Mit Brief und Siegel

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Der Dichtstoff rund um die Module weist millimetergroße Lücken auf, die Dachhaken liegen unmittelbar auf den Pfannen auf und sind darüber hinaus viel zu klein, und die Verkabelung berührt das Metall: Ein solches Bild hat sich Christian Keilholz schon so manches Mal geboten, wenn er eine Anlage überprüfen sollte. Keilholz ist einer von vielleicht 40 Sachverständigen für Photovoltaik in Deutschland. Die genaue Zahl zu ermitteln ist schwierig, denn der Titel ist nicht geschützt. Jeder kann sich Sachverständiger oder Gutachter nennen. Zudem sind viele Sachverständige hauptsächlich Experten für das Elektrohandwerk; Photovoltaik ist für sie nur ein Teilgebiet. Für Photovoltaik-Gutachter gibt keine einheitliche Ausbildung und keinen Kriterienkatalog, der verbindlich festlegt, welche Kenntnisse sie haben müssen.

Einige Fachleute setzen deshalb auf den Titel „öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger“, um sich von der Masse abzuheben und ein zusätzliches Qualitätsmerkmal bieten zu können. Doch viele scheuen den Zeitaufwand und die Kosten für die Zusatzqualifikation, deshalb gibt es deutlich mehr freie Gutachter. Eine steigende Zahl von ihnen erwerbe allerdings in nur neun Tagen ein Zertifikat des TÜV Rheinland zum Photovoltaik-Gutachter, wie Akademie-Leiter Michael Reichmann im Interview auf Seite 132 berichtet. Keilholz hingegen hat sich den aufwendigeren Weg vorgenommen: Er will sich um die öffentliche Bestellung und Vereidigung bewerben: „Vor Gericht hat ein öffentlich bestellter und vereidigter Gutachter einen höheren Stellenwert als ein freier.“ Im Gegensatz zu freien Gutachtern arbeiten deren öffentlich bestellte und vereidigte Kollegen sozusagen mit Brief und Siegel: Sie werden behördlich geprüft und kontrolliert, erhalten eine Urkunde,einen Stempel. Sinn und Zweck ist es, Gerichten, Behörden sowie der Öffentlichkeit „besonders sachkundige und persönlich geeignete Sachverständige zur Verfügung zu stellen, deren Aussagen besonders glaubhaft sind“, heißt es in der Sachverständigenordnung des Landes Nordrhein-Westfalen.

Diese Sachverständigen erstellen zum Beispiel Gutachten, die für ein Gerichtsverfahren benötigt werden. Da an solche Schriftstücke und an die Person, die sie verfasst, hohe charakterliche und fachliche Anforderungen gestellt werden, ist das Verfahren entsprechend kompliziert. Bewerber müssen mindestens 30 und dürfen höchstens 62 Jahre alt sein, und alle fünf Jahre wird die Bestellung überprüft. Mit 68, spätestens aber mit 71 Jahren muss der Sachverständige aus Altersgründen sein Siegel zurückgeben.

Um sicherzustellen, dass der Sachverständige wirtschaftlich unabhängig ist,werden seine Finanzen überprüft; dazu muss er eine Steuerunbedenklichkeitserklärung vom Finanzamt vorlegen. Außerdem wird ein polizeiliches Führungszeugnis verlangt. In speziellen Seminaren werden Sachverständige zudem in juristischen Grundkenntnissen geschult: Sie lernen, wie man sich vor Gericht zu verhalten hat und wie ein Gutachten formuliert wird. Und natürlich werden auch die fachlichen Kompetenzen überprüft.

Hier unterscheiden sich die Verfahren: Je nach der Qualifikation eines Bewerbers ist für die Bestellung entweder die örtliche Handwerks- oder die Industrie- und Handelskammer (IHK) zuständig. Solarexperten mit Fachhochschulstudium wenden sich an die IHK, solche mit einer handwerklichen Ausbildung an die Handwerkskammer.

Studium oder Meister

Für Sachverständige, die sich von der IHK bestellen lassen, gelten bundesweit einheitliche Bestellungsvoraussetzungen, herausgegeben vom Institut für Sachverständigenwesen (IfS) in Köln. Sie legen fest, welche theoretischen und praktischen Kenntnisse ein Bewerber nachweisen muss. Dazu gehört neben Grundlagen der Elektrotechnik und der Halbleiterelektronik auch Wissen um Meteorologie und Strahlungsphysik. Als wichtige Bestellungsvoraussetzung wird ein abgeschlossenes Studium, vorzugsweise der Elektrotechnik oder Energietechnik, verlangt oder der Nachweis langjähriger Berufserfahrung auf diesem Sachgebiet.

