Japans heißes Thema

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In Japan verzichten die Angestellten mittlerweile auf Krawatten. Die formale japanische Geschäftskultur verabschiedet sich von ihren strengen Traditionen, die Anzug und Krawatte im Büro vorschreiben. Es geht zunehmend leger zu. Der Grund für diesen Wandel: Energiesparmaßnahmen angesichts der Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi. Daher müssen Klimaanlagenwährend der heißen und feuchten Sommermonate ausgeschaltet bleiben. Die Menschen müssen sich auf höhere Temperaturen einstellen. „Ich sehe es positiv. Wenn man in Singapur gearbeitet hat, wo die Bürokleidung weniger formal ist, dann ist das eine Erleichterung“, sagt Brooks Herring, Vizepräsident für Kommunikation und Betriebsorganisation beim japanischen DünnschichtherstellerSolar Frontier. Er sieht die Möglichkeit, lockerer zu werden, als eine Chance inmitten der Widrigkeiten. Und für die Photovoltaikbranche sind die Möglichkeiten für weiteres Wachstum in der Post-Fukushima-Ära erheblich.

In den Wochen und Monaten nach dem Erdbeben, dem Tsunami und der folgenden Kernschmelze in Fukushima wird deutlich, dass diese Möglichkeitengrößtenteils vom starken Wandel der öffentlichen Meinung in Sachen Energie herrühren. Es gab einen raschen Wandel weg von der Kernenergie als Status quo hin zu sicheren und sauberen Alternativen. Die Unfähigkeit der Funktionäre und Ingenieure der Tokyo Electric Power Company (Tepco), das Austreten der radioaktiven Strahlung zu verhindern, hat zu Angst der Menschen vor Strahlung in den Grundnahrungsmitteln wie Fleisch, Tee und Reis geführt. Andrew DeWit, Public Policy Expert an der Tokioter Rikkyo-Universität, hält die Kehrtwende der öffentlichen Meinung für extrem. „Waren 2009 noch 20 Prozent der Menschen für eine Abkehr von der Kernenergie, so sind es heute mehr als 70 Prozent.“

Neue Ausbauziele

Als Reaktion auf diese grundlegende Veränderung hat Premierminister Naoto Kan sofort die Regierungspolitik angepasst. Der „Basic Energy Plan“ zielte ursprünglich auf eine nukleare Zukunft in Japan ab, wobei zum Jahr 2030 mehrals 50 Prozent des Stroms durch Kernkraftwerke erzeugt werden sollten. Kan verlangte nun eine komplette Neubewertung des Plans und gab bei der Jubiläumsfeier in Paris zum 50-jährigen Bestehen der OECD als neues Ziel einen Anteil von 20 Prozent an erneuerbarer Energie bis zum Jahr 2020 an. Ursprünglich sollte diese Zielmarke erst 2030 erreicht werden. Seitdem scheint sich seine Haltung zugunsten erneuerbarer Energien gefestigt zu haben.

Mitte Juli machte Kan während einer im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz eine wahrlich beispiellose Aussage. Zwar gab er keinen Zeitrahmen an, setzte jedoch ein ehrgeiziges und brisantes Ziel. „Wir streben eine Gesellschaft an, die ohne Kernenergie auskommt.“ Er hob Sonne, Wind und Biomasse als Energiequellen hervor, an deren Weiterentwicklung Japan arbeiten könne, und im Parlament wurde ein Gesetz zur Einspeisevergütung diskutiert. Hierbei gab es keinen klaren Fortschritt, da atomfreundliche Fraktionen, Lobbyisten und Stromversorger ihre Unterstützung verweigerten. Nach DeWits Beobachtungen ist es schwierig vorherzusagen, wie genau die Gesetzgebung aussehen wird.

Reisfelder für Photovoltaik

Die Hinwendung zu erneuerbaren Energien findet jedoch nicht nur in der Politik statt. Masayoshi Son, Unternehmer in der Kommunikationsbranche und reichster Mann Japans, tritt sehr offen für erneuerbare Energien und insbesondere die Photovoltaik ein. Son hat mit Gesetzgebern auf nationaler und Präfekturebene gesprochen, um Unterstützung für seine Pläne bezüglich erneuerbarer Energien zu bekommen. Ein Plan sieht vor, brachliegende Reisfelder für Photovoltaikanlagen freizugeben. Son zufolge macht die Fläche ungenutzter Reisfelder derzeit 540.000 Hektar aus. Wenn von dieser Fläche nur 20 Prozent für Photovoltaik genutzt würden, könnten 50 Gigawatt Solarstrom produziert werden. Dies entspricht der Menge, die von der gegenwärtig von allen Seiten belagerten Tepco erzeugt wird. Als Zeichen, wie ernst es Son mit seinen Plänen bei derPhotovoltaik meint, hat er auf der Aktionärsversammlung der Softbank im Juni die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen sowie deren Verkauf mit in die Satzung aufgenommen.

