Italien legt den Markt lahm

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Italien ist 2010 aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Zu Jahresbeginn kursierten Meldungen, die von einem Photovoltaikzubau von sechs Gigawatt ausgingen. Damit schien Italien die Lücke zum Weltmarktführer Deutschland binnen nur eines Jahres so gut wie geschlossen zu haben. Wie schon oft in solchen Fällen, wenn die Dinge erst mal ins Laufen kommen, fangen die Politiker an sich in das Geschehen einzumischen. „Die Anreize für die Erneuerbaren müssen an die der anderen europäischen Länder angepasst werden“, sagte Ministerpräsident Silvio Berlusconi laut einem Bericht der Tageszeitung „ La Repubblica“. „Der Boom der Photovoltaik hat auf den Stromrechnungen der Verbraucher zu einer solchen Belastung geführt, dass es nötig war, die Kosten zu beschränken.“ Diese Worte sprach Berlusconi am 10. März, doch da war das Kind bereits in den Brunnen gefallen – der Markt war lahmgelegt.
Trotz hoher Einstrahlungsintensität waren in Italien die Anreize für Investitionen in Photovoltaik lange Zeit zugering. Dies änderte sich aber mit dem Conto Energia II, das seit 2008 für einen wahren Boom in dem südeuropäischen Land sorgte. Die Zahl neu installier- ter Photovoltaikanlagen erhöhte sich kräftig.
2010 stieg Italien dann hinter Deutschland zum zweitwichtigsten Photovoltaikmarkt der Welt auf. Die Gerüchte vom Jahresanfang waren allerdings obsolet, als die italienische Energieagentur „Gestore dei Servizi Energetici“ (GSE) Anfang März die Zubauzahlen für 2010 veröffentlichte. „Demnach sind 2010 in Italien 2,3 Gigawatt Photovoltaikleistung ans Netz gegangen“, sagt Götz Fischbeck, Analyst der BHF-Bank. Photovoltaikanlagen mit 3,4 Gigawatt Leistung seien im vergangenen Jahr bereits fertiggestellt, aber noch nicht am Netz gewesen. Dabei sei vor allem im zweiten Halbjahr 2010 ein starker Zubau zu verzeichnen gewesen. „Mehr als 30 Prozent der Weltmarktnachfrage entfiel in dieser Zeit auf Italien“, schätzt Fischbeck. Gerade angesichts der Kürzung in Deutschland seidas Land immer wichtiger geworden für die Hersteller. Dies verdeutlicht, wie bedeutend die Situation in Italien ist, wenn es um weitere Prognosen für die Entwicklung des globalen Photovoltaikmarktes geht.
Mit dem Conto Energia III schuf die Regierung im August 2010 zunächst klare Rahmenbedingungen. Sie veröffentlichte damit die neuen Fördersätze, die dem Markt in den Jahren 2011 bis 2013 Stabilität geben sollten. Für dieses Jahr waren drei moderate Kürzungen vorgesehen – zum Jahreswechsel, zum 30. April und zum 31. August.
Doch Anfang März dann die komplette Kehrtwende. Erste Gerüchte kamen auf, dass die Regierung in Rom die komplette Solarförderung bei acht Gigawatt deckeln wolle. Die Konsequenz daraus wäre gewesen, dass wahrscheinlich schon im Laufe dieses Jahres keine Photovoltaikanlage mehr gefördert worden wäre. Ein Horrorszenario für alle Investoren, die gerade bei der Planung oder dem Baueiner Anlage sind.Ein Einsehen hatte dann aber das italienische Kabinett. Es entschied, dass es so weit nicht kommen wird. Zugleich verabschiedeten die Minister ein Legislativdekret. Es sieht vor, dass die derzeitige Einspeisevergütung nun bis zum 31. Mai gelten wird. Danach soll es eine Neuregelung geben, auf die sich Umwelt- und Wirtschaftsministerium bis Ende April verständigen müssen. Zugleich wird gefordert, eine jährliche Obergrenze für den Zubau einzuführen und die Einspeisetarife an die Höhe der Systempreise zu koppeln. Außerdem sollen künftig Solarparks auf Ackerflächen auf eine Leistung von einem Megawatt beschränkt werden. „Allein die Ankündigung, das Conto Energia III Ende Mai auslaufen zu lassen, dürfte zu einem Baustopp bei den aktuellen Photovoltaikprojekten geführt haben“, schätzt Fischbeck ein.
Dies alles geschah vor dem Atomunfall im japanischen Fukushima. „Jetzt dürften es Regierungen schwer haben, sich gegen erneuerbare Energien zu positionieren“, sagt Dirk Morbitzer, Analyst von Renewable Analytics. Ein vom Industrieverband Confindustria vorgelegterGesetzesentwurf zeigte wenig später die Richtung auf, in die die Solarförderung künftig zielen könnte. Er sieht vor, den Zubau zwischen Juni und Dezember auf 2.000 Megawatt zu begrenzen. Dieser Deckel soll dann auch in den Folgejahren gelten. Außerdem ist in dem Vorschlag eine monatliche Absenkung der Einspeisetarife um einige Prozent vorgesehen. Binnen eines halben Jahres könnten die Tarife so von 0,323 auf 0,25 Cent je Kilowattstunde sinken. Eine monatliche Kürzung hält Fischbeck für wenig praktikabel. „Jegliche Finanzierung von Photovoltaikanlagen wird damit unmöglich verkompliziert und für die Investoren nicht mehr planbar.“ Er befürwortet maximal eine Absenkung pro Quartal.

