Erklärt, aber nicht einschätzbar

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Als eines der wichtigsten Argumente von Afase gegen die Einführung der Zölle auf kristalline Solarmodule aus China ist, dass dadurch in Europa viele Arbeitsplätze verloren gingen. Dazu hat die Organisation schon im Februar eine Studie des Marktforschungsinstituts Prognos veröffentlicht. Zu den im wahrsten Sinne des Wortes horrend zu nennenden Zahlen hatte die Redaktion etliche Fragen und um Aufklärung gebeten. Hier die Antworten von Prognos.

1. Rückgang des Zubaus bei einer Einführung von Zöllen

Prognos berechnet mit einem Modell die Zubauzahlen für die einzelnen europäischen Länder. Für Deutschland kommen die Marktforscher zu dem Schluss, dass mit 20-prozentigen Zöllen der Photovoltaik-Zubau 3,6 Gigawatt beträgt und mit 35-prozentigen Zöllen nur 2,7 Gigawatt. Dem stellen sie jedoch nicht eine Berechnung mit ihrem Modell gegenüber, was geschieht, wenn es keine Zölle gibt. Es fehlt also die Nulllinie, anhand derer sich die Plausibilität der Zahlen einschätzen lässt. Stattdessen wird das so genannte "policy driven" Szenario des europäischen Solarindustrieverbandes EPIA genutzt, das für Deutschland zum Zeitpunkt der Studie fünf Gigawatt Zubau sah. Den Verlust an Zubau berechnet Prognos im Vergleich zu dieser Zahl. Das gibt Anlass nachzufragen, ob  mit den Zahlen manipuliert wird.

Die Prognos-Experten antworteten, dass sie das EPIA-Szenario gewählt haben, weil sie deren Aussage teilen und weil sie nicht mit einer eigenen Marktprognose in die Öffentlichkeit gehen wollten.

Wie der Markt auf Preiserhöhung reagiert, zum Beispiel durch Zölle, wird in dem Modell durch die Größe "Return of Invest" bestimmt. Den Zusammenhang zwischen Return of Invest und Zubau haben die Forscher nach eigener Aussage bestimmt, indem sie Investoren befragt haben. Allerdings sei es natürlich ein sehr subjektives Feld, da die Renditeerwartung auch von den alternativen Investitionsmöglichkeiten abhängt, was sich für verschiedene Investoren wiederum verschieden darstellt. Intern haben die Marktforscher nach eigener Aussage auch den Fall gerechnet, dass keine Zölle erhoben werden, um ihr Modell zu testen. Da sei ungefähr die gleiche Größenordnung wie beim EPIA „policy driven“ Szenario herausgekommen, in Deutschland sogar etwas mehr als die fünf Gigawatt.

2. Eigenverbrauch in Spanien

Bei der Berechnung der Zubauzahlen für Spanien nimmt Prognos an, dass Eigenverbrauch eine große Rolle spielt. Allerdings ist Eigenverbrauch in Spanien bei Anlagen über 100 Kilowattpeak genehmigungspflichtig. Da Prognos nicht bekannt ist, dass der Eigenverbrauch schon abgelehnt einmal worden sei, haben die Forscher diese Annahme getroffen. Ohne Eigenverbrauch sei der Markteinbruch durch Zölle im Übrigen größer als mit Eigenverbrauch. Das hängt allerdings auch davon ab, welchen Zubau das Modell für denn Fall ohne Zölle prognostiziert.

3. Arbeitsplätze

Prognos berechnet, dass bei Zöllen in Höhe von 60 Prozent in der EU im dritten Jahr auch Einführung des Zolls 242.800 Arbeitsplätze verloren gehen würden, davon 84.700 in Deutschland, bei 20 Prozent Zoll immerhin noch 175.000. Zu diesem Schluss kommen die Forscher, da durch den reduzierten Photovoltaik-Zubau zwischen 7,8 und 10,2 Milliarden Euro Bruttosozialprodukt verloren gingen. An diesen Zahlen verwundert auf den ersten Blick, wie hoch sie sind. Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) schätzte im Jahr 2011 die Zahl der Arbeitsplätze in der deutschen Solarindustrie insgesamt auf "nur" 133.000. Seitdem dürfte die Zahl eher gesunken als gestiegen sein. Da käme die Prognos-Zahl von einem Verlust von rund 84.000 Arbeitsplätzen schon relativ nahe an die Gesamtzahl heran, was unglaubwürdig wäre. Um die Zahl einzuschätzen, würde man deshalb gerne in der Studie lesen, wie viele Menschen überhaupt in der Solarbranche arbeiten. Prognos hat die absoluten Zahlen jedoch nicht angegeben.