Son hat eine eindrucksvolle Vergangenheit, wenn es um die Deregulierung von Teilen der japanischen Wirtschaft geht. Mit seinem Unternehmen Softbank hat er bereits ein Vermögen bei der Deregulierung der Telekommunikationsbranche gemacht. Derzeit liegt der Jahresumsatz der Softbank bei drei Billionen Yen, umgerechnet 27,4 Milliarden Euro. 35 von 45 Präfekturregierungen haben Interesse an Sons Plänen für den Ausbau erneuerbarer Energien bekundet. Es bedarf jedoch einer Einspeisevergütung, damit die Anlagen genügend Einnahmen generieren. Auf dem jüngsten Softbank-Aktionärstreffen kam Sons Frustration über die Politik, die solche Pläne behindert, deutlich zum Ausdruck. „Wenn die Zentralregierung zusammen mit den Stromversorgungsunternehmen keine Lösung für die Kernkraftwerke findet, dann müssen wir dies an deren Stelle tun“, sagte er.

Derartiger Druck wirkt sich auch auf die geschwächte Machtposition von Premierminister Naoto Kan aus. Bereits vor dem Desaster von Fukushima verzeichnete er schwache Umfragewerte. Was die Öffentlichkeit dann als stümperhafte Versuche, mit der Situation umzugehen, wahrnahm, führte zum weiteren Absturz seines Rückhalts in der Bevölkerung aufweniger als 20 Prozent. DeWit zufolge ist das einzige Thema, bei dem Kan und seine Regierung öffentliche Unterstützung genießen, die Abkehr von der Kernenergie und die Hinwendung zu erneuerbaren Energien. Es wird jedoch alles andere als einfach sein, diese Politik zu verfolgen, was durch den Widerstand gegen die Einspeisevergütung von Teilen der Wirtschaftslobby und auch aus seiner eigenen Regierung, wie etwa dem Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie, deutlich wird.

Die hartnäckige Unterstützung der Kernenergie und die Ablehnung erneuerbarer Energien resultieren aus der Stärke der Atomindustrie und den Organisationen, die sie unterstützen. Von den Befürwortern erneuerbarer Energien werden sie wegen ihres verschlossenen Wesens „nukleares Dorf“ genannt. Einige der Argumente, mit denen das „Dorf“ die fortgesetzte Abhängigkeit von der Kernenergie begründet, werden jetzt in Frage gestellt. Besonders unter Beschuss gekommen ist dabei der Verweis auf die niedrigen Kosten der Kernenergie im Gegensatz zu erneuerbaren Energien und insbesondere zur Photovoltaik.

Debatte über wahre Kosten

Tetsunari Iida, Geschäftsführer des Instituts für Nachhaltige Energiepolitik, nutzte eine Debatte des Clubs ausländischer Journalisten in Japan, um das Kostenargument aufzugreifen. Für ihn ist „die Kostendebatte völliger Quatsch“,weil für die Atomreaktoren keine Abgaben geleistet werden müssten, die im richtigen Verhältnis zu den möglichen Risiken durch Störfälle – wie in Fukushima geschehen – stünden. Verletzungs- und Erkrankungswahrscheinlichkeiten im Falle solch eines Unfalls sind zudem „lediglich theoretische Berechnungen“, so Iida. Erneuerbare Energien hätten seiner Meinung nach bessere Wettbewerbschancen, wenn die Kosten für die Kernenergie in Japan angemessen berücksichtigt würden.

Japans „nukleares Dorf“ hat sich als bemerkenswert standfest angesichts des buchstäblichen und sinnbildlichen nuklearen Niederschlags der Katastrophe von Fukushima erwiesen, obgleich einige die Solidarität langsam schwinden sehen. Die Atomindustrie hat bereits einen Teil ihrer Machtbasis verloren, was DeWit als „Desertion aus dem nuklearen Dorf“ beschreibt. Rango, eine große Gewerkschaftsorganisation in Japan, die bisher eine Politik zur Ausweitung der Kernenergie unterstützt hat, revidierte nun ihren Standpunkt.

Von Bedeutung ist hierbei, dass dieser Wechsel spürbare Auswirkungen auch innerhalb der regierenden Demokratischen Partei von Premierminister Kan hat. Rango bildet „einen großen Teil des Wählerstamms sowie der finanziellen Basis der Demokraten “, sagt DeWit. Mit Blick auf einen Expansionsstopp der Kernkraft fügt er hinzu: Wenn Rango diesen unterstütze, dann werde es für Kan auch leichter, diese Politik zu verfolgen.