Die IHK Kassel ist derzeit dabei, ein Fachgremium für das Bestellungsgebiet „Photovoltaik/Photovoltaische Anlagentechnik“ zur Überprüfung der besonderen Sachkunde von Bewerbern zu bilden. 2012 soll erstmals eine solche Überprüfung in Kassel stattfinden.

Bei den Handwerkskammern gibt es keine einheitlichen Bestellungsvoraussetzungen. Der Sachverständige für Photovoltaik existiert nur als Spezialisierung des Dachdeckers oder Elektrotechnikers. „Man kann von der Handwerkskammer nur in dem Beruf als Sachverständiger bestellt werden, in dem man auch den Meistertitel führt – und einen Meister für Photovoltaik gibt es nicht“, erklärt Klaus Schmitz, Referent der Abteilung Recht beim Zentralverband des Deutschen Handwerks. Man folge den Empfehlungen des Zentralverbandes der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH), der Photovoltaik als Teilbereich des Elektrotechnikerhandwerks sehe. Schließlich sei Photovoltaik auch Bestandteil der Meisterprüfung auf diesem Gebiet.

Beide Bestellungsverfahren sind aufwendig und können sich unter Umständen mehr als ein Jahr hinziehen. Das liege auch daran, dass die Gremien, die die Bewerbungen prüfen, nur ein bis zwei Mal im Jahr tagen, erklärt Angelika Morisse, bei der IHK Köln zuständig für das Sachverständigenwesen. Bei Tobias Lebherz hat es sogar mehr als vier Jahre gedauert. Der „Sachverständige für das Elektrotechnikerhandwerk, Teilgebiet Photovoltaik“ war 1999 einer der ersten, die sich von einer Handwerkskammer für dieses Gebiet bestellen ließen. „Man muss am Ball bleiben, es wird einem nichts geschenkt“, beschreibt Tobias Lebherz das Verfahren. Doch die zusätzliche Qualifikation war es ihm wert. „Vor allem von den Fortbildungen habe ich enorm profitiert.

Steigende Nachfrage

Mehr Geld verlangen kann ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger übrigens nicht – jedenfalls nicht vor Gericht. Hier gilt das Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG). „Aber so etwas macht man nicht des Geldes wegen“, findet Lebherz. Zumal die Bestellung die Bewerber erst einmal einiges kostet. Die Gebühren für die Bestellung sowie die notwendigen Fortbildungen und Prüfungen variieren je nachBundesland und Bestellungskörperschaft, bei der IHK Köln betragen sie beispielsweise 800 Euro für die Bestellung und 1.500 Euro für die Fachkundeprüfung, ein zweitägiges Seminar beim IfS, das die Grundlagen der Sachverständigentätigkeit vermittelt, schlägt mit 320 Euro zu Buche.

Sorge, diese Investition könne sich womöglich am Ende nicht auszahlen, muss nach Meinung von Experten niemand haben, allgemein wird mit einer steigenden Nachfrage nach Photovoltaik-Gutachten gerechnet. Der Grund dafür liegt nicht nur in der gestiegenen Zahl der Anlagen. „Viele Anbieter legen kaum Wert auf Qualität und Langzeitstabilität“, lautet die Erfahrung von Christian Keilholz, „und die meisten installierten Anlagen haben gerade ein Viertel ihrer Lebensdauer hinter sich, viele Mängel werden erst in den nächsten Jahren sichtbar.“

Fallstricke erkennen lernen

Herr Reichmann, wie profitieren die Teilnehmer von der Weiterbildung zum Photovoltaik-Gutachter?

Wenn Anlagen nicht die prognostizierten Erträge bringen, gibt es oft Streit. In einem Installationsbetrieb ist man deshalb schnell mit Gutachten konfrontiert, die Arbeitsmängel feststellen. Die meisten unserer Teilnehmer wollen deshalb in erster Linie erkennen lernen, ob solche Schriftstücke korrekt erstellt oder wie sie angreifbar sind. Es ist für sie natürlich auch wichtig zu wissen, wie man ein Gegengutachten verfassen kann. Für einige ist die Sachverständigenkompetenz außerdem ein zweites berufliches Standbein. Und viele möchten einfach ein Zertifikat, das ihnen von unabhängiger Stelle ihr Können bescheinigt. Gutachter oder Sachverständiger kann sich schließlich jeder nennen, die Titel sind nicht geschützt.