Begrenzung wird kommen

Völlig unklar blieb indes, was mit den Anlagen geschehen soll, die zwar fertig, aber noch nicht am Netz sind. Beim Tempo, mit dem Netzbetreiber ENEL die Systeme anschließt, ist mehr als fraglich, ob die „Altanlagen“ alle bis Ende Mai am Netz sein werden. Nur dann profitieren die Betreiber von der bislang gültigen attraktiven Einspeisevergütung. Nicht geklärt ist auch, ob diese Anlagen in eine mögliche Begrenzung des Marktes einbezogen werden oder nicht. Dass ein Deckel kommt, da ist sich Analyst Dirk Morbitzer recht sicher. Er sieht zwei Modelle, die derzeit für den italienischen Markt ab 2012 diskutiert werden. Das erste sieht eine starre Begrenzung ähnlich wie in Frankreich vor, die zwischen zwei und 2,3 Gigawatt liegen könnte. Das zweite Modell ist aus Sicht von Morbitzer wahrscheinlicher. Bei einem atmenden Deckel könnte ein Zubaukorridordefiniert werden. Die Einspeisevergütung würde dann, orientiert am Zubau, unterjährig mehrfach abgesenkt, so Morbitzer. Aber sicher ist in der italienischen Politik nichts. So habe der Senat kurz darauf eine Entschließung verabschiedet, die keine Begrenzung für Neuinstallationen vorsehe.
Die große Herausforderung für die italienische Regierung wird es sein, möglichst schnell verlässliche Rahmenbedingungen für Investoren zu schaffen. Nicht nur die heimische Industrie hofft darauf, sondern Hersteller weltweit. „Es baut sich gerade Druck im Kessel auf“, sagt Dirk Morbitzer. Die Lagerbestände seien drastisch angestiegen. Derzeit gebe es zwischen 1,5 und zwei Gigawatt in den Lagern. „Mit einer Entscheidung in Italien sind die ja nicht gleich wieder weg“, sagt der Analyst weiter. Der Druck erhöhe sich massiv auf alle Beteiligten. Bereits in der ersten Woche nach der Kehrtwende der italienischen Regierung seien die Spotmarktpreise für Silizium um sieben Prozent gefallen. Nachfolgend kämen auch die Modulpreise ins Rutschen.
Wenn die fertigen, nicht angeschlossenen Anlagen aus dem vergangenen Jahr nicht auf den Deckel angerechnet würden, sieht Fischbeck noch etwas Spielraum für die Nachfrage. Ein Problem sei aber, dass die meisten Firmen derzeit noch stark auf Europa ausgerichtet seien. Nach seiner Ansicht müssten sie sich stärker auf Märkte wie USA und Ontario konzentrieren. „Natürlich geht das nicht über Nacht, auf andere Märkte zu kommen“, sagt Fischbeck.
Hartnäckig hält sich bereits das Gerücht, dass in China erste Linien stillgelegt und Mitarbeiter nach Hause geschickt werden. Dabei wird die Zukunft der Photovoltaikindustrie weltweit maßgeblich davon abhängen, wie Italien seine Förderung ausgestaltet. Die Politik und Verbände verhandeln weiter – der Ausgang ist allerdings ungewiss.
Im extremsten Szenario könnte es ab 1. Juni gar keine Vergütung mehr in Italien geben. Dies wäre der Fall, wenn das Conto Energia IV nicht rechtzeitig verabschiedet und offiziell im Gesetzesblatt veröffentlicht würde. Doch Berlusconi versucht zu beruhigen. Er verspricht schon bald eine neue Regelung, die langfristig Sicherheit schaffen werde. Dies war am 10. März. Bis zum Redaktionsschluss hat er dieses Versprechen nicht wahrmachen können.

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