Lupo sieht ein wenig aus wie ein zu groß geratener Pudel: braunes Fell, spitze Ohren und eben die typische Schur. Lupo ist aber ein Alpaka. Ein kleines Kamel, das mitten im tiefsten Allgäu in der Mittagshitze Schatten unter einer Photovoltaikanlage sucht. Das sagt eigentlich schon viel über das unkonventionelle Denken von Lupos Besitzer aus. Manfred Guggenmos ist vieles: Neben Kamelbesitzer noch ökologischer Landwirt, Unternehmer, Erfinder, Forscher und hauptberuflich Elektriker – und dazu noch sehr gastfreundlich. Wer ihn in Warmisried besucht, diesem idyllischen Fleckchen, das aussieht wie aus einem Hochglanzmagazin, bekommt erst ein Getränk in die Hand gedrückt. Danach folgt eine Führung durch das Wunderland der neuen Energietechnologien.
Noch vor wenigen Jahren war dies hier nichts weiter als ein Gelände, meterhochvoll mit Bauschutt. Eine Sägemühle war auf dem Grundstück abgebrannt und die Verwüstung gewaltig – nur schwer vorstellbar, daraus wieder etwas zu machen. Aber „geht nicht“ gibt es nicht für Manfred Guggenmos. Mit eigenen Händen buddelte er im Schutt und fand zwei alte Wasserturbinen. In Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Kempten entwickelte er eine neue, hocheffiziente Generatortechnik. Nur wenige Meter entfernt dreht sich Isolp: ein fünfstöckiges, rundes Gebäude, ein „intersolares Pflanzenöl-Haus“ mit einer Dachschräge voll von Solarmodulen. Die Drehungsenergie des Hauses wird genutzt, um Pflanzenöl zu pressen.
Früh entdeckte der gelernte Elektromeister seine Leidenschaft für die Solarenergie. Er elektrifizierte mit Solarmodulen bereits einsame Berghütten, als er dafür noch bestenfalls belächelt wurde.Selbstverständlich, dass er auch in Warmisried eine Photovoltaikanlage installierte. Ebenso klar: Die Anlage, an der sich nun Lupo, das Kamel, erfreut, ist keine gewöhnliche Anlage.
Der Brand in der Sägemühle vernichtete praktisch alles, bis auf die alten, metallenen Kranschienen des ehemaligen Baumlagers. Sie funktionierte Guggenmos kurzerhand zu einer Unterkonstruktion um, auf der er Solarmodule aufständerte. Die Module sind dadurch zwischen 1,3 und drei Meter vom Boden entfernt, so dass an den meisten Stellen unter der Anlage ein Erwachsener – oder eben ein Kamel – aufrecht stehen kann.
Gemüse gedeiht prächtig
Bald machte Manfred Guggenmos eine interessante Entdeckung: Die Pflanzen im Schutz der Anlagen wuchsen nicht nur gut, sondern sehr gut. SeineNeugier war geweckt. Der Elektromeister drückte sogar noch einmal die Schulbank, um eine landwirtschaftliche Ausbildung zu absolvieren, und begann, Gemüse zu pflanzen. Erneut stellte sich derselbe Effekt ein: Das Gemüse gedieh prächtig, obwohl es weder gedüngt noch mit Pflanzenschutzmittel behandelt wurde.
Nun wollte Guggenmos es genau wissen. Er startete einen dreijährigen Anbauflächentest mit Winterweizen. Das Getreide bewässerte er nicht extra, es bekam nur den Regen, der durch die in vier Meter Abstand gesetzten Module fiel. Auch auf Mineraldünger und Pflanzenschutz verzichtete Manfred Guggenmos vollständig. Das Getreide wuchs dennoch bestens. Dies bestätigte auch das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Mindelheim. Der Landwirtschaftliche Amtmann Manfred Sammer teilte 2009 schriftlich mit: „Trotz der extensiven Anbauweise ist der Winterweizen erstaunlich gut entwickelt. Eine wesentlich bessere Entwicklung des Bestandes ist, unter den vorliegenden Anbaubedingungen, auch außerhalb der Photovoltaikanlage nicht zu erwarten.“
Amtliche Bestätigung
Seither erforscht Guggenmos die landwirtschaftliche Nutzung der Fläche unter den Solarmodulen mit den unterschiedlichsten Gemüsesorten. Bereits zum achten Mal wurde mittlerweile ausgesät, und inzwischen ist klar: Nicht nur der Weizen mag das Klima unter der Anlage. Guggenmos steigt über die Einzäunung und präsentiert mit leuchtenden Augen seine diesjährige, vier Wochen alteAussaat: „Sehen Sie, wie groß die bereits sind? Ich bin ganz stolz auf meine Kartoffeln.“ Tatsächlich, die nur knapp einen Monat alten Gewächse sind bereits 30 Zentimeter hoch und entwickeln sich gut. Auch Rote Bete, Lauch und Sellerie gedeihen hervorragend. Natürlich wie immer ohne künstliche Bewässerung, Düngung oder Pflanzenschutzmittel.