Wie wählen Sie denn dann Bewerber aus?

Sie brauchen ein Ingenieursstudium oder einen ähnlichen Hochschulabschluss plus zwei Jahre Berufserfahrung an solartechnischen Anlagen. Mit drei Jahren Erfahrung können auch Bautechniker, Elektriker-, Dachdecker- oder Zimmermeister anfangen. Ansonsten besteht die Möglichkeit, mit anderen photovoltaikrelevanten Berufsabschlüssen anzutreten und fünf Jahre Planung und Installation von solartechnischen Anlagen nachzuweisen. Aber das muss die absolute Ausnahme sein.

Laufen Sie nicht Gefahr, dass etwa Dachdeckern oder Zimmermeistern das elektrotechnische Wissen fehlt?

Sie sind natürlich keine Elektriker und können nur im Bereich Dach und Montage gutachterlich prüfen. Durch den ganzen Kurs zieht sich der Grundsatz: Erkenne deine Grenzen. Das gilt auch für Elektriker, und das sind die meisten unserer Teilnehmer. Wenn Kunden zum Beispiel eine Anlage auf ein marodes Dach bauen möchten und das nachher einstürzt, soll der Elektriker schuld sein. Er muss sich also vorher externes Fach-Know-how von einem Bautechniker, Architekten, Zimmerer oder Dachdecker einholen. Ein Gutachter kann nur erfolgreichFallstricke erkennen lernen sein, wenn er ein gutes Netzwerk hat. Es sind drei entscheidende Punkte, die ihn auszeichnen: Die Erstqualifikation wie zum Beispiel ein Studium, Spezialwissen, wie wir es vermitteln und abprüfen – und Erfahrung. Sie ist die entscheidende Größe.

Welche Inhalte lehren Sie die angehenden Gutachter?

In den ersten zwei von neun Tagen geht es um Basiswissen in den Bereichen Technik sowie Kosten und Erlöse, in den nächsten drei um typische Fehlerquellen in Anlagenplanung, Statik und Montage und um Baurecht. Abschließend unterrichten wir drei Tage Sachverständigenwesen. Die Teilnehmer lernen, ein Gutachten zu erstellen und wie sie sich vor Gericht verhalten müssen. Am neunten Tag ist Prüfung. Wir bieten die Kurse deutschlandweit an, meistens in unseren Räumen, aber auch zusammen mit Firmen-Partnern aus der Solarbranche. Die Referenten und Inhalte kommen aber immer von uns.

Das klingt nach viel Stoff für nur neun Kurstage …

Das ist natürlich eine kurze Zeit. Die meisten Sachverständigen haben sich allerdings ohne externe Prüfung selbst zu solchen ernannt – wenn sie nicht zu den wenigen öffentlich bestellten und vereidigten gehören. Wir geben in erster Linie eine Hilfestellung, möchten auf Fallstricke und häufige Fehler aufmerksam machen. Wir schneiden im Kurs zum Beispiel das Thema Mediation an, was in Streitfällen wichtig ist, in denen ein Gutachter gerufen wird. Das ist keine Mediatoren-Ausbildung, aber eine Sensibilisierung für das Thema. Außerdem bekommt nicht jeder unser Zertifikat: In der Prüfung zum Gutachter fallen etwa 30 Prozent durch. Wir prüfen nämlich nicht nur den reinen Kursstoff. Unsere Fragen kann man ohne ein fundiertes Vorwissen und viel Erfahrung nicht beantworten.

Das Gespräch führte Birthe Bruhns.

Weitere Informationen zum Kurs gibt es beim TÜV:www.tuv.com

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Weitere Informationen:

Die fachlichen Bestellungsvoraussetzungen für Sachverständige „Photovoltaik und Photovoltaische Anlagentechnik“ gibt es beim Institut für Sachverständigenwesen auf

www.ifsforum.de

Die wichtigsten Informationen zum Sachverständigen im Handwerk gibt es bei der Sachverständigen-Datenbank des Handwerks auf

www.svd-handwerk.de

Informationen über das Bestellungsverfahren erhalten Interessenten auch bei ihrer regional zuständigen IHK oder Handwerkskammer.

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