung |
Spannungsregelung | Nein | Blindleistung |
1 Bei PV: Dauerhafter Betrieb außerhalb des Maximum Power Point notwendig, um positive Leistungsreserve verfügbar zu haben. |
Tabelle 2: Kraftwerkseigenschaften und Zuordnung zu Regelgrößen des Netzes.
Um Herstellern und Netzbetreibern eine belastbare Planungsgrundlage für die Entwicklung und Einführung dieser Kraftwerkseigenschaften geben zu können, ist es essentiell eine Roadmap für die Einführung neuer Kraftwerkseigenschaften zu entwickeln. Diese sollte auf fundierten wissenschaftlichen Netzstudien beruhen. Für diese Fragestellungen gibt es erste Aktivitäten von diversen Institutionen (zum Beispiel FNN/VDE, Fraunhofer-IWES-Projekt DEA-Stabil, EU-Projekt Reservices [4]).
In dieser Roadmap sollten die Zeitpunkte, ab wann welche Kraftwerkseigenschaft eingeführt werden muss, in Abhängigkeit des Durchdringungsgrads von stromrichtergekoppelten DEA angegeben werden. Neben den technischen Fragestellungen muss bei dieser Roadmap aber auch mit einbezogen werden, welche Kosten durch diese neuen Kraftwerkseigenschaften für die jeweiligen Erzeuger entstehen und welche Komponenten diese jeweils am wirtschaftlichsten übernehmen könnten.
Ein für alle Generatortypen abgestimmter Zeitplan für die Anpassung der Netzanschlussrichtlinien ist derzeit noch nicht verfügbar und sollte deshalb unter Beteiligung aller relevanter Akteure – Netzbetreiber, Hersteller, Regulatoren und Forschungsinstitute – erarbeitet werden.
Literatur [1] Nationaler Aktionsplan für erneuerbare Energie gemäß der Richtlinie 2009/28/EG zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen.
[2] Leitstudie 2010: Langfristszenarien und Strategien für den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland bei Berücksichtigung der Entwicklung in Europa und global. BMU – FKZ 03MAP146 , Arbeitsgemeinschaft: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Stuttgart, Institut für Technische Thermodynamik, Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) Kassel, Ingenieurbüro für neue Energien (IFNE) Teltow, Dezember 2010 [3] Ph. Strauß: Einfluss des Frequenzverhaltens kleiner Generatoren und Lasten auf Stromnetze unter besonderer Berücksichtigung großer Netzstörungen. Dissertation, Universität Kassel, Technology and Science Publishers, Kassel, 2009 [4] http://www.reservices-project.eu/Autoren Dr. Philipp Strauß leitet seit dem Jahr 2002 den Bereich Anlagentechnik und Verteilungsnetze am Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES). Er ist Herausgeber des „International Journal of Distributed Energy Resources and Smart Grids“, das er im Jahr 2004 gegründet hat. Im Jahr 2008 gründete er DERlab e. V., „European Distributed Energy Resources Laboratories Association“, in dem er Vorstandsmitglied ist.
Dr. Thomas Degner leitet die Abteilung Netztechnik und Integration im Bereich Anlagentechnik und Verteilungsnetze am Fraunhofer IWES. Derzeitige Forschungsschwerpunkte umfassen die Weiterentwicklung von Netzanschlussrichtlinien und Prüfvorschriften für den Netzanschluss von Erzeugungsanlagen sowie die Netzregelung bei dezentraler Erzeugung in Verbundnetzen und Inselnetzen.
Dominik Geibel leitet die Gruppe Netzregelung und Netzdynamik am Fraunhofer IWES. Seine Forschungsschwerpunkte beinhalten die Regelung und Betriebsführung von multifunktionalen Stromrichtern, die Netzintegration von erneuerbaren Energien, die Prüfung von dezentralen Erzeugern gemäß Netzanschlussrichtlinien sowie die Thematik der Netzregelung.
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