Doch nicht nur Gemüse fühlt sich unter der Anlage wohl, sie hat noch andere Vorzüge: „Der Hack“, so nennt Guggenmos den Raubvogel, der früher regelmäßig die Zahl seiner Hühner dezimierte, „findet unter der Anlage kaum noch Opfer. Auch Schafe, Lupo und die anderen Alpakas sowie Pferde grasen unter der Photovoltaikanlage und nutzen sie an heißen Allgäuer Sommertagen als Schattenspender.“
Der Zeit voraus
Professor Adolf Goetzberger, Gründer des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg, überrascht der gute Pflanzenwuchs unter Guggenmos‘ Anlage nicht. Der Solarpionier hat bereits 1981 auf die Möglichkeiten einer gemeinsamen Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen für den Anbau von Nahrungsmitteln und zur Gewinnung von Sonnenenergie hingewiesen. „Manfred Guggenmos hat bewiesen, was ich bereits vor 30 Jahren theoretisch berechnet habe“, sagt Goetzberger. Wird ein nach Süden ausgerichtetes Solarfeld durch eine Trägerstruktur auf einem bestimmten Niveau über dem Boden installiert, fällt die Sonnenstrahlung anders als bei einer direkt am Boden verankerten Anlage einheitlich auf die darunterwachsenden Pflanzen, so die Theorie des Wissenschaftlers. In Simulationen zeigte er, dass 70 bis 80 Prozent der Sonneneinstrahlung im Sommerhalbjahr, also während der landwirtschaftlichen Hauptanbauzeit, den Boden erreichen. „Eine beträchtliche Anzahl von Nutzpflanzen kann unter diesen Bedingungen gedeihen“, lautete seine Schlussfolgerung.
Idee des „Sun Farming“
Doppelte Ernte: Die Idee ist so einfach wie bestechend. Schwer zu glauben, dass bisher kaum landwirtschaftlich genutzte Photovoltaikanlagen existieren. Landwirte verfügen über die Flächen, sind erfahren in der Finanzierung sowie dem Unterhalt von Infrastruktur und technischer Ausrüstung, wie sie auch eine große Photovoltaikanlage darstellt, und würden durch die Ernte von Nahrungsmitteln und Strom doppelt profitieren.
Nicht nur in unseren Gefilden könnte die Kombination aus Photovoltaik und Agrikultur eine lohnende Partnerschaft sein. Landwirtschaft ist, insbesondere in Regionen mit Bewässerungssystemen, ein großer Verbraucher elektrischer Energie. Als Beispiel führt Goetzberger Kalifornien an. An heißen Nachmittagen zwischen Mai und Oktober werden dort jedes Jahr etwa 2.500 Megawatt benötigt. Würden die Landwirte ihre eigene Solarenergie nutzen, könnte das Stromnetz erheblich entlastet werden.
„Wir halten es für schwierig, Nachteile unseres Vorschlags zu finden“, schreibt Goetzberger über das Potenzial des „Sun Farming“ charmant in einem Beitrag der Zeitschrift „Solarzeitalter“. Doch hat sich jahrelang niemand dafür interessiert. In Deutschland wurden keine Forschungsgelder bewilligt, um die theoretischen Berechnungen der Doppelernte zu verifizieren, erzählt der Gründer des Fraunhofer ISE.
Erste Anlage in Italien
In Italien ist man inzwischen weiter. In Virgilio in der Lombardei hat das auf erneuerbare Energietechniken spezialisierte Unternehmen Revolution Energy Maker (Rem) kürzlich eine 2,4-Megawatt-Anlage in Betrieb genommen. Deren Module sind in fünf Metern Höhe über dem Boden installiert. Um den Einsatz von Schleppern und Erntemaschinen zu ermöglichen, wird zwischen den Reihen ein Abstand von zwölf Metern eingehalten. So werde ein optimalesVerhältnis zwischen Sonneneinstrahlung und Beschattung ermöglicht, ohne dass der Maschinenbetrieb behindert wird, beschreibt Rem-Geschäftsführer Giancarlo Ghidesi das Projekt in einem Artikel in der Online-Ausgabe der Zeitung „Giornale di Brescia“. Außerdem könne die Anlage ohne Auswirkungen für die Ackerfläche demontiert werden.
Kosten noch deutlich höher
Die Kosten der Anlage liegen nach Angaben des Unternehmens wegen der notwendigen Trägerstruktur rund 15 bis 20 Prozent über denen von traditionellen Freiflächen-Photovoltaikanlagen. Insgesamt sind zehn Millionen Euro in das Vorhaben investiert worden. An der Entwicklung des patentierten Kombisystems hat ein Team aus 20 Ingenieuren, Architekten, Agronomen und Maschinenfachleuten 18 Monate lang gearbeitet. Eine 1,3-Megawatt-Anlage wurde bereits in Castelvetro Piacentino realisiert, die Arbeit an zwei weiteren Anlagen in der Lombardei, in der Nähe von Piacenza (3,3 Megawatt) und Mantu (3,8 Megawatt) stünden kurz vor Beendigung. In Frankreich wird gemeinsam mit dem Unternehmen Eco Delta Développement eine weitere Anlage geplant.