Neue Projekte entstehen

Eine Lösung, die die politische Sackgasse, in der Kan und seine Regierung offensichtlich stecken, umgeht, könnten netzunabhängige Photovoltaiksysteme sein. Hierbei ist die private Industrie federführend, wie etwa die Softbank von Son. Panasonic kündigte im Mai ein Projekt zum Aufbau einer „nachhaltigen intelligenten Stadt“ in der Präfektur Kanagawa im Großraum Tokio an. Auf dem Gelände einer ehemaligen Anlage von Panasonic soll eine Gemeinschaft aus 1.000 Haushalten entstehen, die alle mit integrierten Solarmodulen und batterien ausgestattet sind. Bei der Ankündigung des Projekts sagte Panasonic-Präsident Fumio Ohtsubo: „Wir werden uns um einen Lebensstil bemühen, der in Sachen Energie äußerst unabhängig ist.“ Zusammenmit der lokalen Stadtverwaltung werden sich sieben weitere Unternehmen an dem Projekt beteiligen, darunter eine Bank und eine Immobiliengesellschaft.

Die Smart-Grid-Technologie, die eine stabile Versorgung mit Strom aus erneuerbarer Energie bereitstellt, befindet sich auch in Japan in der Entwicklung durch Unternehmen. Unter anderem arbeiten die Toyota Motor Corporation, Panasonic und Hitachi an solch einem Projekt, bei dem die Mitarbeiter direkt mit den experimentellen Gebäuden zu tun haben. Toyota entwickelt Stromspeicher für jeden Haushalt, die mit Strom aus einem Solargenerator von Hitachi und aus Windfarmen gespeist werden. Bei Toyota hofft man, dass diese Batterien zukünftig sowohl in Haushalten als auch in Hybridautos Verwendung finden.

Photovoltaik mit Vorteilen

Während man sich auf mehreren Sektoren auf erneuerbare Energien zubewegt, bleibt die Frage, welche Technologie in Japan das Rennen machen wird. Nandakumar Janardhanan ist ein Energiepolitik-Forscher am japanischen Institut für Globale Umweltstrategien (IGES). Er glaubt, dass Wind, Biomasse, und Erdwärme zwar Teil des Energiemixes sein werden, „diese Energiequellen jedoch alle gewisse Probleme mit sich bringen.Erdwärme ist stark ortsabhängig und kann oft nicht ausreichend Wärme zur Verfügung stellen. Was Windkraft betrifft, so können in Japan die Taifune problematisch sein.“ Janardhanan kommt daher zu dem Schluss, dass Solarenergie und insbesondere die Photovoltaik einen natürlichen Vorteil mit sich bringt.

Aufbau einer Branche

Beim Gang durch die neue, hochautomatisierte Anlage von Solar Frontier in Kunitomi außerhalb der Stadt Miyazaki in Japans Süden sind die Erwartungen in das Aufblühen der Photovoltaik zu spüren. „Es ist interessant, dass Japan der Solartechnologie recht neutral gegenübersteht“, erklärt Produktmanager James Plastow. „Die Photovoltaik wird lediglich als elektronische Technologie gesehen. Natürlich blickt Japan in der Elektronik auf eine lange Geschichte zurück. Es geht um den Aufbau einer Branche, Exporte und damit um Arbeitsplätze.“ In der Anlage von Solar Frontier wird die Produktion gerade vorbereitet. Später in diesem Jahr sollen dann jährlich 900 Megawatt CIS-Dünnschichtmodule hergestellt werden. Diese Kapazität ist nur ein Bruchteil der Nachfrage, wenn der japanische Photovoltaikmarkt so weit heranwächst, dass er die Kernreaktoren des Landes ersetzen kann.Soll sich in Japan die Stromerzeugung mit Photovoltaik und anderen erneuerbaren Energien durchsetzen, dann müssen die Energieversorger ihre bisherigen Privilegien verlieren. Das gültige Versorgungsgesetz (Electric Utilities Industry Law) gesteht derzeit nur den Stromversorgungsunternehmen die Erzeugung zu.

Japan hat eine Geschichte voller technologischer Innovationen in vielen Bereichen einschließlich der Photovoltaik – die Politik hinkt jedoch hinterher. Institutsleiter Tetsunari Iida erläuterte bei seiner Ansprache vor den versammelten ausländischen Journalisten seinen Plan für eine Zukunft mit erneuerbaren Energien in Japan. Bis 2020, sagt Iida, „wird Kernkraft höchstens zehn Prozent ausmachen oder abgeschafft sein; Energieeinsparungen durch höheren Wirkungsgrad etwa 20 Prozent, ein Anstieg erneuerbarer Energien um 20 auf 30 Prozent. Und bis 2050 werden Energieeffizienz und erneuerbare Energien alles ausmachen. Eine realistischere, wirtschaftlichere, sauberere und sicherere Zukunft der Energie.“ So lange werden die japanische Bevölkerung und die Industrie jedoch nicht warten wollen, um herauszufinden, ob Premierminister Kan und seine Regierung dieser Vision nachgehen können.

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