Im Interview erklärt Prognos die Berechnungsmethode, die sehr abstrakt ist. Zölle reduzieren den Zubau. Das reduziert die Wertschöpfung im Solarsektor. Dann nehmen die Forscher so genannte IO Tabellen der OECD zu Hilfe. Diese schlüsseln auf, wie viel Wertschöpfung aus welchen Branchen in einem bestimmten Produkt steckt, in diesem Fall also in den Solarmodulen. Sie enthalten auch Produktivitäten, so dass eine Verbindung zu Arbeitsplätzen hergestellt wird. Laut Prognos ist diese Vorgehensweise eine übliche Methode.

Die Absolutzahl lässt sich mit einem Dreisatz schätzen, wenn man akzeptiert, dass das EPIA Zubauszenario die Nulllinie ist. Bei 60 Prozent Zöllen sinkt der Zubau nach Prognos Berechnung dann von 14,8 auf 7 Gigawatt. Dadurch gehen 269.800 Arbeitsplätze verloren. Ein Dreisatz ergibt, dass ohne Zölle 570.000 Menschen durch den Zubau und die damit auf allen Ebenen erzeugte Wertschöpfung Arbeit finden. Für Deutschland ergibt der Dreisatz 234.400 Arbeitsplätze für einen Zubau von fünf Gigawatt.

Allerdings steckt in der Berechung eine Nährung. Ein heute gekauftes Modul wird auf Maschinen gefertigt, die schon vor ein, zwei oder drei Jahren gekauft wurden. Die Arbeitsplätze im Maschinenbau, die so gezählt werden, existieren also unter Umständen schon nicht mehr. Eine solche Berechnung funktioniert gut, wenn eine Branche stabil ist und die Investitionen im Wesentlichen aus gleich bleibenden Ersatzinvestitionen besteht. In dem volatilen Markt der Photovoltaik mit Perioden starken Wachstums, Stagnation und Insolvenzen führt sie zu Fehlern. So ist schon 2012 der Umsatz von Maschinen für die Solarindustrie auf die Hälfte von 2011 gefallen. Und dieses Jahr sieht es für die Maschinenbauer ja auch ohne Zölle nicht rosig aus.

Prognos führt hierzu an, dass Maschinen üblicherweise eine Abschreibungsdauer von drei bis vier Jahren hätten, so dass es schon jetzt zu Ersatzinvestitionen käme.

Prognos hat nach eigenen Angaben jedoch einen Plausibilitätscheck für die Berechnung gemacht. Dazu haben die Forscher ausgerechnet, wieviel Wertschöpfung mit einem wegfallenden Arbeitsplatz im Durchschnitt in ihrem Modell erwirtschaftet würde. Sie kommen auf 40.000 Euro, was sie in dieser Branche für angemessen halten. Der europäische Solarindustrieverband EPIA habe diesen Wert zum Beispiel auf 30.000 Euro geschätzt. Danach sei das eigene Ergebnis eher noch konservativ in Bezug auf Arbeitsplatzverluste.

Mit diesem Argument lässt sich immerhin spielen. Bei einer Reduktion des Zubaus um 2,5 Gigawatt werden bei Systemkosten von 1300 Euro pro Kilowattpeak 3,25 Milliarden Euro weniger investiert. Bei einer Wertschöpfung von 30.000 Euro pro Arbeitsplatz entspricht das 108.000 Arbeitsplätzen. Wenn von der Wertschöpfung aber sowieso nur 60 Prozent in Deutschland bleiben und der Zubau nur um ein Gigawatt einbrechen sollte, sind 26.000 Arbeitsplätze betroffen.

Fazit

Die Fragen der Redaktion hat Prognos beantwortet. Nachprüfen können wir die Berechnung trotzdem nicht. Dazu ist sie zu komplex und es spielen zu viele uns unbekannte Parameter hinein. Wie man die Aussagen von Prognos einschätzt, hängt dadurch schlicht an der Glaubwürdigkeit, die man Prognos gibt.

Ist es ein Argument zum Nachteil der Studie, dass sie so kompliziert gerechnet ist? Es ist denkbar, dass es nicht einfacher geht, sicher ist es nicht. Es bleibt zu wünschen, dass Forscher, wenn sie mit einer solchen Studie in die Öffentlichkeit gehen, die auch noch im Auftrag einer Organisation mir starken Interessen stattfindet, den Lesern einfache und nachvollziehbare Plausibilitätschecks mitgibt, Ergebnisse im Zusammenhang mit anderen Ergebnissen erklären und nachvollziehbar machen. Das würde ihre Glaubwürdigkeit deutlich erhöhen. (Michael Fuhs)

Alles rund um das Thema Zölle finden Sie auch in unseremSpezial, unter anderem eine umfangreiche Liste mit wichtigen Fragen und Antworten.

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