Eine Solaranlage, unter der Trecker hindurchfahren können, steht auch auf dem Allgäuer Grundstück von Manfred Guggenmos – bislang allerdings nur in seinem Büro in Modellgröße. Schon längst arbeitet der Tüftler daran, das Problem mit der Ernte zu lösen, denn unter seiner Anlage auf den alten Kranschienen ist an maschinellen Einsatz nicht zu denken. Deswegen plante Guggenmoseine weitere Anlage mit einer Aufständerung in sieben Metern Höhe, in Abständen von zwölf Metern. So könnten Mähdrescher und Traktoren ungehindert unter den Solarmodulen arbeiten. Die Mehrkosten für die Aufständerung würden durch den doppelten Gewinn aus Stromertrag und Landwirtschaft schnell kompensiert, meint Guggenmos.
Der Bauantrag für ein rund ein Hektar großes Versuchsfeld war bereits gestellt, die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf zeigte sich an der Begleitforschung interessiert. „Wir würden erforschen, wie sich das auf Pflanzen auswirkt, wenn sie nicht unmittelbar der Sonne ausgesetzt werden“, sagt Professor Sebastian Peisl von der Fakultät Gartenbau und Lebensmitteltechnologie. „Dazu würden im direkten Vergleich die Entwicklung unterschiedlicher Gemüsesorten, Getreidearten, Arzneipflanzen, Stauden und Gehölze auf einer Fläche unter einer Photovoltaikanlage und ohne Photovoltaikanlage untersucht“, erläutert Peisl den möglichen Versuchsaufbau. „Ich meine, das Wachstum wäre ein wenig vermindert, aber da müsste man dann natürlich die zusätzlichen Erträge aus der Stromerzeugung hinzurechnen. Bisher gibt es nur Modellrechnungen. Wir würden prüfen, ob die in der Praxis belastbar sind.“
Keine EEG-Förderung mehr
Die Voraussetzungen waren also perfekt, doch dann machte die Politik Guggenmos einen Strich durch die Rechnung. Mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Mitte 2010 kam das Aus für die Vergütung von Strom ausSolaranlagen auf Ackerflächen. Ganz ohne Förderung „ist das doch noch ein bißchen teuer“, sagt selbst Manfred Guggenmos.
Das Traurige an der Geschichte: Guggenmos will gerade das Problem lösen, das Freiflächen-Kritiker als Argument gegen die Vergütung ins Feld führen: Photovoltaikanlagen auf Ackerflächen sorgten im doppelten Sinne für einen Flächenverbrauch. Die Ackerfläche werde versiegelt und sei für den Anbau von Pflanzen für die Nahrungsmittel-Erzeugung nicht mehr verwendbar. Für Manfred Guggenmos stellt sich jedoch die Frage, ob auf Feldern Nahrungsmittel angebaut oder lieber Energie erzeugt werden soll, gar nicht. Er will beides. Er ist überzeugt, dass es geht. Von Versiegelung wertvoller Fläche kann bei Guggenmos‘ Anlage keine Rede sein, wie sich Besucher in Warmisried überzeugen können. An den Rändern seiner Anlage lässt er Brennnesseln stehen, darin summt, brummt und fiept es. „Ich bin ganz begeistert, was sich hier für eine Lebensvielfalt entwickelt“, sagt der Elektromeister.
Neue Forschungsprojekte
Auch in Deutschland soll es nun mit der Doppelernte vorangehen. Das Fraunhofer ISE hat erneut eine Projektskizze an das Landwirtschaftsministerium übersandt, sagt Goetzberger. Auf einer Versuchsfläche in Freiburg soll erforscht werden, welcher Abstand zwischen den Solarmodulen einen optimalen Lichteinfall gewährleistet, welche Pflanzen sich für diese Art Anbau eignen und welche nicht, was für Gerüste in Frage kommen. „Ich habe gehört, dass die Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner sich jetzt persönlich darum kümmern will“, sagt Goetzberger. Auch Sebastian Peisl hat im Rahmen der bundesweiten Forschungsoffensive erneuerbare Energien eine Projektskizze bei seiner Hochschulleitung eingereicht.
Ob und wann die Behördenmühlen mahlen und Fördergelder fließen – darauf will Manfred Guggenmos nicht warten. Er ist ein Macher. So ist das Aus der Vergütung für Anlagen auf Ackerflächen kein Aus für sein Projekt „Doppelernte“ – maximal eine Bremse. „Warten wir mal ab, wie sehr die Strompreise im kommenden Jahr steigen“, schmunzelt der Allgäuer Tüftler. „Sind die erst hoch genug, legen wir los.“
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